Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Tiefe Ruhe herrschte um ihn her; die Soldaten, welche ihr Lied dicht vor den Fenstern des Königs begonnen hatten, waren jetzt weiter hinab in das Lager gegangen, und ihr fröhlicher Gesang verhallte in der Ferne.
Der König schrieb hastig weiter; auf einmal ward die Stille durch ein schüchternes Klopfen an der Thür unterbrochen, und auf des Königs Ruf trat sein Kammerdiener herein.
Sire, sagte er, der Herr, welcher schon zweimal zu Ew. Majestät in's Lager gekommen, ist wieder da und bittet um Audienz.
Der König zuckte zusammen in freudigem Schreck und seine großen Augen richteten sich mit so flammenden, durchbohrenden Blicken auf den Kammerdiener, daß dieser ganz verschüchtert die Augen senkte.
Thugut, der Baron Thugut ist wieder da? fragte der König.
Ich weiß nicht, ob er so heißt, Sire, er sagte, ich sollte Eurer Majestät den Secretair des Fürsten Gallizin melden!
Er ist's, er ist's, murmelte der König. Laß den Herrn sogleich zu mir eintreten!
Hätte der Kammerdiener gewagt aufzuschauen, so würde er gesehen haben, welch' ein strahlendes Lächeln das Antlitz des Königs erhellte und wie freudig seine Augen aufleuchteten.
Aber dieses Lächeln und diese leuchtenden Augen waren längst schon wieder verschwunden, als der Baron Thugut eintrat, und der König empfing ihn mit vollkommen gleichgültigem und ruhigem Gesicht.
Nun, mein Herr Baron, sagte er, die tiefen Verbeugungen des heimlichen Abgesandten der Kaiserin von Oesterreich mit einem kaum merklichen Kopfneigen erwidernd, Sie kommen zum dritten Mal? Wenn der böse Feind zum dritten Mal kommt, muß er entweder die arme Seele erbeuten, oder er muß auf immer auf sie verzichten.
Sire, ich fürchte, er muß auf immer auf sie verzichten, sagte Thugut lächelnd, vorausgesetzt, daß Ew. Majestät mir gnädigst gestatten wollen, Ihr schmeichelhaftes Wort auf mich zu beziehen und mich für den bösen Feind gelten zu lassen.
Und Sie finden das schmeichelhaft? fragte Friedrich lächelnd.
Ja, Sire, denn der böse Feind oder der Teufel ist ein gar großer und mächtiger Herr, und ich, der leider nicht das Glück hat an Gott zu glauben, ich glaube an den Teufel.
So? Und weshalb glauben Sie an den Teufel und nicht an Gott?
Weil ich dem Teufel überall begegnet bin und überall in jeder Stadt seinen Thron aufgerichtet gesehen habe, während ich die Spuren Gottes überall vergeblich gesucht habe unter den Menschen und seine Throne nirgends entdecken konnte.
Für einen Abgesandten der Kaiserin Maria Theresia sind das sehr freie Ansichten, sagte der König lächelnd. Aber lassen Sie hören, was bringen Sie mir? Nur muß ich Ihnen zu allererst sagen, daß ich nicht gesonnen bin, Verhandlungen wieder anzuknüpfen. Die Kaiserin-Königin hat meine letzten Vorschläge entschieden abgelehnt und damit sind sie für immer beseitigt. Wenn Sie also nichts wollen, als neue Vorschläge machen, neue Bedingungen, unter denen Sie Baiern, oder ein Stück von Baiern gewinnen wollen, so sage ich Ihnen zum Voraus: Es ist umsonst! Ich unterhandle nicht mehr! Oesterreich muß seine Ansprüche auf Baiern fahren lassen und Deutschlands Gesetze heilig halten, oder es muß mit Waffengewalt erkämpfen, was wir ihm nimmer gutwillig lassen werden.
Sire, ich komme auch nicht mit den alten Vorschlägen, sondern mit einem ganz neuen Vorschlag, den ich im Namen der Kaiserin-Königin Eurer Majestät vortragen soll. Hier sind meine Creditive, wenn Ew. Majestät die Gnade haben wollen, dieselben anzusehen, und hier habe ich die Ehre, Ew. Majestät ein eigenhändiges Schreiben meiner Souverainin zu überreichen.
Und das da? fragte der König, auf eine mit Bindfaden zusammengebundene Rolle Papier deutend, die der Baron noch in der Hand hielt.
Das da, Majestät, sind meine Acten und Documente, sämmtliche zwischen Ew. Majestät und der Kaiserin-Königin gepflogene Verhandlungen enthaltend.
Ich glaube Ihnen schon bemerkt zu haben, mein Herr, daß ich mich auf Verhandlungen nicht mehr einlassen will, sagte Friedrich rasch, und ohne eine Antwort abzuwarten, erbrach er das Schreiben der Kaiserin und las es rasch.
Baron Thugut benutzte diese Zeit, um mit vollkommenster Seelenruhe den Bindfaden, der seine Acten zusammenhielt, zu lösen und die Papiere auf einem Stuhl auszubreiten.
Dieser Brief hier enthält weiter nichts, als Ihre Beglaubigung, mein Herr Baron. Die Kaiserin beruft sich im Uebrigen auf die mündlichen Aufträge, die sie Ihnen gegeben. Reden Sie also, Herr Baron.
Sire, die Kaiserin-Königin, beseelt von dem lebhaften Wunsch, ihren Völkern und ganz Deutschland den Frieden wiederzugeben, und die Ruhe Europa's aufrecht zu erhalten, hat die Vermittelung Rußlands und Frankreichs angerufen, um die Streitigkeiten zu schlichten, die zu der Kaiserin-Königin tiefstem Schmerz zwischen ihr und Eurer Majestät ausgebrochen sind. Damit nun diese beiden Mächte, welche Beide sich willig und bereit erklärt haben, die ihnen angebotene Vermittlerrolle zu übernehmen –
Sagen Sie richtiger, unterbrach ihn der König lebhaft, daß diese beiden Mächte der Kaiserin-Königin den dringenden und etwas peremptorisch ausgesprochenen Rath gegeben haben, ihren Ansprüchen auf Baiern zu entsagen und Frieden zu machen! –
Baron Thugut verneigte sich und fuhr fort: Damit nun diese beiden Mächte ihr Vermittelungswerk glücklich zu Stande bringen können und der Friede während dieser Zeit durch keine militairischen Zwischenfälle gestört werden kann, schlägt ihre Majestät die Kaiserin-Königin Sr. Majestät, dem König von Preußen, vor, einen Waffenstillstand eintreten zu lassen, der mit dem heutigen Tage beginnen soll.
Der König hatte bis dahin Thugut mit großen, forschenden Augen angesehen, jetzt bei dessen letzten Worten schlug er plötzlich die Augen nieder, vielleicht, um den schlauen Diplomaten nicht in seinen Augen die freudige Ueberraschung wegen seines willkommenen Vorschlags sehen zu lassen.
Sind Sie durch's Lager gekommen? fragte der König nach einer Pause.
Ja, Sire!
Haben Sie den Jubel meiner Soldaten gehört? Hat man Ihnen gesagt, daß ich morgen über die Elbe gehen will, um Ihrem Kaiser eine Schlacht anzubieten, und daß ich meinen Generälen schon ihre Ordres ertheilt habe?
Ja, Sire, ich habe Alles das gesehen und gehört!
Und in dem Augenblick, wo ich den entscheidenden Kampf beginnen will, wo meine Soldaten jauchzen vor Kampfeslust, kommen Sie und verlangen Waffenstillstand. Sie sehen, daß ich nur aus persönlicher Rücksicht auf die Wünsche der Kaiserin mich jetzt noch entschließen könnte, ihr zu willfahren und den Waffenstillstand anzunehmen, und daß Sie mir im Namen Ihrer Monarchin einige Garantieen für einen für mich und für Deutschland ehrenvollen Frieden geben müssen. Lassen Sie also hören.
Baron Thugut nahm jetzt seine Acten, die er auf den Tisch vor dem König hinlegte, und die diplomatischen Unterhandlungen begannen.
Es war eine lange Unterredung, welche der König mit dem heimlichen Gesandten der Kaiserin hatte, und als nach derselben der König den Baron Thugut entließ, sagte er, leicht mit dem Kopfe nickend: Nun wohl denn, ich will der Kaiserin dieses Opfer bringen. Ich nehme den Waffenstillstand an, und statt morgen, wie ich beabsichtigte, vorwärts über die Elbe zu gehen, werde ich morgen rückwärts nach Schlesien gehen, und meine Armee die Winterquartiere einnehmen lassen.
Und Ew. Majestät versprechen gnädigst, der Kaiserin-Königin billige Friedensbedingungen zu machen und dieselben dem russischen Gesandten Fürsten Repnin mitzutheilen?
Ich verspreche es, und die Kaiserin-Königin möge fest auf die Erfüllung meines Versprechens rechnen! Leben Sie wohl!
Der Gesandte wandte sich der Thür zu, aber schon im Begriff, dieselbe zu öffnen, ward er vom König zurückgerufen.
Herr Baron, sagte der König mit einem eigenthümlichen Lächeln, indem er auf den Bindfaden deutete, welcher von den Acten abgefallen und auf dem Tisch des Königs zurückgeblieben war, Herr Baron, Sie haben da etwas vergessen, nehmen Sie Ihr Eigenthum zurück. Ich bereichere mich nicht gern mit dem Eigenthum Anderer. Des Königs eigene Worte.
Baron Thugut, ein wenig beschämt, steckte seinen Bindfaden zu sich und entfernte sich.
Der König schaute ihm mit einem sinnenden Lächeln nach, dann, als er verschwunden war, wandten sich seine leuchtenden Augen langsam dem Himmel zu. Ist das nun Zufall oder Schicksal? sagte er leise. Wer von ihnen Beiden hat mir diesen ehrenvollen Ausweg aus meinen Nöthen bereitet? Vespasian hat gesagt: »Ein Kaiser muß stehend sterben.« Vielleicht gelingt's mir auch noch, so zu sterben!