Alexander Moszkowski
Entthronte Gottheiten
Alexander Moszkowski

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Der Begriff der »Unmöglichkeit«

Anaxagoras hatte die Behauptung aufgestellt, die Sonne sei größer als der Peloponnes. Unmöglich! rief ihm die Auslese der zeitgenössischen Intelligenz entgegen. In der Schule der Pythagoräer stiegen vorkopernikanische Ahnungen auf, die vage Erkenntnis von der Bewegung der Erde innerhalb des ruhenden Firmamentes. Diese Ahnungen konnten sich gegen das »Unmöglich!« eines Plato, eines Archimedes, eines Hipparch, gegen das »Höchst lächerlich!« eines Ptolemäus nicht durchsetzen. Das »Unmöglich« der Kurie war im ersten Anlauf stärker als das wissenschaftliche Bekenntnis des Galilei. Als Lavoisier seine Elemententheorie entwickelte, flog ihm aus der Mitte der französischen Akademie das »Unmöglich« an den Kopf; und Lavoisier selbst war wiederum schnell mit seinem »Unmöglich« auf dem Plan, als die Behauptung, Meteore könnten vom Himmel fallen, ihm nicht einleuchten wollte. Die erste Beobachtung der Sonnenflecken löste bei den Gelehrten ein vielfältiges »Unmöglich!« aus. Die Pioniere des Dampfschiffes, Papin, Fulton, Salomon de Caux, wurden für verrückt erklärt und fanden ihren Weg durch die Barrikaden des »Unmöglich« verrammelt. Galvani wurde als Froschtanzmeister verhöhnt und rannte gegen das »Unmöglich« ganzer Fakultäten. Arago schleuderte sein »Unmöglich« gegen die Annahme, die Eisenbahnen könnten einen Verkehrsfortschritt bedeuten. Thiers und Proudhon rannten sich auf denselben Geleisen mit überzeugungstreuem »Unmöglich« fest. Der große Physiker Babinet bewies mathematisch die »Unmöglichkeit« eines Telegraphenkabels zwischen Europa und Amerika. Der nicht minder hervorragende Physiker Poggendorf warf den Telephonerfinder Philipp Reis mit seinem autoritären »Unmöglich« zu Boden, und da doppelt besser hält, brachte er auf dieselbe Weise auch Robert Mayer mit seinem Gesetz von der Erhaltung der Kraft zur Strecke. Der epochale Elektriker Ohm wurde von einem wissenschaftlichen, auf das Motiv »Unmöglich« abgestimmten Männerchor verhöhnt, Gay Lussac, Siemens und Helmholtz verwiesen jeden Gedanken an die Aviatik in das Gebiet der närrischen Utopie; und als der berühmte Magnus im Kolleg einen elektrischen Lichtbogen entzündete, erklärte er – das habe ich selbst als junger Student aus seinem Munde gehört –: dieser Lichtbogen könne für die Beleuchtungstechnik unmöglich eine Bedeutung gewinnen. Als Franklin mit seiner blitzableitenden Eisenstange anrückte, fuhr ihm sofort der Donner der »Unmöglichkeit« in einem Gewitter der Königlichen Akademie zu London durch die Knochen. Auguste Comte verwies wenige Jahre vor dem Aufflammen der Spektralanalyse jeden sternanalytischen Gedanken in das Gebiet der absurden Unmöglichkeit. Stephenson, Riggenbach wurden als Verrückte klassifiziert und hatten ihre Ideen, daß man mit einer Lokomotive über Land und mit einer Zahnradbahn auf den Berg gelangen könnte, gegen eine Welt akademischer Unmöglichkeiten zu verteidigen. Das klassische Hauptquartier der Unmöglichkeiten ist allzeit die Pariser Académie des sciences gewesen. Von der chemischen Zerlegung der Luft angefangen bis zum Edisonschen Phonographen haben die konservativen Herren dieser Körperschaft nie aufgehört, alles, was die platte Denkbarkeit der jeweiligen Praxis überflügeln wollte, mit dem Bannfluch »Unmöglich« zu zerschmettern.

Fassen wir zusammen: Es gibt in der ganzen Entwicklung keinen Begriff, der sich so nachhaltig und so furchtbar blamiert hätte, als der der »Unmöglichkeit«. Ja man könnte vielleicht nach Analogie feststellen, daß man die Zukunft sicherer erraten wird, wenn man ihr auf den geschwungenen Kurven der Unmöglichkeit als auf der geraden Linie der momentanen Wahrscheinlichkeit nachspürt. Einigen wir uns auf einem Mittelweg: Versuchen wir die Entwicklung an der Hand der Evolutionsmethode aufzubauen, auf Grund der uns einleuchtenden Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, nur mit dem Vorsatz, tapfer bis zu Ende zu denken, nirgends halt zu machen, auch dort nicht, wo der Kontrast zwischen dereinst und heut sich zu einer Unmöglichkeit auszuwachsen droht. Seien wir Modernisten im Sinne des konsequenten, rücksichtslosen Durchdenkens, nicht im Sinne jener modernistischen Theologen, die zwölf biblische Wunder leugnen, um das dreizehnte zuzugeben, und die froh sind, wenn sie dem Vatikan von der Gleichung 2 mal 2 = 5 bis auf 2 mal 2 = 41/10 heruntergehandelt haben. Solches Halb- und Dreiviertel-Denken würden wir aber uns zu eigen machen, wenn wir etwa bekennen wollten: ja, auf dem Gebiete der Technik und Wissenschaft ist auch das »Unmögliche« möglich. Nur in der Kunst müssen wir an gewissen Unerschütterlichkeiten festhalten; genau so wie der gelehrte Höfling die allgemeine Wahrheit »Alle Menschen müssen sterben« mit einem devoten Seitenblick auf König Ludwig abdämpfte: »Fast alle Menschen!« Kontinente können verschwinden, Planeten sich auflösen, aber konzertiert wird immer werden! Im Felde der Kunst soll das Reservat gelten, gewisse Fundamente, auf die bisher alle Künstler gebaut haben, für sakrosankt und unzerstörbar zu halten. Sie sind zerstörbar, und wir brauchen nicht einmal mit irgendwelcher Unwahrscheinlichkeitsrechnung zu operieren, wir werden nur entschlossen die Phasen der Vergangenheit auf die Zukunft zu projizieren haben, um dies mit ziemlicher Deutlichkeit zu erkennen.

Nach diesem Exkurs auf die Unmöglichkeitsdoktrinen seit Pythagoras werden Sie vielleicht dem zukünftigen Erlebnis des Wanderers Chidher schon ein ganz klein wenig näher rücken; Sie werden bereit sein, mir zu konzedieren, daß die Existenz eines Tausendjährigen Reiches und einer Zukunftsstadt ohne Opernhäuser, ohne Gemäldegalerien und ohne Konzertsäle wenigstens nicht zu den logischen Undenkbarkeiten gehört. Und das ist alles, was ich für den Augenblick von Ihnen verlange.

 


 


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