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Der Regen schoss in Strömen nieder auf das still gewordene Leichenfeld und in die verdrießlich rauchenden Biwakfeuer der Österreicher, die an dem Ufer der Agogna lagerte.
Diese Posten gehörten zu dem Armee-Korps des Grafen Thurn, der sein Quartier in einem freistehenden Bauerngehöfte an der Furt unterhalb Camino genommen hatte.
In der Küche des Hauses sah es aus wie in einem Arsenale.
Über den blanken, kupfernen Küchengeräten hingen Säbel, Pistolen und Reitzeuge, nasse Mäntel, Uniformen und Hüte bunt durcheinander. – An dem flackernden, wohltuenden Feuer um den Herd herum saßen die Offiziere des Generalstabes dieses Korps, der Kommandant, Graf Thurn, mitten unter ihnen.
Man erzählte sich in dem lustigen Tone, den überstandene Gefahr und errungener Sieg dem Soldaten immer diktiert, Einzelheiten aus dem heißen Kampfe dieses Tages, hielt den Heroen des Tages feurige Apologien und den Freunden, die das dunkle Todeslos getroffen, wehmütige Nekrologe. –
Da rief die Schildwache draußen an – das leichte Rollen eines rasch anfahrenden Wagens ward vernehmbar, der auf den Ruf der Wache anhielt.
Auf dem Bocke des Wagens neben dem Kutscher saß ein Diener, in dem Fonde des Wagens ein Mann, eine militärische Kappe auf dem Kopfe und dicht in einen Mantel eingehüllt.
Neben dem Wagen ritt als Eskorte ein österreichischer Husarenkorporal.
Als der Wagen vor dem Hofe hielt, sprang der Mann ohne Hilfe des Dieners aus dem Wagen, trat in das Haus und, durch das helle Feuer und die lauten Stimmen der Offiziere geleitet, in die Küche.
Er war von so hoher Gestalt, dass er sich tief bücken musste, als er durch die Küchentür trat, seine Haltung war edel und frei, aber sein Antlitz furchtbar blass. Er ließ, als er eintrat, vielleicht absichtlich, den Mantel halb herabsinken, unter dem die blaue, reich betresste Uniform der piemontesischen Lanciers mit dem großen Sterne des St. Mauritius-Ordens sichtbar wurde.
Graf Thurn erhob sich, wie von einer Ahnung geleitet, von seinem Sitze, mit ihm alle Offiziere seines Stabes; ehe er jedoch den Fremden anreden konnte, war dieser auf ihn zugetreten, und seine Hand ergreifend, sagte er rasch in französischer Sprache: »Herr General, ich bitte Sie um einen Pass durch die österreichischen Posten, oder wenn Sie es vorziehen, um eine Eskorte. – Ich heiße…«, er zögerte einen Augenblick, dann fuhr er hastig weiter, »ich heiße Graf de Bargé, bin Oberst in piemontesischen Diensten und habe nach der Schlacht meine Entlassung genommen, um mich auf meine Güter bei Nizza zurückzuziehen!«
Graf Thurn sah mit unwillkürlich pochendem Herzen dem Fremden in das edle, kummervolle Antlitz, und er wusste nicht, wie tief den Fremden seine Worte treffen mussten, als er sprach: »Sie wollen also den Dienst verlassen?«
»Ja!« antwortete der Oberst mit einem leichten Seufzer, »auch der König hat abgedankt!«
»Carl Albert hat abdiciert?« riefen Thurn und die Offiziere erstaunt.
»So ist's, in diesem Augenblick wird der Herzog von Savoyen als König von Sardinen und Piemont proklamiert!«
Thurn rief, die Hände zusammenschlagend: »Der König hat abgedankt, meine Herren! Da sind wir in Italien nun fertig und können die Säbel getrost in die Scheiden stecken; denn dann haben wir in Kurzem Frieden!«
»Es sind bereits Unterhandlungen deswegen eingeleitet!« bekräftigte der Oberst.
Thurn nötigte ihn zum Niedersetzen und trug ihm eine Tasse Kaffee an, die der Oberst freundlich annahm. – Er beteiligte sich lebhaft an der Unterhaltung, die sich natürlich um die Ereignisse des heutigen folgenschweren Tages drehte, und zwar mit dem Takte eines echten Kavaliers und einsichtsvollen Militärs.
Als einer der Adjutanten den Pass ausgefertigt hatte, reichte Thurn ihn dem Obersten mit einer tiefen ehrfurchtsvollen Verbeugung und geleitete ihn zu dem Wagen.
Als der Oberst sich mit einem freundlichen »Adieu General!« in dem Fonde zurücklegte, sagte Thurn mit mitleidig zitternder Stimme: »Sire, je vous souhaite un bon voyage!« –
Der Kutscher hieb in die Pferde, und der Wagen rollte mit Blitzesschnelle der Straße nach Vercelli – dem Süden zu. –
Es war der König!
Er fuhr hinaus in die Nacht, trostlos, hoffnungslos – kronenlos!
Und in Oporto, an dem meerumbrausten Gestade Portugals erst hörte das Herz zu schlagen auf, das an dem Tage von Novara brach – mit der Spada d'Italia!
Die Erde sei ihm leicht! –
Am 28. März hielt der Marschall wieder seinen Einzug in Mailand.
Acht Tage hatten genügt, dem großartig angelegten abermaligen Erhebungsversuch der Italiener ein Ende zu machen; die Mailänder glaubten es aber noch nicht. Als das dritte Armee-Korps zur Züchtigung des mittlerweile wieder aufgestandenen Brescia durch Mailand zog, jubelte die Stadt. Sie fliehen, hieß es, und mit freudiger Sehnsucht harrte die edle Lombardei von Tag zu Tag des Einzuges ihrer Befreier und schaute sich die Augen trübe von der hohen Warte des Domes nach dem Herannahen ihrer Sieger.
Der alte Marschall kam und mit ihm wieder die alten Soldaten.
Und in langen Reihen folgten ihnen die eroberten piemontesischen Geschütze nach, und die nachrückenden Kolonnen brachten erbeutete Fahnen und – viele, viele Gefangene.
Endlich glaubten sie es denn doch!
Und sie ergaben sich in das Unabänderliche! – Und doch an dem anderen Ende des Königreiches, an dem grünen Busen der brausenden Adria brannte der Kampf noch lichterloh.
Venedig, das nach langen, heißen Debatten sich endlich um der Solidarität der italienischen Sache willen gefügt und seinen Anschluss an Piemont proklamiert hatte, war nach der Flucht Karl Alberts aus Mailand wieder in die republikanische Rezidive verfallen und hatte abermals Manin an das Ruder seiner Regierung gestellt.
Die damalige Lage Österreichs gestattete seinen Lenkern nicht, gegen die rebellische Stadt mit dem Kraftaufwande aufzutreten, den das Zupaarentreiben und die Züchtigung derselben erforderten. – Endlich führte der Sieg Radetzkys im Westen die Wendung der Dinge im Osten Oberitaliens herbei. –
Am 27. März teilte Haynau, die im Venetianischen kommandierte, dem Gouverneur Manin den Sieg der österreichischen Waffen bei Novara, die Abdankung Karl Alberts und den Abschluss des Waffenstillstandes mit seinem Nachfolger Viktor Emanuel mit und forderte ihn zur Aufgebung des Widerstandes und der Unterwerfung auf.
Manin verheimlichte diese bösen Nachrichten, solange es ging, doch schon am 2. April sah er sich genötigt, dieselben, die schon auf hundert anderen Wegen unter die bereits schwierig werdende Bevölkerung gekommen waren, zu veröffentlichen.
Der Beschluss der darauf gefolgten Sitzung des venetianischen Senates bewies, dass es Italien an dem Opfer Karl Alberts noch nicht genügte, dass auch Venedig sich opfern wolle. –
Tu l'as volu, George Dandin! –
Der Feldmarschall gebot, Venedig zu belagern.
Sein Befehl ward trotz des seit länger als einem Monat ununterbrochenen Regenwetters mit dem regsten Eifer und unerschütterlicher Geduld ausgeführt.
Am 4. Mai ward Malghera angegriffen und nach einem in der Geschichte der Kriegskunst noch nie dagewesenen Artilleriekampfe in der Nacht vom 26. auf den 27. von den Verteidigern geräumt.
Tags darauf ward die Insel San Juliano erobert, darauf Fort um Fort beschossen und genommen, bis endlich am 23. August Venedig kapitulierte. –
Inzwischen war es auch in dem übrigen Italien mit der Revolution zu Ende gegangen.
Am 6. August wurde der Friede mit Piemont unterzeichnet – der Kampf war aus – Österreich hatte gesiegt, gesiegt durch sein tapferes Heer, das mutig und treu bis in den Tod den starken, leuchtenden Schild der Soldatenehre hielt vor die bedrängte, ringsum meuchlings angefallene Austria, und die Sinkende wieder erhöhte auf den Thron der Ehren! –
Es erübrigt nur noch, der Wenigen zu gedenken, die aus dem weiten Rahmen dieser anspruchslosen »Bilder« hervorgetreten, ohne untergegangen zu sein in dem gewaltigen Kampfe, dessen bedeutendste Momente sie zu veranschaulichen versuchten! –
Durch die Contrada S. Margheritta schritt an einem Tage des Spätherbstes 1849 ein junger, hübscher, hochgeschossener Grenadier-Feldwebel an der Seite einer in tiefe Trauer gekleideten Frau an dem Theater della Scala vorüber, dem Monte del' Pietá – dem Leihamte zu.
Der Feldwebel ging gar stolz und straff einher, und die Blicke der Vorübergehenden wurden unwillkürlich auf ihn gezogen, und zwar weniger seiner schönen Gestalt wegen, als wegen des Ehrenpreises, den dieser Soldat aus den verflossenen Kämpfen heimgetragen und der, im Sonnenlichte funkelnd, auf seiner Brust glänzte, er trug zwei Tapferkeitsmedaillen!
Die eine hatte er sich bei Vicenza geholt und die andere, die große goldene, nach der Schlacht bei Novara erhalten, wo er trotz zweier tiefer Wunden der erste die Batteriewände von Montebello bestieg. –
Es war Jakopo, und die Frau an seiner Seite seine Mutter, die Kollektantin, die alte Flamme Hellers!
Die beiden kamen an der Stelle an, wo noch vor einem Jahre die heimliche, warme Bude der armen Frau gestanden, die Bude, in der sie so viel traute Stunden mit ihrem Geliebten verplaudert und verkos't.
»Ach, wenn er noch lebte!« seufzte die arme, zwiefache Witwe und schaute gar traurig zu der leeren Ecke hin, und trat hinzu, als wollte sie ihre Trauerandacht verrichten hier an dem Grabe ihrer süßesten Erinnerungen.
»Ja, wenn er lebte, er arme Pate!« sage Jacopo traurig, »wenn er es wenigstens nur erlebt hätte, Euch selbst die Nachricht von seinem Avancement zu bringen!«
Die Witwe wurde glühendrot in dem frischen Gesichte und sprach mit einem Tone, mit einem Tone, wie ihn nur eine Feldwebelswitwe also hervorzubringen vermag: »Ach, Kind, nur einen Tag wenn er noch gelebt hätte! – ich wäre »Frau« – Leutnant geworden! – Dann wär ich selber gerne mit ihm gestorben!«
Jacopo sah seine Mutter mit einem eigentümlichen Lächeln an und sagte: »Kommt, lasst und weiter gehen, auf dieser Stelle kommen Euch immer dieselben kuriosen Gedanken!«
Die Witwe sah noch einmal recht herzinnig hin auf den leeren Platz, verzog die Augen und schluchzte noch einmal: »Ach nur einen Tag!« dann ging sie langsam ihrem Sohne nach, der ihr bereits ärgerlich vorangeschritten war! –
Sie verloren sich in der Contrada! –
Zur den Booten, die in dem Hafen San Andrea am Lido in Venedig harrten, um die Passagiere an Bord des Lloyd-Dampfschiffes zu bringen, das draußen im Canale pfiff und pustete, als wollte es das Publikum auf sich aufmerksam machen und herbeilocken, drängte sich unter andern auch die athletische Gestalt eines starken, alten Mannes, der einen jungen, bleichen, schwankenden Menschen um den Leib und unter dem Arme hielt und mit liebender Sorgfalt leitete. So zart er gegen den jungen Mann tat, so ausnehmend grob war er gegen die an ihm Vorübereilenden.
Weh' dem, der an dem jungen Manne anstreifte! Eine Flut von Flüchen und Verwünschungen überströmte ihn aus dem geifernden Munde des Alten, und wollte jener etwas erwidern, so überließ der Athlet sein Protegé den Händen zweier Frauen, die ihm auf dem Fuße folgten, um sich sans façon einer Vendetta an dem Frevler hinzugeben, der es gewagt, »sein krankes Kind«, »seinen Helden von Santa Lucia« zu berühren.
»Seht Ihr denn nicht, dass er den Arm verloren hat, ihr Maulaffen!« schrie er mit zornrotem Gesichte, »meint Ihr, ich habe ihn den weiten Weg von Verona bis hierher sozusagen »auf den Armen« getragen, damit Ihr da hergeht und mir ihn zusammenstoßt? Und ist das ein Respekt.«
»Aber Vater«, rief dann immer – es war dies der, wer weiß wievielte Konflikt auf dem Wege nach dem Lido – also rief dann immer das hübsche, feine Mädchen an der Seite des Kranken, »lasst doch die Leute gehen und trachtet ein Boot zu bekommen Thomas wird schon müde!«
»Ja, ja, mein Kind!« sagte dann der alte, grobe Mann immer mit schnellem Kopfschütteln, »ich vergesse doch immer, aber muss es denn einen nicht verdrießen, wenn man sieht, dass diese impertinenten Tagediebe da, die vor acht Wochen noch rebelliert haben und längst alle hätten gehängt werden sollen – muss es einen nicht verdrießen, sage es selbst, liebe Lotti, wenn so ein Kerl mir da den armen Thomas herumstoßt wie einen Sack, he?«
Lotti lächelte ihren jungen »Mann«, der leise ächzte, wie um Vergebung flehend für den langen, beschwerlichen Weg, an und legte ihren Arm fester um den Leib des Kranken, der ihr Lächeln mit einem innigen Blicke der Liebe vergalt.
Endlich! Boot ahoi! Heran da!
Sie stiegen ein, und einen Augenblick darauf trägt sie der grüne Rücken der Adria mit sanftem Schaukeln an Bord des Dampfers.
Der Böller kracht, die Glocke tönt, der Dampf pfeift, und mit mächtigem Gezische entquillt dem hohen Kamine eine schwarze, heiße Dampfwolke!
Die Schaufelräder fangen sich langsam zu bewegen an, als wollten sie ihre Kraft versuchen. Plötzlich schlagen sie rascher und immer rascher auf die widerstrebenden, wutschäumenden Wogen, die kampflustig mit und an den eisernen Schaufeln hoch empor und zwischen die Speichen springen, als wollten sie mit ihnen ringen und sie aufhalten, umsonst!
Immer schneller tauchen die Eisenflossen in das schäumende Gewässer, das Schiff dreht sich langsam mit dem Kiele zum Lebewohl der schönen Lagunenstadt zu und schießt dann hinaus – ins grüne Meer! – Es trägt an seinem Borde den alten Braun und seinen Sohn, dessen Weib die Putzmacherin und ihre Mutter!
Sie ziehen in die neue Heimat, die sie der Großmut Baderns verdanken.
Glück auf den Weg! –
Tag für Tag durchschneidet noch immer der Nachen die dunklen Wellen des Sees von Mantua.
Doch sein Blick fällt nicht mehr so traurig wie sonst auf das schöne, bleiche Antlitz der Blume des Ghetto, traurig, weil er sie nicht aufzurichten und zu trösten vermochte – denn an ihrer Seite sitzt jetzt ein schönes, blasses Frauenbild, die Freundin seiner Gela, Chiarina.
Und wenn sie auf den Friedhof der Zitadelle kommen, so eilen sie mit Hast, wie die Liebe in den Arm der Liebe, den zwei blumengeschmückten Totenhügeln zu, worin diejenigen ruhen, deren Angedenken sie alltäglich mit den frischen Zypressenzweigen der Erinnerung bekränzen.
Und Aaron schaut von Ferne zu in stiller Trauer. –
Ob Chiarina wohl, wenn sie an dem Grabe Bernards betet, auch seines Bruders – ihres Vaters gedenkt, auf dessen Grab keine Blümlein stehen – es ist ein unbekanntes, vergessenes Grab! –
Ende des dritten und letzten Bandes