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2.
Ein Volontär.

Während dies vorging und noch ehe der Festungskommandant in die Stadt gekommen war, hatte bereits eine Abteilung der Guardia civica, die schon seit morgens in Ceresa der hohen Gäste harrte, diese, die Herzogin von Modena und den Erzherzog Ferdinand empfangen und durch die Stadt auf die Munizipalität begleitet. –

In einer Weinschenke neben dem Albergo Fenice saßen um diese Stunde vier Männer, untadelhaft in die Tracht gekleidet, die damals du jour war, an dem, mit dem besten Roten von Sanginetto bepflanzten Mitteltische, in einer Konversation befangen, deren Inhalt und stürmische Führung ebenso wohl als die flammenden Augen und glühenden Wangen verrieten, die hohen Pokale mögen bereits gar viele Male leer und wieder gefüllt worden sein.

Nahe an der Türe saß oder lag vielmehr ein Mann, die Mütze über das Gesicht gezogen, mutmaßlich schon an dem Ende angekommen, dem jene Vier ohne Frage auch bereits nahe waren.

Er schien im tiefen Schlafe zu liegen, wenn lautes Schnarchen ein Beweis des Schlafens ist.

»Ho, weißt Du das sicher?« fragte einer der Vier laut und mit ungläubigem Kopfschütteln nach einer ihm zugeflüsterten Mitteilung.

»Per Dio! Cosi è!« antwortete der Gefragte, ein kleiner Bursche, aber von starker, untersetzter Gestalt. »Heut' oder nie – so leicht kommt der Fuchs nicht mehr aus dem Baue! Drum also, auf! Subito, subito! Den letzten Pokal!«

»Halt, noch eins!« sagte der, welcher gefragt hatte; »es muss jedenfalls früher festgesetzt werden, welche Rolle jedem zufällt. Und dabei muss es unter allen Umständen bleiben: Wer nimmt also den General?«

Ein zorniges Lächeln verzog sein Gesicht auf einen Moment zur Grimasse, als alles auf seine Frage schwieg. »Nun, da habt Ihr's – keiner! Das hab' ich mir gedacht!« sagte er mit verächtlichem Tone und setzte sarkastisch hinzu: »Wohlan, so lasst uns losen um diesen Stich für Freiheit und Italien! Würfel her, wir sind unser vier – mehr als zwei dürfen und können auch nicht leicht an ihn zu. Also ajuto, fortuna! Pasch macht frei, die meisten Augen bringen die Ehre des Stiches!« Und er warf die schwarzäugigen Würfel in einen leeren Pokal, rüttelte sie hastig durcheinander und schüttete sie mit abgewendetem Gesichte auf die Tischplatte hin.

»Undici! Per Dio, undici!« (elf) schrien die drei Gesellen, die den Tisch umstanden und mit gierigen Blicken die rollenden Würfel verfolgten.

»Undici!« wiederholte mit bebender Stimme und erbleichter Wange der, dem die elf gefallen. Er trat zurück und horchte ängstlich nach dem Tische hin, auf dem die Würfel zum zweiten Male niederkollerten. »Oimè! Jo ho cinque!« schrei der Kleine mit schlecht verhehlter Freude auf und sprang in die Höhe. Er hatte fünf geworfen, und bereits die braune Bluse über dem Stiletthefte zusammengezogen, als gedenke er, keinen Gebrauch davon machen zu müssen.

Aber seine Freudigkeit erlitt einen gewaltigen Stoß, als der Dritte seinen Wurf tat und mit dem Schrei: »Due volte sei!« einen Pasch ankündigte.

Dem ersten gehörte jedenfalls schon die Ehre der Rache an dem »Führer der Barbaren« in Mantua, und er legte mit einem eigentümlichen Lächeln seine Hand auf die Achsel des vierten im Bunde, der gerade, und zwar acht warf:

»Otto!« schrien sie alle. Da rief der erste lustig: »Insieme Bartolomeo! Allegro!« und schritt gerade gegen die Türe.

Die anderen drei folgten ihm langsam nach und einen Augenblick darauf verloren sie sich in dem Menschenschwalle, der brausend durch die lange Straße der Munizipalität zuströmte.

Kaum waren die Schritte dieser vier Ehrenmänner auf den Marmorplatten des Trottiors verhallt, als der Schläfer an der Türe sich rasch, aber vorsichtig erhob, sich überraschend fest auf die Beine stellte und seinen Mantel solide zu drapieren begann.

»Ho! Ihr edlen Helden!« sagte er mit verächtlichem Lächeln vor sich hin, »nur nicht so rasch! Es schläft nicht jeder, der die Augen zu hat! Zum Teufel, wer weiß, wie oft mich noch das Schicksal zum Schutzengel dieser Österreicher macht, ehe ich aus meiner himmlischen Heimat herauskomme; nun, meinethalben! Vielleicht hilft mir dieser General zu dem, was mein Mailänder Patron nicht Zeit mehr hatte zu tun, vor lauter Hast bei der Retirade, und macht denn doch einmal einen k. k. Freiwilligen aus dem argentiere per lo passato! Also fort, guter Cesare! Aber pfiffig, – pfiffig musst Du es diesmal anstellen! Sonst bringst Du nie diese verfluchte Kokarde an, die mich immer wieder erinnert an einen blutigen Sandhaufen – an meines armen Vaters Grab!« Er zerknitterte mit krampfhafter Wut die buschende, trikolore Rosette, die an seiner Brust steckte und verließ die Boutique. –

Indessen war der Stand der Dinge in dem Zentrum der Stadt vor dem Munizipalitätsgebäude ein äußerst bedrohlicher geworden.

Der ungeheure Menschenhaufe, der mit der Civica und den aus Modena kommenden hohen Flüchtlingen hereingeströmt war und sich über den weiten Platz vor dem Palaste ergoss, hatte kaum das Imponierende der fürstlichen Gäste, die in den Senatssaal geführt wurden, aus den Augen verloren, als er auch schon seine humanen Tendenzen auf die brutalste Art kundzugeben begann.

»Nichts von Schonung! Nieder mit der fremden Brut! Nieder mit den deutschen Tyrannen!« erscholl es rings umher, und der wilde Ruf drang drohend empor zu den Fenstern des Senatssaales, drang hinein zu den Herren um den grünen Ratstisch und fand seinen Wiederhall in dem Herzen so manches Senators der »getreuen« Stadt und Feste Mantua.

Und als ob es keine Hand mehr gäbe, die eine Waffe schwänge und einen Streich täte für Österreich und seines erlauchten Hauses Ehre, vermaßen sich elende Banditen, das Los zu werfen über Freiheit und Leben eines Zweiges jenes edlen Fürstenstammes, der seit des ersten Rudolfs Tagen mit seinem Zepter glorreich beschirmte den größten Teil Europas und über einen seiner treuesten Diener, den tapferen Kommandanten von Mantua.

»Wir haben sie in Händen, lasst sie nicht mehr los!« schrie ein zerlumpter Kerl, der sich auf den Sockel einer der Karyatiden geschwungen hatte, die den Portikus der Munizipalität tragen. Und das »erwachte souveräne Volk« brüllte einstimmig ihm nach das Stichwort der modernen Volksbeglücker – Mord!

Aber der Ruf verstummte, und eine peinliche Stille legte sich auf einmal über die brausenden Menschenwogen, als auf dem Stein- und Möbelwalle der rings hinlaufenden Barrikade die Czakos zweier kaiserlicher Offiziere sichtbar wurden, nach denen der Kalpak des Kommandanten mit lustig und trotzig wehendem Reiherbusche auftauchte.

»Der General! Der General!« ging es mit ängstlichem Geflüster durch die Reihen des blusentragenden Gesindels, und wie durch einen Zauberschlag erstand mitten in dem dichten Gewühl eine breite Gasse, durch die der General langsam, mit stolzen Schritten gegen den Palast zulenkte.

Bevor er jedoch die Mitte des Platzes erreicht hatte, sprang der eine seiner Adjutanten,dem ein Mann in einem braunen Mantel eine Augenblick aufgehalten und ihm etwas zugeflüstert hatte, plötzlich an die Seite des Generals und sagt leise mit erregter Stimme in ungarischer Sprache zu ihm: »Exzellenz! O hätten Sie sich warnen lassen! Es ist ein Anschlag auf Ihr Leben vorbereitet!« und er griff in ängstlicher Sorge einen der goldenen Schnüre des Dolmans, um den Kommandanten aufzuhalten.

Dieser sah sich lächelnd um und sagte nichts, als ein leises: »Woher?« während seine Rechte an den Säbel fuhr.

Der Adjutant wies, ohne einen Finger zu erheben, mit den Augen in die Gegend des Albergo Fenice hin und antwortete ebenso leise: »Jene zwei Burschen –«

Wirklich waren in diesem Augenblicke zwei Männer, der Civica angehörig, aber ohne Gewehr, weit aus dem Menschenschwarme gegen den General zu vorgetreten und standen plötzlich, als sie der strenge, furchtlose Blick des Kommandanten traf, betreten und verlegen stille. – Es waren die Helden aus der Weinschenke. – Doch als sie sahen, dass der General, ohne den Säbel zu entblößen, kühn und allein auf sie zutrat, sprangen sie plötzlich mit dem wilden Rufe: »Quai a te maledetto!« auf ihn los, zwei Stilette funkelten im Sonnenscheine – aber sie fuhren nieder mit ihren beiden würdigen Trägern in den gelben Sand der Piazza, der eine niedergestreckt durch den Degenstoß des Adjutanten, der andere niedergeworfen durch einen gewaltigen Faustschlag des Mannes im braunen Mantel, der den Adjutanten gewarnt hatte.

Ein Schrei der Überraschung und der Angst stieg aus der Pöbelmasse zitternd auf – »Ajuto!« kreischte der am Boden Liegende und suchte mit den letzten Kräften die Hand des Abtrünnigen, die seinen Hals umkrallt hielt, loszumachen. Aber sein Hilferuf verhallte, ohne dass eine Hand sich für ihn erhob – In düsterem, bangem Schweigen hingen aller Augen an dem ehernen Antlitze des gefürchteten Generals, der ohne eine Miene zu verändern, sich gegen das Tor der Munizipalität wandte, das von Gardisten wimmelte. »Heran, ihr Wächter der Ordnung in Mantua!« rief er mit gebieterischer Strenge hin, »und packt mir diese zwei Helden zusammen – allons, wird's?«

Und – so mächtig ist der wahre Mut, so imponierend das echte Recht, selbst wo es verraten und wehrlos, dass auf den Befehl des Kommandanten sofort eine Patrouille der Civica mit zögernden Schritten herankam, um die beiden Banditen zu verhaften.

Ein stolzes Lächeln flog über das edle Gesicht des Generals, als er seinen Befehl vollzogen sah, und sein Auge flog rasch über den vollgepfropften Platz, bis es den Mann im braunen Mantel traf, der mit zufriedenem Lächeln seine Kleidung vom Staube reinigte.

Der Adjutant trat sogleich heran und stellte ihn dem Kommandanten mit den Worten vor, »Exzellenz, das ist der Mann –«

»Ah!« sagte der General und streckte ihm die Hand entgegen: »Gottes Wunder! Ein Italiener und unser Freund! Wie heißest Du, mein Sohn? Und in welcher Stadt Italiens nisten derlei weiße Raben?«

Der Mann verneigte sich leicht und antwortete: »Cesare Sala ist mein Name und Legnago meine Vaterstadt!«

»Mein armer Bursche!« versetzte der General mit mildem Lächeln darauf, »da wirst Du wohl tun daran, Dich unter die Fittige des österreichischen Adlers zu stellen, den mit der Trikolore hast Du es Dir heute verdorben! Komm mit uns, wir reden noch weiter!«

Der ehemalige Silberarbeiter, unser alter Bekannter, nickte zustimmend und ging mit den Adjutanten dem Kommandanten nach in den Palast.

Sie kamen, eben als sie in den Ratssaal traten, zu einer sehr ergötzlichen Szene.

Die Ankunft des Festungskommandanten sowohl als der auf ihn erfolgte meuchlerische Anfall war im Senatssaale bekannt geworden – nicht aber dessen augenblickliche Vereitelung.

Während unten sich die Banditen am Boden krümmten, von der rächenden Nemesis ereilt, erscholl es oben durch den Saal: »Der Gouverneur ist gefallen! Evviva la libertà!«

Entsetzliche Zusammenstellung! Dein Name, heilige Libertas, des reinen Kindes gesetzlichen Rechtes, genannt neben dem Meuchelmorde, dem finsteren Schergender Anarchie!

Eine unbeschreibliche Verwirrung herrschte einen Moment lang nach diesem Rufe in dem weiten Saale. Die rote Partei des städtischen Kollegiums trat mit dem Vorschlage auf, die Herzogin und ihre Begleitung gefangen zu nehmen und als Geiseln für die Gewähr ihrer extravaganten Forderungen zu benützen; die Gemäßigten im Senate protestierten gegen diese Verletzung des Gastrechtes, und der Graf A. trieb die »Großmut« so weit, der Herzogin sogar seinen Schutz anzutragen, worauf aber die hohe Frau die echt fürstliche Antwort gab: »Eine deutsche Frau kennt keine Furcht!« Und als ob der Himmel ihr zeigen wollte, dass er noch immer seine Vaterhand halte über die frommen Enkel der großen Theresia, trat in diesem Augenblicke vor sie hin die kriegerische Gestalt des Gouverneurs.

Ein panischer Schrecken bemächtigte sich plötzlich der edlen Versammlung, als der General frisch und fest wie sonst unter sie trat, Totenstille folgte dem tumultuarischen Getriebe und – eine Viertelstunde darauf verließen die Herzogin und ihre Suite, von einer Kompagnie der Civica begleitet, die Munizipalität der Stadt. –

Der Festungskommandant folgte zu Fuße, wie er gekommen war, und außer seinen Adjutanten von niemandem begleitet, als von unserem Bekannten, Cesare Sala.


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