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7.
Defension

Es ging gegen Abend, als in einem Zimmer des ersten Stockwerkes des Generalkommando-Gebäudes in der Contrada des Carmine zwei Offiziere, in ernstem Gespräche befangen, auf- und niederschritten.

Beide waren von der Linien-Infanterie und nach den schwarzgoldenen Achselschnüren Adjutanten.

Sie sprachen – was hätte der Österreicher und gar den Soldat damals – man zählte den 18. Januar – zu sprechen gehabt, von der gefährdeten Lage Österreichs gegenüber Italien, dessen Süden, Sizilien, sich am 12. offen erhoben hatte gegen seinen König und bislang Sieger geblieben war im Kampfe gegen die legitime Macht.

War es schon bei den Rauchkravallen zu Anfang des Jahres als bestimmt anzunehmen gewesen, dass es diesmal, nun es bereits die Grenze bloßer Demonstrationen überschritten, zu etwas Ernsterem kommen müsse, so war dies nun bei der Nachricht der Ereignisse auf Sizilien, die wie der Funke ins Pulverfass in die erregten Gemüter fiel, völlig ausgemacht und nur die Stunde des Losschlagens ungewiss.

Dies war nun das Thema, um das sich die Unterhaltung der beiden Offiziere bewegte.

»Weißt Du, was mich ganz besonders besorgt macht?« sagte mit bekümmertem Tone der eine, der Jüngere, ein Oberleutnant, »das ist das schreiende Missverhältnis, das in der nationalen Zuständigkeit in unseren Garnisonen herrscht; denke nur, nebst dem ganzen Gend'armerie Regimente zählen wir zwanzig – sage zwanzig Bataillone Italiener in der disponiblen Armee, also völlig ein Drittes –«

»Nun, und was soll das mit Deiner Besorgnis?« warf der andere, ein Hauptmann, ein, »eben diese Italiener haben zu jeder Zeit die eminenteste Treue an ihre Fahnen bewiesen und sind durchwegs von dem besten Geiste beseelt!«

»Gewesen – gewesen! Lieber Hauptmann!« versetzte der Oberleutnant, »aber jedenfalls ist es erst seit kürzester Zeit, nun – gerade erst dann anders geworden, als die Lenker der Revolution einsahen, dass die Erbitterung des Militärs, durch kleinliche Neckereien herbeigeführt, der größte Missgriff war, den sie bisher getan: man sucht das nun auf alle mögliche Art gut zu machen, und ich muss sagen, dass ihre Bestrebungen, in dieser Richtung wenigstens so viel ich weiß, um ein gutes energischer sind als die vorhergegangenen, entgegengesetzten.«

»Pack schlägt sich, Pack verträgt sich!« zitierte der Hauptmann gleichmütig, »ich nenne das ganz einfach, >zu Kreuze kriechen<, was Du >Energie< zu taufen beliebst; ich kann es nun einmal zu keiner ehrlichen und ordentlichen Besorgnis vor diesen Komödianten bringen, aber trotzdem ärgert es mich, dass der gute >Alte< zu keinem Ende kommt mit seinem Kriege gegen die Wiener Federhelden! Die wissen den Teufel, was da Not tut, und so ein Vierspeziesritter untersteht sich, einem Feldmarschall weiß machen zu wollen, das brauche es nicht und das wäre nicht nötig – na, reden wir lieber von was andrerem!«

»Gerade nicht!« sagte mit edlem Zorne der Oberleutnant, »es liegt uns nichts so nahe, wie das! Wir müssen das besprechen, denn noch immer weiß kein Mensch, wo das hinaus soll bei dieser Halbheit im Nachgeben und Konservieren! Soll es zu einer gleichen Süßholzraspelei kommen bei uns wie in Toskana drüben, zu einem förmlichen Negozieren um das, was man nachlässt oder zuschlägt?«

»Mein Freund!« sagte darauf der Hauptmann, so kalt wie vorher, »alles das haben Leute, die es besser verstanden als wir beide, bereits mit Grazie bis ins infinitum erörtert: sie haben Vorschläge, bei denen kein Radikalismus im Soufflierloche sitzt und keine Revolution im Parterre wartet, keine Nazzarischen oder Manzin'schen Anträge. Aber zwei Worte, die da angehängt waren, die klangen so übel, sogar ruhestörerisch – für den Staat beileibe nicht, aber für die Bequemlichkeit gewisser Leute, und diese zwei Worte, obgleich gerade in ihnen die Zauberkraft des Heilmittels lag, sie wurden gestrichen – und weißt Du, wie sie heißen? Rasch und unverweilt!«

»Ja, das ist wirklich wahr!« sagte mit melancholischem Lächeln der Oberleutnant, »es ist eine wahre Schmach, wenn man bedenkt, dass der edle Marschall sozusagen durch Kuriere administriert! Hu, das wird ein Zetermordio geben in den Paragraphenwerkstätten, wenn es einmal losbricht da unten, wenn sie sehen, dass das ganz anders vorwärts stürmt als ihre lahmen Schneckenposten, und wenn sie es endlich einmal wissen, dass >Zeit und Fluten auf niemand warten<, dann – dekretieren sie selber ihr Sterbestündlein und angeht die Zeit der Plenipotentiäre und Alteregos – die Zeit des Soldaten!«

Der Hauptmann lächelte beifällig zu dem Eifer des jungen Mannes und wollte eben etwas erwidern, als aus dem nebenanstoßenden Gemach der feine, hellklingende Ton eines Glöckleins erscholl.

Noch vibrierten seine letzten Töne durch das hohe Zimmer, als sich bereits die Türe des Vorsaales öffnete und ein Ordonanzkorporal vor den Grenadieren eintrat.

Diesem galt der Ruf der Glocke: Adjudanten werden zu ihren Dienstleistungen mündlich aufgefordert. Die Ordonanz schloss die hohe Türe geräuschlos hinter sich zu und ging im Doublirschritte, ohne an den Adjutanten anzuhalten, durch das Zimmer gerade in das, aus dem der Glockenruf erklungen. Als er die hohe Flügeltüre, nach Reglement ohne anzuklopfen, aufmachte, konnte man auf einen Augenblick das ganze, sehr schmale, aber etwas lange Gemach übersehen.

Es war das Arbeitskabinett des Feldmarschalls, des »Alten« oder der »Vater Radetzky«, wie ihn schon damals das Militär nannte, und er nebst seiner rechten Hand Nr. 1 (Schönhals, die Nr. 2 war Heß) allein darin.

Der Feldmarschall ging mit schnellen Schritten, die Hände auf dem Rücken, gerade der offenen Türe zu; sein edles, treuherziges Antlitz trug die Spuren tiefer Bekümmernis, die nur dann ein heiteres, beifälliges Lächeln verdrängte, wenn es in der Proklamation, die sein Adjutant Schönhals ihm vorlas, zu gewissen Stellen kam, die ihm so »ganz aus der Seele gesprochen« waren, wie dies nur jener ebenso berühmte Soldat als Schriftsteller verstand.

Schönhals las jene ergreifende Proklamation vom 18. Januar, worin der Feldmarschall, die Revolution als ein Fait accompli nehmend, feierlich erklärte, das lombardisch-venetianische Königreich gegen jeden Feind von innen oder außen verteidigen und die Fahnen Österreichs bis auf den letzten Blutstropfen behüten zu wollen.

Bei jeder zündenden Stelle hob der Marschall das tief gebückte, ehrwürdige Haupt mit jugendlicher Frische, und jede dieser ehrenden Gebärden rief auf dem trotz des schneeweißen Haares und Bartes noch jugendlichen Gesichte des Vorlesers einen leuchtenden Blitz der Freude hervor.

Soeben hatte dieser geendet, und der Marschall wandte sich an den Korporal, der bisher stumm, unbeweglich und so bockstarr, als hätte er einen Ladstock verschluckt, an der Türe stand.

»Sogleich in die Druckerei mit dem Befehle da, Ordonanz!« sagte der alte Herr mit einem gewissen zufriedenen Lächeln um die Lippen.

Der Korporal streckte die Hand nach dem Papier aus – sie zitterte.

»Hoho! Was ist das? Du zitterst!« sagte mit seinem eigenen herzgewinnenden Tone der Marschall.

»Exzellenz! Es ist vor lauter Freude!« antwortete der Grenadier lakonisch, aber sein martialisches Gesicht überflog eine dunkle Röte bei der Antwort.

»Nun, und was freut Dich denn so!« fragte Radetzky freundlich und schaute, die Hände auf dem Rücken und den Kopf leicht auf die Seite geneigt, den Grenadier lächelnd an.

»Weil es nun – weil – ich habe zugehört, wie der Herr Generaladjutant lasen, weil es nun doch endlich zum Losrücken kommt!« antwortete mit einiger Verlegenheit, aber mit freudeleuchtenden Augen die Ordonanz.

»Ja, ja Kind! Sie wollen's nicht anders! Nun geh' nur, 's ist gut!« sagte mit dem ehrwürdigen Haupte nickend der Marschall; der also verabschiedete Grenadier salutierte mit Präzision, machte rechtsum und verließ das Arbeitskabinett des Kommandierenden.

Als er durch das Vorzimmer an den beiden Adjutanten vorbei wollte, hielt ihn der Hauptmann mit den Worten auf: »Lass sehen, Heller, was ist los?«

Der Korporal aber, der den Brouillon bereits nach Vorschrift unter das, von dem Säbel- und Kartusche-Riemen gebildete Kreuz gesteckt hatte, hielt nicht an, aber er neigte sich leicht gegen den Hauptmann und flüsterte ihm mit wichtiger Miene zu: »Die Kriegserklärung an die Mailänder trag ich in die Druckerei!«

»Bravo! Renn' zu, was Zeug hält, alter Schwede! Sonst reut's den guten Alten gleich wieder!« rief frohlockend der Hauptmann und reichte dem Oberleutnant, der bei dieser Nachricht um eine gute Spanne höher geworden war, die Hand. »Nun und was sagst Du dazu?« fragte er launig.

»Was ich dazu sage?« versetzte dieser: »nun der Himmel gebe seinen Segen zu dem Ernste und der Strenge – die Milde ist, weiß Gott, vor lauter Abnützung hier schon lächerlich geworden!« Und er fing an, unabhängig von dem Hauptmanne, allein, mit fest über die Brust gekreuzten Armen im Zimmer auf und ab zu rennen.

Der Hauptmann sah still vergnügt seinem Kameraden zu, er hatte seine ganz eigenen Gedanken dabei. –

Indes war Korporal Heller mit einem Gange – stolzer mag St. Christof nicht mit dem Heiland durch den Strom gewatet haben – mit dem ihm anvertrauten Manuskripte durch die Höfe des Palastes der Druckerei zugeschritten.

Als er aus der Offizin heraustrat, hatte er ein so rabiates Aussehen, dass ihn kein Sohn Milanos ohne Entsetzen hätte anblicken können, und selbst der Knabe, der ihm hier in den Weg trat, es war Jakopo, der Sohn der Kollektantin, getraute sich kaum, ihm seinen und der Mutter Gruß zu sagen.

»Ei, Jakopo, mein Kind!« sprach der Korporal, seine heroische Miene sanftmütig glättend, »was bringst Du mir?«

»Die Mutter schickt mich, von wegen des Entschädigungsgesuches!« erwiderte der Knabe.

Ehe der Korporal eine Antwort gab, stellte er sich neben den Burschen, maß dessen ziemlich aufgeschossenen Wuchs und nach einigen, beifällig lautenden »Hms« sagte er resolut: »Stecke den Wisch nur immer ein, Kind! Es bläst jetzt ein ganz anderer Wind – geh' heim zur Mutter, wenn Du der Sohn Deines Vaters bist, und bitte sie, Dir das Haar nach Reglement zu verschneiden, Dich zu waschen und zu striegeln, und dann komm' zu mir auf die Ordinanzstube! So Gott will und Du, wie gesagt, der Sohn Deines Vaters bist, mach' ich bis morgen früh aus Dir einen Füßelier nach Noten – Du hast >fünfe zwei< Abbreviatur für 5 Schuh, 2 Strich – Militärmaß – das richte aus, die Explikation folgt abends, wenn ich zur Mutter komme!«

Der Bursche wurde feuerrot, und er reckte und streckte sich, als er fragte: »Ihr meint, Pate?« –

»Ich meine nichts! Ich habe befohlen – marsch Mann! Und nicht gemuckst, wenn ein Vorgesetzter spricht!«

»Und das Gesuch?« –

»Rechtsum!« donnerte der Korporal dem Burschen zu, »das wäre das Wahre, sich mit Rekruten in Erläuterungen einzulassen – willst Du gehen?«

Der Sohn der Kollektantin griff wie salutierend an seine Kappe, während seine Rechte das Gesuch, das sie hielt, zerknitterte und von sich warf, dann drehte er sich kunstgerecht auf den Absätzen rechtsum und schritt im Manövrierschritte, als schlüge die Trommel dem Füßelier-Embryo bereits ihr »Trumtumtum«, durch den Hof.

Heller sah dem Jungen nach, bis er im Torgange verschwand, dann drehte er seinen Schnurrbart in die Höhe und sagte stolz: »Ganz gut – wird sich machen, der Junge!« und lenkte seine Schritte wieder der Ordonanzstube zu, um seinen Kameraden die Neuigkeit des Tages mitzuteilen.


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