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Drittes Buch

1.
Santa Lucia.

»Der alte Löwe ist nicht aus seiner Höhle zu locken!« dies war der Refrain aller Gespräche, Relationen und Evolutionen im piemontesischen Lager geworden, seit den fruchtlosen Gefechten bei Pastrengo und Rivoli, bei der vergeblichen »Berennung« Peschiaras und dem lächerlichen Putsch gegen Mantua.

»Der alte Löwe«, natürlich Marschall Radetzky, »seine Höhle« das verschanzte Lager vor Verona und »locken« das Paradereiten und Insblaueschießen zubenamst, das seit dem Übergange über den Mincio en vogue geworden war.

Die Mailänder fingen nachgerade an, sich der Bonhommie zu schämen, mit der sie die bombastischen Siegbulletins vom 25. und 29. April und dem 2. und 3. Mai hingenommen und selbstverständlich gefeiert hatten; denn es konnte doch unmöglich eine Konsequenz eben dieser Siege sein, wenn der gloriose König und seine gloriose Armee immer und immer noch vor Verona stand, nachdem die Österreicher bereits seit Monatsfrist total »vernichtet« und der Marschall ein Dutzendmal gefangen und getötet worden! Die Mailänder Bulletins vom Kriegsschauplatze leisteten im Lügen so Außerordentliches, dass selbst die Italiener darüber aufgebracht waren. Der ergötzlichste Beleg hiervon ist das Circulare des Kriegsministers Pompro Litta an die Bankiers und Fabrikanten Österreichs ddo. Mailand 8. April 1848.

Warum nicht weiter, Schwert Italiens? Vorwärts! Vorwärts!

Ja, vorwärts!

Zwei Ursachen waren es den verlässlichen Berichten zur Folge, die den König abhielten, sich »zu rühren«, ehe es zu spät geworden, nämlich ehe die Isonzo-Armee sich mit der des Marschalls vereinigte: fürs Erste seine Furcht, eine Schlappe zu erleiden, weil dann die französische sogenannte Alpen-Armee Gelegenheit nehmen würde, die Sache Italiens als die Ihrige aufzunehmen – wonach die Projekte und das Übergewicht Sardiniens in nichts zerstoben wären – und zum anderen: sein Verdruss, durch das Überschreiten der Minciolinie gegen seine Absicht auch Venedig sontenieren zu müssen, das undankbare Venedig, welches eigenmächtig, ohne auch nur seinen Rat eingeholt zu haben, sich zur Republik konstituiert hatte.

Aber Zeit und Fluten warten auf Niemand!

Als die Isonzo-Armee langsam, aber entschlossen und siegreich vordringend, dabei durch immerwährende Nachzüge sich verstärkend, dem äußersten rechten Flügel Radetzkys, welcher durch detachierte Korps sich auch die obere Brenta und Borgo di Valsugana stützte, über das bedrängte Belluno hinaus die Hand zu reichen strebte, als Udine, diese eifrige Republikanerstadt gefallen, Palma nouva angegriffen und Vicenza bedroht war, erst dann entschloss sich Karl Albert zum Handeln – es war ein >dies nefastus< für ihn und sein Geschick – der 6. Mai – der Tag von Santa Lucia. –

»Teufel! Die entwickeln ja eine schwere Menge Brigaden gerade gen unseren schwächsten Punkt!« sagte mit bekümmerter Miene ein junger Korporal des Bataillons, das von der Brigade Clam bei Tombetta zur Deckung der Flanke Clams zurückgelassen worden war, zu seinem Nebenmanne, einen mächtig großen, alten Musketier, der kopfschüttelnd in derselben Richtung hinblickte – nach dem Friedhof von Santa Lucia.

»Hm! Schwächster Punkt!«, war die endliche Antwort des alten Soldaten: »Da habe ich schon schwächere Punkte verteidigen sehen, mit weniger Leuten – oh anno 97 und 9 – bei Rivoli, Malborghetto! Das waren Soldaten, tapfer wie die Löwen, aber es konnte alles nichts nützen, denn ihnen gegenüber stand die »alte Garde« – wie man uns später hieß!« Er lächelte selbstgefällig und stolz bei dem »uns«, der alte Soldat, der jetzt durch eine eigene Ironie des Zufalls in den Reihen derer stand, gegen die er sich damals seine ersten Lorbeeren geholt.

Es war der alte Braun, der richtig »mittat«, als es zum Losschlagen kam, wie er es versprochen hatte; und der Korporal, der ihn angesprochen, niemand anderer, als der wackere Thomas, der den Ambos und sein Lieb verlassen, um für das Recht seiner neuen Heimat Blut und Leben einzusetzen und nebstbei seinen alten »närrischen« Vater zu schirmen.

»Ja, Kind! Damals ging's heiß her!« nahm der Alte sein früheres Gespräch wieder auf, »und es wird auch heute was absetzen, obwohl die Blauröcke da drunten wohl schwerlich je so renommiert werden wie wir, die alte Garde!«

»Lass Dich nicht auslachen, alter Hannsnarr, mit Deiner alten Garde!« fiel hier der Fahnenführer des Bataillons ein, der am Flügel desselben Zuges stand, »als ob wir sie nicht weidlich gebläut hätten zu dutzend Malen!«, und er blickte stolz und bedeutsam auf das Kanonenkreuz auf seiner Brust herab, »aber mir kommt es vor, als ob denn doch da droben in dem Neste etwas zu wenig Volk stände – das marschiert ja endlos heran zur Attacke –«

»Es ist dies die dritte Brigade!« sagte der alte Garde; »jedenfalls gibt's da auch für uns eine Aussicht daranzukommen, denn viel Publikum wird der »alte Herr« nicht erübrigen, außer er zieht die ganze Garnison aus der Stadt!«

»Das wird er wohl bleiben lassen«, scholl es grob zurück, »zum Riskieren ist's noch immer Zeit genug!«

»Still da unten, Ihr alten Schweden!« rief ein Offizier die Front herab, »was sollen die Jungen von Eurem Räsonieren denken?«

»Hoho! Na –«

Eine furchtbare Erschütterung der ganzen Talflucht schnitt alle weiteren Kontroversen ab – die Kanonade war allgemein geworden. –

Etwa gegen acht Uhr morgens war die piemontesische Division D' Arvillars auf die Vorposten der Brigade Strassoldo gestoßen, und es entspann sich ein leichtes Geplänkel.

Als unsere Plänklerkette sich hierauf langsam gegen die Hügellehne vor S. Lucia zurückzog, entwickelte der Feind plötzlich hinter jener Division vier achtpfündige Batterien, hinter denen die beiden Brigaden Aqui und Casale en front nachrückten.

Obwohl man in Verona genau von der Annäherung eines größeren Truppenaufgebotes unterrichtet war, war man dennoch bislang weit entfernt von der Idee eines ernsten und nachhaltigen Konfliktes mit dem Feinde gewesen, der ähnliche Manöver bereits mehrere Male unter dem Namen von »Recognoscierungen« ausgeführt und, weil vergeblich, abgenützt hatte. Dennoch aber war nichts versäumt worden, dem Feinde würdig zu begegnen: unsere Truppen hielten die Linie von Tombetta an über Santa Lucia und Croce bianca bis über Massimo hinaus besetzt.

Als aber die von allen Seiten einlaufenden Berichte zeigten, dass es auf einen ernsthaften Angriff abgesehen sei, rückten auch die noch in Verona befindlichen Reserve-Truppen auf ihre Aufstellungsplätze, und selbst der Marschall setzte sich zu Pferde.

Als er an der Ecke des Teatro filarmonico haltend, die von der Piazza Bra herabkommenden Reserven vorüber defilieren ließ, bemerkte er recht wohl, und das mit einem traurigen Lächeln, dass Verona Feiertag halte heute: alle Läden und Türen waren geschlossen, und der weite Platz um die Arena herum mit der neugierigen Populare der Stadt besät – er wusste gar wohl, dass diese Feier weder ihm noch seinem Waffenglücke gelte, dass sie der erste Kanonenschuss der Piemontesen, ihrer »glorreichen Befreier« hervorgerufen und dass es keine Segens- und Glückwünsche waren, die ihm und seinen abziehenden Truppen nachgesandt wurden.

Er wusste, dass auf heute Abend – der König und sein Heer in Verona zu Gaste angesagt waren!

Qui vivera, verra!

Als der Marschall mit den letzten Truppen der Porta nuova zuzog, wogte hinterher ein ungeheurer Menschenschwarm nach und überflutete die Wälle –

Mein Publikum! Wen werden deine Kränze krönen, wenn der Vorhang fällt?

In demselben Momente, wo der »kleine alte Mann« auf dem Glacis Veronas hinritt, sprengte hinter Santa Lucia herauf, den Brigaden Aosta und Regina nach, ein stolz im Morgensonnenstrahle erglänzender Reitertrupp – der König und seine Suite.

Die Schlacht bricht an!

»Santa Lucia muss genommen werde! Dies ist der Schlüssel der Position der Österreicher!«

Hurrah!

»Die Fahnen weh'n, frisch auf zur Schlacht!
                  Schlagt mutig drein!
Er klingt Musik, die uns fröhlich macht,
                  Ins Herz hinein!
Die Pfeifen und Trommeln mit lustigem Klang
                  Das Feld entlang:
In die Schlacht, in die Schlacht hinein!«

Und hinan die grünen Höhen stürmen gar mutig die feurigen Kinder der Blütenebenen von Casale und Valenzo, und hinan die ernsten Söhne der Berge von Savoyen! Rechts und links qualmt es weiß und blitzt es rot empor aus den todsprühenden Rachen der Batterien zu den grünen Geländen der Adige, und die ganze Talfläche entlang erbraust es von keuchenden, flinken Gestalten, das knatternde Büchsenfeuer im Sturme hinan tragend zu den Hecken der Gärten von Santa Lucia!

Doch auch droben meldet sich der Österreicher treue Wacht!

Dechargen donnern herab, und die blauen Bohnen, die sie niedersenden, fliegen pfeifend und tötend hinein in die hellen Haufen und hinein in die glühenden Herzen und Stirnen der Heranstürmenden und verkriechen sich hinter der zurückgelassenen blutigen Tränenspur immer tiefer, immer tiefer – bis die getroffenen Stirnen erblassend, todmüde niedersinken auf die veratmende Brust und die Herzen stille stehen! –

Darüber hin! Darüber hin! Hinan! Hinan!

Aber nimmermüde sendet der Tod seine fliegenden Boten herab von den grünen Wällen Santa Lucias!

Ein Bataillon von »Sigismund« steht dort und das zehnte der Jäger.

Rings ruht die Schlacht! Und die Kriegerscharen beider Mächte schauen hinan zu der blutigen Wahlstatt, auf der die unüberwindliche Macht des Rechtes den Zweikampf auszufechten scheint mit der ohnmächtigen Übermacht des Unrechts.

Sie schauen hinan, stolz und siegesgewiss die einen, erbebend und im Gewissen getroffen die anderen!

»Was ist denn das dort droben, das alte Gemäuer, um dessen Ziegelkrone der Rauch sich nicht verziehen will? Ist das ein Fort, ein Bollwerk Österreichs?

Wohl ist's ein Bollwerk, fester als es je die Kunst vermocht um einen Platz zu gürten, ein Wall aus kühnen, treuen Herzen gefügt: der Friedhof von Santa Lucia.

Zwei Kompagnien vom zehnten Jäger-Bataillon halten dort – und ihrer Nummer treu: »Einer gegen zehn!«

Und hätte jedes Grab, das inner jener Mauern sich erhoben, zehn Tote ausgesandt und dort hinab zur blutigen Ernte mit nimmermüden Sensen, sie hätten ein schlechtes Tagwerk getan und nimmer also aufgeräumt in den sinkenden Reihen der Blauen wie jene »grauen Teufel« vom zehnten Bataillone.

Zwei Brigaden zuerst rücken an zum Sturme jener Stätte, wohin man sonst die Toten zur Ruhe trägt, weitum aus dem Tale – woher jetzt der kalte Würger seine mordenden Blitze herab sendet, weitum in das erzitternde Tal.

Die Wut des Anpralles zerstäubt an den todsprühenden Mauern!

Der König sieht aus der Ferne dem fabelhaften Kampfe zu; er lächelt bitter, und abermals wälzen zwei frische Brigaden auf des Herrschers Gebot ihre brausenden Wogen hinauf an den Rebengeländen des Flusses.

Einen Augenblick lang verhüllt der, wie aus dem Herzen eines Kraters entquellende Dampf die Höhe, deren granitene Grundfesten von dem tausendfältigen Knalle erschüttert erzittern, dann zeigt sich dem staunenden Auge abermals dasselbe Schauspiel: zerrissen die stolzen Glieder der tapferen Angreifer unten, breite Gassen offen in den Kolonnen, durch die der bleiche Tod seinen blutigen Weg gegangen, mit eherner Ferse niedertretend alles, was seine Bahn gehemmt – lustig flatternde Federbüsche oben, von der Mauerkrone niederwinkend über blitzenden, kampfentglühten Schützenaugen und knatternden Stutzenrohren!

Und über dies alles, an dem blauen Horizonte sich abzeichnend, wie gemalt auf eine riesige Standarte, ein anderer Sankt Georg – auf schneeweißem, schäumendem Rosse: Kopal, der Führer des zehnten Bataillons!

Sein Falkenauge dringt durch Rauch und Qualm, sein Rösslein springt hinauf und hinab, und wo sein Kommandowort ertönt, rundum schallend weitergetragen durch die hellen, lustigen Weisen des Trompeters an seiner Seite, da drängen die Scharen seiner Kinder immer blitzschnell hinzu in dichten Rotten – und hat es aufgeblitzt aus den rauchgeschwärzten Stutzen und draußen aufgestöhnt mit dem dumpfen Wehruf, den der gewaltige Tod dem Erliegenden entreißt – die Quittung für den Sieger – da schauen die dunklen Augen der Schützen stolz lächelnd empor zu dem verehrten Führer, dessen »Bravo Kinder!« die Kampfesmüh' und Todesnot tausendfach vergilt und vergessen macht.

Da beordert der König wutentbrannt die »les braves des braves« seiner Armee: die Garde-Brigade!

Fünf Brigaden gegen – zwei Bataillone!

Die Signale zittern durch die Luft, Trommelwirbel rast hügelan mit den Stürmenden, die Kanonen schleudern ihre Eisenballen mit mürrischem Gebrumme durch die zerschossenen Hecken gegen Friedhof und Dorf, die Piemontesen kämpfen mit der Tapferkeit der Wut und halten mit der Trotze der Verzweiflung in dem mörderischen Feuer, das unter ihnen wütet: umsonst! Noch immer tanzt der Schimmel mit Held Kopal an der Mauer auf und ab, noch immer gucken Stutzen und Schützen über die Mauer hinab in das rauchende Tal.

Und wäre den tapferen Söhnen Österreichs auch keine andere Anerkennung geworden als das gerührte, innige Lächeln des »Vater Radetzky«, der mit stolz und freudig pochendem Herzen von Glacis Veronas aus den merkwürdigen Kampf beobachtete, sie wären reich belohnt gewesen; so aber war es noch ein anderer Stern, der über dem Totenfelde von Santa Lucia zum ersten Male aufging, glänzend und trostleuchtend über der treuen Armee; denn dort unten, an der Téte der Brigade Lichtenstein, an der Seite des greisen d'Aspre, hält ein Jüngling mit freundlich milden Zügen zum ersten Male vom Schlachtendonner umbraust, zum ersten Male Zeuge, wie der Thron gehalten werde von den tapferen Armen der treuen Armee, der Thron, den er kurz darauf bestieg – Franz Josef ist's, der bei Santa Lucia sich die Sporen holt! –

Gegen zwei Uhr ungefähr erschien jedoch auch die piemontesische Division Ferrari von Villafranca her auf dem Kampfplatze.

Mit erneuter Wut und verdoppelter, konzentrierter Kraft gegen Santa Lucia wiederholt – und nun war es nicht mehr möglich, die Stellung zu halten.

Sie ward demnach verlassen und von dem Feinde eingenommen, er darin aber auch festgehalten und zur Verteidigung derselben Punkte gezwungen – jedoch ohne denselben großartigen Erfolg. Die Brigade Clam, die bisher schwach angegriffen worden war, übernahm nun die Attacke auf den Friedhof und das Dorf.

Nach der Ankunft der Division Ferrari war der Kampf ein allgemeiner bis über Massimo hinaus reichender geworden, aber d'Aspres Scharen standen unerschütterlich, und der Schrei der Bestürzung, der aus den Reihen der Angreifer emporstieg, als plötzlich eine verdeckte Batterie ihr Kartätschenfeuer gegen die im Sturmschritt Herankommenden richtet, gab das Signal zur Flucht. Die Brigade Savona wandte sich zuerst.

Hierdurch wurde die linke Flanke bei Santa Lucia entblößt und der Augenblick gegeben, es wieder zu nehmen.

Der Feind empfing die Angreifer unter dem Kommando Wratislaws mit einem furchtbaren Bataillefeuer, das in den Reihen der Unseren viele Lücken riss.

Der Feldmarschall sah bangend die Gefahr und sandte Succurs.

Dieser kam aber zu spät – denn als er kam, waren Santa Lucia und die Höhen nebenan wieder genommen, die Schlacht geschlagen und – Viktoria! Gewonnen.

Der Feind floh in größter Hast und Unordnung dem Mincio zu; ein Teil der Armee der Marschalls lagerte auf dem Schlachtfelde, der andere geleitete den Heldengreis nach Verona zurück. –

Man hatte dort

»… als man focht,
Schon für Karl Albert und sein Heer gekocht –
Doch sind sie nieder nicht zu Tisch gesessen.
Österreicher setzten sich an ihrer Statt
Und haben sich nach tücht'ger Arbeit satt
Am leckren welschen Mahl gegessen!«

»Nun »alte Garde!« was sagst Du denn jetzt zu unsern jungen »Grasteufeln«? Sind es die Söhne jener, die Rivoli und Malborghetto verteidigten?« fragte oben auf dem Dorfplatze von Santa Lucia der Führer den alten Braun, der unfern von ihm auf dem Boden saß und sich eine blutende Fleischwunde am linken Oberarme mit Wein wusch, während er selbst die vom Kugelregen des Sturmes zerfetzte Fahne mit dem gold'nen Weihebande zusammenschnürte.

»Hm, besser fechten sie nicht als wir! Was wisst denn Ihr – aber das wird alte Garde! Wir werden's erleben, dass die noch bessere Arbeit machen als heute!« verstzte der alte Grenadier mit der Miene eines Kunstverständigen darauf. »Aber wo mag mein Thomas stecken? Den seh' ich nicht mehr, seit wir da oben sind!«

»Hat vielleicht auch einen Denkzettel erwischt!«

»Ja, ja, gewiss, ich entsinne mich genau, obwohl es gerade in der ersten Hitze war, als wir dem Clam nach herauf stürmten; er trottete eine lange Weile neben mir her, doch gerade da unten bei der grünen, am meisten verschonten Maulbeerhecke hörte ich ihn plötzlich ächzen – ich konnte mich nicht umschau'n, denn es hatten gerade ein paar zudringliche Vierpfünder bei uns herum durch gepfiffen; da mag er sich was geholt haben, der arme Bursch! Na, eine ehrenvolle Feuertaufe heut' für einen Rekruten!«

So sprach der alte Soldat; dennoch aber konnte das Auge des Vaters sich von da ab nicht mehr losreißen von der grünen Maulbeerhecke unten an dem Gehänge, in dem sein Sohn ächzend zurückgeblieben war von der allgemeinen Jagd nach Ruhm und Ehre! Ächzend und blutend – aus einer schweren Wunde gewiss – sonst wäre er nicht zurückgeblieben.

Es gab dem alten Manne keine Ruhe mehr; er verband seine Wunde, so gut es ging, und trabte hinab zu der Hecke. –

Sie war leer, bis auf die stereotypen Trophäen aller solcher Gründe, über die ein Sturm mit dem Bajonette hingebraust: zerbrochene Waffen, zerrissene Riemen und Kleiderfetzten und Blut – viel Blut!

»Er hat sich wohl weiter geschleppt, der arme Thom, an ein ruhigeres, geschützteres Plätzchen! Muss arg getroffen worden sein, hm!« brummte der Alte unwillig, dass die Vaterangst ihm das Herz so bange zusammenschnüre, ihm, dem Grenadier der alten Garde!

Er rannte durch die labyrinthischen Gänge des langen Hügelabhanges mit immer steigender Angst hin und her, bis er auf ein Transport-Kommando für Tote und Verwundete stieß, wo er erfuhr, dass jene Stelle bereits begangen und expediert worden, was dort an Opfern des Schlachtengottes angetroffen worden war.

Wie der Blitz war der Alte wieder oben im Orte und hatte beim Hauptmanne die Erlaubnis ausgewirkt, seinen Sohn in den Notlazaretten und Spitälern aufsuchen zu dürfen.

Und mit fliegender Eile schoss er der breiten Straße gen Verona zu, die allüberall von rasch hineilenden Kolonnen und langsam rollenden Krankentrains bedeckt war.

»Thomas! Mein Sohn!« rief er bei jedem der Wägen, die, breite Blutspuren hinter sich lassend, den Ambulanzen und Lazaretten ihre Spolien zuführten. – Nirgends schallt ihm die Stimme seines Sohnes zu Troste entgegen. – Die steigende Angst, den entsetzlichen Lärm der Equipagen zu durchdringen und seinen Augen Schärfe, das Chaos von blutigen Leibern und Gliedern zu sichten, das sich langsam an ihm der Stadt zu bewegte. Nirgend eine Spur von Thomas. –

Endlich, gerade an der Porta nuova, die von den besorgten Weibern und Kindern der heimkehrenden Krieger starrte, traf er seinen Sohn und – nicht mehr allein.

Die lange Wagenreihe stockte, durch den Schwall der Andrängenden aufgehalten, und von Weitem schon sah Braun den bleichen Kopf seines Sohnes gehoben, gehalten und gekost von den kleinen, zarten Händen der Putzmacherin, die sich weinend und bleicher noch als Thomas zwischen die Flechten drängte, um die linde Hand der Liebe auf die Wunde des Geliebten zu legen.

Gott sei Dank, du lebst! Wo bist du getroffen?« riefen aus einem Munde Lotte und der Vater.

Ein schmerzliches Stöhnen war die Antwort und der Kopf des Verwundeten sank wieder müde auf seinen Nachbarn nieder.

»Heda! Ich werde da nicht lange fackeln! Es ist mein Sohn, ich trag ihn ins Spital!« rief der Alte und stieg rasch auf das Rad, um Thomas herab zu heben. Der lag, die Augen geschlossen und den rechten Arm fest um die Brust gelegt, an der Seite eines jungen Mannes, aus dessen gräulich zerrissener Schulter dicke, schwarze Blutstropfen auf den weißen Rock Thomas' niedersickerten.

»Mein Sohn! Komm zu dir, Kind! Hast du's in der Brust?« rief mit zitternder Stimme der Alte und richtete kräftig, aber schonend den Ohnmächtigen auf. Plötzlich stieß er einen furchtbaren Schrei aus, die kolossale Gestalt wankte und drohte zu sinken, und die Hände lösten sich von dem Leibe des Verwundeten; als er diesen erhoben hatte, gewahrte er, dass – Thomas den linken Arm verloren habe!

Aber auf den bebenden Ruf der Putzmacherin: »Was ist's denn, Vater?« kehrte auch seine Besonnenheit zurück: »Blutverlust, Lotti! Habe keine Sorgen!« sagte er leicht und beugte sich nochmals nieder, um den Armen an seine Brust zu nehmen. Er setzte ihn vorsichtig und zart wie eine liebende Mutter auf seinen rechten Arm, sodass der blutige Stumpf auf seine Brust kam und nicht zu sehen war, dann stieg er langsam vom Wagen ab und ging der Porta zu.

»Ihr werdet ihn doch zu uns tragen, Vater?« rief Lotti unter heißen Tränen.

»Nein, nein! Er ist Soldat und gehört ins Spital!«

»Dann werde ich ihn pflegen dort!«

»Ah, Kind! Das geht ja nicht, unter lauter Männern! Ich werde ihn schon selber pflegen, hab' ja auch eine tüchtige Schramme zu heilen.«

Jetzt erst bemerkte Lotti, dass auch der Alte verwundet sei; es erhob wie ein himmlischer Trost ihr Herz, dies zu bemerken und zu sehen, wie rüstig der Alte – weil er das gewohnt ist, trotz der träufelnden Wunde einherschritt: »Der Blutverlust wird den Armen erschöpft haben!« sprach sie vor sich hin und schritt fortan viel gefasster an der Seite des Alten fort.

Als sie an dem Spitale ankamen, bat Braun das Mädchen heimzugehen und die Mutter vorzubereiten, indes er dem ersten Verbande seines Sohnes assistiere – Lotti nickte stumm mit dem Kopfe und verfolgte den Alten mit tränenden Blicken, bis er in dem langen Gange verschwand. –

Aber sie ging nicht heim; kaum war der Alte ihren Blicken entschwunden, als sie unter die wachhabenden Soldaten trat und mit rührender Angst bat, es möge einer von ihnen sich nach der Wunde ihres Geliebten erkundigen.

Ein junger Bursche versprach ihrer Bitte zu willfahren und ging dem Alten nach.

Es dauerte lange, ehe er wiederkam, und als er kam, sah er verstört und bleich dem halb ohnmächtigen Mädchen in das blasse, verweinte Gesicht und zögerte mit der Antwort.

»Mann! Was ist's, o sprecht um Gotteswille!« rief Lotti und fasste die Hand des Boten mit krampfhafter Angst.

Der Soldat sprach nach einer langen Pause des Besinnens mit trauriger Stimme: »Soeben haben sie ihm den Arm abgenommen.«

Da sank das Mädchen mit einem gellenden Schrei zu Boden. –

Die Soldaten umstanden sie, noch immer ratlos, was mit der Unbekannten zu beginnen, als der alte Braun heran schwankte.

»Weiß sie schon?« rief er erschreckt, als er die ohnmächtige Gestalt erblickte.

»Ja, sie weiß es!« ertönte es zurück

Da beugte sich der Alte tief seufzend nieder, legte das Mädchen an seine Brust, an die blutwarme Stelle, die sein Sohn eben verlassen und trug sie hinaus. –

Es war Nacht geworden.


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