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»Ein Käferlein am Zaune saß – sum, sum –« – Nein, nein, mit dem Singen ist es gar nichts, so will ich's denn mit dem Fluchen versuchen! – Kreuzmillionenschock Schwerenot! Ist das eine Nacht zu einem Kurierritte venire à terre und ein Weg für einen ehrlichen Reitersmann? Da möge der Teufel Kurier reiten!«
Also ließ sich ein einsamer Reiter vernehmen, der durch das Labyrinth von Steindämmen und Maulbeeranpflanzungen sich gegen die Veroneser Straße hin durchzuschlagen suchte.
Er war, soweit die Dunkelheit erkennen ließ, ein Offizier von den Jägern und kam vom Valle di Pollicella her; er hatte die Warnung seines Kommandanten und seiner Kameraden verlacht, die ihm rieten, lieber längs des Flusses hin zu reiten, indem nur Eingeborene des Landes es wagen können, sich auf diesem kupierten, von endlosen, kreuz und quer durcheinander laufenden Dämmen und Gräben durchschnittenen Terrain zu orientieren.
Er vermochte seine jugendliche Ungeduld den langweiligen Krümmungen des Baches nicht zu unterordnen und war wohlgemut querfeldein geritten, bis er bei einbrechender Nacht endlich sich gestehen musste, er habe die Richtung nach Verona verfehlt und sei irregeritten.
Die furchtbare Kanonade tagsüber hatte ihn auch erregt und rascher, unüberlegter vorwärtsgetrieben, die einbrechende Nacht aber das Übrige getan, um seine Ratlosigkeit zu vollenden, denn weder Mond noch Sternlein schauten heute nieder vom blauen Himmel; unvermögend die langen, grauen, dichten Pulverdampfschichten mit ihrem Schein zu durchbrechen, die wie Geister der Erschlagenen langgedehnt über dem Tale der Adige hinzogen.
Ringsum an dem ganzen Horizonte flackerten nun die roten Wachfeuer der Biwaks auf. Aber wo liegt Verona? Wie fielen die Würfel der Schlacht, und lagen um jene Feuer auch heute noch die Blauröcke des Sardenkönigs?
Dies waren Fragen, die dem verirrten Adjutanten gar schwer aufs Herz fielen.
Doch alle Bedenken und alles Ungemach waren vergessen, als ihm plötzlich durch einen Schlag der Anpflanzungen ein hell erleuchtetes Haus in die Augen fiel.
»Viktoria! Vorwärts mein braver Brauner! Dort gibt es Leute, folglich einen Führer und Imbiss für uns beide!« rief er fröhlich, und seinem Pferde den schlanken Hals klopfend; und vorwärts ging es diesmal rasch und munter, weil einem Ziele zu.
Doch plötzlich scheute das Tier, bäumte sich hoch auf – der Reiter drängte – es machte einen gewaltigen Satz, zu kurz – und Ross und Reiter lagen in einem der tiefen, nassen Gräben, die gleichsam die Bassins der kunstvollen Wasserleitungen in den Niederungen Oberitaliens bilden.
Der Offizier wand sich ächzend, keuchend und schlammbedeckt unter dem Tiere hervor, das Schaden genommen haben musste, denn es atmete schwer und erhob sich trotz aller Hilfe des Reiters nicht.
»Verfluchte Nacht! Das fehlte noch!« rief dieser mit verzweifelndem Tone: »Herrgott, was ist jetzt zu beginnen?«
Das Pferd atmete immer schwerer, es musste das Kreuz gebrochen haben.
Mit einem schweren Seufzer entschloss sich der Offizier endlich, seinen Weg zu Fuß fortzusetzen: »Vielleicht, das heißt, so Gott will, dass in jenem Hause Menschen wohnen, kann mir doch noch heute weiter geholfen werden!«sagte er verdrießlich vor sich hin, während er seinen Mantelsack vom Sattel und die Pistolen aus den Halftern nahm. Er erklomm die Böschung des Grabens und stand bald vor dem Hause.
Es war ein schönes, großes Kasino, eleganter gebaut, als sie sonst auf dem Flachlande angetroffen werden und, was die Hauptsache war, in beiden Stockwerken hell erleuchtet.
Er schritt, von den behaglichen Ahnungen und Hoffnungen erfüllt, dem Tore zu – es stand sperrangelweit offen.
Es dünkte dem Offizier dennoch geratener, manierlich und als Supplikant hier aufzutreten, als sans façon den Leuten über den Hals zu kommen, umso mehr, als er nicht trauen durfte und es heutzutage gänzlich abgekommen ist, dass die Cliquen des Landes ihre Parteizeichen in Stein gehauen über ihre Tore setzen wie zur Zeit der Montagues und Capulets.
Sein Klingelruf aber rief vergebens zu wiederholten Malen durch das hallende Gewölbe des Korridors – keine Seele regte sich.
Er trat erstaunt in die Halle – auch hier traf er offene Türen, erleuchtete, komfortable Gemächer und alle Spuren eben noch tätigen Lebens – aber keine menschliche Seele.
»Das wird doch kein verzaubertes Schloss sein?« fragte er sich erstaunt und unangenehm getäuscht; noch gab er aber die Hoffnung nicht auf, und erwartungsvoll stieg er die Stufen zur oberen Etage hinan.
Hier stieß er auf das erste Hindernis auf seiner Entdeckungsreise nach Menschen.
Ein reich vergoldetes, bronzenes Gitter hielt ihn hier vom weitern Vordringen ab; er sah abermals einen langen, mit stukkadierten Säulen geschmückten und durch zwei Astrallampen beleuchteten Gang – sonst nichts; auch entdeckte er keine Klingel an dem Gitter, und der große, leuchtende Knopf an dem Schlosse gab seinem Drucke nicht nach.
Unmutig klopfte er mit dem Pistolenschafte an die hallenden Stäbe; auch hier wiederholte er dies Avis einige Male, und immer rücksichtsloser rüttelte er an dem Schlosse, als plötzlich am Ende des Ganges eine hohe Türe aufging, aus der eine feine, milde Stimme die ängstlichen Rufe: »Antonio, Agostino, Beata, erschallen ließ.
Auch auf diese Rufe erfolgte keine Antwort, dafür aber erscholl aus demselben offenen Zimmer der gellende Klang eines Silberglöckleins, da sein Zünglein gar hastig und unmutig regte.
»Na, bin neugierig, was daraus wird!« sagte der Offizier lächelnd, und das Eigene seiner Situation fing ihn nachgerade zu interessieren an, umso mehr, als, nachdem auch des Glöckleins Ruf verhallt war, ohne einen dienstbaren Genius zum Erscheinen zu bewegen, plötzlich durch die offene Türe eine Dame in den Gang herein rauschte, deren Schönheit ihn so verblüffte, dass er von allen weiteren Versuchen sich bemerkbar zu machen, abstand.
»Èchi la? Antonio?« rief die Dame, ohne weiter in den Gang zu schreiten, und neigte den schlanken Oberleib und das lockenumwallte Haupt dem Gitter zu.
»Entschuldigt meine Freiheit, Signora! Ich bin verirrt und mit meinem Pferde gestürzt«, flüsterte der Offizier durch das Gitter herein, wohl in dem devotesten Tone, mit dem er je jemand angesprochen, »ich hätte es nie gewagt, Euch zu belästigen, wenn ich irgendeines Dieners ansichtig geworden wäre!«
Die Dame zuckte wie erschreckt zurück, als sie die fremde Stimme hörte; nach einer kurzen Pause aber tat sie abermals ein paar Schritte gegen das Gitter und fragte: »Wer seid Ihr, Herr!«
»Ich bin Offizier und komme vom –«
»Offizier? Bei dem Könige?«
»Kaiserlicher Offizier, wenn's beliebt Madonna!« entgegnete der verunglückte Reiter etwas derb auf diese Unterbrechung.
Auf diese Antwort eilte die Dame mit einem halb gesungenen »Grazia al cielo!« dem Gitter zu und öffnete es mit den Worten: »O tretet ein, lieber Herr! Und schreibt meinen Mangel an Hospitalität nur diesen gefährlichen Zeitläuften zu; seht, selbst meine Diener haben mich heute alle im Stiche gelassen, vor Ängsten, wie die Schlacht ausgefallen!«
Der Offizier, dessen Unmut bei diesen freundlichen Worten im Nu verraucht, rief vor allem, ehe er durch das geöffnete Gitter trag, mit komischem Pathos: »Noli me tangere, Domina! Ich bin mit Schlamm kandiert und außer Stande, mich vor einer ehrlichen Christenseele, geschweige denn vor einer solchen Dame zu präsentieren; erlaubt mir nur eine –«, er stockte plötzlich und trat eine Stufe zurück, während sich seinen bebenden Lippen der leise Ruf: »Chiarina!« entrang.
Auch die Dame wich einen Augenblick zurück, doch sogleich fragte sie wieder mit freundlichem Lächeln: »Was meint der Herr? Ich heiße nicht so, mein Name ist Beatrice!«
Der Offizier, dem es eigentlich jetzt erst, nun die Dame ihm gegenüber stand, vergönnt war, sie en ensemble zu betrachten, stand noch immer wie angedonnert außerhalb des Gitters; doch von Zeit zu Zeit stahl sich von seinen Lippen ein flüchtiger, leiser Schrei der Verwunderung; denn die Gestalt vor ihm glich Zug für Zug einem Wesen, das einst meteorartig über seinem Lebenswege empor geleuchtet in dem Strahle unerreichter Schönheit, nun aber versunken – gefallen –
Dasselbe glänzende, üppige Haar fiel über dieselbe hohe, edle Stirne, dieselben wunderbar küsslichen Lippen lächelten, duftige Rosenknospen, über den schlummernden Perlenschnüren dazwischen, derselbe Nymphenleib dehnte darunter die wellenförmigen Glieder!
Die Signora beobachtete mit einem eigentümlichen, stolzen Lächeln die Wirkung, die ihre Reize bei dem jungen, fremden Manne hervorgebracht: »Nun tretet ein, Herr!« sprach sie endlich, »was mir, hier in dieser Einöde möglich, Euren Wünschen zu begegnen, soll geschehen!« und damit schwebte die schöne Gestalt an die der Treppe nächstgelegene Zimmertüre und öffnete dieselbe.
Auch dies Zimmer war beleuchtet, und zwar durch eine elegante, vierarmige Girandole.
»Bei Gott, Madonna, ich betrete dies Zimmer nicht, solange ich in diesem execrablen Zustande bin!« deprezierte, vor Verlegenheit stammelnd, der Offizier.
»Ohne Umstände, Herr Offizier!« sprach die junge Dame mit freundlichem Tone, »unseres Kaisers Soldaten können jetzt nicht wohl en grande parure erscheinen – wollt nur einen Augenblick Geduld haben!«
Wie von einem süßen Traum befangen, blieb der Offizier mit verwirrten Sinnen an der Türe stehen, bis das abermalige Kommen der Dame ihn weckte. Sie brachte einen Stoß Männerkleider, die sie mit den Worten auf den Tisch legte: »Ich meine, Ihr seid mit meinem Bruder von einer Größe – beliebt zu wählen und vergesst nicht, mich dann zu besuchen à rivedere!«
Sie war lange schon verschwunden, ehe der Offizier sich so weit zu fassen im Stande war, um seine Lage zu würdigen. Seine Pflicht rief ihn ohne Säumen nach Verona; aber seine, freilich durch eigenen Schuld gehabten Faltigen, die Unmöglichkeit, in finsterer Nacht ohne Führer fortzukommen, vor allem aber ein gewisses Etwas, das er nicht beim rechten Namen nennen wollte, hielten ihn zurück. Sein erregtes, heißes Blut, sein leichter Sinn ließen ihn vergessen, dass an dem schnellen Vollführen seiner Mission vielleicht hundert Menschenleben hingen und dass den echten Kriegsmann Not und Tod nicht aufhalte, seine Pflicht zu tun, während ihm die kurze Mühsal eines Marsches und eine finstere Nacht als Entschuldigung genügten.
»Sie hat es mir angetan! Und doch – es ist Chiarina nicht!« sprach er schwankend vor sich hin, »und wäre sie es – nein, ich kann ihr doch nicht zürnen! – Wie ist sie so schön, so ganz ihr Ebenbild und, weil nicht sie – desto schöner, herzbestrickender, ich muss bleiben!« – also rief er, sich willenlos dem Drange seines Herzens überlassend, und begann seine durchnässte Uniform mit den Kleidern »des Bruders« der Dame zu wechseln.
Er warf noch einen wohlgefälligen Blick in den hohen Trumeau an dem Zimmerpfeiler, aus dem die tadellose Gestalt eines Milaneser Lions entgegen schaute, ehe er sich in das Gemach der Dame begab.
Er öffnete mit hochklopfendem Herzen die Türe und trat in das Penetrale der Schönen, die an dem Tische lehnend, ihn zu erwarten schien und mit den Worten begrüßte: »Seid willkommen, Herr! Ich sage Euch, dass ich mich schon zu fürchten angefangen hätte, wäret Ihr nicht gekommen! Denkt Euch, ich bin allein in dieser schwierigen Zeit, ganz allein im Hause! Aber die sollen mir es büßen –«
Der Offizier verneigte sich tief vor der Dame, deren augenscheinlich wohlgefällig auf ihm ruhender Blick eine hohe Röte in seine Wangen rief und unterbrach sie lächelnd: »Obwohl ich nicht eine Idee habe, wo ich mich befinde, schließe ich doch eben aus der noch immer nicht erfolgten Rückkehr Eurer Diener, dass dies Haus viel zu entfernt von dem Schlachtrayon liegen müsse, als dass Euch von dorther Ungemach drohen sollte, obwohl ich selbst nichts sehnlicher wünsche, als jene rückkehren zu sehen, sowohl einer Nachricht von dem Ausgange der Schlacht wegen, als besonders, um Eure Güte in Gewährung eines Führers für mich in Anspruch nehmen zu können!«
»Wie, Ihr wolltet noch fort, in dieser Nacht?«
»Ich – ich soll –!«
»Ah! Aber Ihr müsst nicht, Ihr könnt nicht – der Himmel hat Euch mir zum Schutze gesandt, Ihr dürft nicht fort, bis meine Leute kommen! Wir haben diese Tage viel ausgestanden her von den Streifkorps der Piemontesen!«
»Ei, meine Dame ist kaiserlich gesinnt?« fragte mit erhöhtem Anteile der Offizier, sichtlich entfernt, um einen Entschuldigungsgrund mehr für sein Bleiben zu haben.
»Ihr seid fremd hier!« lautete die freundliche Antwort, »sonst wüsstet Ihr, dass Ihr auf der Ca Rizioni bei Albizzano seid, dessen Besitzer seinen Patriotismus mit dem Tode büßte!«
Der Offizier bedachte sich keinen Augenblick, den Patriotismus eines Italieners für etwas anderes als Anhänglichkeit an das Kaiserhaus hinzunehmen und fing an, sich so behaglich hier zu fühlen, dass er die Einladung der Dame, an ihrer Seite Platz zu nehmen, durch die Interduktion seiner Persönlichkeit erwiderte.
»Ich heiße Werner, verehrte Signora, Oberleutnant bei den Jägern und gegenwärtig bei dem Korps am Garda als Adjutant zugeteilt.«
»Und ich Beatrice Vergi und – nicht Chiarina!« entgegnete die Dame mit boshaftem Lächeln.
»Oh, ich bin schon zurückgekommen von meinem Irrtume, obwohl die Ähnlichkeit unglaublich ist, sogar die Stimme, alles – nur seid Ihr jünger –«, und er versenkte seine glühenden Blicke in das Blütenbeet der Reize, die ihm so freundlich lockend entgegen dufteten, er konnte seine Augen nicht losreißen von dem entzückenden Anblickt, der, weit entfernt, in ihm die Erinnerung an versengte Liebesblüten wachzurufen, sein Herz und seine Sinne in denselben wilden Taumel versetzte wie damals, als Bernard ihn mit dem Schilde der Ehre deckte gegen die Versuchung des gefallenen Engels.
»O seht mich nicht so an, mir wird ganz bange –«, rief die Dame, indem sie sich die Hände vor die Augen hielt. – Aber Werner sprang jubelnd auf und erfasste und küsste und drückte die Neidischen an sein pochendes Herz; denn er hatte bemerkt, wie sie schelmisch lächelnd durch die feinen, rosig angehauchten Finger nach ihm blickte – Beatrice wehrte ihn leicht ab, und indem sie den schönen Kopf zurückbog, sagte sie nichts als: »Artig, mein Herr!«
Werner richtete sich etwas verlegen auf und suchte in ihren Blicken das Urteil über seine stürmische Werbung zu lesen – aber Beatrice stand schweigend auf und rückte ein kleines Buffettischchen an das Sofa.
»Ihr werdet einer Erquickung bedürfen, Herr Offizier!« sagte sie endlich ganz ruhig, »verzeiht, dass ich Euch nur mit Wein und Früchten zu bewirten vermag.«
Werner fand sich sehr bald wieder zurecht, umso mehr, als die Freundlichkeit der Dame immer zunahm, je heiterer und natürlicher er sich der Ausbeutung ihrer beiderseitigen, eigentümlichen Situation überließ.
Stunde um Stunde verfloss wie im Träume, es kam niemand – endlich erhob sich Beatrice mit der Frage: »Und gedenkt Ihr morgen frühe aufzubrechen, Herr?«
Werner war wie aus den Wolken gefallen auf dieses rasche, kühle Ende seiner warmen Herzensergüsse; mit einem leisen Anfluge von Bitterkeit sagte er: »Ihr verabschiedet mich, Signora? – ohne, ohne irgendein Angedenken an diese unvergesslichen Stunden?« –
Beatrice sah eine Weile vor sich nieder, dann erhob sie das schöne Haupt, das eine hohe Röte übergoss, als sie leise sprach: »Ich werde Euch sehen, ehe Ihr Ca Rizioni verlasst!« sie verneigte sich leicht, trat an das Fenster zurück, und Werner taumelte in sein Gemach. –
Er entkleidete sich und warf sich auf das blähende Seidenbett – aber er konnte nicht schlafen; er war so glück- und weinselig, dass es ihn nicht in Ruhe litt. Er trat an das Fenster – die Nacht war endlich Herrin geworden über die Dämpfe des Tales und lag in der ganzen Schönheit ihrer südlichen Natur über der Erde. Der blaue Himmel stand voll hellblinkender Sternlein, zwischen denen die silberne Mondscheibe langsam hinschwamm.
Werner öffnete das hohe Fenster und legte die heiße Brust hinaus in die duftige, kühlende Maiennacht, deren linde Lüfte mit süßen Liebesgrüßen an seinen brennenden Schläfen vorüberstrichen.
Horch, hallen da nicht Schritte herauf von dem Gartenzaune her?
Werner hielt den Atem an sich und lauschte; sein Ohr hatte ihn nicht getäuscht – es nahten Schritte, das mussten die Diener des Hauses sein!
Ehe jedoch die Schritte näher kamen, ertönte hinter und bald darauf vor ihnen lauter, hallender Hufschlag, zwei Reiter sprengten dem Hause zu.
Bisher ging alles ganz natürlich zu. Aber ein eigentümlich banges Gefühl bemächtigte sich des Offiziers, als er plötzlich nebenan in dem Gemache ein Fenster klirrend öffnen und zugleich unten die Türe gehen hörte.
Gekommen war noch niemand, – Werner warf einen raschen Blick hinab. Vor dem Hause stand ein großer Mann, in der Tracht der Coloni des Adigetales, augenscheinlich die Ankommenden erwartend.
Also war die Dame doch nicht allein!
Werners bemächtigte sich ein furchtbarer Verdacht: aber nur ein bitteres, leise geflüstertes: »Also abermals – und doch Chiarina!« entrang sich seinen Lippen; dieser Augenblick hatte mit einem Schlage den Offizier wieder zum Mann gemacht und seine Sinne geklärt; sein Verdacht wurde zur Gewissheit, als er den Mann den Reitern entgegeneilen sah und folgendes Gespräch hörte:
»Was gibt's Agostino?«
»Herr, es ist ein Offizier da zu Nacht, ein kaiserlicher!«
»Ein Offizier? – Ein Offizier?«
»Nur einer und – er schläft, er hat getrunken!«
Werner lauschte mit stockenden Pulsen – er hatte keine Zeit, über diese Sottise in Wut zu geraten.
»Gut, gut! Halte die Pferde, Antonio, und Du öffne die kleine Türe!« sagte der Herr, vom Pferde springend, und verschwand hinter dem Hause.
Ein rascher Entschluss blitzte in der Seele Werners auf; er warf sich hastig in seine Uniform, hing den Mantelsack um und verließ mit leisen Tritten, in jeder Hand eine Pistole, das Gemach.
Er schritt über den hellen Gang und die Stiege, ohne auf jemanden zu stoßen; die Haupttüre stand offen, und vor derselben der Mann mit dem ledigen Pferde des Herrn.
Mit der nur den Jägern eigenen Gewandtheit und schnell war er an der Seite des Mannes und setzte ihm die Pistole an die Brust: »Keinen Laut, Mann, sonst bist Du des Todes! Willst Du mit mir nach Verona reiten?«
Der Mann starrte sprachlos seinen vom Himmel gefallenen Angreifer an, endlich nickte er stumm.
Werner war im Augenblick im Sattel und packte seinen gepressten Führer an dem Arme, während er ihm zuraunte: »Hüte Dich! Ein Gedanke an Verrat bringt Dir diese Kugel! Vorwärts im Galopp!«
Der erschreckte Diener brachte kein Wort über die angstbleichen Lippen, bloß einen kurzen, um Verzeihung flehenden Blick warf er zu den offenen, hellen Fenstern empor, hinter deren Vorhängen einige Schatten sichtbar wurden – dann knurrte er ein trotziges »bestia« zwischen den Zähnen, hieb dem Pferde die Sporen in die Flanken und – hallih! Ging es über die Fläche hin in sausendem Galopp
»Dass Kies und Funken stoben
Und Ross und Reiter schnoben!«
Werner war eine beträchtliche Strecke immer geradeaus geritten, ohne dass in seinem Rücken die Stimme irgendeines Verfolgers laut geworden wäre; da wandte er sich endlich an seinen Begleiter mit der Frage: »Wie weit zählt Ihr nach Verona von der Ca aus?«
»Drei halbe Miglien, Herr!«
»Dann müssen wir in einer Stunde dort sein!«
»O, früher, wenn wir so fort reiten! Die Pferde sind gut, die machen den Weg wohl zwölf Mal des Tages ohne zu rasten, das heißt sonst – aber heut' –«
»Nun heute nicht, warum?«
»Das Eure mein' ich, Herr! Es war ja mit in der Schlacht!«
»Bei Gott! Du musst ja wissen – nun, wie ging die Schlacht zu Ende!«
»Ach, Herr, mörderisch, die Unseren sind geschlagen und an den Mincio zurück!«
»Te Deum laudamus!« rief Werner mit erleichtertem Herzen, »jetzt fort, das andere kümmert mich nicht mehr!« und er trieb das edle, schnaubende Tier zu noch größerer Eile an.
Ehe die Sterne zu erbleichen anfingen, traten seinen Blicken bereits die langen, düsteren Facen der Wälle Veronas entgegen.
»Du kannst nun heim, Bursch! Ich brauche Dich nicht mehr, und sage Deinem Herrn und Deiner Donna, ich ließe mich entschuldigen und würde mich seiner Zeit für den Besuch, den sie mir heute zugedacht, gebührend revangieren! Hörst Du?«
»Ach, Herr! Ich gehe nicht mehr hin; er schlüge mich tot, der Herr, erlaubt, dass ich heim zu den Meinen gehe, ich bin ein Veroneser Kind, aus S. Michele!«
»I, meinethalben gehe Du zum Teufel!«
Einen Augenblick darauf hielt Werner mit dem schaumbedeckten Beutepferde an der Porta nuova, abermals dupiert und voll Gewissensbisse.