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»Jusque à la Brenner!« die Toblacher Heide und der Brenner sollen fortan die Grenzmarken Welsch- und Deutschlands tragen!« So schrien die Signori in Mailand, in Bergamo und Brescia und die hüben in Rovereit und Trient sangen als Responsorium darauf: »So soll es sein! So soll es sein!«
Aber Schreien und Singen macht deutsch nicht welsch, und von den Cafés aus ließen sich die alten Grenzpfähle weder verrücken noch neue aufrichten.
Da musste zu andern Maßregeln gegriffen werden: man imitierte die famosen italienischen Zigarrenkrawalle, beschmierte Türen und Mauern mit >Morte ai Tedeschi!< Worauf man wieder zuwartete.
Umsonst! Die Ampezzaner schauten vergeblich hin Tag für Tag, wenn die Trikolore flaggen werde über dem Toblacher See, und dem Brenner fiel's schon gar nicht ein, sein trotziges Haupt zu beugen vor dem Machtanspruche der edlen Signori.
Da ging es denn ans Proklamieren los, und als auch das nichts half, ans Rebellieren, ans wahrhaftige.
Und in Trient war's, wo die Helden zusammentraten zum Schutz und Trutz und heiligen Bunde, und sie sprachen: »Was dulden wir's noch länger, dass man uns nennt die Nation mit dem Fragezeichen? Der deutsche schimpft uns »krautwelsch« und der Lombarde heißt uns »Bastard!« auf, lasst uns brechen mit jenen und fürgehen mit diesen: »Evviva l' Italia!« Und sie bestiegen den Dom, steckten die grünweißrote Fahne darauf und gingen ruhig wieder in die Cafés, um den Mailändern anzuzeigen, dass sie rebelliert hätten und ihnen zu quittieren den »Geist der Zeit«, den jene hinauf gesandt auf Schleichwegen durchs grüne Tal der Adige.
Aber es gibt Menschen, die, ohne eine Idee von der Macht eben jenes Geistes, es wagen, in die rollenden Speichen zu greifen, wenn er einhergeht im windschnellen Fluge! – ein solcher, – offenbar aufgegebener Mensch war der kühne Oberst Zobel, der es wagte und wirklich unternahm, die Filial-Revolution der Tridentiner mit einigen Stutzen und Säbeln aufzuhalten – sogar zu unterdrücken.
Und siehe da, es ging! Denn die Stutzen trugen gar tüchtige Schützen, und die Säbel führten gar trotzige Reiter: hui! – »et dissipati sund in omnes vertus! Und sie zerstoben in alle Winde.
Da sagten die Herren in Mailand: »Wir dachten es gleich und haben uns nichts Besseren versehen von den »Krautwelschen«; aber da das Land unser sein muss, müssen wir die Leute auch mit in den Kauf nehmen! Also ajuto!«
Da ward denn Reveille geschlagen in Mailand, dass es weit hinab klang bis in die Mansarden der Studenten in Pavia und hinan an die dunklen Ufer des Lago di Lugano, »an dessen Gewässern« die verlorenen Kinder aller Länder »saßen und weinten«.
Da strömten sie haufenweise und im ca ira! heran, die Legionen der »Vertilger« durch die Täler von Camonica, Prompia und Sabbia und hinauf zum Tonal und die Giudicaria!
Am 9. April überschritt die Avantgarde der italienischen Freikorps die Grenze Tirols bei Lodrone und drang bis Condino in den Judicarien vor; aber schon tags darauf am 10. ging auch der blaue Stutzenrauch lustig auf den Bergen Tirols in die Höhe; der knatternde Ruf »zu den Waffen« flog zuerst »auf der Ritten« (bei Bozen) auf und fand seinen kräftigen Widerhall im Gredner-, Sarn- und Passeiertal, und echote weiter hinauf über den Jaufen an der Eisak und über den Brenner an den Inn und die Ziller, bis er des weiten Wanderns müde niedersank verklingend in den Föhrenschluchten des Passes Strub.
Aber da gab's eine Not! Um Stutzen und Spielhahnfeder, um Kraut und Lot und um gute Nachbarschaft, denn nach den Tälern muss rangiert werden, anders nicht, wie anno fünf und neun!
Und wie aus dem Grabe wach gerufen durch den Notschrei des teuren Vaterlandes erschien der »feurige Rothbart« – jetzt silberweiß geworden, der Kapuziner Joachim Haspinger, der anno neun der Dritte im Bunde war mit dem Manne »von Sand« (Hofer) und dem »von Rinn« (Spekbacher), trotz seiner achtzig Jahre wieder voran den lustigen Haufen der Landesschützen, den goldenen Ehrendegen an der Seite, den Stutzen auf der Schulter und die große, blinkende Medaille auf der tapferen Tirolerbrust.
Ehe jedoch irgendeine Organisation in das Schützenwesen kam, lag dem Obersten Zobel die ungeheure oder unmögliche Aufgabe ob, mit ungefähr achthundert Mann und drei Geschützen, deren eines aber in Trient gelassen werden musste, mehr als den ganzen Roveredaner Kreis, nämlich den Landstrich von Cles unter dem Sulzberge bis gen Sabionara zu von drei Insurgentenhaufen, zu reinigen, deren Stärke über siebentausend Mann betrug und die unter den Legionskommandanten Manara, Anfossi und Thanberg sämtliche Pässe und Defileen besetzt hielten, die vom Garda- und Idrosee nach Tirol führen: das Tal der Lodrone, das Fort Anfo, die Brücke von Storo, das Tal von Cassaro und die Berge von Fuale.
Bis jetzt hatte sich, außer einem Versuche der Freischaren, von Tione aus über Stenico vorzudringen, nichts von Belang ereignet. Dieser Versuch kam ihnen aber teuer zu stehen.
Es war am 13., als die Kunde nach Trient kam, eine bedeutende Kolonne Insurgenten bedränge die kleine Abteilung Kaiserjäger, die Kastell Dublino besetzt hielt, aufs härteste. Major Burlo rückte eiligst mit einem Detachement dahin, warf den Feind zurück und nahm einundzwanzig Mann gefangen, darunter siebzehn Deserteure vom Regiment Viktor von Este. – Sie wurden sämtlich tags darauf im Schlossgraben von Trient erschossen.
Inzwischen hatte General Welden von dem Marschall Radetzky Ordre erhalten, zum Behufe der Freihaltung der Kommunikation durch Tirol, –der einzigen zwischen Verona und der Monarchie, alle Mittel anzuwenden, weshalb er unverweilt zu einem allgemeinen Angriffe gegen die Insurgenten schritt, der am neunzehnten, und zwar auf drei Punkten zugleich geschehen sollte: eine Kolonne sollte von Bozen aus über die Mendel gegen Fondo und Cles – die andere durch die Rocheta gegen Molveno – und die Hauptkolonne von Trient aus gegen Stenico und Arco angreifend vorrücken. –
Von alledem aber haben die guten Burschen gewiss keine blasse Idee, die heute »sitzen so fröhlich beisammen« im Schatten der frischgrünen Orangenbäume auf der Terrasse des Cafés Riva, an der soeben das Dampfboot hält.
Ist das ein Gewimmel und ein Gedränge, Trepp' auf Trepp' ab, und um die Tische draußen unter den Arkaden und durch die Säle drinnen ein Fragen nach und Bewillkommnen von Bekannten, Freunden, Untergebenen und Vorgesetzten!
Aber nichts Militärisches dabei, obwohl die Mehrzahl dieses Publikums zu den Combatanten der Legionen und Kreuzscharen Neu-Italiens gehört.
Am meisten Ähnlichkeit hat dieser Trubel mit jener Melange von Menschen, die wir in den Zwischenakten großer Spektakelstücke aus dem Mittelalter hinter den Kulissen herumtreiben sehen, um, wenn es an der Zeit ist, »Ritter, Knappen und Volk« zu repräsentieren.
Charakteristisch für das Freischarenwesen jener Zeit ist das Alter, dem die Kontingente angehören, und in dieser Beziehung gibt dies Café den richtigsten und zugleich allgemeinsten Maßstab, da es, seiner Lage und Gelegenheit als Landungsplatz nach, zum Entrepot der Invasion diente.
Die Veteranen unter diesen Zuzüglern sandte, oder besser gesagt, expedierte der Kanton Tessin; meist alte Carbonaros, seit den zwanziger Jahren verbannt von italischem Boden, bärtige, verwitterte Gestalten von grämlichem Aussehen und voll Arroganz als »Märtyrer der Freiheit«. Ihr Andenken lebt noch heute in dem Herzen der Bauern der Gindicaria aufs innigste verwebt mit der Erinnerung an gestohlene Kupferkessel, ermordete Hühner und zerschlagene Weinfässer, in welchem Genre von »Vertilgung« dies Kontingent wahrhaft groß war.
Die Schweiz selbst sandte die ehrenwerten Kämpfer »im besten Alter«, die sich im Sonderbundskriege lieber ergeben als gestorben, was sie ahnungsvoll mit den Worten bezeichneten »sich für eine bessere Zukunft bewahren«.
Auf der dritten Altersstufe standen die neapolitanischen Volontärs unter Thamberg, die radikalsten unter den Radikalen, die das große Werk der Befreiung Italiens systematisch vornahmen von den Alpen herab zum Kap Passaro – ungefähr wie große Esser einen Speisezettel »durchessen« – von der Suppe bis zu den Likören.
Die Jugend sandte die Lombardei – ihre guardia della speranza – die aus den Kollegien und aus den Familienkreisen kampflustig hinauf eilte zu den Höhen des Tonal und Caffaro und hinab zu den Sümpfen des Mantuaner Sees, um hier und dort – freudig zu sterben!
Die meisten Offiziere dieser Korps gehörten zu den Professeurs en barricades, deren Diplom vom Juli 1830 datierte; renommierende, bramarbasierende Burschen, die es sich samt ihren Leuten nach den ersten, durch die Gunst des Augenblickes errungenen Erfolgen ganz wohl sein ließen im »befreiten Tirol«, so ruhig, als schilderten wirklich ihre Wachen bereits unangefochten unter den neuen trikoloren Grenzpfählen am Brenner und dem Bürken-Kamme. –
Als Marco mit seiner Tochter ans Land stieg, hielt er den Capitano zurück, um ihm zuzuflüstern: »Müsst Ihr gleich einrücken?«
Der Freischärler erhob bei dieser Frage den Kopf stolz in die Höhe und rief beleidigt: »Ich – müssen?«
»Nun, ich meine, des Dienstes wegen!«
»Keine Idee! Ich bin disponibel, solange mir's beliebt; meine Kompagnie biwakiert um den Teich von Pastoede – kaum mehr als einen Büchsenschuss von hier!«
»Gut! Dann erwartet mich in zwei Stunden hier unter den Arkaden; ich logiere indes meine Tochter im Hotel al Sole ein, das mir von der Gräfin als ihr Quartier bezeichnet ist!«
»Von der Gräfin?« fragte Mauro erstaunt.
»Ja, ich habe Briefe an sie aus Mailand.«
»Gut denn, ich werde da sein! Adio – divotissimo servo, signorina!«
Chiarina wandte den Kopf auf die entgegengesetzte Seite, als der Freischärler sich ihr näherte. Er biss die Lippen verdrießlich übereinander und stieg langsam die Treppen hinan.
Marco bot seiner Tochter den Arm und schritt dem Hotel zu. –
Als das ernste Paar schweigend unter den Arkaden hinging, tönte von oben herab der Ton einer Mandoline, der dem Gesange junger Burschen folgte, die den Huldinnen Rivas zu Ehren die Stanze Tassos erschallen ließen:
»Amiam, che non ha tregua
Con gli armi … vita che si dilegna:
Amiam che 'l sol si muore, e poi rinasce:
A noi sua breve luce
S'asconde, e'l sonno eternal note adduce!&saquo;
Singt, singt! – morgen ist der neunzehnte!