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G'radaus wie ein Soldat, ist eine banale Phrase geworden, aber gewiss zur Ehre des Soldatenstandes.
Es liegt gewissermaßen in der Natur des Soldaten, nicht lange zu fackeln, wie man sagt, drum nennt er auch alles, wie es ihm gerade recht dünkt und auf die Zunge kommt, er trifft aber dabei den Nagel meist auf den Kopf.
Wenn irgendwo, so hat dies seine volle Anwendung bei der Art und Weise, wie der Soldat den Feldmarschall Grafen Radetzky »traktierte«; den Helden, dessen unsterblichen Namen alle Völker Europas mit wahrer Ehrfurcht nennen, den mit ruhm- und glorreichen Beinamen zu schmücken die ersten poetischen Genies wetteiferten, ihn nannte der Soldat schlechtweg den »Alten« und den »Vater Radetzky«.
Niemand hat den Charakter dieses Helden einfacher und schlichter, aber auch niemand poetischer bezeichnet.
Und der Soldat nannte ihn so, weil er der »Vater« war.
Er lenkte nicht aus weichem Fauteuil die blutigen Schlachten, er schlief nicht auf weichem Flaum, derweil der Soldat auf nasskaltem Boden biwakierte, er war nicht ferne, wo es Not tat, da zu sein, er aß und trank nicht besser als der gemeine Krieger, er war der erste Soldat; darum, und weil der Älteste, war er der Vater.
Und so tief musste auch die Liebe zu ihm wurzeln in den Herzen seiner Krieger, sonst hätte sie nie so viel Unglaubliches erzeugt. –
Der Koch des Marschalls war in der Armee sehr wohl bekannt, sein Name Meister Jean.
Man wusste nicht, ob er je die schneeigen Attribute seines lebenwürzenden Standes getragen, als da sind: weiße, breite Mütze, weiße Jacke und dicto Schürze.
Wenigstens während des Feldzuges sah nie ein sterbliches Auge etwas derartig Luxuriöses an ihm. Er würde sich auch sehr possierlich in dieser Zunfttracht ausgenommen haben, denn er war sehr kurz und sehr dick; »geworden«, wie die Offiziere sagten, die dies der Kürze des feldmarschallischen Speisezettels während des Feldzuges und dem daraus resultierenden Mangel an Berufsbeschäftigung zuschrieben, eine Behauptung, die Meister Jean jedes Mal mit Entrüstung als Verleumdung zurückwies.
Man wusste – nämlich die Umgebung des Marschalls – jedes Mal aus dem Gesichte Meister Jeans die Qualität und Quantität der Gerichte genau anzugeben, die aus seinem Atelier auf die Tafel des »alten Herrn« kamen.
An eine andere Abwechslung war nun freilich nicht zu denken, als dass einmal das Fleisch zähe, ein andermal weich genossen wurde und – toujours perdrix – immer mit Reis.
»Heut' gibt's gutes, weiches Rindfleisch!« sagten die Adjutanten, die nach dem Küchenbarometer zu sehen gesandt wurden, wenn das Antlitz Meister Jeans – eben jener Barometer – leuchtete und seine Mundwinkel nach oben zugezogen waren, welche Grimasse er für »sein Lächeln« ausgab. –
Hörte man durch das jeweilige Laboratorium des Küchenpotentaten ein kurzes, knurriges Husten erschallen, so wusste man, dass es aus dem giftig eingekniffenen Munde Maitre Jeans kam und dass es heute – hartes, trockenes Kuhfleisch zu zermalmen gebe.
Stand aber die dicke, runde Gestalt Jeans vor der Türe des Departements, in dem seine dienstbaren Geister hantierten, mit weithin strahlendem, glänzendem Gesichte und kühn herausfordernder Haltung, so konnte man sich getrost der süßen Hoffnung hingeben, zu Mittag nebst dem Reis, dem italienischen »Nie ohne dieses« noch Knödel oder gar Kalbsbraten aufgetischt zu bekommen, was aber meist nur an Feiertagen und dann eintrat, wenn »Gäste« da waren, unter welchem Ausdrucke man jedoch im Lager nicht die gewöhnliche Tischgesellschaft des Marschalls, aus den Generälen, Adjutanten und diensttuenden Offizieren bestehend, sondern bloß Fremde und Nichtmilitärs begriff.
Das Hauptquartier des Marschalls war in Turano, und er selbst in der Massaria von Camairago abgestiegen.
Es musste schon um Mittag sein, wenn es nicht darüber war, und Meister Jean stand noch immer mit dem »Kalbsbratengesicht« vor der Küchentüre im Entresol der Massaria, das ein süßer, an die Heimat erinnernder Duft durchzog, der sonst aus italischen Culinen nicht weht.
Es waren Gäste angekommen und Jean musterte von dem Altane aus mit kritischem Blicke die fashionale Kutsche, die sie hergebracht. Es war weder ein italienisches Gefährt noch war das mächtig große Wappen an den Wagenschlägen ein Herrn Jean bekanntes, der doch ein bedeutender Heraldiker war, auch waren die beiden Bedienten, die an der Hoftüre lehnten, so ganz absonderlich gekleidet, dass der neugierige Küchendirektor bereits zu erwägen begann, ob er es ohne Kompromiss wagen könne, sich mit den Lakaien einer unbekannten Herrschaft in ein Gespräch einzulassen und sich eben anschickte zu den Bedienten »herabzusteigen«, als diese plötzlich das Tor verließen und vermutlich durch die appetitliche Gestalt des Koches angelockt, sich ihm mit den Worten näherten: »Let us go into the kitchen!«
Jean zog, wie von einer Viper gestochen, den zum Ausschreiten erhobenen Fuß zurück, als diese Laute sein Ohr trafen, und seinen Lippen entfuhr ein unwillkürliches: »Pfui Teufel, Engländer!«
Lord »Feuerbrand« hat es auf dem Gewissen, dass damals England als alliiert mit Sardinien und der Revolution angesehen wurde und demnach in gar schlechtem Geruche bei dem Heere und allem, was österreichisch war, stand. Um wie viel mehr musste Jean, der sich zu den Hausoffizieren des Marschalls rechnete und diese Stellung bei jeder Gelegenheit aufs Eklatanteste vertrat, sich vor einer Kollision mit den »Feinden« seines Herrn hüten.
Er blieb demnach steif auf dem Altane stehen und hüllte sich in ein stolzes, frostiges Aussehen ein, als er die beiden Bedienten auf sich zukommen sah; »England rückt an! Halte Dich Jean!« murmelte er vor sich hin.
»Sir Koch, gibt es noch nichts zu speisen?« fragte der eine der Engländer in einem schrecklichen Deutsch.
Jean fühlte sich durch diese unumwundene Anrede außerordentlich verletzt, und er erwiderte sie mit nichts als mit jener Gebärde, die man »einen groß ansehen« nennt.
Der Lakai trat an ihn und – legte seine Hand auf den Arm Jeans.
Dieser zuckt rasch zurück; ein Engländer hatte ihn berührt. Er sah diese Tat als eine Territorialverletzung an und fuhr schaudernd mit der Hand über die Stelle, die der Lakai berührt hatte, wo also der feindliche Einfall geschehen war, worauf er sich zu der Entgegnung entschloss: »Herr, Sie irren sich!«
Der Engländer sah ihn groß an und sagte: »Wir gehören zu dem englischen Gesandten in Turin, der heute hier diniert!« Er hofft durch diese imponierende Erklärung Herrn Jean zu der Anerkennung jener Rücksichten zu bewegen, die von allen gesitteten Nationen, den »Gliedern« einer Ambassade gegenüber beobachtet werden.
Dem war jedoch nicht also, Jean umgab sich mit noch mehr Frost und fragte äußerst spitz: »Und was will der englische Gesandte hier?«
Der Bediente zuckte mit den Achseln und sagt leichthin: »Frieden machen oder Waffenstillstand schließen?« »Ei, ei!« sagte Jean, ärgerlich lachend: »Was hat denn England da drein zu reden?«
»Oh! England wird wohl – hm!« – der diplomatische Lakai verreit nichts weiter, aber Jean ergänzte, freilich mit etwas geändertem Schluse die Rede desselben und sagt giftig: »England wird wohl daran tun zu warten, bis wir wieder in Mailand sind, dann wird sich ein Wort reden lassen, verstanden?«
Jean erwies sich als ganz »zu Hause« in der damaligen Politik; denn ungefähr dieselbe Antwort, die hier außen der Koch dem Diener gab, gab drinnen im Saale der Massaria Fürst Schwarzenberg, der Delegat des Marschalls dem englischen Gesandten.
Und als dies drinnen geschehen war, hatte auch der Konflikt Österreichs mit England draußen ein Ende, denn es ward zu Tische, folglich Jean zu seinem Amte gerufen. –
Das englische Militär ist eines der aristokratischsten und am wenigsten soldatischen Institute; ein Beispiel wird genügen, dies darzutun: Jeder englische Kavallerist in Indien hat seinen eigenen, von der irregulären Infanterie kommandierten »Wichsier!« – Keine Puissance gewährt dem Soldaten eine so hohe Löhnung wie die britische, seine Kost ist danach im Verhältnisse und demnach eine lukullische im Vergleich mit der Menage anderer Armeen.
Man kann sich also denken, welches Erstaunen und welche Indignation sich des Turiner Gesandten bemächtigen musste, als er an der Tafel des Feldmarschalls Radetzky Plenipotentiairs in Italien an einer Tafel, umgeben von Fürsten, Grafen und Würdenträgern der Armee sich mit verkochtem Reis und horribel zähem Rindfleisch fetiert sah, mit einer Kollation, die jeder Trainsoldat der britischen Armee mit Protest zurückgewiesen hätte, der Lord und Gesandte traktiert!
Und er konnte es nicht einmal als eine feindliche Demonstration aufnehmen, denn der Marschall erzählte ihm lachend dabei, dass er es nicht immer so gut gehabt habe, setzte jedoch, als er das schmerzhafte Gesicht des Lords sah, freundlich hinzu, dass heut' noch etwas Apartes komme: Kälberbraten.
Der edle Lord konnte darauf nicht umhin, die Tafelrunde des Marschalls als »Spartaner« zu erklären, denn er sah mit aristokratischem Schauder, wie rings um ihn alles wirklich aß, und zwar mit einem ihm unbegreiflichen Appetit, besonders als der Braten kam.
»Der Herr wird hungrig aufstehen!«, sagte der »Alte« mit mitleidigem Tone, als er sah, dass sein Gast auch den Braten stolz von sich wies – und der »Herr« stand richtig hungrig auf: denn Lord und Gesandter zu sein, mit einer diplomatischen Mission Fiasko gemacht zu haben und obendrauf mit zähem Fleisch, Reis und Kälberbraten regaliert zu werden, das geht ins Aschgraue.
Daneben aber, in dem an den Saal stoßenden Zimmer, »speisten« die Herren, die »zu dem Gesandten gehörten«, aber natürlich bloß Reis und vielerwähntes zähes Fleisch; und Jean rieb sich gar fröhlich die Hände und lachte gar zufrieden, als er die betressten Burschen sich auf dem Bock schwingen sah, unter den drohenden Brauen einen Blick auf ihn schleudernd, der offenbar den feierlichen Schwur enthielt, diese Verhöhnung alles Völkerrechts an Österreich zu rächen. – »Glückliche Reise!« rief er ihnen nach, »sagt es dem Lord »Feuerbrand«, ihr englischen Windbeutel ihr!« –
Tags darauf hatte der König Lodi verlassen und war nach Mailand gezogen – gegen den Rat seiner Generäle, die diese romantische Idee Carl Alberts mit Energie, aber vergebens bekämpften, denn »als Sohn hielt er sich verpflichtet, die Mutter der italienischen Revolution, und das war Mailand, zu verteidigen.« –
Und am 3. August stand der König mit seinem Heere vor den Toren von Mailand.
Das österreichische Heer brach am 4. morgens von Lodi auf, und zwar in zwei Abteilungen, deren erste über Melegnano, die andere über Salerno und Chiaravalle zog. –
Vier Monate waren verflossen seit jener Nacht, in der Radetzky mit dem Heere das empörte Mailand verließ.
Und wie damals sangen heute wieder die Glocken ihr schaurig heulendes Lied, den Grabgesang der Revolution nicht – der Empörung! Wie damals starrten in den Straßen die Verhaue und Barrikaden, aber sie waren verlassen, und der Mut derer, die sie damals verteidigt, gebrochen.
Wie damals flaggte auch heute noch über der Madonna des Domes die Oriflamme des »freien Italien«, aber sie hing traurig und müde nieder, traurig und müde wie die Kämpfer alle, die geschworen, sie zu tragen bis an die Eiswände der Alpen und sie zu verfechten bis auf den letzten Mann.
Und wie das wiedergekehrt, so war auch er wiedergekommen, wie er es versprach, der alte, kleine Mann mit dem großen Herzen, früher als er selbst gehofft. –
Der König, der seine Wohnung in dem kleinen Gasthofe San Giorgio vor der Porta Romana genommen hatte, saß bleich und von den Fatiguen dieser Tage erschöpft an dem Fenster seines Gemaches und sah düsteren Blickes auf die Schanzarbeiten nieder, die von der aufgebotenen Mailänder Bevölkerung um die Stadt hin gefördert wurden.
Welche bittere Gefühle mussten sein Heiz durchschaudern, wenn er bedachte, welch' kurze Spanne Zeit zwischen heute und dem Tage liege, an dem er unter dem Jubel der gesamten Lombardei, ja ganz Italiens über den Ticino setzte, um eine Krone zu holen.
Und er hatte sie sich geholt – aber eine Dornenkrone! –