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Es war ein wunderschöner, frischer, heller Aprilmorgen – der des 19., als vor dem Kamme der Mendola herab gegen Fondo zu ein ganz eigentümlicher Heerzug herabstieß ins Val di Non.
Zwischen den Föhren und maigrünen Buchen, welche die ins Tal abdachenden Gehänge des Berges umrauschen, tauchte nämlich plötzlich eine Schar mannhafter Tiroler-Schützen auf, alle uniform gekleidet in graue Lodenröcke mit grünen Krägen, ledernen Hosen und Bundschuhen, auf den bärtigen Häuptern graue Hüte mit Gamsbart und Spielhahnfedern, auf den Schultern die sicheren, treuen Stutzen und alle dampfend aus den kurzen Nasenwärmern.
Inmitten des Zuges wehte keck und lustig das alte Grafenbanner der Grenzfeste Deutschlands, im grün- und weißen Felde der rote Adler Tirols.
Das Aussehen der Männer gemahnte an die alte, große Zeit der letzten Kriege, als die Not und Schmach hereinbrach aus dem Frankenlande in die stillen, grünen Täler Rätiens – als aber auch die Posaunenstimme der Treue und Vaterlandsliebe den gewaltigen Ruf zu den Waffen erhob und mit donnerndem Schalle hinfuhr über die granitenen Felsenwände, auf denen sich Mann um Mann erhob, die Büchse in der Hand und den ehrlichen Willen in der Brust fürs Vaterland freudig in den Tod zu gehen.
Und wie die Gemsenwacht, erschreckt von der Klippe springend, oft ein Steinchen rollend macht, das auf dem langen, langen Weg vom Kamme bis ins Tal zur furchtbaren Lawine wird, so schwellte das Wort, der Schlachtruf des Mannes »vom Sand« das kleine Häuflein der Getreuen zum Volkssturme an – und er nahm die Lawine in seine gewaltige Faust und schmetterte sie vernichtend nieder auf den blutigen Weg des fremden Zwingherren.
Und wie damals – obwohl der Mann längst gestorben den Martertod »zu Mantua in Banden« – erhob sich abermals der Ruf »zu den Waffen« auf den Bergen, und wie damals strömten die getreuen Kinder des Alpenlandes frohmutig nieder in die Täler und den Pässen zu, um die heiligen Grenzmarken zu wahren vor Frevlerhänden. –
Fondo, wie alles an diesem Ufer der Noce, war noch gut österreichisch gesinnt. Dafür aber Eles, und von da an das ganze Val di Sole von den enragiertesten Krautwelschen bewohnt.
Es war überhaupt eigentümlich, wie »sporadisch« in Südtirol der Enthusiasmus für Italien auftrat. Während Trient, Roveredo, Ala und Riva sich par excellence als italienische Städte gerierten, was das Landvolk mit wenigen Ausnahmen nicht zu bewegen, für die »glorreiche Sache« Partei zu nehmen. Es fand sich überall nur doktrinäre Revolution. – In einer schroffen Schlucht des Tales vor Fondo machte der Führer der Landesschützen Halt.
»Über Fondo hinaus ziehen wir allein ohnedies nicht, und da wir quasi die Avantgarde der Jäger-Abteilung machen, so erwarten wir sie hier, um zu hören, ob der Hauptmann in einem Ritt bis Eles oder hier rasten will. In letzterem Falle gingen wir bis Romallo«, sagte der Schützen-Kommandant zu seinem Leutnant; »jedenfalls aber mögen ein paar Mann ins Dorf hinauf und fragen, was die da Neues wissen!«
Es ging eine Patrouille nach Fondo und die Schar lagerte sich um die Schlucht, durch deren Rieseln noch immer das trübe Schneewasser sickerte, an freundlichen Primeln und Anemonen vorbei, die hie und da an den moosigen Abhängen standen und aus den Stauden blickten, an denen sich eben erst die duftenden Knospenaugen öffneten.
Es war dies der erste Halt, der von Bozen aus gemacht wurde. Auf dem Wege über die Mendel herüber hatte der Schütz sich mit seinem Nachbar sattsam auszusprechen Gelegenheit gehabt, über alles »Liebes«, was man daheim gelassen, über den zu erwartenden Kampf und das baldige, freudige Wiedersehen, nun, im Kreise um das lodernde Kienfeuer, auf dem prasselnden Lerchenzweige duftend verqualmten, kamen ganz andere Dinge aufs Tapet.
»Singen! Singen vor allem!« rief ein lustiger Bursche, der »Wirtshaus-Sepp von Atzwang«, »wenn ein ehrlich Tirolerkind von Fondo da vorüberkäme, müsst' es ja meinen, wir gehen nach Gries zur Fastenbuß' und nicht den Walischen entgegen. Hurrah! Frischauf, oder ich sing' Euch ein Trutzliedel, das Euch giften soll!«
»Na so tu's! Fang' an, meinst, nur in Atzwang habens ein Maul?« rief ihm einer entgegen.
Der Bursche lächelte, nahm plötzlich eine niedergeschlagene Miene an, faltete die Hände im Schoße und begann in dem näselnden Tone, mit dem Mucker ihre Psalmen leiern:
»Zwar lieber trieb ich Ochs und Kuh
Zur grünen Weide hin,
Und lieber wäre Rast und Ruh
Mein Lohn und mein Gewinn,
Als Krieg – Und Sieg
Und reiche Beut' und Sold.
Doch hilft kein Leid
Und Widerstreit:
»Wenn's Gott gewollt
Ist's rechte Zeit!«
Zur größten Überraschung des Burschen brachte sein Lied eine ganz andere Wirkung hervor, als die er beabsichtig, denn als er zum Schlusse kam, sprangen der Kommandant und die Schützen vom Feuer auf und die Augen gegen Himmel gewandt, die Hände auf die treuen, tapferen Herzen gelegt, stimmten sie alle in den Refrain voll schöner, tiefer Einfalt ein:
»Wenn's Gott gewollt
Ist's rechte Zeit!«
»Ei, Sepp! Das ist kein Trutzlied!« sagte mit gerötetem Gesichte ein alter Schütz, als der letzte Ton verklungen war, »ich war anno Neune auch dabei, und wir hatten's damals nicht anders. Vor dem Marsch ein frommer Sang, vor der Schlacht ein Helfgott! Freilich tat's damals mehr Not als heut', da standen uns gegenüber gar echte, tüchtige Soldaten, nicht wie droben auf Cles und am Tonal maulreißerische Vagabunden, an den Zäunen aller Heerstraßen aufgelesen, aber frommer Mut tut immer gut!«
Der Sepp von Atzwang kraulte sich verdrießlich in dem krausen Haare, als ob es ihn reue, die Leute durch seinen »Witz« in diese salbadernde Stimmung versetzt zu haben, und er rief: »All's recht, alter Ritten-Claus! Aber eine Sünd' wär's doch wohl nicht, wenn wir ein Lustig's auch singen täten?«
»Immer zu, ihr Buben, doch spart es auf zum Marsch durchs Dorf, denn mich dünkt –«, er erhob, zur Ruhe winkend, die Hand –
Richtig! Tramtararam! – erscholl es nieder von dem Jochsteige der Mendola in der lustigen Weise des Jägermarsches, und bald darauf gewahrte man durch die Schläge des Waldanfluges die flatternden Federbüsche und blinkenden Haubajonette der »grauen Teufel«, welchen Namen die Kaiserjäger von den Welschen erhielten in der Bluttaufe des Revolutionskampfes.
»Heraus an den Fluss und rangiert!« rief die Kommandostimme des Schützenführers. –
Als das Detachement der Kaiserjäger aus der Talsohle der Noce gegen Fondo herauf marschierte, zogen die Schützen bereits längs des Bergkammes gegen Romallo zu, und der Morgenwind trug gar hell und lustig das Liedlein ins Tal hinab, das die Schützen sangen:
»Die Feder hab' ich aufgesteckt
Zum Raufen und zum Schlagen,
Und wer den braven Schützen neckt,
Den fass ich bei dem Kragen.«
Und als die Jäger in Fondo einrückten, trug ihnen der Ost auf sanften Schwingen den Wahlspruch und das Ade der Schützen zu, die bereits in der Tiefe des Defilees verschwunden waren:
»Es sei Dir lieb, es sei Dir leid,
Ich muss das Feld behalten!«
Das Val di Sole ist ein enges, von der Noce, deren Quelle aus den Schluchten des Tonals herabkommt, durchströmtes, reizendes Tal; unten hellgrüne Matten, oben dunkler Fichtenwald, darüber hohe Dolomitenwände und groteske Zacken, gegen Ausgang des Tales immer näher an einander gedrängt, bis sie im Hintergrunde sich an die trotzigen Firnen des Tonal lehnen, der das Tal schließt.
Am Fuße des Berges Pizzano war das Hauptquartier der Legionäre.
Wie die Legion hieß, die hier ihre Pläne zur Eroberung oder »Befreiung« Tirols hinter Wein- und Fusel-Kannen ausbrütete, weiß man nicht; wer der Campione war, unter dessen Führung obiges ins Werk gesetzt werden sollte, weiß man nicht; aus welchen Landes »Blüte« die Scharen bestanden, die nun bereits seit 9. April, von Sondrio und über Ponte di Legno heraufgekommen, in diesem armen Gebirgslande sich auf Kosten des Bauern mit edlen Metier des »Zerschlagens von Sklavenketten« und nebstbei mit der Vertilgung sämtlicher Wein-, Speck und Käse-Vorräte befassten, weiß man auch nicht; es ist auch nicht nötig, denn sie hatten alles, was erforderlich war, um unter die Freischaren zu rangieren:
»Schwarze Bärte, Heldengang
Und die Mäntel kühn geschwungen,
Und viel kühner noch die Zungen,
Dolch im Gürtel spitz und lang,
Grimme Kalabreserhüte –«
Es figurierte als Kommandant ein gewisser Scotti. Er besaß ein Dekret des Governo provisorio, das ihm die Verteidigung des Val di Sole auftrug, und nebst dem einen Ferman des Generals en Chef in Tirol, Allemandi, der sämtliche Legionäre abseits des Tonal seinem Befehle unterordnete. Mit Hilfe dieser beiden Dokumente brachte er es dahin, dass ihn sämtliche Posten, vom Blockhause auf dem Tonal bis Pellizano – was nicht sehr weit ist – colonello betitelten; jedenfalls eine wertvolle Errungenschaft, wenn man bedenkt, wie unbändig damals die egualità im Schwunge war. Dieser Mann, resp. Obrist residierte im Wirtshause zu Pizzano.
Gemütlich und ruhig, wie immer seit den zehn Tagen der gloriosen Besitznahme des Nontales, saß er eben mit dem Abbate des Dorfes beim Schachbrette hinter dem Verschlage, der in der Wirtsstube zu Pizzano den »calotto da mangiero« von der Schenke abschied, als plötzlich die Türe aufgerissen wurde und ein Legionär schweißtriefend und atemlos hereinstürzte: »Wo ist der Oberst!«
»Hier nebenan!«
Der Oberst erhob den Kopf, um den Mann mit Würde zu empfangen, dieser aber warf, ohne sich zu irgendeinem Rapport herbeizulassen, einen zerknüllten Zettel auf den Tisch und stürmte wieder hinaus.
Die Wirtin rief dem Burschen nach: »Ho, Cecco, nicht einmal ein Schnäpschen? Wohin so eilig?«
»Eilig! Ha! Da sah ich heut andere anders laufen! Werdet's schon hören, addio!« mit dieser Antwort verschwand der Bursche und rannte, wie die Wirtin sah, die ihm verwundert durch das Fenster nachschaute, dass ihm die Fersen rauchten, über die Straße ins Gebirge, Pejo, seiner Heimat zu.
Die Wirtin trat eben mit dieser Kunde auf der Zunge hinter den Verschlag, als sie den Oberst, den offenen Zettel in der Hand, totenblass hinter dem Tische hervor taumeln sah. »Um Gott! Was ist Euch!« fragten auf- und hinzu springend der Abbate und die Wirtin.
»Da – leset!« stammelte Scotti mit bebender Stimme und wankte zur Türe hinaus.
Der Abbate las:
»Kamerad!
Wir sind verkauft und verraten! Ich bin geschlagen, meine Legion aufgelöst, und ich fürchte die Mannaras ebenfalls. Als ich Cles verließ, zog eine bedeutende Kolonne infanterie gegen Dimaro hinab, das geht Dich an; wenn der Bursche mit diesem Zettel gut zu Fuße ist, kann er einige Stunden vor dem Feinde in Pizzano sein. Mit Gott!
Arcioni.«
»Oh Madonna!« rief der Priester entsetzt und ließ die Hiobspost zu Boden fallen, indem er die Hände über dem Kopfe zusammenschlug: »Arcioni geschlagen! In einigen Stunden – hört Ihr's – in einigen Stunden der Feind da! Oh santa Roza di Pizzano!« Ächzend und den heißen Kopf in die Hände gedrückt, rannte der edle Abbate, in dessen Loyalität die »zehn Tage« ein bedauerliches Loch gerissen hatten, in der Schenke auf und ab, und über die Stufenleiter der italienischen Jammerrufe: O! oh! Oimè! Ohimè! Guai a me poverino! –
Aber draußen gab es erst Spektakel!
Als der unglückliche Oberst aus der Schenke auf den Platz hinausstürzte, auf dem der urälteste Telegraf, »das Gerücht« bereits die ganze Masse flanierender Freischärler versammelt hatte, umdrängte ihn Furcht und Neugier stürmisch mit der einstimmigen Frage: »Che cosa è fatto? Che novità!«
Der Oberst erhob die Augen anklagend gegen den Himmel, als ob dieser treubrüchig an der »guten Sache« und fahnenflüchtig geworden wäre, und rief mit wehmütigem Tone: »Kinder! Erschreckt nicht! Noch ist nichts verloren! An unseren Degenspitzen hängt jetzt das Heil Tirols! Und wir werden es wahren bis auf den letzten Mann! Nicht?«
Man fand es nicht nötig, etwas zu bestätigen, was sich von selbst verstand; abermals erscholl die Frage: »Was ist geschehen? Was gibt's Neues?«
»Arcieni ist geschlagen – Mannara auch – die Österreicher haben Cles genommen und sind hierher im Anmarsche!« –
Jeder Absatz des Berichtes Scottis wurde von einem weit hallenden Schrei des Entsetzens begleitet, aber die heillose Verwirrung ergriff die Freischärler, als es hieß: die Österreicher im Anmarsche!
Nein! Keine Verwirrung; panischer Schrecken war's, der plötzlich aller Zungen lähmte, und darauf seine natürliche Folge – wilde Flucht!
Mit dem heulenden Rufe: >Tedeschi! Tedeschi!< stob der Menschenhauf, der den Obersten umschloss, auseinander und nach allen Seiten hin. Die Täler gegen Pejo und Cortrisello zu wurden zu eng, die Scharen zu fassen, die die Furcht, der mächtige Despot, mit klatschender Geißel vor sich hintrieb in die Schluchten des Sulzberges – ach, es waren gut zwei Drittel jener Mannen, »an deren Degenspitzen jetzt das Heil Tirols hing!«
Der Oberst sah mit stockenden Pulsen und blutendem Herzen seinen schönen Traum, Tirols Heil zu »wahren bis auf den letzten Mann«, zerstäuben wie eine Seifenblase; er selber war der letzte Mann jetzt schon – bis auf einige alte, grimmige Kriegsknechte aus der Schweiz – die hatten nirgendhin oder zu weit zu laufen.
Mit einem tiefen Seufzer und ratlos und verzagt, als wäre er jetzt schon geschlagen, sah er die ehrwürdigen Rudera seiner Legion an; da trat ein bärtiger Geselle davon auf ihn zu und sprach, die Hand sehr respektwidrig auf seine Achsel legend: »Was seht Ihr so finster drein, Herr! Das kann Euch doch nicht überrascht haben. Seid froh, dass die Schurken zum Teufel gingen; so seid Ihr doch der Blamage überhoben, Euch mit ihnen her- und dem Feinde en front stellen zu müssen; sie wären dann doch auch und, weiß Gott, bei dem ersten Schuss auf und davon gelaufen! Ich werde Euch was sagen!«
Der Oberst horchte auf; er fand, dass der Mann nicht Unrecht habe und fing an, die Trauer von sich abzuschütteln.
»Hört!« begann der Schweizer und sah dem Obersten scharf ins Gesicht, »wir – ich meine uns – denn auf den Posten in Pillizano rechne ich nicht, es ist auch lauter gepresstes Gesindel, nichts von Metier – also wir haben zwei Bergkanonen und Munition vollauf. Wenn Ihr mir folgen wollt, so ziehen wir uns an den Tonal zurück, denn dies offene Dorf ist gegen eine Attacke nicht zu halten; auf dem Berge weiß ich die schönsten Batteriestände, mit Schießscharten comme il faut – es hat sie unser Herrgott selber gebaut – die zackigen Dolomitenblöcke mein' ich , die um das Couronement des Tonale hinlaufen –«
»Bei Gott! Du hast recht! Mann, Du hast recht!« rief der Oberst mit freudestrahlenden Augen; »dort nehmen wir Position!«
»Dort nehmen wir Position!« fuhr der Schweizer mit unerschütterlichem Gleichmut fort, »und es müsste der Teufel sein, dass wir unten und die droben auf dem Joche mit ihren weittragenden Büchsen die Österreicher uns nicht vom Leibe halten und wenigstens die Ebene retten und die trikolore Fahne, die droben auf der Kuppe des Tonale weht!«
»Köstlich! O du hast Recht, mein Sohn, Kinder, verlasst mich nur nicht!« rief der Oberst, indem er die derbe Hand des vom Himmel geschneiten Vaubans des Tonale drückte.
»Und noch eins!« fuhr dieser abermals in demselben Tone fort, »das geht Euch an: zu dem, was ich Euch da vorgeschlagen, braucht es Soldaten, ich meine, keine Offiziere, einen Leutnant höchstens; drum werdet Ihr wohl daran tun, als Soldat mit uns zu ziehen und den Wisch, der Euch zum Colonello machte, auf dem Wege irgendwo in die Noce zu werfen – es ist dies ein Titel ohne Mittel, nicht?« Er blickte bei diesen Worten dem legionslosen Obersten mit so unverschämter Miene in das Gesicht, er schaute ihn so per Du an, dass diesem die Zornesröte bis an die Stirne schoss.
Aber der Leidenskelch des unglücklichen Obersten war noch nicht bis zur Hefe geleert!
»Tedeschi, Tedeschi!« riefen die Memmen, die vor einer Stunde hier davon liefen unter den Fittichen des wild flatternden Hasenpaniers – »Tedeschi, Tedeschi!«, rief es jetzt wieder und ebenso angstvoll wie vorher; nur kamen die Stimmen jetzt von Pellizzano herauf.
»Höll' und Teufel! Was ist das?« schrie der Oberst.
»Ihr fragt?« sagte höhnisch lächelnd der grobe Schweizer, »es heißt überall in Euren schwülstigen Proklamen: »Ganz Italien stand auf wie ein Mann!« – ja, da gehört Solidarität dazu, und die wäre ja beim Teufel, wenn es jetzt heißen wird: »Ganz Italien lief davon wie ein Mann!« – Und die drunten in Pallizzano blieben partoutement stehen! Cosi fan tutte, lieber Herr, obgleich das da ein Trauerspiel und keine Oper ist!«
Der Oberst hörte des Schweizers Apologie italienischer Tapferkeit nicht bis zu Ende an; er sprang den Ausreißern in den Weg und verrannte ihnen mit dem Rufe: »Halt ihr Memmen!« den Pass.
Doch wenn in diesem Augenblicke die imposante Gestalt Carlo Albertos in Mitte aller seiner Palladine auf dem Wege aufgetaucht wäre, sie wäre ebenso schnöde zur Seite gestoßen worden wie die des Herrn Obersten Scotti; denn »Furcht und Not, kennt kein Gebot!«
Ohne ihm sogar die mindesten Data mitzuteilen über den heroischen Widerstand, den sie geleistet, über die Toten, die sie »aufgetürmt in des Feindes Reihen und sinken sahen in den eigenen«, über den endlichen, aber ehrenvollen Rückzug
»Als die letzte der Patronen
Aus dem heißen Rohr gefahren –«
fluteten sie über ihn weg und – dahin.
Es waren dies dieselben Leute, die später, als es in Tirol »nichts mehr zu tun« gab, dasselbe Handwerk als »leichte Truppen« in den Ebenen der Lombardei mit so eminenter Virtuosität betrieben, dass selbst ihr Geschichtsschreiber Bava ihnen das ehrenvolle Zeugnis nicht vorenthalten konnte, sie wären »immer und überall mit komischer Konsequenz – davongelaufen«.
Und was hätten die Burschen dem Obersten sagen können? Ehe er sich noch von seinem Erstaunen und seiner Wut erholen konnte, schlug bereits Gewehrfeuer an sein Ohr, und seinem Blicke begegneten in demselben Momente schon die Kolonnen der Österreicher auf der Höhe des Straßenzuges dem Dorfe zu.
»Verflucht, sie sind schon da! Jetzt bringen wir nicht einmal die Kanonen mehr weiter!«, schrie der Schweizer neben ihm.
Der Oberst ermannte sich und rief mit Würde: »So sei es denn Kameraden! Verlassen wir das Dorf, auch Gideon, der Held Manasses, zog, nachdem er sein Heer von den Feiglingen gesichtet, mit einer Handvoll Getreuer aus gen Midian – und mit ihm war der Herr, er siegte!«
Gröber als je fiel ihm der Schweizer in die Rede: »Wen meint Ihr denn unter Gideon? – Will Euch denn der »Oberst« gar nicht aus dem Kopfe? Das sind Flausen!«
Der Oberst biss die Lippen übereinander und schwieg.
Das Schießen und die Avantgarde der Österreicher kamen immer näher; es waren Tiroler Schützen, und zwar gut geschulte, das sah man an den immer lichter werdenden Klumpen der Flüchtigen, die par force gejagt und erlegt wurden.
»Da ist nicht zu spaßen und nichts zu erwarten!« rief der Schweizer, der, wie das so häufig geschieht, seit er zum Ratgeber geworden war, unversehens und vielleicht sogar unbewusst das Kommando des verlorenen Postens am Tonal übernommen hatte; »machen wir uns auf die Strümpfe, Kameraden! Will's Gott, so nehmen wir heute noch Revange für dies Matsch!« –
Will's Gott! – Er wollte es nicht! –
Als die Schützen und gleich nach ihnen das Detachement der Kaiserjäger in Pizzano einrückten, fanden sie das Dorf verlassen und auf dem Ravein ober dem Pfarrhause zwei Bergkanonen, ohne Bedienung natürlich, die den Ankömmlingen gemütlich und friedlich mit offenen Mäulern entgegen schauten. –
»Na, wenn das ein Krieg oder nur ein Feldzug ist, da bitt' ich!« rief der Hauptmann der Tiroler Schützen lachend und steckte seinen Säbel ein. »So was hat man doch sein Lebtag nicht gehört! Wenn das so fortgeht, müssen wir uns ja schämen, heimzukehren und müssen die Welschen um Gotteswillen bitten, doch wenigstens einen von uns totzuschießen!«
Alles lachte und umgab Witze machend die Kanonen, die es wirklich nicht wissen mussten, was für lächerliche Kanonen sie sind, sonst hätten sie sich tief in die Seele hineingeschämt.
»Ja, aber was ist da weiter zu machen, Herr Hauptmann?« fragte der Führer der Tiroler den Detachements-Kommandanten, der mittlerweile auch den »Wahlplatz« betreten hatte: »wenn das so fort geht, essen wir übermorgen in Mailand zu Mittag!«
»Nun warum!«, gab der Jägerhauptmann zur Antwort, »vielleicht haben die guten Leute ihre Elite an dem Tonal konzentriert, gehen wir weiter, wir riskieren ja nichts!«
»Nein, wahrhaftig! Das können wir ohne alles Risiko tun; zudem flattert da droben auf der Kuppe noch das dreifarbige Fähnlein, womit sie natürlich die hüben nicht mehr dupieren können – die wissen es jetzt beiläufig, wie viel es geschlagen hat – aber auch die drüben sollen wissen, was es ist! Also wir attackieren den Tonal?«
»Ohne Weiteres! Marsch!« rief der Jägerhauptmann, und der Zug setzte sich in Bewegung.
Er war aber noch keine hundert Schritte weit, der Quelle der Noce zu gekommen, als in seinem Rücken Trommelschlag und Trompetenton erklang.
Das Detachement hielt lauschend an.
»Ah! Das ist nichts! Das ist purer Neid!« rief der Führer der Schützen mit erheucheltem Ärger. »Das ist der Oberst Melczer von Schwarzenberg! Die sind also in Cles auch schon fertig geworden – vermutlich ebenso en passant wie wir, und jetzt wollen sie unsere Lorbeeren teilen! Na, da wird es Dezimalbrüche geben bei der Division!«
Der Jägerhauptmann sah mit vor dem Auge gehaltener Hand die Straße entlang: »Sie haben recht, Kamerad«, sagte er, »der Oberst führt aber Baaden-Infanterie –«
»Und wäre unser Herrgott ihr Inhaber, das ist gleich! Was brauchen wir sie?« rief der Schützenhauptmann und ergriff die Hand des Detachements-Kommandanten: »Herr Kamerad!« sagte er leise, »ich habe eine Bitte!«
»An mich? Nun!«
»Lassen Sie meine Leute den Tonal nehmen?«
»Ja, und wozu sind denn wir dann da?«
»Herr! Sie sind Soldaten! Wir Vaterlandsverteidiger –«
»Ja, das sind wir doch auch!«
»Gut, alles gut; wir aber im engeren Sinne! Ich stehe Ihnen gut dafür, man lacht uns aus, wenn wir nach Hause kommen, ohne einen Schuss mit dem Feinde gewechselt zu haben! Herr! Lassen Sie uns vorgehen! Ich weiß, es ist vielleicht nur eine Farce – aber gewähren Sie mir die Bitte!«
»Ei, in Gottes Namen! Es ist ja noch nicht aller Tage Abend!«
»Hurrah! Schützen vor! Adieu, Herr Hauptmann, und – bon soir dem Gipfel des Tonal!« –
Die wackeren Tiroler waren kaum auf Schussdistanz an den Tonal gekommen, als Schuss auf Schuss aufblitzte hinter den zackigen Schießscharten des Berges.
Es war nichts zu machen, man sah keinen Feind; die Schützen rückten vor.
Sie kamen an den Fuß des Berges – da hört die Straße auf, und der Saumpfad beginnt – die Kugeln prasselten dichter nieder – aber es war nichts zu machen, man sah keinen Feind.
Da trat der Hauptmann vor die Front der Schützen uns sprach: »Vor allem, borgt mir einer einen Stutzen! – So, Kinder, wir alle können da nicht hinauf – wer geht freiwillig mit mir?«
Ein einstimmiges »Ich« erscholl auf seine Worte, und er konnte ein gerührtes Lächeln nicht unterdrücken dabei, denn die Mehrzahl hatte sich nicht nur mit dem Munde, sondern auch mit leicht emporgereckten Händen gemeldet, wie sie's in der Schule taten, wenn sie etwas eminent wussten! – Männliche Herzen – kindliche Leute!
»Es geht nicht so!« sagte er lächelnd und zählte die fünf ersten Rotten ab. »Ihr geht mit!«
»Und ich! Ich nicht?« rief der, bei dem es gerade abgeschnitten hatte; es war der lustige Sänger, der Wirtssepp von Atzwang.
»Na, meinetwegen! Aber jetzt ist's alle!«
Es waren ihrer siebzehn.
Während dem hatten die blauen Bohnen vom Tonal herab ununterbrochen vor, um und über sie hinweg gepfiffen – sie trafen aber nichts.
Und als die Siebzehn, der Hauptmann mit dem Stutzen voran, die erste Gallerie erklommen, standen die andern noch immer da – Publikum, wie die bereits hinter ihnen angekommenen Kolonnen des Militärs.
Flattre Trikolore! Dein Stündlein hat geschlagen!
Also die Siebzehn – Doch nein! Da lass ich einen anderen reden, der's besser kann als ich, der Sänger des »Soldatenbüchleins«, der
»– nach zog Euch auf Euren Siegeswegen
Geführt von Eurer Taten hellem Glanze,
Ein Saitenspiel zur Hand statt Schwert und Lanze;
Ein greiser Dichter, der den eignen Degen
Längst abgegürtet!« –
Und also singt er von den siebzehn Tirolerschützen:
»Da entgegen treten siebzehn aus den Reihen unverdrossen,
Die ihr Pulver in der Heimat selten noch umsonst verschossen,
Steigen ruhig an den Felsen aufwärts, steigen unbekümmert,
Wie die Bäume neben ihnen auch das welsche Blei zertrümmert.
Und als sie herankommen, wo die Feinde trotzig standen,
Eine lange Schützenkette, und sie eben schussrecht fanden,
Donnerten die siebzehn Büchsen, und das Echo donnert wieder,
Solcher grober Scherz erscheinet unsern Prodi nicht geheuer,
Und es dünkt sie, in Tirol sei doch die Zeche ziemlich teuer.
Und sie eilen, was sie können von den engen Felsenstegen
Wieder nach den weiten Tälern, nach den breitgetret'nen Wegen.«
»Nun, was sagt Ihr da dazu, Herr Oberst in partibus infidelium!« fragte nach diesem Coup der grobe Schweizer droben.
Der Oberst schwieg abermals.
»So will ich Euch's sagen: der Vorhang fällt, das Stück ist aus! Wir gehen!« –
Eine Stunde darauf wehte die Trikolore auf dem Tonale – nicht mehr!
Und am 27. April meldete Welden dem General-Kommando, dass »kein Insurgent sich mehr auf tirolischem Boden befinde«. –