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Lindsay hatte mit Amy schon stundenlang auf dem Verdeck geweilt. Als die Fahrzeuge heute vormittag nach ihrem gestrigen Ankerplatz zurückkehrten, waren die Feinde bereits aufgebrochen. Dennoch war nicht zu trauen, man hütete sich sehr, an das Land zu gehen. Aber man hielt die Kähne bereit.
»Ob sie wirklich fort sind?« fragte Amy besorgt. – »Gewiß!« antwortete ihr Vater. – »Und ob Juarez kommen wird?« – »Sicher, wenn Geierschnabel ihn wirklich gefunden hat.« – »Denkst du, daß sie bei ihm sind?« fragte sie errötend. – »Du meinst Sternau und die anderen?« – »Ja, Papa.« – »Nach allem, was Geierschnabel erzählt hat, sind sie bei Juarez. Ich kann sagen, mein liebes Kind, daß ich mich auf dieses Wiedersehen freue, mehr als das Kind auf das Christfest. Und du, Amy?« – »Ach, Papa!«
Amy schlang die Arme um den Vater und verbarg das Köpfchen an seiner Brust Er ließ sie so an sich geschmiegt stehen. Plötzlich aber schob er sie von sich ab.
»Schau, Kind!« sagte er, nach dem Ufer deutend.
Man sah aus dem Wald Reiter kommen. Unter den Voranreitenden erkannte man sehr leicht einen, der grau gekleidet war, einen grauen Zylinderhut trag und einen aufgespannten Regenschirm in der Hand hielt.
»Das ist Geierschnabel«, sagte der Lord. – »Und wer die anderen, Pa?« fragte sie mit zitternder Stimme.
Lindsay setzte das Glas an die Augen.
»Ich sehe Juarez«, entgegnete er. – »Welcher ist es?« – »Der zur Rechten von uns.« – »Und die anderen?« – »Die lange, breite Gestalt – ah, dieser herrliche Bart, der bis auf den Hals des Pferdes niederfällt, das, ja, das kann nur Sternau sein.« – »Und – der – und der dritte?« – »Welcher sofort an das Wasser reitet?« – »Ja. Mein Gott, er sprengt hinein!«
Amy schlug die Hände zusammen und wurde totenbleich.
»Papa, er muß ertrinken! Der Fluß ist zu breit!« rief sie.
Das Wasser ging dem Reiter bis an die Hüften; vom Pferd war nur der Kopf zu sehen. Amy rang die Hände.
»Hilfe, Papa! Ich kann es nicht sehen!« – »Das Boot los und ihm entgegen!« befahl der Lord.
Einige Augenblicke später schoß das kleine Boot von dem großen hinweg dem kühnen Schwimmer entgegen. Es erreichte ihn in kürzester Zeit, und er schwang sich vom Sattel aus hinein. Das erleichterte Pferd drehte sich sofort, um nach dem Ufer zurückzukehren. Er aber streckte die Hände aus und rief:
»Amy, Amy, ich bin es!«
Sie sank auf die Planken, streckte ihm die Arme entgegen. »Mariano!« hörte er es rufen.
Ja, das war diese liebe, süße Stimme, deren Klang ihm, gleich, als er sie zum ersten Male gehört hatte, so tief zu Herzen gedrungen war.
»Ich komme! Ich komme!« antwortete er.
Das Boot schoß heran. Er flog auf das Deck; er wußte gar nicht, wie er hinaufgekommen war. Sie hatte sich erhoben. Es flimmerte ihr vor den Augen. Sie sah nichts; sie hörte nichts; sie fühlte nur zwei starke Arme, die sich um ihren Leib, und zwei Lippen, die sich auf ihren Mund legten.
Der Lord stand dabei mit Tränen in den Augen. Er gönnte diesen beiden das Glück nach so langem Leid; sie sollten das Wiedersehen allein und ungestört genießen, er sprang in das Boot und befahl leise, ihn an das Ufer zu bringen, wo er die anderen begrüßen wollte.
Die beiden Liebenden hielten sich aneinander gedrückt, als ob sie nimmer wieder voneinander lassen wollten. Ihre Lippen suchten und fanden sich unzählige Male, bis endlich Mariano sich erinnerte, daß er dem Vater der Geliebten gegenüber die Höflichkeit versäume. Er blickte auf.
»Wo ist Papa?« fragte er.
Jetzt erinnerte auch sie sich an die Gegenwart.
»Hier!« antwortete sie, sich nach der Stelle wendend, wo der Lord zuletzt gestanden hatte. »Wo ist er hin?« fragte sie, als sie ihn nicht mehr sah.
»Dort! Dort draußen fährt er!«
Sie blickte nach der angedeuteten Richtung und sah ihn im Boot sitzen.
»Der Gute!« sagte sie. »Er wollte uns das Wiedersehen ...«
Sie hielt inne. Ihre Augen fielen jetzt zum ersten Male mit vollem Bewußtsein auf den Geliebten, und was sie da sah, machte sie verstummen.
War dies der Mariano, den sie früher gekannt hatte? Ja, er war noch derselbe, doch um wieviel anders! Wie stark, kräftig und männlich war er geworden! Welches Selbstbewußtsein glänzte aus seinem Auge, welch eine Hoheit thronte auf seiner Stirn! Sein früher noch jugendlich rosiges Gesicht hatte jetzt eine bleiche, feine Farbe und wurde von einem dichten, prächtigen Bart umrahmt Er war schön, sehr schön, so, wie sie noch gar keinen Mann gesehen hatte, wie sie nicht geglaubt, daß es ein Mann sein könne.
Und sie? Sie stand nicht mehr in der ersten Jugendblüte, aber sie war aus der lieblichen eine blendende Schönheit geworden, voll, üppig und doch so rein und frisch wie ein Rosenblatt im Morgenhauch. Das war eine völlig unberührte Weiblichkeit Er sah es; er sah ihr Auge liebstrahlend auf sich ruhen, sah ihren Busen wogen und ihre Lippen sich halb öffnen wie zum abermaligen Kuß, und da zog er sie wieder ans Herz.
»Amy, mein Leben, meine Seligkeit!« flüsterte er. – »Mariano, mein Einziger, mein Geliebter!« antwortete sie. – »Dieser Augenblick wiegt alles, alles auf!« – »O du Armer, was habe ich anhören müssen, was du erlitten und erduldet hast!«
Und dabei perlten ihr die heißen Tränen über die Wangen.
»Und du, Gute, Treue, Geduldige! Wie wirst du gewartet haben, gehofft und geharrt auf meine Wiederkehr. Und doch konnte ich nicht kommen!« – »Aber du dachtest an mich?« – »Millionen Male! Und du?« – »Mein ganzes Leben war ein einziges großes Gebet für deine Rettung.« – »Gott hat dich erhört, denn Engel beten nie vergebens.« – »Oh, es haben noch andere für dich gebetet, Mariano.« – »Sie alle werden noch glücklich sein. Aber da kommt Papa zurück!«
Als der Lord landete, trat Geierschnabel auf ihn zu.
»Mylord, hier bringe ich Ihren Anzug zurück«, sagte er. »Es wurde gar nichts daran ruiniert, obgleich das ein wahres Wunder ist!« – »Behalten Sie ihn, wenn Sie ihn so gern haben.« – »Danke, Sir! Solche Kleider kann ich nicht gebrauchen. Ich würde mit den Beinen in die Rockärmel und mit den Armen in die Hosenbeine fahren. Meine alten Lumpen sind bequemer. Aber hier ist Señor Sternau.«
Der Genannte stand vor ihm in seiner ganzen Breite und Höhe. Das milde Auge leuchtete in reinster Freude aus dem ernsten Gesicht.
»Mylord!« – »Herr Doktor!«
Mit diesen Rufen öffneten sie beide die Arme und sanken einander ans Herz. Das waren zwei Männer, die ihren gegenseitigen Wert kannten.
»Der Herr segne Ihren Eingang in das neubegonnene Glück, Herr Doktor, und lasse Freude sprießen ohne Zahl aus den erduldeten Leiden!« – »Ich danke Ihnen, Mylord! Es kommt ein Morgen nach jeder Nacht. Ich habe mich nach diesem Morgen gesehnt, wie der reuige Sünder nach dem Trost der Vergebung. Und Gott ist barmherzig gewesen. Aber vergessen wir Señor Juarez nicht, der Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit erheben wird.« – »Oh, ich habe nichts zu tun, als um Verzeihung zu bitten, daß ich gezwungen bin, Zeuge Ihres Wiedersehens zu sein«, erwiderte der Präsident mit mildem Ernst. »Sie gehören jetzt sich, und ich ziehe mich zurück.« – »Nein!« sagte Sternau. »Der Augenblick gebietet über uns. Er ist unser aller Herr und Meister, dem wir gehorchen müssen. Sagen Sie, Mylord, wußten Sie, daß Ihnen Pablo Cortejo gegenüberstand?« – »Ja, Geierschnabel rief es mir zu.« – »Sie haben mit ihm gekämpft?« – »Ob er sich persönlich an dem Kampf beteiligt hat, weiß ich nicht.« – »Sie konnten es nicht erkennen?« – »Es war dunkel.« – »Geierschnabel glaubt, ihn blind gemacht zu haben.« – »Das ist möglich. Ich hörte ihn vor Schmerzen brüllen und sah, daß man ihm das Gesicht mit dem Wasser des Flusses kühlte.« – »In diesem Fall kann er sich nicht mit am Kampf beteiligt haben. Es liegt uns natürlich außerordentlich viel daran, über sein Verbleiben Aufklärung zu erhalten. Wir trafen vor kurzer Zeit auf den Rest seiner Truppe, welche vollständig vernichtet wurde.« – »Ah! Sie haben es verdient. Wo war es?« – »In der Prärie jenseits des Waldes. Der Anführer sagte, Cortejo sei tot, entweder von Ihren Kugeln getroffen oder im Fluß ertrunken. Ist dies wahrscheinlich?« – »Das Wahrscheinlichste ist, daß er von seinen eigenen Leuten ermordet wurde.« – »Was Sie sagen! Sie waren heute noch nicht am Ufer?« – »Nein.« – »So ist noch nicht gesucht worden?« – »Nein.« – »So mögen diese fünfzig Männer das Ufer sorgfältig absuchen. Das Resultat erwarten wir auf dem Dampfer.« – »Ich stelle Ihnen alle meine kleinen Boote zur Verfügung, Herr Doktor, damit diese Leute auch an das jenseitige Ufer gelangen können. Jetzt aber steigen Sie ein, um an Bord zu kommen.«
Als sie das Schiff erreichten, wurden sie von Amy und Mariano erwartet.
»Mein Sohn, mein lieber Sohn!« rief der Lord, indem er den letzteren innig an sein Herz schloß. »Ich hoffe, nun ist alles Leid vorbei. Wir haben später Zeit, über das einzelne zu sprechen.«
Amy streckte Sternau ihre Hände entgegen.
»Willkommen, Herr Doktor, willkommen!« rief sie, indem ihr Gesicht vor Freude und Entzücken strahlte. »Das ist ein heißersehnter Augenblick!« – »Willkommen, Mylady!« erwiderte er. »Ihr Anblick gibt mir Leben und Sonne, denn Sie kommen aus der Heimat.« – »Ja, ich habe sie alle gesehen«, nickte sie. – »Alle?« – »Ja.« – »Meine Mutter und Schwester?« – »Die Herzogin? Ja«, lächelte sie. – »Die Herzogin?« fragt er. »Wen meinen Sie?« – »Wen anders als Ihre Frau Mutter.« – »Mylady, welcher Scherz!«
Amy blickte ihm offen und voll ins Gesicht und antwortete:
»Ich scherze nicht, Señor. Ihre Mutter ist Herzogin.« – »Mein Gott, wie wäre das zu erklären?« – »Dadurch, daß sie jetzt verheiratet ist. Ihr Gemahl ist ein Herzog.« – »Unmöglich!« – »Oh, ich kann Ihnen sogar den Namen sagen. Es ist der Herzog von Olsunna!«
Es wirbelte Sternau vor den Augen. Er faßte, als habe er eine Stütze nötig, unwillkürlich nach dem Deckgeländer.
»Der Herzog von Olsunna?« fragte er wie im Traum. »Wie ist denn das zugegangen? Wie ist das gekommen?« – »Was ich davon weiß, werden Sie gern erfahren.« – »So wohnt meine Mutter in Spanien?« – »O nein, sondern in Deutschland.« – »Wo?« – »Der Herzog hat sich bei Rheinswalden ein Schloß gebaut und es Rodriganda genannt. Da wohnen sie. Aber gibt es nicht noch andere Personen?« – »Oh! Ach! Ja! Verzeihung! Diese Nachricht hat mich mehr ergriffen, als Sie vielleicht denken und ahnen. Sie meinen Rosa, meine einzige Rosita!« – »Ja, Señor.« – »Lebt sie noch? Wo befindet sie sich? Was sagt sie? Hat sie gelitten?« – »Ungeheuer hat sie gelitten, aber Gott hat ihr Kraft gegeben, es zu tragen. Wollen Sie sie im Bild sehen, Señor Sternau?« – »Haben Sie ihr Bild mit? Schnell, o schnell!« – »Kommen Sie!«
Amy zog Sternau nach der Kajüte und zeigte nach der rechten Seite der Wand.
»Hier hängt ihr Bild, vor kurzer Zeit erst nach der Natur aufgenommen. Ich mußte das Bild meiner liebsten Freundin natürlich auch während dieser Reise bei mir haben. Es ist sehr genau getroffen.«
Sternau hörte nicht mehr, was sie sagte. Er stand vor dem Bild der Heißgeliebten mit gefalteten Händen, wie vor einem Madonnenbild. Er wollte ihre Gestalt, ihre Züge mit seinem Auge verschlingen, und doch war dieses Auge von schweren Tränen verschleiert, die demselben immer von neuem entquollen und über die Wangen herniederflossen.
»Rosa, meine Rosita!« rief er schluchzend wie ein Kind. »So hast du vor mir gestanden, tröstend und versöhnend wie ein Seraph, als ich, mit Unglauben, Verzweiflung und Wahnsinn ringend, im fernen Weltmeer auf den Knien lag, nahe daran, mit Gott zu hadern und mein Dasein zu verfluchen. So bist du mir Licht und Erlösung geworden in dunkelster Nacht. Dein Bild hat bei mir gestanden im Schlafen und im Wachen. Ohne dich gab's für mich kein Denken und kein Atmen. Du bist mein Himmel, meine Welt, und über dir kann nur Gott allein stehen.«
Auf das tiefste ergriffen, stand Amy weinend hinter ihm. Sie sah seine Tränen; sie hörte sein Schluchzen; sie sah seine mächtige Gestalt unter der Macht der ihn beherrschenden Gefühle beben. Sie wagte nicht, ein Wort zu sagen. Sie sah sein Auge in stiller Anbetung auf den Augen der Geliebten ruhen, und das war ein Gottesdienst, den sie nicht entheiligen durfte.
Endlich aber drehte er sich zu ihr herum und gab ihr beide Hände.
»Ich danke Ihnen, Miß Amy«, sagte er. »Die Seligkeit dieses Augenblicks würde ich um alle Reichtümer der Welt nicht verkaufen. Es war die allerhöchste Wonne, die Sie mir bieten konnten.«
Sie ließ ein schalkhaftes Lächeln über ihr Gesicht gleiten und erwiderte:
»Oh, vielleicht gibt es für Sie eine Wonne, eine zweite Seligkeit, die ebensogroß ist wie die erste.« – »Das ist unmöglich!« – »Soll ich Sie in Versuchung führen?« – »Es wird ganz umsonst sein, Fräulein«, lächelte er unter Tränen. – »Nun, ich will wenigstens den Versuch machen. Kommen Sie, Herr Doktor.«
Amy nahm Sternau bei der Hand und zog ihn vor ein anderes Bild, das an der gegenüberliegenden Seite der Kajüte hing.
»Wollen Sie einmal diese junge Dame betrachten?« sagte sie.
Sternau warf den Blick auf diese Fotografie und fühlte es dabei wie einen elektrischen Schlag durch seine Seele gehen. Dieses schöne, liebliche Gesichtchen kannte er; aber wo hatte er es gesehen? Hatte es vielleicht bisher als Ideal, als unbewußtes Eigentum, Sein von seinem Sein, in seiner Seele geruht? Es war ihm, als ob sein Herz, sein Fühlen und Denken menschliche Gestalt angenommen und sich in diesem Körper, in diesen engelreinen Zügen, den schönsten, den erhabensten Ausdruck gesucht habe. Seine tiefsten Empfindungen, seine erhabensten Gedanken waren in diesem Köpfchen verkörpert. Er hätte dieses Bild von der Wand reißen mögen, um es tausendmal heiß und innig zu küssen und doch auch wieder ihm eine Verehrung zu zollen, mit der ein Parse vor der Sonne kniet, wenn sie des Morgens sich mit dem herrlichsten und jungfräulichsten ihrer Strahlen kleidet.
»Wer ist das?« fragte er fast tonlos. – »Das ist unser Waldröschen«, antwortete sie. – »Waldröschen? Ein neues Rätsel!« – »Aber ein liebes, süßes Rätsel für Sie, mein lieber Doktor. Ahnen Sie denn nichts? Fühlen Sie denn nichts beim Anblick dieses reizenden Wesens?«
Da verfärbte sich sein Gesicht. Röte und Blässe wechselten miteinander ab. Er streckte seine zitternden Hände Amy entgegen und fragte:
»Was wollen Sie damit sagen, Mylady? Doch nicht, daß – daß ...«
Er stockte vor innerer Erregung.
»Nun – daß ...?« wiederholte sie. – »Waldröschen! Sie heißt also Röschen – Rosa?« – »Ja.« – »Das ist der Name meiner Frau ...« – »Allerdings!« – »Und sie schrieb mir einst – ach vor langen Jahren, daß meinem und ihrem Herzen eine große Freude bereitet sei.« – »Schrieb sie das? Nun ja, diese Freude ist ihr geworden, Señor!« – »In Gestalt dieses entzückenden Wesens?« – »Ja. Waldröschen ist Ihr einziges Kind, Ihre Tochter.« – »Meine Tochter!«
Sternau stand erst eine ganze Weile wie traumverloren da; dann nahm er das Bild von der Wand; es bebte in seinen sonst so starken und jetzt doch zitternden Händen. Und während seine Augen in einem fast überirdischen Glanz auf demselben ruhten, sanken seine Knie mehr und mehr zusammen, bis sie den Teppich berührten und er, ohne es zu wissen und zu wollen, die Stellung eines Betenden angenommen hatte.
»Herr«, hörte Amy ihn flüstern, »ich habe viel erlitten und erduldet, aber einer solchen Gnade bin ich doch nicht wert.«
Jetzt konnte sie nicht länger warten; sie schritt ganz leise zur Tür hinaus, um das Heilige dieses Augenblickes nicht zu entweihen.
Draußen befanden sich die Herren in einem eifrigen Gespräch. Auch hier wollte Amy nicht stören; darum nahm sie auf einem Feldstuhl Platz, der vorn am Bug stand, und von dem aus sie stets so gern das Wellenspiel beobachtet hatte. Nach einer längeren Weile hörte sie Schritte, und eine Hand legte sich leise auf ihre Schulter.
»Miß Amy«, flüsterte Sternaus Stimme. »Hat sie gesprochen, gesprochen von ihrem Vater?« – »Oh, wie oft und mit der größten Liebe und Verehrung.« – »Und ist sie so gut und so rein, wie sie auf dem Bild aussieht?« – »Sie ist es, Señor!« – »Dann hat Gott mich tausendfach gesegnet, und ich darf nun auch der anderen gedenken. Lebt mein alter Hauptmann Rodenstein noch?« – »Ja. Er ist immer noch der Alte.« – »Der Gehilfe Ludwig Straubenberger?« – »Ja.« – »Alimpo mit seiner lieben Elvira?« – »Auch sie leben noch. Aber einen vergessen Sie, Herr Doktor!« – »Wen?« – »Kurt Helmers, Ihren Schüler.« – »Sie haben recht; ich dachte nicht sogleich an ihn. Sein Vater ist übrigens bei mir. Ich hatte den Knaben sehr lieb. Er war sehr begabt. Was ist aus ihm geworden? Ich befürchte, daß nach meinem Fortgehen seine Gaben eine andere Richtung, sich zu entwickeln, erhalten haben, als ich wollte.« – »Welche Richtung war es, die Sie beabsichtigten, Herr Doktor?« – »Er war ganz außerordentlich für den Kriegerstand veranlagt.« – »Nun, dann kann ich Ihnen mitteilen, daß dieser Gedanke festgehalten worden ist. Ich habe Kurt Helmers in Berlin gesehen. Er ist Offizier und hat trotz seiner Jugend sich bereits so ausgezeichnet, daß er das Vertrauen selbst seiner höchsten Vorgesetzten genießt. Ich werde Ihnen in einer ruhigeren Stunde Ausführliches darüber mitteilen.«
Amy sprach diese letzten Worte, weil gerade jetzt der Lord mit Juarez herbeitraten.
»Mylord hat mir den Vorschlag gemacht, nicht zu Pferde zurückzukehren, sondern mit dem Schiff nach dem Sabina zu gehen. Was meinen Sie dazu?« sagte letzterer. – »Es ist bequemer für uns«, antwortete Sternau. – »Aber unsere Pferde?« – »Wir können sie ja den Apachen übergeben, die den Rückweg sofort antreten werden, nachdem sie ihre Forschung nach der Leiche Cortejos beendet haben.« – »Das geht. Aber werden die Apachen den Rückweg sicher finden?«
Sternau konnte sich eines Lächelns nicht enthalten.
»Haben Sie keine Sorge um diese Leute«, antwortete er. »Sie würden sich sogar in der tiefsten Wildnis zurechtfinden, selbst wenn sie dieselbe noch nie betreten hätten. Der Ortssinn dieser Menschen ist geradezu erstaunlich.« – »So wollen wir auch hoffen, daß sie Cortejo entdecken oder wenigstens eine Spur von ihm. Das ist für jetzt von großer Bedeutung.«