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12. Kapitel.

Als Andre drüben in das Gastzimmer trat, befand sich der Wirt noch allein in demselben. Er nickte dem Jäger verständnisinnig zu und fragte:

»Nun, habt Ihr mit ihr gesprochen?«

Der Jäger nahm Platz, nickte mit dem Kopf und antwortete:

»Ja.«

Das war ein sehr einfaches Wort, aber seine Augen glänzten dabei so hell, als spreche er von einem außerordentlichen Glück. »So gesteht mir offen, daß Ihr ein Bote des Präsidenten seid!« – »Nun meinetwegen! Die Señorita hat mir gesagt, daß man sich auf Euch verlassen kann, und so will ich Euch denn nicht länger belügen.« – »Also doch! Juarez hat Euch gesandt?« fragte der Wirt sehr leise, aber mit einem Gesicht, in dem sich die lebhafteste Freude spiegelte. – »Ja.« – »Wo befindet er sich? Noch in Paso del Norte?« – »Nein. Als ich ihn verließ, zog er nach Fort Guadeloupe, um dort die Franzosen zu empfangen, die ausgezogen sind, das Fort zu nehmen.« – »Da haben wir doch richtig vermutet, als wir ahnten, daß dieser Zug abermals gegen das Fort gerichtet sei. Aber wird es Juarez gelingen?« – »Es ist ihm jedenfalls geglückt. Jetzt befindet er sich wieder unterwegs nach Chihuahua.«

Der Wirt sprang vor Freude empor, nahm aber sofort wieder Platz und fragte:

»Nach hier? Ist das wahr, Señor?« – »Ja.« – »Gott sei Lob und Dank! Endlich geht diese Not zu Ende. Wann wird er kommen?« – »Vielleicht morgen oder übermorgen schon.« – »So bald? Señor, Ihr bereitet mir da eine Freude, für die ich Euch gar nicht genug danken kann. Ich werde eine Flasche von meinem Festwein holen.« – »Ich danke Euch; ich habe soeben Wein getrunken.« – »Bei der Señorita? Ah, Ihr sollt nicht sagen, daß ich dem Präsidenten weniger ergeben bin als sie. Ich werde zwei Flaschen holen. Aber hier können wir sie unmöglich trinken. Wollt Ihr wirklich nun hierbleiben?« – »Die Señorita hat mir geraten, ein separates Zimmer zu nehmen.« – »Das ist klug. Da können wir unbeobachtet sprechen und trinken. Leider bleibt Ihr nur bis zum Abend hier. Ich wollte, Eure Zeit erlaubte es, daß...« – »Ich werde länger dableiben«, unterbrach ihn der Kleine. – »Ah, wirklich?« – »Ja; ich habe nach Mitternacht noch eine Unterredung mit der Señorita.« – »Das ist gut. Ich werde Euch bis dahin so gut unterbringen, daß kein Mensch etwas von Eurer Anwesenheit ahnt, mein lieber Señor.« – »Aber mein Pferd...« – »Oh, nach dem wird kein Franzose fragen, und es soll gut abgewartet werden. Wollt Ihr die Güte haben, mir zu folgen? Wir sind gerade jetzt unbeobachtet.«

Es gab über dem Stall eine kleine, ziemlich verborgene Stube, nach der sich die beiden begaben. Der Wirt brachte zwei Flaschen seines Festweines herbei, und so plauderten sie beim Glas, bis die Nachricht kam, daß sich die Gaststube nach und nach mit französischen Gästen füllte.

»Jetzt muß ich leider fort«, meinte der Mexikaner. »Es tut mir herzlich leid, Euch so einsam hier zurücklassen zu müssen.« – »Darüber betrübt Euch ja nicht, Señor«, lachte der Jäger. »Unsereiner weiß sich schon gut zu unterhalten.« – »Aber Ihr habt doch keinen Gesellschafter hier.« – »O doch, und zwar einen höchst guten und anständigen.« – »Wen denn?« – »Na, mich selbst Ich werde mich mit diesem Kerl ganz gut unterhalten. Ich werde nämlich schlafen. Aber ich bitte Euch, dafür zu sorgen, daß ich die Mitternacht nicht verschlafe.« – »Habt keine Sorge; ich werde zur rechten Zeit kommen, um Euch zu wecken.«

Sie trennten sich. – Die Sonne war eben im Untergehen. André blickte zum Fenster hinaus und murmelte:

»Dem heutigen Tag geht es ganz so, wie hier unserer zweiten Flasche, er und sie werden alle. Hinunter mit dem letzten Tropfen! Mir ist ganz eigentümlich zumute, ganz anders als damals, als ich in die Apotheke ging, um mir das Rattengift zu holen. Im Kopf ist es, als ob ich eine Pferdeherde drin hätte, die im Kreis herumgaloppiert, und in den Beinen – oh, die werden immer krümmer und krümmer und immer dümmer und dümmer. Emilia, Señorita Emilia, entweder bin ich verliebt, oder – oder – oder betrunken.«

Er schwankte, nachdem er die Tür verriegelt hatte, zum Lager, das aus Heu bestand, legte sich nieder und war bald entschlafen. Der ungewohnte Wein war rasch Herr des wackeren Jägers geworden, der in einem Zug fort schlief, bis ihn ein Klopfen an der Tür erweckte.

»Señor, Señor!« rief es halblaut draußen.

Der Jäger richtete sich auf. Es war vollständig dunkel um ihn, doch besann er sich augenblicklich, wo er sich befand, erhob sich, schritt zur Tür und fragte:

»Wer ist da?« – »Ich. Macht auf.«

Er erkannte die Stimme des Wirts und öffnete. Der letztere trat ein, eine kleine Laterne in der Hand, und fragte:

»Habt Ihr gut geschlafen, Señor?« – »Ausgezeichnet bis jetzt. Welche Zeit haben wir?« – »Soeben ist Mitternacht vorüber.« – »Sind Eure Gäste fort?« – »Ja. Es hat eine arge Prügelei gegeben, aber das tut nichts. Der Präsident ist in der Nähe, und dann werden wir diese Gäste los. Wollt Ihr mir folgen?« – »Ja. Aber – hm, wollt Ihr nicht vorher so gut sein und mir das Heu von dem Habit putzen? Ihr wißt, wenn man zu einer Dame geht ...« – »Weiß, weiß es, Señor.«

Rasch reinigte der Wirt seinen kleinen Freund von den Halmen und führte ihn dann bis auf die Gasse.

»Drüben ist die Tür geöffnet«, sagte er leise. – »Ob sie bereits daheim sein wird?« – »Ja. Ich habe aufgepaßt. Sie ist vor fünf Minuten zurückgekehrt.« – »So muß ich mich beeilen.« – »Ja, geht. Ich werde in der Gaststube Eure Rückkehr erwarten.«

André schritt über die dunkle Gasse hinüber. Als er in den Flur trat, wurde die Tür sofort hinter ihm geschlossen.

»Wer ist da?« fragte er betroffen. – »Ein Freund«, antwortete es. »Ich bin es, der Hausmeister. Ich mußte Euch erwarten.«

Zu gleicher Zeit wurde ein Zündholz angebrannt und an demselben eine Kerze. Jetzt erkannte André den Alten, der ihn nach oben brachte, wo ihn dieselbe Zofe erwartete, die ihn abermals in das Zimmer führte, wo er bereits gewesen war.

Dort saß Emilia. Sie trug noch den Anzug, in dem sie zur Tertullia gewesen war. Der brave André hatte noch nie eine Dame in solcher Toilette gesehen. Er stand wie geblendet, wie bezaubert vor ihr, die ihm ihre Hand entgegenreichte.

»Da seid Ihr wieder«, sagte sie, »was habt Ihr unterdessen angefangen?« – »Geschlafen«, antwortete er.

Das war ein höchst prosaisches Wort, während es ihm doch so hochpoetisch zumute war. Sie lächelte gütig und meinte mit einem bezaubernden Kopfnicken:

»Daran habt Ihr sehr recht getan, da Ihr die Nacht zum Ritt braucht.« – »So meint Ihr also, daß ich jetzt fortreiten kann?« – »Ja, Ihr müßt sogar.«

Emilia sagte dies in einem so ernsten Ton, daß er sofort fragte:

»Es ist etwas passiert, Señorita?« – »Ja, etwas sehr Schlimmes.« – »Sagt schnell, was? Betrifft es den Präsidenten?« – »Direkt glücklicherweise nicht, sondern die vierzig Gefangenen.« – »Alle Teufel! Will man ihnen an das Leben?« – »Gerade dieses ist es. Ihr habt es erraten. Seht, das ist der einzige Vorteil, den mir meine Schönheit bringt. Man kann mir nicht widerstehen, wenn ich etwas erfahren will. So habe ich heute gehört, daß dieser Oberst Laramel der Überbringer eines Befehls ist, daß jeder Republikaner als Bandit zu behandeln sei und sofort erschossen werden soll, nachdem man seiner habhaft geworden ist.« – »Wer hat ihn gegeben?« – »Das Generalkommando, also Bazaine. Er ist heute dem Kommandanten überbracht worden, und übermorgen, kurz vor Tagesanbruch, werden infolgedessen vierzig Familienväter von Chihuahua ermordet werden.«

Der kleine, aber sonst kühne Mann war bleich geworden.

»Mein Gott, wer kann, wer soll das verantworten!« rief er. – »Das geht uns nichts an. Für uns ist vielmehr die Frage, wie wir es verhüten können. Von morgen vormittag an werden die Verurteilten heimlich, ohne daß es ein Bewohner der Stadt oder einer ihrer Angehörigen ahnt, zum Tode vorbereitet. Nachts zwei Uhr werden sie dann in aller Stille vor die Stadt geführt und erschossen. Kann Juarez bis dahin eingetroffen sein?« – »Ja, möglich ist es.« – »Ob aber wahrscheinlich?« – »Señorita, ich werde sofort reiten und ihm alles mitteilen.« – »Sollte er nicht am Rendezvous eingetroffen sein, so reitet Ihr ihm entgegen.« – »Ja.« – »Gut. Ich werde warten bis nächste Mitternacht. Habe ich bis dahin noch keine Nachricht von dem Präsidenten, so werde ich die Armen auf andere Weise zu retten suchen.« – »Wie wollt Ihr dies anfangen?« – »Ich werde in aller Eile ihre Verwandten und alle treuen Anhänger des Präsidenten aufsuchen. Wir haben zwei Stunden Zeit. Dies genügt, um so viele bewaffnete Männer zusammenzubringen, als nötig sind, die Exekutionstruppe zu bewältigen.« – »Wie stark ist diese?« – »Nur eine Kompanie. Aber alle in Chihuahua anwesenden Offiziere sind dabei. Sie wollen freiwillige Zeugen dieses Exempels sein, das statuiert wird.« – »Wenn Juarez nicht eintreffen kann, wäre es da nicht besser, Ihr suchtet diese Hilfe zusammenzubringen?« – »Ich muß so lange wie möglich warten, ehe ich die Bürger in offene Empörung und Blutvergießen stürze. Juarez kann ja noch im letzten Moment kommen.« – »Ihr habt recht. Ich werde sofort aufbrechen.« – »Tut dies, Señor, und denkt daran, daß das Leben von vierzig Männern an Eurer Zuverlässigkeit hängt Bedürft Ihr vielleicht etwas?« – »Nein, ich danke, Señorita. Darf der Wirt wissen, um was es sich handelt?« – »Nein. Er ist treu, aber diese Angelegenheit ist zu wichtig.« – »Ich werde meine Pflicht tun. Verlaßt Euch auf mich.«

Emilia streckte André zum Abschied die Hand entgegen und sah ihm mit einem eigentümlichen Blick in das wetterharte, aber aufrichtige Gesicht.

»Ihr sagtet mir heute, daß Ihr für mich durch das Feuer gehen könntet. Ist dies wahr, Señor?« fragte sie. – »Ja.« – »Nun, so geht einmal für mich, wenn auch nicht durch das Feuer, sondern durch Bäche und Flüsse, über Berg und Tal, um Juarez herbeizuschaffen. Ich kann es Euch, der Ihr so anspruchslos seid, nicht lohnen – ah, und doch. Bringt Ihr mir rechtzeitig Hilfe zur Stelle, so werde ich Euch den Dienst bezahlen.« – »Señorita«, erwiderte er eifrig, »ich würde jede Bezahlung zurückweisen.« – »Oh, diejenige, die ich im Sinn habe, vielleicht nicht. Oder dennoch?« – »Was meint Ihr?« – »Bringt Ihr Juarez zur rechten Zeit, so gebe ich Euch hier in diesem Zimmer drei Küsse, so herzlich, so innig, als ob ich Eure Braut wäre.«

Da leuchteten seine Augen auf, und über seine ehrlichen, angenehmen Züge verbreitete sich ein freudiges Glänzen.

»Ist dies wahr, Señorita?« fragte er schnell. – »Ja. Ich gebe Euch mein Wort, und das werde ich halten.« – »So werde ich mir die Küsse holen, selbst wenn Juarez in Kalifornien wäre. Hilfe wird geschafft. Also spätestens bis Mitternacht?« – »Bis Mitternacht«, nickte sie. – »Gut! Adios, Señorita!«

Ehe Emilia antworten konnte, war André zur Tür hinaus, stürzte draußen an der Zofe vorüber und flog förmlich die Treppe hinunter.

»Schnell, um Gottes willen schnell!« rief er dabei dem Hausmeister zu, der herbeikam, um die Tür zu öffnen.

In gleicher Eile ging es über die Straße hinüber und in das Gastzimmer der Venta, wo der Wirt noch ganz allein bei der trüben Flamme eines Talglichtes saß.

»Nun?« fragte er. »Bleibt Ihr da?« – »Nein.« – »Ihr geht fort?« – »Ja, und zwar augenblicklich.« – »Habt Ihr noch etwas Neues erfahren?« – »Nur wenig. Wurde mein Pferd gefüttert und gehörig getränkt?« fragte André in fliegender Hast. – »Natürlich«, antwortete der Wirt. »Aber was habt Ihr? Ihr seid ja ganz aufgeregt und ganz und gar außer Atem.« – »Ich muß fort, schnell, schnell. Mein Pferd!«

Damit riß er dem Wirt das Licht aus der Hand und eilte mit demselben nach dem Hof.

»Wo ist das Pferd?« fragte er. – »Im Stall«, antwortete der nacheilende Mexikaner.

André sprang nach dem Stall.

»Um der Heiligen Jungfrau willen, Ihr werdet mir den Stall anzünden«, rief der Wirt. – »Schadet nichts! Er mag wegbrennen. Wenn ich nur mein Pferd habe.«

Er setzte das Licht nieder. Im Nu war der Gaul gesattelt und gezäumt und vor die Tür in den Hof gezogen.

»Was für ein Teufel ist denn in Euch gefahren, Señor?« fragte der Wirt verwundert. – »Der Reitteufel. Weshalb, das werdet Ihr später erfahren. Hier ist die Zeche.«

André griff in die Tasche und zog den Beutel.

»Unsinn«, meinte der Mexikaner. »Ich werde von Euch nichts nehmen.« – »Ah! Da!«

Bei diesem Wort drückte André dem Wirt etwas in die Hand und gab dem Pferd die Sporen, daß es hoch aufbäumte und dann über den Hof und zum Tor hinaus auf die Straße schoß. Als der nachspringende Wirt an das Tor kam, verklangen die Hufschläge des Pferdes bereits in der nächsten Straße.

»Was war das?« murmelte er. »Hatte dieser Mann Eile. Er kann sich und dem Pferd in dieser Dunkelheit den Schädel einrennen. Da muß etwas ganz Neues und Besonderes passiert sein.«

Jetzt hielt er die Hand an das Licht.

»O Santa Madonna – ein Nugget, so groß wie eine Haselnuß. Das ist unter Brüdern zwanzig Duros wert. Der Mann hat Gold. Gott behüte ihn heute nacht, daß er nicht den Hals bricht und die Beine dazu.«


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