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25. Kapitel.

Das kleine Fahrzeug glitt schnell durch die Flut und erreichte in kurzer Zeit das Ufer.

Der scheinbar verunglückte Mexikaner hatte diesen Augenblick mit größter Ungeduld erwartet. Seine Augen funkelten mordlustig, und er murmelte:

»Ah, endlich. Aber diese Engländer sind doch verflucht alberne Kerle. Sogar hier im Urwald können sie ihre Mucken nicht lassen; der Spleen bringt sie noch alle um den Verstand. Teufel! Hat der Kerl eine lange Nase!«

Geierschnabel stieg an das Ufer und kam, während seine beiden Ruderer im Boot zurückblieben, langsam auf den an der Erde Liegenden zugeschritten. Er hatte den Bootsleuten befohlen, sofort zu fliehen, wenn sich etwas Feindseliges zeigen sollte. Er verzichtete also in diesem Fall von vornherein darauf, sich in das Boot und mit demselben zu retten.

Der Kranke tat, als ob er sich nur mit Mühe auf den Ellbogen erheben könne.

»O Señor, welche Schmerzen habe ich zu leiden!« stöhnte er.

Geierschnabel ließ den Klemmer bis vor auf die Nasenspitze rutschen, betrachtete sich den Mann mit einem sehr schiefen Blick, stieß ihn mit dem Ende seines Regenschirms leise an und sagte in schnarrendem Ton:

»Schmerzen? Where? Tut weh?« – »Natürlich!« – »Ah! Miserabel! Sehr miserabel! Wie heißt?« – »Ich?« – »Yes.« – »Frederico.« – »Was bist?« – »Vaquero.« – »Bote von Juarez?« – »Ja.« – »Welche Botschaft?«

Der Mexikaner zog ein Gesicht und stöhnte, als ob er die fürchterlichsten Qualen zu ertragen habe. Dies gab Geierschnabel Zeit, die Umgebung zu mustern.

Es gab keine auffälligen Spuren in der Nähe, und auch am Rand des Waldes war nichts Verdächtiges zu bemerken. Endlich antwortete der Mann:

»Sind Sie denn auch Lord Lindsay?« – »Ich bin Lindsay. Was hast du zu sagen?« – »Juarez ist bereits unterwegs. Er läßt Sie bitten, an dieser Stelle anzulegen und ihn hier zu erwarten.« – »Ah! Wonderful! Wo ist er?« – »Er kommt den Fluß herab.« – »Wo aufgebrochen?« – »In El Paso del Norte vor zwei Wochen. In kürzerer Zeit kann die Fahrt nicht gemacht werden.« – »Schön! Gut! Werde aber doch weiterfahren. Kommt Juarez auf dem Fluß herab, werde ich ihn treffen. Gute Nacht.«

Er drehte sich gravitätisch um und tat, als wolle er sich wieder an das Ufer zurückbegeben. Da aber schnellte der Mann plötzlich empor und umschlang ihn von hinten.

»Bleiben Sie, Mylord, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« rief er.

Geierschnabel hätte wohl Kraft und Gewandtheit genug besessen, sich dieses Menschen zu erwehren; aber er zog ein anderes Verhalten vor. Er blieb ganz steif stehen, als ob der Schreck ihn gelähmt hätte, und rief:

»Zounds! Zum Henker, was ist das?« – »Sie sind mein Gefangener!« antwortete der Mann.

Da sperrte der Engländer den Mund eine Weile auf und fragte:

»Ah! Täuschung! Nicht krank?« – »Nein«, lachte der Mexikaner. – »Nicht mit dem Pferd gestürzt?« – »Nein.« – »Spitzbube! Warum?« – »Um Sie zu fangen, Mylord!«

Er warf dabei einen höchst verächtlichen Blick auf den Engländer, der so verblüfft und feig war, gar nicht an Gegenwehr zu denken.

»Warum fangen?« fragte Geierschnabel. – »Ihrer schönen Ladung wegen, die sich dort in den Booten befindet.« – »Meine Leute werden mich befreien!« – »Oh, glauben Sie das nicht. Dort sehen Sie, daß Ihre beiden Ruderer bereits die Flucht ergreifen. Und da, blicken Sie sich um.«

Die Bootsleute hatten sich, wie ihnen ja geheißen worden war, sofort zurückgezogen, als sie bemerkten, daß Geierschnabel sich freiwillig überrumpeln ließ. Und als dieser sich jetzt umdrehte, sah er eine Schar Reiter aus dem Wald hervorbrechen. In zwei Sekunden war er von ihnen umzingelt.

Er machte ein höchst erstauntes Gesicht und nestelte in größer Verlegenheit an seinem Regenschirm herum. Die Reiter sprangen alle von den Pferden. Cortejo näherte sich dem Gefangenen, machte aber, als er demselben gegenüberstand, ein höchst enttäuschtes Gesicht.

»Wer sind Sie?« fragte er den Engländer barsch. – »Oh, wer sind Sie?« fragte dieser in einer sehr steifen Haltung. – »Ich frage, wer Sie sind!« gebot Cortejo streng. – »Und ich, wer Sie sind!« antwortete Geierschnabel. »Ich bin ein Englishman, hochfeine Bildung, exquisite Familie, antworte erst nach Ihnen.« – »Nun gut! Mein Name ist Cortejo.«

Der Engländer machte ein höchst verwundertes Gesicht was aber bei ihm keine Verstellung war, und fragte:

»Cortejo? Ah, Pablo?« – »So heiße ich«, sagte der Gefragte in stolzem Ton. – »Thunderstorm! Das ist einzig!«

Auch dieser Ausruf kam aus einem sehr aufrichtigen Herzen. Er war auf das höchste überrascht, Cortejo hier zu sehen, und freute sich zu gleicher Zeit darüber. Denn er sagte sich, welche Genugtuung Juarez empfinden werde, diesen Mann in seine Hände zu bekommen.

»Einzig, nicht wahr?« lachte Cortejo. »Das habt Ihr nicht erwartet. Aber nun sagt mir auch, wer Ihr seid, Señor.« – »Ich heiße Lindsay«, antwortete der Gefragte. – »Lindsay? Ah, das ist eine Lüge!« – »Wer wagt das zu sagen?« – »Ich; ich kenne Lord Lindsay sehr gut. Ihr seid es nicht!«

Geierschnabel erschrak, doch faßte er sich schnell. Einen Mann wie ihn konnte so etwas nicht aus der Fassung bringen. Er spitzte den Mund, spritzte einen langen, dünnen Strahl von Tabakssaft hart an der Nase Cortejos vorbei und antwortete kaltblütig:

»Nein, das bin ich nicht.«

Cortejo war mit dem Kopf zurückgefahren. Er sagte in zornigem Ton:

»Nehmt Euch in acht, wenn Ihr ausspuckt, Señor.« – »Tue es auch. Treffe nur, wen ich will«, antwortete der andere ruhig. – »Nun, so hoffe ich, daß nicht ich es bin, den Ihr treffen wollt.« – »Kann ich dennoch machen.« – »Das will ich mir sehr verbitten. Also Ihr seid Lord Henry Lindsay nicht?« – »Nein.« – »Aber warum gab Ihr Euch für Lindsay aus?« – »Weil ich es bin.«

Geierschnabel brachte mit seiner Ruhe Cortejo doch einigermaßen aus der Fassung. Er rief:

»Zum Teufel, wie habe ich das zu verstehen? Ihr seid es nicht und seid es doch?«

Geierschnabel fragte, ohne eine Miene zu verziehen:

»Einmal in Altengland gewesen?« – »Nein.« – »Ah, dann kein Wunder, daß nicht wissen. Lord nur ältester Sohn, spätere Söhne nicht Lord.« – »So sind Sie der spätere Sohn eines Lindsay?« – »Yes.« – »Wie ist Ihr Vorname?« – »Sir David Lindsay.« – »Hm; ist es so? Aber Sie sehen Ihrem Bruder ganz und gar nicht ähnlich.«

Geierschnabel spuckte hart am Gesicht des Sprechers vorüber und antwortete:

»Nonsens, Unsinn!« – »Wollen Sie dies leugnen?« – »Yes!« nickte er. – »Sie leugnen, Ihrem Bruder nicht ähnlich zu sehen?« – »Leugne dies allerdings sehr.« – »Inwiefern? Warum?« – »Pah! Haben unrecht. Nicht ich bin Bruder unähnlich, sondern er sieht nicht aus wie ich.«

Cortejo fand zunächst zu dieser Art von Auffassung gar keine Antwort. Er wäre am allerliebsten mit einer Grobheit herausgeplatzt, aber die Sicherheit und Furchtlosigkeit des Engländers imponierten ihm. Er sagte daher nach einer kurzen Pause:

»Aber ich erwarte doch Ihren Bruder.« – »Lord Henry?« – »Ja.« – »Warum ihn erwarten?« – »Ich erfuhr, daß er es sei, der die Ladung begleiten werde.« – »Irrung; ich bin es!« – »Miß Amy sollte bei ihm sein.« – »War bei ihm.« – »Wer ist die Dame, die man von hier aus auf dem Verdeck sieht?« – »Eben Miß Amy.« – »Aber wo ist ihr Vater?« – »Bereits bei Juarez.« – »Ah! Also ist er bereits voran! Wo befindet sich Juarez?« – »Weiß nur, daß er in El Paso del Norte ist.« – »Und wie weit soll Ihre Ladung gehen?« – »Bis Fort Guadeloupe.«

Da ging ein höhnisches, siegesgewisses Lächeln über das Gesicht Cortejos.

»So weit wird sie allerdings wohl nicht kommen.« – »Wie weit sonst?« – »Sie werden sie nur bis hierher bringen. Sie werden hier landen und mir alles übergeben.«

Der Engländer warf einen Blick im Kreis herum. Dieser Blick schien außerordentlich gleichgültig, fast geistesabwesend zu sein, und dennoch besaß er eine verborgene Schärfe, mit der der Jäger sämtliche Pferde musterte. In diesem Augenblick wußte er bereits, welches Tieres er sich bemächtigen werde.

»Ihnen übergeben?« fragte er dann. »Warum Ihnen?« – »Weil ich alles sehr notwendig brauche, was Sie bei sich führen.« – »Ah, sehr notwendig? Kann aber leider nichts verkaufen. Gar nichts.« – »Oh, Señor, um das Verkaufen handelt es sich gar nicht. Ich werde vielmehr die ganze Ladung mitsamt den Dampfern und Booten geschenkt erhalten.« – »Geschenkt? Ich verschenke nichts.« – »O doch, denn ich werde Sie dazu zwingen!« – »Zwingen?« fragte der Engländer mit der gleichgültigsten Miene.

Dabei zuckte er die Achseln, spitzte den Mund und spritzte einen gewaltigen Strahl von Tabaksbrühe so kunstgerecht aus, daß dieser Saft den oberen Teil von Cortejos Hut traf und dann von der breiten Krempe desselben herabtropfte.

»Donnerwetter!« rief der Getroffene. »Was fällt Ihnen ein! Wißt Ihr, was das für eine Beleidigung ist?« – »Gehen Sie weg!« sagte Geierschnabel ruhig. »Bin Englishman. Gentleman kann spucken, wohin will. Wer nicht will sein getroffen, kann ausweichen.« – »Ah! Diese Mode werden wir Ihnen abgewöhnen! Sie haben jetzt zu erklären, daß Sie die Ladung mir übergeben wollen!« – »Tue es nicht.« – »Ich zwinge Sie! Sie sind mein Gefangener!« – »Pschtsichchchchchch!« fuhr Cortejo ein neuer Strahl gerade an der Nase vorüber. Geierschnabel aber nestelte abermals an seinem Regenschirm herum und sagte:

»Gefangen? Weiß gar nichts davon!« – »So sage ich es Ihnen hiermit.« – »Ah! Interessant! Sehr interessant! Habe längst einmal gefangen sein wollen!« – »Nun, dann ist Ihr Wunsch ja in Erfüllung gegangen. Sie haben jetzt Ihren Leuten zu befehlen, daß sie nicht weiterfahren.« – »Gut! Werde es tun!«

Der Jäger sagte dies in einem Ton, als sei er ganz und gar mit dem Mexikaner einverstanden. Er nahm den Regenschirm unter den Arm, legte die beiden Hände an den Mund und rief so laut, daß man es sehr deutlich auf dem Dampfer verstehen konnte, über das Wasser hinüber:

»Hier halten bleiben! Pablo Cortejo ist es!«

Der Genannte faßte ihn am Arm und riß ihn zurück.

»Alle Teufel! Was fällt Ihnen ein! Wozu brauchen diese Leute denn zu wissen, wer ich bin?« – »Warum haben Sie es mir denn gesagt?« fragte der Engländer höchst gleichmütig. – »Doch nicht, damit Sie es weiterbrüllen. Übrigens meinte ich nicht bloß, daß die Boote hier halten sollen. Ich meine vielmehr, sie sollen hier anlegen, um ausgeladen zu werden.«

Der Engländer schüttelte langsam den Kopf und erwiderte im treuherzigsten Ton:

»Das werden sie nicht tun; ich verbiete es ihnen.« – »Das werden wir Ihnen zu wehren wissen! Wie viele Leute haben Sie bei sich?« – »Weiß nicht!« – »Das werden Sie doch wissen.« – »Vergesse zuweilen etwas. Fällt mir später wieder ein.« – »Nun, wir werden es ja leicht erfahren. Jetzt befehlen Sie, daß die Dampfer anlegen.« – »Fällt mir nicht ein!«

Da legte Cortejo Geierschnabel die Hand auf die Schulter und sagte in drohendem Ton:

»Señor Lindsay, die Boote müssen am Ufer liegen, noch bevor es dunkel wird. Wenn Sie den betreffenden Befehl nicht sofort erteilen, werde ich Sie zu zwingen wissen!« – »Zwingen? Ah! Womit?«

Geierschnabel hatte den Regenschirm noch immer unter dem Arm und steckte jetzt die beiden Hände gleichmütig in die Hosentaschen. Es sah aus, als ob er ganz und gar keinen Begriff von der Gefährlichkeit seiner Lage habe, so unbefangen war seine Miene.

»Mit Hieben!« antwortete Cortejo. – »Hiebe? Was heißt das?« – »Ich lasse Ihnen fünfzig Hiebe aufzählen!« – »Fünfzig? Nur?« – »Señor, Sie sind verrückt!« – »Well! Sie aber auch!« – »Wenn Ihnen fünfzig zu wenig sind, so lasse ich Sie, um Ihnen einen Gefallen zu tun, so lange prügeln, bis Sie den betreffenden Befehl geben.«

Geierschnabel zog beide Achseln empor und machte ein ganz unbeschreiblich verächtliches Gesicht.

»Prügeln? Mich, einen Englishman?« fragte er. – »Ja. Sie mögen tausendmal ein Englishman und zehnmal der Sohn und Bruder eines Lords sein, ich werde Sie dennoch peitschen lassen, wenn Sie nicht sofort gehorchen!« – »Versuchen Sie es!« – »Absteigen!« kommandierte der Mexikaner.

Er sah nicht, was für ein Blick jetzt aus dem Auge des vermeintlichen Engländers zu einer prachtvollen Rotschimmelstute hinüberglitt, deren Reiter eben aus dem Sattel stieg. Er sah auch nicht, daß der Engländer die Hände schon halb aus den Taschen zog und in jeder einen Revolver hatte. Er drohte demselben vielmehr:

»Sie werden jetzt vor meinen Augen geschlagen werden wie ein gewöhnlicher Wasserträger, wenn Sie nicht sofort gehorchen.« – »Dies ist Ihr Ernst?« fragte Geierschnabel. – »Natürlich!« – »Ah! Sie drohen wirklich einem Englishman?« – »Wie Sie sehen.« – »Und wollen mich wirklich vor Ihren Augen schlagen lassen?« – »Ja, vor meinen Augen.« – »Nun, wir wollen sehen, ob Ihre Augen das wirklich erleben werden.«

Nach diesen letzten Worten folgte eine Szene, die sich gar nicht beschreiben läßt.

Geierschnabel hatte im Nu den Regenschirm zwischen die Zähne genommen. Es fiel diesem kühnen Mann nicht ein, selbst bei der Gefahr, der er sich preisgab, den Schirm zu opfern. Im nächsten Augenblick hatte er seine beiden Revolver gezogen und stieß die Läufe derselben mit aller Gewalt in die Augen Cortejos. Gleich darauf erfolgten in rasender Aufeinanderfolge seine Schüsse, und ein jeder derselben warf einen Mann zu Boden.

Cortejo lag an der Erde und konnte nicht sehen. Er stampfte mit Händen und Füßen um sich herum und brüllte wie ein Jaguar. Seine Leute waren eine Minute lang ganz fassungslos. Einen so plötzlichen Angriff hatte man diesem spleenbehafteten Engländer unmöglich zutrauen können. Aber diese an und für sich so kurze Zeit genügte für diesen vollständig.

Als er den letzten Schuß seiner Revolver abgegeben hatte, stieß er den lautschrillenden Schrei des Geiers aus. Im nächsten Moment bereits ertönte der zweite Schrei, denn Geierschnabel saß auf dem Rotschimmel. Er drückte demselben die Fersen in die Weichen, und die Stute flog dem Wald entgegen. Am Rand desselben drehte er sich noch einmal um, und als er bemerkte, daß die Mexikaner noch immer ganz starr am Platz hielten, ahmte er zum dritten Mal den Ruf des Raubvogels nach. Dann war er zwischen den säulenartigen Baumstämmen verschwunden.

Erst jetzt rafften sich die Mexikaner auf.

»Ihm nach! Ihm nach!« brüllten sie.


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