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20. Kapitel.

Juarez führte die Befreiten nach dem Wachtlokal, wo die Mexikaner mit Flinten und Seitengewehren versehen wurden. Die dort postierten Indianer erhielten den Auftrag, die von ihnen bewachten Franzosen nach dem Gewölbe zu schaffen, und dann begab sich Juarez mit Sternau und den Mexikanern nach oben zurück, wo sich die Offiziere befanden.

Dort konnten die Eintretenden einen Ausruf des Entsetzens nicht unterdrücken, als sie den Oberst an der Decke hängen sahen. Sein Todeskampf war vorüber. Er hing steif und ohne zu zucken an dem Lasso.

»Hier, Señores, sehen Sie den Beginn des Gerichtes, das ich halten werde«, sagte Juarez. »Dieser tote Franzose ist unser erbittertster Feind gewesen; er trug den größten Teil der Schuld daran, daß Sie erschossen werden sollten. Dennoch war ich bereit, ihm und diesen anderen das Leben zu schenken; sie waren aber so verblendet, meine Forderung, die Stadt zu verlassen, nicht anzunehmen, und so habe ich ihn hängen lassen, um ihnen zu zeigen, daß ich nicht gesonnen bin, Scherz mit ihnen zu treiben.«

Trotz des schauderhaften Anblicks, den der Gehängte bot, ließen sich doch nur Ausdrücke der Befriedigung hören.

»Diese anderen«, fuhr Juarez fort, »werden in kurzer Zeit ertränkt werden, und zwar in derselben Krümmung des Flusses, an der Sie erschossen werden sollten. Diesen Akt der Gerechtigkeit bin ich denen schuldig, die unter den Händen der französischen Mörder sich verblutet haben, und ebenso allen, die sich noch in der Gefahr befinden, für gemeine Banditen ausgegeben zu werden, weil sie von dem uns allen angeborenen Recht Gebrauch machen, sich zu wehren, wenn man ihnen ihren heimatlichen Herd zerstören und ihr wohlerworbenes Eigentum gewaltsam rauben will.«

Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf alle Anwesenden. Sternau sagte:

»Sie nennen die gefangenen Offiziere verblendet, Señor? Es ist mehr als Verblendung; es ist Wahnsinn, sich gegen uns zu sträuben. Wir haben das Hauptquartier in unserer Gewalt, wir haben die Stadt besetzt. Was haben die zwei Hände voll Franzosen zu bedeuten gegen unsere fünfhundert Apachen, von denen jeder mehrere Franzosen spielend auf sich nimmt, wie wir bewiesen haben. Rechnen wir noch dazu unsere weißen Jäger und Waldläufer, ebenso die guten Bürger der Stadt, die nur unseres Rufes warten, um die Waffen zu ergreifen, so ist ein Widerstand unklug. Hier stehen dreißig Bürger, und wie schwer ein Jäger wiegt, das haben die Herren Franzosen an dem Schwarzen Gerard bemerkt.«

Diese Worte, die Sternau nicht zwecklos ausgesprochen hatte, verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Kommandant deutete durch sein Mienenspiel und eine Bewegung seines Körpers an, daß er sprechen wolle.

Auf einen Wink des Präsidenten nahm ihm ein Indianer den Knebel ab.

»Was wollen Sie sagen?« fragte ihn Juarez. – »Werden Sie Ihre Drohung, uns zu ertränken, wirklich ausführen?«

Auf diese Frage zuckte Juarez mitleidig die Achsel.

»Wenn Sie jetzt noch daran zweifeln«, antwortete er, »so bin ich berechtigt, ebenso zu zweifeln, nämlich an der Gesundheit Ihres Verstandes.« – »Bedenken Sie, welche Verantwortung Sie auf sich laden.«

Da ging die Geduld des Präsidenten zu Ende.

»Schweigen Sie!« rief er mit donnernder Stimme. »Sie haben mein Land überfallen und mein Volk ermordet. Wer kann hier von Schuld und Verantwortung reden, ich oder Sie?«

Diese Worte ließen den Kommandanten einsehen, daß er von einer Fortsetzung seines bisherigen Verhaltens ganz und gar nichts zu erwarten habe. Er sagte:

»Würden Sie den uns gemachten Vorschlag aufrecht halten?« – »Ich gab Ihnen zehn Minuten Zeit und Sie ließen diese Frist verstreichen, ohne sie zu benutzen. Die Folgen kommen über Sie!«

Jetzt sah der Offizier den schimpflichen Tod unabweislich vor Augen. Dies brach den letzten Rest seines Selbstvertrauens.

»Und wenn ich Sie nun bäte, nicht um meinet-, sondern um der Soldaten willen, die sterben sollen?«

Juarez zögerte mit der Antwort. Dann wandte er sich an Sternau:

»Was meinen Sie dazu, Señor?« – »Meine Ansicht ist«, antwortete der Gefragte, »daß Verzeihung christlicher ist als Rache. Doch berühren diese Verhältnisse mich am wenigsten.« – »Ich will dennoch Ihre Ansicht gelten lassen«, erwiderte Juarez.

Und sich zu dem Kommandanten wendend, fuhr er in ernstem Ton fort:

»Sie hören, daß ich mich zur Milde stimmen lasse; aber ich rate Ihnen, mir nicht ferner zu widersprechen; Sie würden dann unbedingt dem angedrohten Schicksal verfallen. Also Sie übergeben mir Chihuahua?« – »Ja.« – »Ohne den Versuch zu machen, Ihre Untergebenen zum Widerstand zu bewegen?« – »Ja.« – »Sie übergeben mir Ihre Waffen und alle Kriegsvorräte, die sich in Ihrem Gewahrsam befinden?« – »Ja.« – »Sie verlassen die Provinz und ziehen sich in Eilmärschen durch die Presidios Durango Guanaxuato direkt nach Mexiko zurück?« – »Ja.« – »Sie versprechen, nie wieder gegen mich zu kämpfen? Unter diesem Sie verstehe ich nämlich nicht nur Ihre Person, sondern alle französischen Truppen, die sich gegenwärtig in Chihuahua befinden.« – »Ich verspreche es.« – »Wir stellen über diese Punkte ein Dokument aus, und Sie verbürgen die exakte Erfüllung derselben schriftlich mit Ihrem Ehrenwort, wobei auch alle übrigen Offiziere ihre Unterschrift geben?« – »Ja.« – »Sie treten endlich meinen Befehlen in Beziehung auf die Entwaffnung Ihrer Truppen in keiner Weise entgegen?« – »Nein. Doch hoffe ich, daß dabei jede Gewalttätigkeit vermieden wird.« – »Tragen Sie keine Sorge! Bisher sind nur die Franzosen gewalttätig gewesen, und ich mag diesen traurigen Ruhm nicht auf mich laden. Aber da fällt mir eins noch ein. Die Dame, die ich bei Ihnen traf, befindet sich in meiner Gewalt. Sie haben dieselbe als Spionin benutzt?«

Der Gefragte schwieg verlegen.

»Ihr Schweigen ist mir die deutlichste Antwort. Sie hat als Spionin den Tod des Stranges verdient; aber es bringt mir keinen Ruhm, ein verführtes Frauenzimmer getötet zu haben. Doch darf ich sie auch nicht in meinem Bereich dulden.« – »Darf ich eine Bitte aussprechen?« – »Reden Sie!« – »Ich ersuche Sie für diese Dame um die Erlaubnis, sich uns anschließen zu dürfen.« – »Wohin wollen Sie sie bringen?« – »Ich nehme sie mit nach Mexiko.« – »Hm! Und unterwegs werden Sie sie irgendwo stationieren, damit sie von neuem gegen mich agitieren kann?« – »Das werde ich nicht tun. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Mademoiselle Emilia nur in der Hauptstadt entlassen werde.« – »Nun gut, ich will auf Ihren Vorschlag eingehen. Erklären Sie sich bereit, bereits am Morgen Chihuahua zu verlassen?« – »Ja.« – »So werde ich Ihnen und Ihren Kameraden jetzt die Fesseln abnehmen lassen. Dieser Laramel soll das einzige Opfer sein, das Ihrem Eigensinn gebracht worden ist. Das Dokument wird sofort ausgefertigt.«

Auf seinen Befehl nahmen die Apachen den Offizieren die Fesseln und Knebel ab. Papier war vorhanden, und so wurde augenblicklich zur Aufsetzung der Kapitulation geschritten. Als dieselbe unterzeichnet war, sandte Juarez Indianer ab, um alle Mannschaften, die die Ausgänge der Stadt besetzt hielten, herbeizuholen. Sie nahmen vor dem Stadthaus Aufstellung.

Jetzt mußte der Kommandant die Reveille trommeln lassen, und in kurzer Zeit befanden sich die französischen Soldaten mit ihren Ausrüstungsgegenständen auf dem Weg zum Hauptquartier. Da sie zu so ungewöhnlicher Zeit geweckt wurden, so war ein jeder überzeugt, daß dies nur infolge eines ganz ungewöhnlichen Ereignisses geschehen sein konnte.

»Sollen sie sich auf dem Platz in Front aufstellen?« fragte der Oberst. – »Nein«, antwortete Juarez. »Es ist dunkle Nacht, der man nicht trauen darf. Postieren Sie zwei Ihrer Offiziere an den Eingang. Diese Señores mögen jeden Soldaten, sobald er sich einstellt, hinauf in den Saal kommandieren, den ich sogleich erleuchten lassen werde.«

Das geschah, und unterdessen schickte Juarez den kleinen Jäger, der sich natürlich auch mit eingefunden hatte, zu dem Wirt der Venta, um ihn rufen zu lassen.

Er kam sofort und erhielt den Auftrag, diejenigen Personen, die er als zuverlässige Männer notiert hatte, herbeizurufen.

Der Saal war groß genug, um sämtliches französisches Militär zu fassen. Diese Leute staunten nicht wenig, als sie sahen, um was es sich handelte. Man merkte es ihnen an, daß sie nur mit Widerstreben ihre Waffen auslieferten. Bei der Zahl der anwesenden Indianer aber wagten sie keinen offenen Widerstand, sondern verarbeiteten ihren Zorn im Innern.

Unterdessen befand sich, da Sternau die Entwaffnung leitete, Juarez bei Señorita Emilia, um derselben seine Instruktionen für Mexiko zu geben.

Es ist nicht nötig, dieselben hier auszuführen, da sie sich ja ganz von selbst aus den später folgenden Ereignissen ergeben werden.

Die Einwohner der Stadt waren natürlich von dem Schlag der Trommeln erwacht. Sie ahnten irgendein für sie unheilvolles Ereignis, und die Mutigen von ihnen wagten es, sich, wenn auch mit Scheu, dem Stadthaus zu nahem. Vor demselben war es jetzt ziemlich hell geworden. Das Licht, das aus den erleuchteten Fenstern strahlte, fiel auf die Gruppe der Indianer und Jäger, die unten postiert standen. In vorsichtiger Entfernung von ihnen fanden sich jene Leute zusammen, um die Situation zu beobachten.

Da trennte sich eine Gestalt von der Masse der Indianer und kam auf die Leute zugeschritten. Es war Mariano. Als er bei ihnen war, sagte er:

»Sie möchten gern wissen, was hier vorgeht, Señores?« – »Ja«, antworteten einige Stimmen.

Mariano schilderte ihnen nun die ganzen Vorgänge, und eine überaus freudige Stimmung bemächtigte sich des Volkes.

»Hoch Juarez! Hurra die Republik! Eilt fort, ihr Leute, um es allen zu sagen, die es noch nicht wissen. Eilt! Und wer ein guter Republikaner ist, der hole seine Waffen und stelle sich dem Präsidenten zur Verfügung. Es gilt, gegen die Feinde der Republik zu kämpfen!« – »Hoch, Juarez!« erscholl es da von aller Lippen. »Hurra die Republik!«

Die Sendung des Wirtes der Venta wäre gar nicht nötig gewesen, denn als der Morgen graute, standen in der Nähe des Stadthauses und in den angrenzenden Straßen fast an die tausend Mann, die alle bereit waren, sich als Kämpfer für die Sache der Republik dem Präsidenten zur Verfügung zu stellen.

Um kein Aufsehen zu erregen, ritt durch ein Nebengäßchen eine kleine Truppe dem südlichen Tor zu. In ihrer Mitte befand sich eine verschleierte Dame. Es war Emilia, die auf diese Weise die Stadt verlassen mußte, um von den Anhängern der Republik nicht verkannt und von den Franzosen nicht nachteilig beurteilt zu werden. Sie mußte vermeiden, von beiden Seiten als Verräterin betrachtet zu werden.

Kurze Zeit später zogen auch die Franzosen zu demselben Tor hinaus, ihre Offiziere an der Spitze. Es war dies ein nicht leichter Weg für sie, denn hüben und drüben hatten sich die Mexikaner in langen Reihen aufgestellt, um dieses Schauspiel mit triumphierenden Blicken zu betrachten.

Von manchem Mund erscholl ein Fluch oder eine Verwünschung, doch kam es zu keiner Tätlichkeit.

Somit war der Anfang gemacht und die nördliche Grenze des Landes von den Feinden gesäubert. Der berühmte Siegeszug des Zapoteken hatte jetzt begonnen.

In demjenigen mexikanischen Blatt der Hauptstadt aber, das unter französischem Einfluß stand, konnte man einige Zeit später folgendes lesen:

*

»Zur Vermeidung von böswilliger Entstellung der Tatsachen wird hiermit veröffentlicht, daß strategische Rücksichten den Oberstkommandierenden veranlaßt haben, Chihuahua und Coahuila nach und nach zu räumen. Diese Provinzen sind zwar ein Teil des Kaiserreiches, doch herrscht dort ungestörte Ruhe und Ordnung, und die Bewohner sind dem Thron so treu ergeben, daß man sich leicht entschließen konnte, die dort stationierten Truppen dahin zu ziehen, wo eine kräftige, militärische Hilfe notwendiger gebraucht wird.«

*

Coahuila war nämlich auch nach kurzer Zeit in die Hände des Präsidenten Juarez gefallen.

Dieser dachte jetzt natürlich an Lord Henry Lindsay, mit dem er ja am Sabinafluß zusammentreffen wollte.

Die Schar seiner Treuen war auf mehrere tausend gewachsen, daher tat er seiner Sache keinen Schaden, indem er zweihundert Reiter zu seiner Begleitung beorderte. Es schloß sich ihm Sternau mit allen seinen Freunden an, während eine bedeutende Anzahl von Hirten beauftragt wurde, mit Ochsenwagen nachzufolgen, auf denen alle von Lindsay zu erwartenden Requisiten verladen und nach der Stadt gebracht werden sollten.

Der, welcher sich am meisten nach der Zusammenkunft mit dem Engländer sehnte, war natürlich Mariano. Die Geliebte war ihm so lange Zeit treu geblieben, sie befand sich jetzt an der Seite ihres Vaters. Er sollte sie wiedersehen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Entzücken und mit einer Unruhe, die ihn antrieb, den Ritt auf jede Weise zu beschleunigen.


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