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Während die meisten Mexikaner wieder auf ihre Pferde sprangen, blieben einige bei Cortejo zurück, um ihm den nötigen Beistand zu leisten.
»Meine Augen, meine Augen!« brüllte er.
Er sah allerdings schrecklich aus. Beide Augenhöhlen waren blutig gestoßen.
»Zum Wasser, zum Wasser!« brüllte er. »Kühlung! Kühlung!«
Die Leute erfaßten ihn und zogen ihn zum Fluß, um den Verletzten mit dem Wasser desselben Linderung der furchtbaren Schmerzen zu verschaffen.
Später stellte sich die Wirkung des kalten Wassers ein. Das Wimmern ließ nach, und nachdem die Augen mit einem nassen Tuch verbunden waren, fühlte sich Cortejo imstande, hier und da ein Wort in das Gespräch zu mischen, das seine Untergebenen in seiner Nähe führten.
Die Verfolger Geierschnabels waren nämlich sehr bald wieder zurückgekehrt. Sie sagten, daß sie nicht vermocht hätten, die Spur des Entflohenen aufzufinden. Die Wahrheit jedoch war, daß ihnen die Boote mit ihrem reichen Inhalt mehr am Herzen lagen als der verrückte Engländer, der doch außer seinen beiden Revolvern nichts bei sich getragen hatte, was sie für ihre Mühe hätte entschädigen können.
Nur den Besitzer der Rotschimmelstute ärgerte es, daß er um sein Pferd gekommen war. Doch war Ersatz vorhanden. Geierschnabel hatte mit seinen zwölf blitzschnell abgeschossenen Revolverkugeln sechs Männer getötet, fünf schwer und einen leicht verwundet. Die Pferde dieser sechs waren jetzt zu haben, und der Mann suchte das beste davon für sich aus.
Mit den sechs toten Mexikanern wurde wenig Federlesens gemacht. Man warf sie ganz einfach in den Strom. Aber die Verwundeten waren im höchsten Grade hinderlich. Es fragte sich, was mit ihnen anzufangen sei.
»Ich wüßte wohl einen Ort, wo sie Unterkunft finden könnten«, sagte der Führer. – »Wo?« fragte Cortejo, dessen Schmerzen sich gelindert hatten. – »Zunächst muß man berechnen, daß sie hier auf diesem Ufer nicht sicher sein würden. Drüben aber habe ich einen alten Bekannten, der etwa drei englische Meilen von hier am linken Ufer eine Blockhütte hat. Dort sind sie sicher und können ihre Heilung abwarten.« – »Ah, könnte ich mit?« rief Cortejo. – »Wer verbietet Ihnen das?« – »Kann ich denn hier fort?« – »Warum nicht? Sie können hier nichts sehen und auch nichts nützen.« – »Vielleicht bessert sich das eine Auge diese Nacht.« – »Möglich. Aber dennoch ist es besser, Sie pflegen sich, Señor. Lassen Sie Ihre Befehle hier. Wir werden sie genau befolgen.« – »Nein. Ich bleibe.«
Der Führer zog sich nach diesem Versuch zurück. Der Abend war hereingebrochen, und man brannte ein Feuer an. Er saß an demselben, in tiefes Nachdenken versunken. Später erhob er sich und winkte einigen seiner Kameraden, die die hervorragendsten zu sein schienen, ihm zu folgen, was diese sofort taten.
»Was willst du?« fragte ihn einer. – »Ich habe da einen außerordentlich guten Gedanken«, sagte er. »Davon braucht aber dieser Cortejo nichts zu wissen.« – »Aber wir sollen ihn erfahren?« – »Ja, ihr.« – »So rede.« – »Sagt mir zunächst, was ihr von diesem Cortejo in Wahrheit haltet.«
Sie schwiegen, unentschlossen, ob sie die Wahrheit sagen sollten. Endlich antwortete einer:
»Sage zunächst, was du von ihm hältst.« – »Nun, ich denke, daß er ein Schafskopf ist.« – »Ah! Das hast du dir ja gar nicht merken lassen.« – »Dann wäre ich ein großer Esel gewesen.« – »Wenn du es jetzt eingestehst, ist es keine Eselei mehr?« – »Nein. Habt ihr denn jemals geglaubt, daß dieser Cortejo wirklich Präsident werden könne?« – »O nein.« – »Also. Dazu ist er ja viel zu dumm. Der Panther des Südens hat sich mit ihm verbunden, um ihn auszunützen. Können wir es nicht ebenso machen?« –»Wie meinst du das?« – »Ich meine, können wir die Boote da drüben nicht für uns nehmen?« – »Ohne Cortejo?« – »Ohne ihn!« – »Alle Teufel, das wäre allerdings ein außerordentlicher Fang.« – »Nun. Was sagt ihr zu diesem meinen Gedanken?« – »Prachtvoll!« – »Ja, prachtvoll!« wiederholten die anderen. – »Und leicht auszuführen«, meinte der Führer. – »Mir scheint es nicht so. Was wird Cortejo dazu sagen?« – »Kein Wort, denn wir werden ihn gar nicht fragen.« – »Aber er wird es merken.« – »Er wird es auch nicht merken. Wenn ich nur wüßte, ob ihr die Kerle seid, mit denen man aufrichtig reden darf.« – »Das sind wir. Rede nur getrost.« – »Nun gut. Glaubt ihr wohl, daß ein Hahn danach krähen würde, wenn Cortejo plötzlich verschwände?« – »Ja, seine Anhänger.« – »Das sind ja eben wir.« – »Seine Tochter.« – »Was geht uns die Tochter an! Er ist blind und weiß nicht, was mit ihm geschieht. Ein rascher, sicherer Stoß, und die Sache ist abgemacht.« – »Ein Mord? Brr!« – »Unsinn! Es ist schon mancher gestorben. Denkt einmal, was sich alles auf den Booten befindet.« – »Man sagt, einige tausend Gewehre. Die kosten sehr viel Geld.« – »Man redet sogar von Kanonen.« – »Das ist nichts. Ich weiß sogar von Cortejo selbst, daß sich auch Hilfsgelder aus England dort befinden. Es sind viele Millionen.« – »Donnerwetter!« – »Ja. Wollen wir dieses Geld Cortejo lassen, damit er es mit seiner wahnsinnigen Idee, Präsident zu werden, zum Fenster hinauswirft?« – »Weißt du das gewiß von dem Geld?« – »Ganz gewiß. Die Spione des Panthers haben es auskundschaftet.« – »Dann wären wir fürchterliche Toren, ihm das Geld zu lassen.« – »Wir nehmen es für uns. Seid ihr einverstanden?« – »Ja«, antworteten die anderen. – »Cortejo muß auf die Seite. Wenn es Millionen zu teilen gibt, dann gibt es keine großen Bedenken. Die Hauptsache ist, daß wir im stillen vorarbeiten. Wir mischen uns unter die Kerle und horchen sie aus, ehe wir mit unseren Absichten herausrücken.« – »Aber Cortejo war unser Anführer, er hat nie geknausert und sehr oft die Augen zugedrückt. Hat er uns nicht erst kürzlich die Hacienda del Erina plündern lassen? Ich möchte doch nicht, daß er getötet würde. Wir könnten uns ja auf andere Weise seiner entledigen. Wir bauen zum Beispiel ein kleines Floß und setzen ihn darauf. Er kann den Strom hinabschwimmen, bis man ihn findet.« – »Das wäre allerdings ein Ausweg. Ich denke, daß dieser Vorschlag nicht schlecht ist. Was meint ihr anderen dazu?«
Die Gefragten waren einverstanden. Nach einer nur sehr kurzen Beratung wurde beschlossen, Cortejo auf einem Floß auszusetzen. Einer fügte hinzu:
»Was tun wir mit den Verwundeten? Teilen sie mit, so wird unser Anteil kleiner. Ich dächte, sie wären auch überflüssig.« – »Das ist wahr.« – »Wollen wir sie nicht zu Cortejo auf das Floß tun?« – »Nein«, sagte ein anderer, der doch nicht ganz gewissenlos war. »Sie sind unsere Kameraden. Vielleicht sterben sie noch diese Nacht. Laßt sie liegen, wir wollen es erst abwarten. Es genügt, Cortejo los zu sein, denn dadurch werden wir an seiner Stelle Eigentümer der Beute. Ohne einen Anführer aber geht es nicht. Es ist notwendig, einen zu wählen, und ich denke, wir besprechen uns jetzt gleich darüber und nehmen einen von uns.«
Auch dieser Gedanke wurde für gut befunden, und nach einigem Hinundherreden sah sich der, der als Lockmittel auf dem Felsen gelegen hatte, zum Anführer der Truppe gewählt.
Jetzt bildeten sich einzelne Gruppen, in denen eine leise Unterhaltung geführt wurde. Die Gruppen näherten sich nach und nach einander und flossen schließlich wieder zu einem Ganzen zusammen. Die Unterhaltung war jetzt so leise und heimlich geworden, daß es Cortejo endlich auffällig wurde.
»Was gibt es? Warum flüstert Ihr?« fragte er argwöhnisch. – »Wir fragen uns, was werden soll«, antwortete der Anführer. – »Was soll werden! Die Dampfer liegen doch noch da?« – »Ja.« – »Sie werden die Rückkehr des Engländers erwarten. Wir nehmen sie vorher weg.« – »Aber wie? Wenn wir nur Boote hätten! Meint Ihr, daß wir uns Flöße bauen?«
Cortejo sann ein wenig nach und sagte dann:
»Das ist nicht vorteilhaft. Flöße sind schlecht zu lenken. Oh, könnte ich sehen, dann wären diese Dampfer und Boote in einer Stunde unser.« – »Wohl schwerlich, Señor! Wir haben keine Boote und sollen auch keine Flöße bauen!« – »Ganz richtig! Aber wer hindert uns denn, hinüberzuschwimmen?« – »Das ist wahr. Aber nicht alle können schwimmen.« – »Ist das notwendig? Wächst hier nicht Holz und Schilf genug. Wenn sich jeder ein tüchtiges Bündel macht, auf das er sich mit dem Oberkörper legen kann, so möchte ich den sehen, der nicht hinüberkäme.« – »Aber das Pulver wird naß.« – »Nein, denn die Büchsen bleiben zurück. Wenn jeder seine Machete mitnimmt, so genügt es. Kommen wir einzeln angeschwommen, so werden wir nicht bemerkt. Wir haben die Dampfer und Boote bestiegen, ehe die Bemannung eine Ahnung hat, und stoßen sie nieder. Dann wird die Ladung an das Land bugsiert. Oh, wenn ich sehen und dabeisein könnte!« – »Dabeisein könnt Ihr ja, Señor! Wir richten für Euch ein größeres Floß her und nehmen Euch mit.« – »Ich kann es doch nicht lenken.« – »Das ist nicht nötig. Ihr nehmt Euch zwei oder drei Mann mit.« – »Das ginge. Die Schmerzen haben so ziemlich nachgelassen. Ich hoffe zwar, morgen auf dem einen Auge wieder sehen zu können, aber wenn wir mit dem Angriff bis dahin warten wollen, kann uns der Fang auch sehr leicht entgehen.« – »Darum stimmen wir Euch bei, so bald wie möglich anzugreifen.« – »Gut«, sagte Cortejo. »Seht Ihr noch Lichter auf dem Schiff?« – »Kein einziges.« – »Sie schlafen. Sie denken, die Gefahr ist vorüber. Es sind ganz dumme Menschen. Ihr müßt Euch im voraus teilen, daß jeder weiß, welchen Dampfer oder welches Boot er zu besteigen hat. Auch müssen wir das Feuer auslöschen, sonst werden wir von dem Schein desselben verraten. Geht und haut Euch Schilf und Zweige ab, und mir baut Ihr ein Floß.« – »Wohin wollt Ihr gerudert sein, Señor?« – »Nach dem vordersten Dampfer. Dort wird die Señorita, die sich auf demselben befindet, sofort gefesselt. Die Ladung bleibt natürlich bis morgen unberührt.« – »Warum, Señor?« – »Ich muß sehen können.« Die Leute warfen sich vielsagende Blicke zu und gingen an ihre Arbeit.
Es war jedenfalls von Cortejo eine Dummheit, sich in seinem Zustand nach dem Dampfer flößen zu lassen. Aber er traute seinen Leuten nicht und glaubte, den Inhalt der Boote sicherer zu haben, wenn er persönlich dabei sei, obgleich er sich an dem Kampf auch nicht beteiligen konnte.