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19. Kapitel.

Sternau saß, den Präsidenten erwartend, am Tisch; in seiner Nähe, teils auch im Flur, standen Apachen, in tiefer Schweigsamkeit die Fortsetzung der Ereignisse erwartend.

Sternau erhob sich, als Juarez eintrat.

»So schnell sind Sie fertig geworden, Señor?« fragte er verwundert. – »Fertig? O nein!« antwortete der Gefragte. »Ich habe mich entfernt, damit die Señores ungestört miteinander verhandeln können.« – »Sie haben ihnen also eine Wahl gestellt?« – »Ja. Ich will Blutvergießen vermeiden. Ich will meinen Namen nicht in der Weise beflecken, wie es die Namen meiner Feinde sind.« – »Darf ich fragen, welche Wahl Sie ihnen gelassen haben?« – »Die Offiziere werden entweder ertränkt und die Truppen erschossen, oder man zieht nach der Entwaffnung der letzteren mit dem Versprechen, nicht wieder gegen mich zu kämpfen, nach Mexiko, um zum Hauptquartier zu stoßen.« – »Das ist eine schwere Wahl: Auf der einen Seite ein ehrloser, schändender Tod und auf der anderen ein Rückzug ohne Kampf, ohne alle Waffen. Ich glaube, die Herren werden den Versuch machen, zu verhandeln.« – »Ich habe ihnen gesagt, daß ich keinen solchen Versuch dulde. Ich gab ihnen zehn Minuten Zeit, sich zu entscheiden, und füge keine Sekunde hinzu. Hätten Sie vielleicht anders gehandelt?« – »Wohl schwerlich.« – »So mag es dabei bleiben. Wo befindet sich Señorita Emilia?« – »Im Zimmer des Schließers.« – »Aber natürlich fesselfrei?« – »Versteht sich!« – »Ich habe gesagt, daß die Offiziere im Verweigerungsfall an demselben Ort ertränkt werden sollen, wo heute die Exekution stattfinden sollte. Auch die Zeit wird dieselbe sein. Die Gerechtigkeit erfordert diese Bestimmung. Wird dies angehen?« – »Ja. Ich mache mich verbindlich, mit Hilfe von zwanzig Apachen die Offiziere nach dem Fluß zu transportieren, ohne daß es bemerkt wird.« – »Señor, einen so brauchbaren Mann, wie Sie, wird man selten finden. Ich wollte, Sie blieben im Land. Ich bin überzeugt, daß Sie einer meiner hervorragendsten Offiziere sein würden. Wollen Sie es sich nicht überlegen?« – »Ich danke Ihnen für dieses Vertrauen, Señor«, antwortete Sternau höflich, »aber ich bin Arzt; mein Beruf ist, Wunden zu heilen, nicht aber, sie zu schlagen. Außerdem bin ich durch Bande der Liebe an die Heimat gefesselt, von der ich, wie Sie wissen, so lange Jahre getrennt wurde.«

Juarez drückte dem Deutschen warm die Hand.

»Sie haben recht, Señor. Ich wünsche Ihnen Glück und vollste Entschädigung für das Furchtbare, was Sie gelitten haben. Sollte es in meiner Macht liegen, Ihnen nützlich zu sein, so wissen Sie, daß Sie zu jeder Stunde über mich verfügen können. Vergessen Sie das niemals.« – »Ich werde daran denken, und zwar gleich jetzt, Señor.« – »Ah! Sie haben einen Wunsch?« – »Ja, und einen sehr dringenden.« – »So sprechen Sie!« – »Die zum Tode verurteilten Bürger befinden sich in einer schrecklichen Lage. Es ist unsere Pflicht, sie schleunigst von ihrer Todesangst zu befreien.«– »Sie haben recht. Wo befinden sich diese Leute?« – »Ich weiß es nicht, werde aber sofort den Schließer fragen.« – »Tun Sie das, denn ich selbst habe keine Zeit dazu. Es sind neun und eine halbe Minute verflossen; ich muß also nach oben gehen.«

Juarez entfernte sich, und Sternau suchte den Schließer auf. Dieser saß mit seiner Frau ängstlich in seinem Zimmer. Emilia befand sich bei ihnen.

»Wie steht es, Señor Sternau?« fragte letztere schnell, als Sternau eintrat. – »Gut, hoffe ich«, antwortete er. Und sich an den Schließer wendend, fuhr er fort: »Wo stecken die Gefangenen, die nachher erschossen werden sollten? Im Gefängnis?« – »Nein. Sie waren bis gestern abend dort; doch als es dunkel ward, hat man sie hierher transportiert, weil sich hier die Hauptwache befindet und man sie infolgedessen besser bewachen kann.« – »Also hier im Stadthaus? Das ist gut. In welchem Raum?« – »In einem Gewölbe, wo sie an den Wänden festgebunden sind.« – »Haben sie Wächter bei sich?« – »Ja. Es befinden sich fünf Soldaten und drei französische Militärgeistliche bei ihnen, die auch mit eingeschlossen sind.« – »Französische Geistliche? Welch eine Grausamkeit! Der Sterbende will beichten und Vergebung seiner Sünden haben; hier aber können Beichtvater und Beichtkind sich wohl kaum oder gar nicht verstehen. Ich werde einige Indianer holen, und dann führen Sie mich hinab.« – »Sie wollen sie befreien?« fragte der Schließer. – »Ja.« –»Das lohne Ihnen Gott, Señor!« – »Oh, es leitet mich hierbei nicht bloß Mitgefühl, sondern auch Klugheit. Wenn diese Männer befreit sind, bewaffne ich sie mit den Gewehren der Franzosen. Wir haben dann eine ansehnliche Unterstützung an ihnen.« – »Sie werden für die gute Sache ihr Leben lassen.«

Nach Verlauf einer kurzen Zeit brachte Sternau zehn Indianer, die mit allem versehen waren, was zum Fesseln eines Menschen erforderlich ist. Man stieg eine steinerne, massive Treppe hinab und gelangte an eine starke, eiserne Tür, vor der sich zwei große, dicke Riegel befanden.

»Es ist natürlich Licht in dem Gewölbe?« flüsterte Sternau dem Schließer zu. – »Ja, Señor.« – »So verlöschen oder verschließen Sie Ihre Laterne. Der Schein derselben würde sonst auf meine Indianer fallen, und es ist besser, sie werden erst dann erkannt, wenn es für die Soldaten bereits zu spät ist.«

Der Schließer schob die Laterne in die Tasche und zog die Riegel zurück. Als er die Tür öffnete, sah man einen weiten Raum, der nur durch eine von der Decke herabhängende Lampe notdürftig erhellt wurde.

In dieses Halbdunkel hinein huschten die zehn Indianer. Ein, zwei, drei, vier, fünf laute Schreie ertönten fast zu gleicher Zeit; ein kurzes Rascheln und Rauschen folgte; dann war es still.

»Ugh!« rief einer der Indianer.

Er wollte damit sagen, daß ihre Arbeit vollendet sei. Sternau trat ein und gebot dem Schließer, seine Laterne wieder hervorzuholen. Dies geschah, und nun war es möglich, die Insassen des Raumes besser zu erkennen. An den Wänden ringsum waren eiserne Haken eingeschlagen, an die man die Gefangenen mittels Stricken befestigt hatte. Am Boden aber lagen die fünf Soldaten und die drei Geistlichen gefesselt.

»Macht die Gefangenen los«, gebot Sternau, »aber so, daß die Stricke nicht verletzt werden, denn wir brauchen dieselben sogleich für andere Leute.«– »Santa Madonna! Sollen wir schon zur Schlachtbank geführt werden?« fragte einer der Mexikaner. – »Nein! Sie sind frei!« antwortete Sternau. – »Frei?« erklang es von den Lippen einiger. – »Ja, frei. Ich habe Ihnen zu sagen, daß Juarez gekommen ist, um Sie vom sicheren Tode zu erretten. Er ist zur rechten Zeit eingetroffen.« – »Juarez!« jubelte es aus dem Mund von mehr als dreißig Menschen.

Und hundert Ausrufe und Fragen drängten sich durcheinander.

»Schweigen Sie jetzt, Señores!« bat Sternau. »Noch ist die Stadt nicht ganz in unseren Händen, wir müssen vorsichtig sein. Würden Sie, wenn ich Sie sofort bewaffnen würde, bereit sein, für den Präsidenten zu kämpfen?«

Ein allgemeines freudiges Ja erscholl.

»Nun gut! Schnell fort mit den Fesseln! Wer losgebunden ist, mag helfen, die anderen zu befreien. Oben liegen gefesselte Soldaten. Wir schaffen sie herab, um sie nebst ihren hierliegenden Kameraden an Ihrer Stelle zu fesseln. Die Waffen derselben aber erhalten Sie. Beeilen wir uns!«

Mit nach solcher Todesangst vor Freude und Entzücken zitternden Händen befreiten die Mexikaner einander und folgten Sternau nach oben, wo sie auf Juarez stießen, der Sternau gesucht und erst jetzt erfahren hatte, wo dieser sich befand.

Als der Präsident bei den Offizieren eingetreten war, nahmen diese, von den Apachen im Zaum gehalten, noch genau dieselbe Stellung ein wie vorher. Er gab einen Wink, und sofort erhielten sie, den Kommandanten ausgenommen, ihre Knebel wieder in den Mund. Die Apachen hatten darin eine solche Übung, daß kein Zusammenbeißen der Zähne dagegen half.

»Die Zeit ist vorüber, Señor«, sagte Juarez. »Wollen Sie sich ergeben?«– »Ihre Bedingungen sind zu hart. Ich hoffe, daß Sie sich...« – »Halt! Kein Wort weiter!« fiel ihm Juarez in die Rede. »Ich habe Ihnen bereits gesagt daß ich keine Minute zugebe und mich auf keine weiteren Verhandlungen einlasse. Jedes weitere Wort wird ebenso wie Ihr Schweigen von mir dahin gedeutet, daß Sie sich nicht ergeben wollen. Also reden Sie! Ja oder nein!« – »Unser Tod würde sofort gerächt werden!« – »Ich verachte diese Drohung. Sie verzichten also auf meine Langmut. Gut. Sie denken wohl, daß ich nicht den Mut habe, französische Offiziere mexikanisches Wasser kosten zu lassen, bis sie tot sind? Oh, wir Mexikaner haben französische Behandlung genossen, bis uns das Wasser am Hals stand. Wir verzichten aber darauf, es zu schlucken, und überlassen dies lieber Ihnen. Damit Sie aber sehen, daß es mein Ernst ist, und daß ich nicht Komödie spiele, will ich nicht bis zur angegebenen Stunde warten, sondern Ihnen bereits jetzt einen Vorgeschmack Ihres Schicksals geben.« – »Sacré! Was wollen Sie tun?« fragte der Kommandant.

Es wurde ihm jetzt wirklich angst.

»Oberst Laramel«, antwortete der Präsident, »ist der Mörder von hunderten meiner Landsleute. Er hat selbst im ehrlichen Kampf niemals Pardon gegeben; er trägt die Schuld, daß in dieser Nacht abermals eine Massenexekution gegen wackere Bürger stattfinden sollte. Er hat sich wie ein Bandit betragen und wird wie ein solcher behandelt. Ich werde ihn ohne vorheriges Gericht und ohne Urteilsspruch an diesem Haken aufhängen lassen.« – »Das werden Sie nicht wagen!« rief der Kommandant. – »Ah! Warum nicht?« – »Ein französischer Oberst!« – »Ist unter diesen Verhältnissen ein größerer Schurke als jeder andere Bösewicht. Er hat auf seinem Gewissen die Grausamkeiten aller seiner Untergebenen.« – »Ich verlange ein ordentliches Gericht!« – »Über einen Banditen? Pah! Selbst wenn ich ein Gericht konstituierte, so würde das Urteil auf Hängen lauten; darauf können Sie sich verlassen.«

Damit wandte sich Juarez an den Indianer, der neben dem Oberst stand, und sagte zu ihm in der Mundart der Apachen:

»Ni ti salkhi lariat akaya – hänge diesen mit dem Lasso da hinauf!«

Bei diesen Worten deutete er nach dem krummen Haken, der in der Mitte der Zimmerdecke zu dem Zweck eingeschraubt war, bei festlichen Gelegenheiten einen Leuchter zu tragen.

»Uff!« antwortete der Apache.

Im Nu hatte er seinen Lasso losgeschlungen und an dem einen Ende desselben eine Schleife gebunden. Dann erfaßte er den Oberst und schob ihn in die Mitte des Zimmers. Mit derselben Geschwindigkeit legte er ihm die Schlinge um den Hals. Da rief der Kommandant:

»Halt! Das ist Mord! Ich erhebe allen Ernstes Widerspruch!« – »Dieser Ernst kommt mir lächerlich vor!« antwortete Juarez. »Sie können ihn nur dadurch retten, daß Sie erklären, sich ergeben zu wollen.«

Der Kommandant warf einen fragenden Blick auf Laramel. Dieser antwortete dadurch, daß er unter den Fesseln die Fäuste ballte und mit dem Kopf schüttelte. Dieser verblendete Mensch hielt es jetzt noch für unmöglich, daß man es wagen werde, einen französischen Oberst aufzuknüpfen.

»Wir ergeben uns nicht, werden aber eine solche Behandlung nicht länger dulden«, erklärte der ebenso verblendete Kommandant. – »Das ist geradezu eine Verrücktheit. Hier meine Antwort darauf!« erwiderte Juarez und gab dem Apachen einen Wink, der nun den mittleren Teil des Lassos mit solcher Geschicklichkeit emporwarf, daß der achtfach zusammengeflochtene Riemen in den Haken zu liegen kam. Dann zog er den Lasso an – ein Ruck, ein zweiter und dritter, und der Oberst hing an der Decke. Seine konvulsivischen Bewegungen boten einen schauderhaften Anblick dar. – »Mord! Mord! Mord!« rief der Kommandant.

Auch die anderen bewegten sich im höchsten Grimm unter ihren Fesseln.

»Dieses Schreien will ich Ihnen unmöglich machen«, sagte Juarez.

Ein Wink von ihm genügte, und der Kommandant bekam den Knebel wieder in den Mund. Der Apache aber, der seinen Lasso mit beiden Händen festhalten mußte, band das Ende desselben an das Kamingitter fest, so daß er sich nicht mehr anzustrengen brauchte.

Jetzt verließ Juarez das Zimmer, um Sternau aufzusuchen. Er fand ihn nicht in der Wachtstube, hörte aber dort, daß er nach dem Gewölbe gegangen sei, um die Gefangenen zu befreien. Er stieß auf die letzteren, als diese eben zur Treppe heraufkamen.

Der Schein von der Laterne des Schließers war nicht hinreichend, den weiten Flur zu erleuchten; darum wurde der Präsident nicht erkannt.

»Ah, diese braven Leute waren hier im Haus eingesperrt?« fragte er. – »Glücklicherweise, ja«, antwortete Sternau. »Es ist uns ohne allzugroße Mühe gelungen, sie zu befreien.« – »Wurden sie bewacht?« – »Von fünf Soldaten und drei Beichtvätern. Diese acht Señores befinden sich jetzt, selbst gebunden, an dem Ort, den sie vorher bewachten.« – »Gut Aber ich sehe ja hier einige, die Gewehre tragen?« – »Ich habe die Absicht, diese Señores mit den Gewehren der Soldaten zu bewaffnen. Sie sind bereit, für Sie zu kämpfen und zu sterben.« – »Ich danke Ihnen, Señores!« sagte der Präsident. »Das ist eine große, willkommene Hilfe, die wir wohl noch nötig haben werden.«

Dabei streckte er ihnen die Hände entgegen, und nun merkten sie, wer vor ihnen stand. Ausdrücke der Freude und Ehrfurcht erschollen aus aller Munde, und alle Hände griffen nach den seinigen, um sie zu drücken. Aber diesem Enthusiasmus konnte keine lange Frist gestattet werden. Juarez sagte:

»Bewaffnen Sie sich zunächst Señores, und dann werde ich Ihnen zeigen, wie ich die an Ihnen begangene Unbill zu bestrafen weiß.«


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