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»Ich jage durch die wilde Flut,
Die Wogen sind meine Meute;
Ich sehne mich nach des Feindes Blut,
Vergossen um goldene Beute.
Im Kampf wird doppelt stark die Faust,
Zu Helden werden die Feigen,
Drum, wer meine Flagge erkennt, dem graust,
Er weiß ja, er kann nicht entweichen.
Selbst im Orkan, wenn's andren graut,
Erhebe ich Steuern und Zölle:
Der Sturm ist mein Kumpan, die See meine Braut.
So segle ich kühn in die Hölle.«
Sternau war, nachdem er die Bucht verlassen hatte, nach Süden gedampft. Er kam glücklich über den der Seefahrt so gefährlichen Meerbusen von Biskaya, der von den Schiffern der Matrosenkirchhof genannt wird, und legte, um Nachforschungen anzustellen, bei den Kapverdischen Inseln, bei den Kanaren und den Azoren an, konnte aber nichts erfahren.
Nun ging er direkt nach Sankt Helena, wo er seinen Kohlenvorrat ergänzen wollte, und fand hier endlich die erste Spur. Auch Kapitän Landola hatte mit seiner »Pendola« hier angelegt, um Wasser einzunehmen, und war nach Süden gegangen. Nun stand zu erwarten, daß man in der Kapstadt weiteres von ihm hören werde, und darum hielt Sternau nach dem Kap der Guten Hoffnung zu.
Die Jacht »Rosa« befand sich einige Grad nördlich vom Kap, und es war früher Morgen, als Helmers, der jetzt nicht mehr Steuermann, sondern Kapitän genannt wurde, in die Kajüte kam, wo Sternau sich befand, und ihm meldete, daß in West ein Dreimaster in Sicht sei.
Man hatte einen Neger an Bord, namens Quimbo, einen ehemaligen Matrosen Landolas, den Helmers zufällig in einer Hafenstadt getroffen und für die »Rosa« angeheuert hatte. Dieser Neger besaß ein sehr scharfes Auge und hatte das Schiff vom Mast aus mit bloßem Auge eher entdeckt, als es von Helmers mit dem Fernrohr bemerkt worden war.
»Ist es die ›Pendola‹?« fragte Sternau. – »Das ist noch nicht zu entscheiden«, antwortete Helmers. »Aber nach der Stellung der Segel scheint es ein Kauffahrer zu sein. Ich werde auf ihn zuhalten lassen.«
Sie gingen miteinander an Deck und nahmen das Fernglas zur Hand. Nach der Zeit von einigen Minuten bemerkten sie, daß der Dreimaster ebenso südlichen Kurs hatte wie sie, doch kamen sie schneller vorwärts als er, denn sie hatten sehr günstigen Wind und konnten das Segelwerk benutzen und damit die Dampfkraft unterstützen.
Während sie so mit erhöhter Geschwindigkeit dahinschossen, stieß der Neger, der immer noch oben im Topp des Mastes hing, einen lauten, scharfen Ruf aus, der halb wie Schreck und halb wie Überraschung klang.
»Was gibt's?« fragte Sternau hinauf. – »Noch ein Schiff, Massa!« antwortete der Gefragte. – »Wo?« – »Da in West. Aber man kann es nicht gut sehen; es hat schwarze Segel.« – »Schwarze Segel?« fragte Helmers schnell. »Die hat kein anderes Fahrzeug, das ist der schwarze Kapitän!«
Er richtete das Fernrohr nach der Gegend, die der Neger mit dem ausgestreckten Arm angedeutet hatte, und sah nun allerdings ein zweites Schiff, das mit vollem Wind auf das erste zuhielt. Die dunkle Farbe seiner Segel machte, daß man es nur schwer erkennen konnte.
»Es ist wirklich der Schwarze!« sagte endlich Helmers mit erregter Stimme. – »Täuschen Sie sich nicht?« meinte Sternau. – »Nein. Dieser Landola ist ein schlauer Schurke. Er hat zweierlei Segeltuch. Wenn er einen Hafen anläuft, so hängt er das weiße an, befindet er sich aber auf hoher See, so braucht er das schwarze. Das Umtauschen verursacht eine riesige Arbeit, aber er scheut sie nicht, da sie zu seiner Sicherheit beiträgt. Wie es scheint, hat er es auf den Kauffahrer abgesehen, er hält gerade auf ihn los.« – »So kommen wir dem Angegriffenen zu Hilfe!« sagte Sternau. »Endlich, endlich habe ich diesen Landola, und ich hoffe, daß er mir nicht entkommen soll!«
Der Kapitän schüttelte mit sehr ernster Miene den Kopf und erwiderte:
»Wir dürfen nicht vergessen, daß unsere kleine Jacht dem Seeräuber nicht gewachsen ist. Unsere Aufgabe kann nur sein, ihn an Bord zu treffen, bei einem Kampf auf hoher See können wir ihm zwar großen Schaden machen, aber in die Hand bekommen wir ihn nicht. Doch hoffe ich, daß der Kauffahrer sich wehren wird, dann sind wir zwei gegen einen. Ich werde die Segel beschlagen lassen und den Dampf benutzen, damit er uns so spät wie möglich bemerkt.«
Es wurden nun alle nötigen Vorbereitungen getroffen. Die Segel, die man sehr weit sehen konnte, wurden einbezogen und die Geschütze geladen. So schoß das kleine Fahrzeug jetzt unbemerkt dem voraussichtlichen Kampf entgegen.
Nach einiger Zeit hatte der Seeräuber sich dem Kauffahrer genügend weit genähert. Er zog die rote Piratenflagge auf und gab durch einen Kanonenschuß das Zeichen beizudrehen. Der Kauffahrer schien sein Schicksal bereits erkannt zu haben. Er hatte alle seine Segel beigesetzt und gab sich Mühe, zu entkommen. Eine rasche Schwenkung brachte ihn aus dem Kugelbereich des Piraten; dieser aber führte sogleich dasselbe Manöver aus und schoß hinter ihm her. Er war ein besserer Segler und holte den anderen bald wieder ein.
Ein zweiter Schuß erdröhnte über die See herüber. Dieses Mal hatte der Pirat scharf geladen, man sah, daß seine Kugel in das Holzwerk des Kauffahrers eindrang und mächtige Splitter aus demselben riß. Ein lauter Jubelschrei erscholl auf dem Seeräuber, und Wut- und Schreckensrufe antworteten vom Kauffahrer her. Dann ließ letzterer plötzlich einige Segel fallen und drehte bei, so daß der Pirat an ihm vorüberflog. In diesem Augenblick kräuselten zwei Wölkchen vom Verdeck des Kauffahrers empor, zwei Schüsse krachten, und sogleich sah man, daß eine augenblickliche Verwirrung an Bord des Piraten entstand; die beiden Schüsse hatten getroffen.
»Ach, sehr gut!« rief Helmers. »Der Kauffahrer ist ein Engländer; er hat einige Kanonen an Bord und ist entschlossen, sich seiner Haut zu wehren. Seine Jungens können brav zielen. Vorwärts! Wir nehmen den Räuber von der anderen Seite!«
Die beiden Schiffe lagen jetzt einander gegenüber und wechselten Schüsse. Es war klar, daß der Pirat dem Engländer überlegen war, aber eine langweilige Kanonade schien ihm nicht zu behagen. Er setzte nämlich plötzlich die vorher eingezogenen Marssegel wieder bei, um den Wind zu fangen und sich mit dem Kauffahrer Bord an Bord zu legen.
»Er will ihn entern!« rief Sternau. – »Ja«, antwortete Helmers. »Aber sehen Sie, daß der Engländer auch ein ganz geschickter Junge ist! Auch er fängt den Wind und dreht sich auf dem Kiel! Er zeigt dem Piraten nur den Bug, gerade wie ein Fuchs, der dem Hund nur die Zähne zeigt. Ich gebe vollen Dampf; in fünf Minuten sind wir da und reden ein gewichtiges Wort mit.«
Die Jacht hatte bisher vermieden, Rauch zu machen, und war also von den beiden Schiffen gar nicht bemerkt worden. Jetzt aber zog ein dunkler, langer Streifen aus ihrem Schornstein empor, und sofort erscholl auf dem Engländer ein lauter Ruf der Freude. Auch der Pirat sah den neuen Gegner wohl, hielt es aber gar nicht für nötig, den Zwerg zu beachten, sondern ließ sich in seinem Angriff nicht im mindesten stören.
Da schoß die »Rosa« bei dem Engländer vorüber. Der Kapitän stand auf dem Quarterdeck und rief herunter:
»Holla, Jacht! Ist's Hilfe oder nicht?« – »Es ist Hilfe!« antwortete Sternau. »Ergebt euch nicht!« – »Fällt uns nicht ein!«
Der Kapitän machte diese Worte auch sofort wahr, indem er dem Räuber eine neue Salve gab, die, nach den Flüchen zu urteilen, die an Deck desselben erschollen, gut gezielt sein mußte. Da hörte man eine laute, zornige Stimme rufen:
»Ruder in See! Kommt an ihn! Fertig zum Entern!« – »Ah, das ist Landola!« sagte Helmers. »Diese Stimme kenne ich. Aber wir werden ihm das Entern sofort verleiden.«
Die Jacht steuerte nun einen Bogen und hielt dann gerade vor Backbord des Piraten, an dem sie so nahe beidrehte, daß sie von den Kanonen desselben gar nicht getroffen werden konnte.
»Feuer!« kommandierte jetzt Helmers.
Da krachten seine Geschütze, und der Räuber erbebte. Die sämtlichen Kugeln hatten ihn in den Rumpf getroffen.
»So ist's recht!« rief Helmers. »Gebt ihm Kartätschen auf das Deck!«
Während die zwei Mittelgeschütze der Jacht sich bemühten, dem Feind unter der Wasserlinie ein Leck beizubringen, bestrichen die Drehbassen sein Verdeck mit Kartätschen. Der Pirat sah erst jetzt ein, daß der kleine David ein ganz respektabler Gegner sei, und schenkte ihm seine Aufmerksamkeit. Aber seine Geschütze konnten nicht treffen, und gegen die Büchsenkugeln hatte Helmers sein Verdeckt durch Matten geschützt, die längs des Bords aufgehängt waren.
So lag der Pirat zwischen dem Engländer und der Jacht. Beide hielten sich wacker, und er mußte erkennen, daß er sich in keiner angenehmen Lage befand. Es war klar, daß er dem Kauffahrer nicht eher beikommen konnte, als bis er die Jacht von sich abgeschüttelt hatte.
»Entert die verdammte Nußschale!« rief er.
In Zeit von einigen Minuten waren zwei seiner Boote herabgelassen und bemannt, die Jacht anzugreifen.
»Das ist mir recht!« lachte Helmers. »Sie sollen sogleich Wasser trinken.«
Er ließ sofort Rückdampf geben, um freies Ziel zu erhalten, und stellte sich selbst an eines der Geschütze. Soeben kam das größere der Boote auf ihn zu. Helmers zielte selbst höchst sorgfältig und gab Feuer. Die Kugel fuhr in den Bug des Bootes, ging durch die ganze Länge desselben und hinten wieder hinaus. Mehrere der Ruderer wurden zerrissen und das Steuer zerschmettert. Das Fahrzeug faßte Wasser und sank. Die Leute sprangen in die See, und das zweite Boot eilte herbei, sie aufzunehmen, da aber wurde auch dieses von einer Kugel getroffen, erhielt ein großes Leck und schöpfte Wasser.
»So!« rief Helmers. »Gebt ihnen nun Kartätschen. Sie sollen nicht wieder an Bord kommen!«
Dies geschah, und nun erst sah Landola ein, daß die kleine Jacht ein gefährlicherer Gegner sei als das englische Vollschiff. Er bebte vor Wut. Man sah ihn droben am Ruder stehen und hörte seine Stimme deutlich.
»Werft Handgranaten herab!« befahl er. »Wir wollen diesen Zwerg zerreißen.«
Jetzt trat Sternau hinter der schützenden Matte hervor und rief hinauf:
»Henrico Landola, ich grüße dich von Cortejo in Rodriganda!« Da erbleichte der Räuber. Er sah sich entlarvt und brüllte:
»Granaten! Schnell! Schnell! Dieser Kerl darf uns nicht entgehen!«
Aber Helmers ließ die Maschine arbeiten und zog sich in solche Entfernung zurück, daß die Handgranaten die Jacht nicht erreichen konnten; doch nun lagen sie vor den Mündungen der Kanonen des Piraten, die ihnen gefährlich werden konnten; darum legte Helmers sich vor das Steuer des Feindes, wo ihm nur die Sternkanone desselben gefährlich werden konnte, und versuchte, das Steuer zu zerschießen. Gelang dies, so war der Pirat manövrierunfähig gemacht. Dies sah Henrico Landola ein. Er zog daher die Segel auf und trachtete, die Jacht in Grund zu segeln, doch wich sie ihm hurtig und geschwind aus.
Unterdessen war auch der Engländer tätig gewesen. Er war zwar mehrfach beschädigt, aber seine Kugeln hatten bedeutende Spuren zurückgelassen. Dadurch, daß der Pirat seine Aufmerksamkeit und seine Kräfte teilen mußte, kam er in Nachteil. Von einem Entern des Kauffahrers war keine Rede mehr, und als jetzt die Jacht alle ihre Schüsse nach seinem Steuer richtete, sah er sich bedroht, kampfunfähig gemacht zu werden. Er zog also alle seine Segel auf und ging unter dem Wind davon, nachdem er dem Engländer noch eine ganze Breitseite in den Rumpf geschossen hatte.
An Bord des Kauffahrers erhob sich ein lautes Jubelgeschrei, und als jetzt die Jacht sich ihm näherte, um an seinem Fallreep anzulegen, wurde sie mit freudiger Dankbarkeit begrüßt.
Sternau ging mit Helmers an Bord des geretteten Schiffes.
»Das war Hilfe zur rechten Zeit, Sir!« rief ihnen der Kapitän zu, indem er ihnen die Hände reichte. »Ihre Jacht ist ein verdammt kleiner Held!« – »Und Sie selbst sind auch kein Feigling, Sir!« antwortete Sternau. – »Pah, ich tat meine Schuldigkeit! Aber ich bin doch neugierig, ob der Kerl mich wieder angreifen wird.« – »Das läßt er sicherlich bleiben, denn ich würde Ihnen wieder Gesellschaft leisten.« – »Ah, das klingt ja, als ob Sie mich begleiten wollten.« – »Nicht Sie, sondern ihn werde ich begleiten. Ich habe diesen Kerl bereits seit Wochen gesucht und werde ihn nicht wieder aus den Augen lassen.« – »Wirklich?« fragte der Kapitän verwundert. »Haben Sie mit ihm vielleicht eine kleine Rechnung abzuschließen?« – »Oh, nicht eine kleine, sondern eine ziemlich große. Aber sagen Sie, Sir, gehen Sie vielleicht nach Kapstadt?« – »Ja.« – »So tun Sie mir den Gefallen und melden Sie, daß Sie mit dem ›Lion‹, Kapitän Grandeprise, gekämpft haben, daß aber diese Namen falsch sind. Das Schiff heißt ›La Pendola‹, und der Kapitän ist ein Spanier namens Henrico Landola. So wird man ihn greifen können. Ich werde so tun, als ob ich in Ihrem Kielwasser auch nach Kapstadt gehe, er wird sich dann sicher fühlen und nicht vermuten, daß ich ihm folge.« – »Aber, was haben Sie mit ihm, Sir?«
Sternau erzählte ihm so viel, als er für nötig hielt, und kehrte dann auf die Jacht zurück, die nach Süden dampfte, während der Räuber den Kurs nach Südwest einhielt. Als er sich so weit entfernt hatte, daß von seinem Verdeck aus die Jacht selbst mit dem besten Fernrohr nicht mehr zu erkennen sein konnte, schlug Helmers dieselbe Richtung ein.