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17. Kapitel.

Die Zuschauer waren ganz starr vor Erstaunen über eine solche physische Stärke. Droben standen die Damen noch erstaunter als die Herren.

»Mein Gott, solch ein Herkules ist mir noch nicht vorgekommen!« sagte die Großherzogin. »Haben Sie das gewußt, teuerste Gräfin?«

Rosas Gesicht glänzte vor Genugtuung.

»Ja«, sagte sie. »Er hat sich bei uns in Rodriganda gleich als Held eingeführt.« – »Ach!« – »Wir wurden von einer ganzen Schar Räuber überfallen; es waren wohl fünf, vier tötete er, und der fünfte floh.« – »Außerordentlich!« – »Einen unserer größten Feinde hielt er frei über den Abgrund hinaus.« – »Gott! Vor solch einem Mann sollte man sich eigentlich fürchten!« – »Ja, wenn er nicht auch an Herz und Gemüt ein ebensolcher Riese wäre!« – »Er sollte Offizier sein. Denken Sie sich diesen Mann, diese Gestalt in Uniform.«

Rosa errötete.

»Ja, man muß ihn auch so lieben«, fügte die Großherzogin hinzu. »Sie erlauben doch, daß wir ihn Ihnen öfters zu uns entführen?« – »Er wird Euer Hoheit Befehlen stets gehorsam sein.«

Auch unten sprachen sich die Herren in gleicher Weise über Sternau aus. Der Oberförster aber war zu ihm und dem Pferd getreten, er hatte doch eine kleine Sorge.

»Doktor, Sie sind weiß Gott ein ganz verteufelter Kerl!« sagte er. – »Danke«, lachte Sternau. »Ich wollte mich ein wenig in Respekt setzen.« – »Aber das hat mich ein Pferd gekostet« – »Wieso?« – »Es ist ja tot.« – »Fällt ihm gar nicht ein!« – »Also nur betäubt?« – »Ja. Oder glauben Sie wirklich, daß ein Mensch, selbst wenn er wirklich ein Riese wäre, mit einem Faustschlag ein Pferd zu töten vermag? Nur zu betäuben vermag er es.« – »Aber es war ein Schlag, gerade wie mit dem Schmiedehammer. Was tut Ihre Hand?« – »Nichts.« – »Oh, ich denke, die muß ganz zerschmettert sein!« – »Das fällt ihr gar nicht ein.« – »Zeigen Sie her!« – »Hier!«

Der Oberförster untersuchte die Hand, wobei auch die anderen Herren sich neugierig näherten, und schüttelte den Kopf.

»Meine Herren«, sagte er, »sehen Sie diese Hand, so weich wie eine Frauenhand. Nur der kleine Finger ist etwas gerötet.« – »Unbegreiflicher Mensch! Famoser Kerl!« meinte Graf Walesrode. »Müssen zu mir kommen, Doktor! Auf Schloß Grillstein schöne Waffen, vortreffliche Pferde, guten Wein, auf Ehre! Müssen Freunde werden! Wie?« – »Ich akzeptiere!« entgegnete Sternau. – »Hier Hand, topp!« – »Topp!« – »Aber nun noch zeigen Bärentöter! Nur ein Schuß, ein einziger! Bitte, Doktor!« – »Wenn die Herren es wünschen ...« – »Ja, wir bitten um einen Schuß«, sagte der Großherzog. – »Geben Sie mir ein Ziel!«

Die Herren sahen sich vergebens nach einem solchen um. Da sagte Sternau:

»Sehen die Herren drüben über der Mauer und weit jenseits der Tanne die Eiche?« – »Gewiß!« entgegnete der Graf. »Ist groß genug! Famoses Geäst! Echt deutsche Eiche, auf Ehre!« – »Nehmen Sie den langen Ast, der rechts am weitesten hervorsteht« – »Gut.« – »Ein Zweig geht von ihm abwärts?« – »Sehe ihn!« – »An seiner Spitze sind drei Blätter, und auf dem mittelsten sitzt ein Eichapfel.« – »Unmöglich! Wer kann Eichapfel sehen so weit! Mein Auge ist kein Riesenteleskop, auf Ehre!«

Auch die anderen Herren sahen nichts. Den Zweig konnten sie wohl erkennen, aber die drei Blätter und gar der Apfel waren für sie nicht zu unterscheiden.

»Sie sehen wirklich den Apfel, Doktor?« fragte der Graf. – »Ja, ganz genau.« – »Mirakulös, ganz vehement mirakulös!« – »Ich habe Prärieaugen.« – »Hm, ja! Und diesen Apfel wollen Sie schießen?« – »Ja.« – »Unmöglich! Ganz und gar unmöglich. Diese Distanz und dieses Objekt! Bringen es nicht fertig, Doktor!«

Sternau nahm aber doch den Bärentöter vor und wandte sich an den Großherzog:

»Wollen Hoheit die Güte haben, sich in die Nähe des Baumes zu begeben, bis der Eichapfel zu sehen ist? Auf ein Zeichen werde ich ihn herabholen.« – »Halt«, sagte da der Oberförster, »ich habe ja ein Fernrohr und auch einen Operngucker.«

Diese Instrumente wurden herbeigeholt, und dann verließen auch die Herren den Hof, um sich nach der Eiche zu begeben. Da trat Ludwig heran und fragte:

»Sehen Sie wirklich den Apfel, Herr Doktor?« – »Ja, aber nur als kleinen, dunklen Punkt.« – »Und Sie werden ihn treffen?« – »Den Apfel nicht direkt, denn sonst fehlte mir der Beweis. Ich werde das Blatt herabschießen, an welchem er sich befindet.« – »Wenn Ihnen das gelingt, so haben Sie den Teufel, gerade wie der Kurt dahier!«

Nach einiger Zeit erscholl ein lauter Zuruf. Sternau nahm die Büchse empor, frei in die Hand und ohne anzulegen, zielte sehr sorgfältig, setzte auch ein und zwei Male ab, denn es galt, einen Meisterschuß zu tun, aber endlich krachte der Schuß.

Dann setzte er die Büchse ab, warf einen scharfen Blick nach der Eiche und lächelte befriedigt.

»Getroffen?« fragte Ludwig. – »Ja.« – »Und ich habe nicht einmal das Blatt, geschweige denn den Apfel gesehen dahier!«

Eine Minute lang blieb alles ruhig, dann aber ließ sich von draußen ein Jubelruf vernehmen, und die Herren kehrten zurück. Ihnen voran eilte Graf Walesrode. Er hatte das Blatt und hielt es in die Höhe.

»Getroffen!« rief er von weitem. »Famoser Kerl! Noch nie gesehen. Das Blatt Ihr Eigentum natürlich!«

Sternau zuckte die Schultern.

»Wollen Sie das Blatt verkaufen? Kostbares Blatt! Viel Effekt damit machen! Zahle jeden Preis, auf Ehre!« – »Pah, ich verkaufe kein Blatt, Graf.« – »So wollen behalten?« – »Nein. Wenn es Ihnen Vergnügen macht, so bewahren Sie es auf, es mag ein kleines Andenken sein an den Mann, dem Sie nicht glaubten, daß er der Fürst des Felsens sei.« – »Oh, Pardon, mein Lieber! Müssen verzeihen, auf Ehre, müssen verzeihen! Sind ja Freunde!«

Da trat der Großherzog an Sternau heran und streckte ihm die Hand entgegen.

»Doktor«, sagte er, »Sie sind ein ganz außerordentlicher Mann. In allem, was Sie einmal begonnen haben, sind Sie Meister. Ich muß Sie näher kennenlernen. Wollen Sie mich morgen auf Schloß Kranichstein besuchen?« – »Ich stehe zu Befehl, Hoheit« – »Nein, nicht zu Befehl. Sie sollen mir einen Gefallen tun, das nur ist es. Nicht als Fürst will ich Sie empfangen. Aber nun haben wir die Damen genug vernachlässigt. Lassen wir uns diese Sünde gutmachen. Vorher aber, Doktor, zeigen Sie mir Ihr Zimmer. Ich muß wissen, wie ein solcher Mann wohnt und arbeitet.«

Sternau verbeugte sich zustimmend und führte den Großherzog nach seiner Wohnung. Die anderen Herren aber kehrten in den Saal zurück.

Nach einiger Zeit erschien daselbst Sternau, um die Großherzogin und Rosa de Rodriganda mit sich zu nehmen. Später wurden der Staatsanwalt und Frau Sternau geholt. Es mußte eine wichtige Unterhaltung geben, denn es währte wohl über eine Stunde, ehe die Herrschaften wieder erschienen. Als sie zurückkehrten, bemerkte man, daß Rosa geweint hatte, und auch die Lider der Großherzogin Mathilde waren gerötet.

Nun ließ der Großherzog nach Kurts Eltern schicken, die ihren Sohn mitbringen sollten. Die braven, einfachen Leute wurden von dem Fürsten mit außerordentlicher Huld empfangen.

»Sie sind Seemann?« fragte er Helmers. – Ja, Hoheit.« – »Und haben es bis zum Steuermann gebracht?« – »Ja.« – »Haben Sie Ihre Eltern noch?« – »Nein.«

Diese Fragen wurden mehr aus Gewohnheit gesprochen, aber es sollte sich bald zeigen, welche Folgen sie hatten.

»Auch keine Geschwister?« – »Einen Bruder, Hoheit.« – »Ist auch er ein Untertan von mir?« – »Er ist in Hessen geboren, befindet sich aber in Amerika.« – »Als was?« – »Als – als – ich kann das wirklich nicht sagen, das Richtige ist wohl, wenn ich sage, daß er Jäger ist.« – »Ah, Jäger! Das ist interessant! Wissen Sie nichts Genaues über ihn?« – »Seit einem halben Jahr haben wir keine Nachricht von ihm. Er hat sich als Squatter versucht, dann als Fallensteller, nachher ist er in die Goldminen gegangen ...« – »Und ein Millionär geworden«, lächelte der Fürst – »Das Gegenteil. Er verließ Kalifornien und wurde Cibolero. Er schrieb mir dieses Wort, aber ich weiß nicht, was es bedeutet« – »Der Herr Doktor wird es uns erklären«, sagte der Großherzog. – »Ciboleros werden die mexikanischen Büffeljäger genannt«, antwortete dieser. – »Auch da brachte er es zu nichts, da wurde er Gambusino.« – »Goldsucher«, erklärte Sternau. »Dabei wurde er von den Komantschen gefangen. Er floh und nahm zur Strafe einen ihrer Häuptlinge mit ...« – »Ah!« rief da Sternau schnell. »Einen Häuptling?« – »Ja.« – »Wissen Sie das gewiß?« – »Ganz gewiß. Er hat es mir ja geschrieben.« – »Haben Sie den Brief noch?« – »Ja. Es steht auch der Name des Häuptlings darin.« – »Ah, hieß er vielleicht Yo-ovuts-tokvi?« – »Ein solch kauderwelsches Wort ist's, was da steht, aber dahinter steht in deutsch der Name ›Der Schwarze Wolf‹.« – »Ja, ja. Yo-ovuts-tokvi heißt in der Utahsprache, die viele Stämme der Komantschen sprechen, Der Schwarze Wolf. Ist das möglich? Wie wunderbar!« – »Was ist wunderbar?« fragte Graf Walesrode. – »Meine Herren, wir haben vorhin von einem berühmten weißen Jäger gesprochen, es wurden zwei Namen genannt, der meinige und der seinige, nun, unser Helmers ist der Bruder dieses berühmten Mannes.«

Das gab nun wieder eine Überraschung. Sogar der Großherzog sagte:

»Heute ist ein ganz außergewöhnlicher Tag. Aber, irren Sie sich nicht, Doktor?« – »Nein, Hoheit. Wenn der Bruder des Steuermanns wirklich den Häuptling der Komantschen entführt hat, so ist er derjenige, den wir meinten. Ich werde gleich den Beweis führen.« Und sich an Helmers wendend, fragte Sternau: »Wenn Ihr Bruder den Namen des Komantschen genannt hat, so hat er Ihnen jedenfalls auch geschrieben, wie er selbst da drüben genannt wird?« – »Ja.« – »Nun?« – »Er hat auch so einen indianischen Namen, und weil es der Bruder ist, so habe ich ihn mir gemerkt, daneben steht auch die deutsche Übersetzung.« – »Nun, wie heißt er?« – »Itintika, das heißt Donnerpfeil.« – »Nun, meine Herren, habe ich recht oder nicht?« fragte Sternau. – »Außerordentlich! Wunderbar! Famose Geschichte!« rief Graf Walesrode. »Donnerpfeil habe ich gehört bei amerikanischem Gesandten.« – »Und ich habe gesagt, daß Donnerpfeil auf indianisch Itintika heißt«, meinte Sternau. – »Das würde, wenn es eine Folge dieser interessanten Entdeckung gäbe, eine Fügung Gottes genannt werden müssen«, sagte die Großherzogin. – »Oh, Hoheit, ich bin überzeugt, daß die Folge nicht ausbleiben wird«, entgegnete Sternau. »Ich glaube an Gott und habe tausendmal erkannt, wie seine Hand selbst das Entfernteste verbindet. Es war das damals eine ganz außerordentliche Geschichte, als Donnerpfeil als Gefangener entwich und sogar den Schwarzen Wolf mit sich entführte. Das war eine Heldentat, die geradezu in aller Munde lebte. Wenn Hoheit gestatten, so werde ich dieses hochinteressante Abenteuer morgen in Kranichstein erzählen.« – »Ja, gewiß«, sagte der Großherzog. »Wir rechnen darauf, daß Sie kommen. Sie bringen natürlich hier unseren Rodenstein mit. Ich würde Sie heute um diese Geschichte bitten, aber unsere Zeit ist bereits längst abgelaufen. Ich wollte nur nicht scheiden, ohne die Eltern unseres kleinen Kurts gesehen zu haben. Komme her, mein Sohn!«

Kurt trat näher heran.

»Weißt du, welche Prämie auf den Wolf und auf den Luchs gesetzt waren?« – »Ja.« – »Nun?« – »Zwanzig Taler und hundert Taler.« – »Sie gehören dir. Komm, halte deine Hände auf.«

Der Knabe streckte, übers ganze Gesicht lachend, seine beiden Hände hin. Da zog der Großherzog seine gefüllte Börse und zählte sie ihm voll Goldstücke.

»Hier hast du fünfzig Dukaten.« – »Fünfzig Dukaten?« fragte Kurt. »Das stimmt nicht!« – »Wie? Nicht?« fragte der Großherzog. – »Nein, es ist zu viel, Hoheit.« – »Nun, das übrige ist auch dein. Nimm es als Dank für die Künste, die wir heute von dir gesehen haben.«

Da blickte der Knabe dem Fürsten freudig bewegt in die Augen und fragte:

»Ist das wahr, Hoheit?« – »Ja.« – »Und ich darf damit machen, was ich will?« – »Ja«, sagte der Großherzog gespannt. – »Nun, so bekommen meine hundertzwanzig Taler die Eltern, und das übrige erhält der Klaus.« – »Warum?« – »Der hat mir das Viehzeug nach Hause gefahren, der hat kein Holz, und vor einer Woche sagte mir seine kleine Anna, daß ihr der Bauch so weh tut, weil sie nichts zu essen haben.«

Das war nicht gewählt gesprochen, aber die Großherzogin zog den Jungen an sich und drückte ihm einen Kuß auf den Mund.

Nun wurde aufgebrochen. Da der Großherzog über Mainz fuhr, so erhielt der Staatsanwalt die Erlaubnis, sich ihm anzuschließen. Der Abschied der Herrschaften war ein herzlicher, und die Einladung auf morgen wurde abermals wiederholt.

Als die Wagen und Reiter verschwunden waren, stand der Hauptmann von Rodenstein vor dem großen Pfeilerspiegel, um zu sehen, wie ihm das Kreuz des Ludwigsordens stand, da trat der Forstgehilfe Ludwig herein.

»Nun, Herr Hauptmann, habe ich meine Sache gestern wirklich so schlecht gemacht, wie Sie sagten?« fragte er. – »Kerl, du bist ein Prachtjunge!« lautete die Antwort. »Statt der Nase diesen Orden. Himmeldonnerwetter, ist das ein Unterschied! Ich muß gleich zum Doktor gehen, um zu erfahren, was in seinem Zimmer gesprochen worden ist!«


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