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10. Kapitel.

Auf das außerordentlich milde Wetter folgte plötzlich eine ganz ungewöhnliche Kälte, die die übergetretenen Gewässer zu Eis erstarren ließ und in Feld und Wald alles Leben zu ertöten schien.

Das war eine böse, schwere Zeit für die armen Heimgesuchten, deren Obdach von den Fluten der Überschwemmung zerstört worden war. Sie litten am meisten, wenn auch nicht allein. Die Armut getraute sich nicht in die grimmige Kälte hinaus, um ein Bündel Leseholz für die kalte Stube zu holen, die Sperlinge fielen von den Dächern, und das Wild kam in die unmittelbare Nähe der Menschen, um bei ihnen Hilfe gegen Frost und Hunger zu suchen.

Aber nicht bloß Frost und Hunger drohte den Bewohnern des Waldes, es gab noch andere, gefährlichere Feinde, die der Frost aus den Höhen der Gebirge herbeigezogen hatte.

Der Hauptmann von Rodenstein saß in seiner Arbeitsstube, qualmte seine Morgenpfeife und brachte allerlei Rechnungen zu Papier, was nicht gerade seine Lieblingsbeschäftigung war. Daher lag seine Stirn in Falten, und sein Auge warf grimmige Blicke auf die Ziffern, die er aneinanderreihen mußte, wie die Soldaten einer Kompanie. Da klopfte es.

»Herrrein!« rief er.

Die Tür ward geöffnet, und der kleine Kurt Helmers trat ein.

»Guten Morgen, Herr Hauptmann!« grüßte er. – »Morgen!« brummte der Alte, indem er weiterschrieb.

Erst nach längerer Zeit warf er einen forschenden Blick auf den Knaben, der noch immer in militärischer Haltung an der Tür stand.

»Donnerwetter!« rief er da. »Wo hast du deine Pelzjacke, Junge?« – »Im Kleiderschrank.« – »Im Kleiderschrank! So!«

Der Hauptmann warf die Feder von sich und erhob sich mit drohender Gebärde.

»Sage einmal, wozu du die Jacke hast, Bube!« – »Zum Anziehen, Herr Hauptmann!« antwortete Kurt furchtlos. – »Gut, zum Anziehen. Im Sommer oder im Winter, he?« – »Im Winter.« – »Was ist denn jetzt? Etwa Sommer?« – »Es ist Winter, Herr Hauptmann.« – »Na, warum ziehst du sie denn nicht an, he?« – »Der Vater hat's verboten.« – »Der Va...! Ah, den soll der Teufel reiten! Warum hat er es verboten, he?« – »Er sagt, ich würde eine alte Frau, wenn ich mich so einmummele.« – »So, so! Hm, hm! Eine alte Frau. Jetzt, bei zweiundzwanzig Grad Kälte! Sage einmal, wer hat da drüben auf dem Vorwerk die Herrschaft?« – »Der Vater.« – »Und hier im Schloß?« – »Der Herr Hauptmann von Rodenstein.« – »Und wo bist du jetzt?« – »Auf dem Schloß.« – »Wem hast du also zu gehorchen?« – »Dem Herrn Hauptmann.« – »Gut. Ja. Also. Jetzt packst du dich hinüber, ziehst die Pelzjacke an, setzt die Pelzmütze auf die Ohren und kommst wieder!« – »Und wenn es der Vater nicht leiden will?« – »So sagst du ihm, daß ich hinüberkomme und ihm einige Pfund Rehposten auf den Pelz brenne. Basta! Abgemacht! Rechtsum kehrt! Marsch!«

Der Knabe hatte bis jetzt in Achtung gestanden. Nun machte er kehrt und stampfte mit militärischem Schritt zur Tür hinaus.

Der Hauptmann konnte bei diesem Anblick ein Lächeln nicht unterdrücken.

»Wetterjunge!« brummte er. »Ist mir weiß Gott ans Herz gewachsen, wie das Kraut an den Strunk!«

Er dachte keineswegs daran, daß dieser Vergleich für ihn nicht schmeichelhaft sei, sondern setzte sich wieder nieder, nahm die Feder zur Hand und schrieb Ziffern. Aber schon nach wenigen Minuten wurde er von neuem gestört. Es klopfte abermals.

»Herrrein!« rief er.

Kurt war es wieder, aber in Pelzjacke und einer gewaltigen Fuchsmütze, unter der seine Augen hell und lustig in die Welt blickten.

»Guten Morgen, Herr Hauptmann!« grüßte er zum zweiten Mal. – »Morgen!« brummte der Alte.

Erst nach einer ganzen Weile warf er einen Blick auf den Knaben, dann aber erheiterte sich sein Gesicht, er warf die Feder abermals fort und sagte:

»Na, ist das nicht etwas anderes, Junge?« – »Ja, wärmer, Herr Hauptmann!« – »Versteht sich! Du sollst mir keine alte Frau werden, aber bei dieser Kälte fährt man in die Federn oder in den Pelz. Wie steht es mit deiner Aufgabe?« – »Fertig!« – »Her damit!« – »Hier!«

Kurt griff in die Tasche und zog eine Papierrolle hervor, die er dem Oberförster überreichte. Dieser machte sie auf und sagte: »Rührt euch!«

Auf dieses Kommandowort nahm der Knabe eine bequemere Stellung an. Der Alte aber betrachtete mit leuchtenden Augen die Figuren, die auf das Papier gezeichnet waren. Es waren die Fährten der verschiedensten jagdbaren Tiere. Der Junge mußte seine Sache sehr gut gemacht haben. Plötzlich aber verfinsterte sich das Gesicht des Oberförsters, er fuhr den Knaben an:

»Wer hat geholfen?« – »Niemand, Herr Hauptmann.« – »Lüge nicht, Kerl!«

Da blitzten die Augen des Knaben zornig auf; er trat schnell an den Schreibtisch, zog einen leeren Bogen herbei, ergriff einen Bleistift und sagte:

»Probieren!«

Er sprach nur dies eine Wort, aber auf seinem jugendlichen Gesicht lag und aus dem Ton seiner Stimme klang eine solche Zuversicht, daß der grimmige Alte einsehen mußte, daß er ihm unrecht getan habe.

»Papperlapapp!« meinte er. »Wozu probieren! Also du hast das wirklich ganz allein gemacht?« – »Ja.« – »Auch niemand gefragt oder es ihm gezeigt?« – »Nein.« – »Na, das ist Gott Strambach alles, was nur möglich ist! Zeichnet dieser Bube die Fährten so richtig und genau, daß ich es nicht besser machen könnte. Komm her, Schlingel; ich muß dir einen Schmatz geben, und zwar einen ordentlichen.«

Gerade als der Hauptmann seine bärtigen Lippen auf den jugendlichen Mund drückte, klopfte es abermals an die Tür.

»Herrrein!« rief er.

Der Bursche Ludwig trat ein.

»Guten Morgen, Herr Hauptmann!« – »Morgen. Was gibt es?« – »Kaffee oder Warmbier?« – »Warmbier. Zweiundzwanzig Grad Reaumur.«

Der Bursche drehte sich um, trat hinaus, nahm dem draußen stehenden Mädchen eines der beiden Services ab, die es in den Händen hatte, und setzte es dem Oberförster vor. Es enthielt Warmbier.

»Schön«, sagte der Alte. »Abtreten!«

Aber Ludwig ging nicht, sondern blieb stehen.

»Na, warum nicht?« fragte der Hauptmann. »Was gibt es noch?« – »Etwas Außerordentliches dahier, Herr Hauptmann!« – »Ah, was denn?« – »War heute im Wald und habe eine Spur gesehen.«

Da griff der Alte nach der Zeichnung des Knaben, reckte sie dem Burschen hin und fragte:

»Welche von diesen?«

Ludwig blickte die Zeichnung durch und rief erstaunt: »Donnerwetter! Prachtvoll gemacht! Gewiß eine Arbeit des Herrn Hauptmann, noch von der Akademie aus, dahier.«

Der Alte machte ein sauersüßes Gesicht.

»Dummheit, Akademie«, sagte er, »der Junge da hat es gemacht« – »Der da, der Kurt?« fragte der Bursche ganz erstaunt. – »Ja. Hörst wohl schwer?« – »Da fahre doch das Wetter drein! Der Kerl hat sogar mich über dahier!«

Jetzt lachte der Alte vergnügt.

»Dazu gehört nicht viel«, sagte er, während des Knaben Augen vor Genugtuung leuchteten. »Aber welche Fährte von diesen hast du heute gesehen?« – »Sie ist hier nicht mit dabei.« – »Dann ist's was ganz Außerordentliches!« – »Allerdings.« – »Nun?« – »Darf ich sie hinzumalen, Herr Hauptmann?« – »Ja.«

Ludwig ergriff den Bleistift und zeichnete. Er hatte den dritten Tapfen noch nicht fertig, so sprang der Hauptmann auf und rief:

»Ist's wahr! Ein Wolf!« – »Ja, Herr Hauptmann, ein Wolf, und was für einer. Er war am Forellenbach.« – »Donnerwetter! Mach dich fertig; wir holen ihn.« – »Wer noch mit?« – »Die andern alle und die Hunde. Ich will erst frühstücken und die Rechnungen fertig machen. In einer halben Stunde geht es fort.«

Der Hauptmann hatte diese Befehle im Ton der Begeisterung gegeben, denn ein Wolf war hier eine Seltenheit.

»Darf ich mit, Herr Hauptmann?« fragte da der Knabe. – »Du? Bist du gescheit? Der Wolf würde dich fressen.« – »Mich?« fragte Kurt, indem seine Augen zornig blitzten. – »Ja. Das ist nichts für Knaben. Ein Wolf ist in solcher Kälte ein gefährliches Tier.« – »Ich habe ja meine Doppelbüchse.« – »Papperlapapp! Habe jetzt keine Zeit! Packt euch!«

Der Hauptmann schob alle beide zur Tür hinaus. Draußen blieb der Knabe stehen und flüsterte:

»Ludwig, geht es wirklich nicht?« – »Nein, mein Junge; er hat es einmal gesagt.« – »Gib du ihm doch gute Worte.« – »Ich werde mich hüten. Dieser Wolf ist ein ganz außerordentlicher Kerl dahier; so groß wie ein richtiges Kalb. Da wärst du verloren.«

Damit ließ Ludwig den Knaben stehen und eilte davon.

Kurt verweilte einen Augenblick ganz betrübt an derselben Stelle; dann erhellte sich plötzlich sein Gesicht und er eilte davon, zur Treppe hinunter, zum Hof hinaus und nach dem Vorwerk hinüber.

»Warte, nun grade, nun grade!« räsonierte er unterwegs. »Mich soll kein Wolf fressen, mich nicht, mich nicht!«

Im Vorwerk angekommen, ging er nach der Stube. Dort saß sein Vater, der Steuermann, über verschiedenen Seekarten, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Er sah, daß der Junge nach seinem Hinterlader griff und Patronen einsteckte.

»Wohin?« fragte er. – »Krähen schießen, Papa.« – »Gut, aber nicht lange; es ist zu kalt.«

Es kam täglich vor, daß Kurt zu seiner Übung Krähen schoß, darum fiel es nicht auf. Der Junge steckte also unbemerkt ein kleines Weidmesser und eine feste Leine zu sich; dann ging er. Draußen hinter dem Vorwerk blieb er überlegend stehen.

»Am Forellenbach soll der Wolf gewesen sein!« murmelte er vor sich hin. »Hm, sie dürfen nicht sehen, daß ich vor ihnen hinaus bin. Ich mache einen Umweg, gehe durch die Erlen und dann hinüber nach dem Eichberg; da habe ich auch die Luft für mich.«

Also die Richtung des Windes hatte er doch schon, und zwar ganz unwillkürlich gesichert. Der mutige Knabe hatte gar keine Ahnung, welcher Gefahr er entgegenging.

Er huschte auf die Straße hinüber, eilte eine Strecke auf derselben hin und trat dann in einen Erlenschlag ein, der sich links hinüberzog. Hier schritt er unbesorgt wohl zehn Minuten lang zwischen den Büschen hin, bis ein trockenerer Boden kam, der mit hohen Eichen bestanden war. Er hatte wohl noch eine halbe Stunde bis zum Forellenbach zu gehen, nahm aber doch sein scharf geladenes Doppelgewehr, das er vom Hauptmann geschenkt erhalten hatte, von der Schulter und hielt es schußgerecht im Arm.

Er fühlte nichts von der grimmigen Kälte; der Gedanke, einen Wolf zu sehen, erwärmte ihn. Er dachte nicht daran, daß das Tier erst gesucht werden müsse, daß es zwar am Forellenbach seine Fährte gezeichnet habe, jetzt aber bereits stundenweit davon entfernt sein könne. Er schritt nur immer weiter, dem Bach zu.

Da krachte im Forst ein Baum. Ganz unwillkürlich wandte Kurt das Auge nach der Richtung, aus der der Schall gekommen war, und sofort blieb er stehen.

»Ein Hund!« flüsterte er. »Ein fürchterlich großer Hund! Oder ist das der Wolf?«

Rasch trat er hinter die nächste Eiche. Nicht dreißig Schritt von ihm entfernt stand die Gestalt eines hundeähnlichen Tieres, das auch nach der Richtung äugte, in der der Baum gekracht hatte. Die spitzen Ohren waren horchend emporgerichtet und der buschige Schwanz steckte zwischen den hinteren Beinen. Es war ein großes, mächtiges, aber sehr mageres Tier; es mußte der Wolf sein.

Er mochte sich beruhigt haben und kam im Trottelschritt näher. Jetzt war er kaum noch zwanzig Schritt entfernt. Die Luft stand gut.

Da hob Kurt sein Gewehr, und nicht im geringsten zitternd, da er ja zwei Schüsse hatte, zielte er gerade auf die Brust des Tieres und drückte ab. Der Schuß krachte, das Tier fuhr auf die Hinterbeine zurück, tat einen halben Sprung vorwärts, brach zusammen, wollte sich wieder aufraffen, stieß ein halbes, abgebrochenes Heulen aus und lag verendet am Boden.

Zunächst lud Kurt den abgeschossenen Lauf wieder, dann trat er zu dem Tier; es bot einen so ekelhaften Anblick, daß der Knabe sofort im stillen meinte: Das ist kein Hund, sondern der Wolf. Vor Freude glühend, stand er da.

»Was tue ich?« fragte er sich. »Schaffe ich ihn heim? Nein. Sie werden seiner Fährte folgen und ihn bereits erlegt finden. Dann sehen sie auch meine Fußtapfen. Welch ein großer, großer Ärger für sie! Ich gehe fort und lasse ihn liegen.«

Und das tat er auch wirklich. Aber er befand sich nun einmal im Wald und wollte nicht gleich wieder nach Hause gehen, darum schritt er langsam durch den Schnee, immer weiter in den Eichwald hinein, in der Hoffnung, vielleicht noch auf irgendein kleines Wild zum Schuß zu kommen.

So suchte und suchte er, bis er fühlte, daß er ermüdet sei. Es gab da eine umgebrochene Blutbuche, auf deren Stamm er sich setzen konnte, und er tat dies, um ein wenig auszuruhen.

Hier saß er wohl eine Viertelstunde lang, als er auf einen ganz eigentümlichen Laut aufmerksam wurde. Es klang, als ob ein Eichkätzchen da oben in den Eichen seine Kletterversuche mache, aber viel lauter und kräftiger. Er blickte nach der Richtung, aus welcher dieses Geräusch kam, empor und duckte sich im Nu unter den Stamm nieder, auf dem er gesessen hatte.

»Eine Katze, eine wilde Katze gewiß«, flüsterte er. »Aber was für ein Vieh!«

Es war allerdings ein katzenähnliches Tier, das er erblickte, aber von ganz bedeutender Größe. Es bewegte sich nicht am Boden, sondern oben in den Zweigen von einem Baum zum anderen. Es war über einen und einen halben Meter lang, sah oben fuchsrot und unten weiß aus und hatte einen schwarzgeringelten Schwanz. Es machte Sprünge von bedeutender Weite und duckte sich, von einem Baum auf dem anderen angekommen, immer erst tief und eng auf dem Ast nieder, um zu gewahren, ob es sicher sei.

»Nein, eine Wildkatze ist es nicht«, sagte Kurt. »Aber was sonst? Ah, mag es sein, was es will, ich schieße!«

Das mußte aber schnell geschehen, denn das Tier nahm seine Richtung nach seitwärts hinüber. Eben schlich es sich nach dem vorderen Teil eines starken Astes und erhob sich, um einen Sprung zu tun, da legte der mutige Knabe sein Gewehr an. Das Tier gab ihm in seiner gegenwärtigen Stellung ein schönes Ziel. Nur einen einzigen Augenblick zielte er, dann krachte der Schuß. Da sprang das Tier nach einem Ast des nächsten Baumes, erreichte diesen aber nicht, sondern stürzte, sich in der Luft zweimal wendend, zu Boden herab. Nun aber richtete es sich empor und starrte nach der Richtung, aus der der Schuß gefallen war. Seine Augen glühten wie Feuer.

»Noch einmal!«

Diese Worte rief Kurt ganz laut. Das Tier bot ihm jetzt gerade die vordere Brust. Rasch drückte er den zweiten Lauf ab, und im nächsten Augenblick prallte das Tier gegen den Stamm, hinter dem er lag. Es krallte seine Klauen in denselben ein, aber es kam nicht hinüber; es war tödlich getroffen. Ein eigentümliches Fauchen und Knurren erscholl; dann ertönte ein Schrei, und nun war es still.

Der Knabe hatte nach dem zweiten Schuß die Büchse fortgelegt und das Messer gezogen. Er wußte, daß es so richtig sei. Er hatte auch in kniender Stellung das Messer zum Stoß bereitgehalten, falls das Tier über den Stamm herüberkommen würde, aber was wäre er in diesem Fall gegen ein solches Raubzeug gewesen!

Jetzt erhob er sich, lud sein Gewehr wieder und betrachtete sich das Tier. Er erschrak.

»Oh, was ist das!« rief er vor Schreck ganz laut: »Das Vieh hat Ohrpinsel; das ist ein Luchs!«

Es schien ihm ganz unglaublich, ein solches Tier erlegt zu haben; aber er erhielt keine Zeit, darüber nachzudenken, denn er vernahm von weitem her ein Geräusch und drehte sich nach demselben um. Er brauchte nicht lange zu waren, so erschien ein Mann aus dem nächsten Dorf mit einem Holzschlitten. Er war arm und trotz der Kälte in den Wald gegangen, um sich Fallholz aufzulesen, was ja erlaubt war. Beide kannten einander.

»Wer ist denn das?« sagte der Mann. »Mosjeh Kurt! Guten Morgen!« – »Guten Morgen, Klaus!« entgegnete der Kleine hocherfreut. »Höre, Klaus, willst du dir einen Taler verdienen?«

Der Mann schlug die Hände zusammen.

»Einen Taler? Oh, wie gern! Aber wie?« – »Du sollst mir einen Luchs und einen Wolf nach dem Schloß fahren.« – »Einen Luchs und einen Wolf? Die gibt es ja hier bei uns nicht« – »Nicht?« lachte der Knabe fröhlich. »Wollen wir wetten?« – »Ich bin arm; ich habe; nichts zu verwetten.« – »So schau einmal hierher!«

Kurt deutete hinter den Stamm, und der Mann sah sich das erlegte Tier an.

»Herrgott, das ist wirklich ein Luchs!« rief er. »Wer hat den geschossen?«

»Ich natürlich.« – »Sie, Mosjeh Kurt? Das ist unmöglich!« – »Hast du die Schüsse nicht gehört, und siehst du andere Tapfen als die meinigen?«

Der Mann blickte sich aufmerksam um.

»Es ist bei Gott wahr!« rief er erfreut. »Sie sind es gewesen! Aber, Mosjeh Kurt, da hat Sie der liebe Gott beschützt!« – »Ja, aber mache schnell! Der Luchs und der Wolf müssen aufgeladen werden, ehe der Hauptmann kommt. Er will den Wolf schießen.« – »Denselben?« – »Denselben«, nickte der Knabe lachend. »Ich wollte mit, aber ich durfte nicht, denn der Herr Hauptmann dachte, daß der Wolf mich fressen würde.« – »Und da sind Sie allein gegangen?« – »Ja.« – »Welch ein Wagnis!« rief der Mann ganz entsetzt. – »Oh, nun kann ich den Wolf essen, und den Luchs dazu! Aber nun schnell, lade auf!«

Die seltene Beute wurde aufgeladen, und eben wollte sich der Mann in Bewegung setzen, da hielt ihn Kurt noch zurück.

»Höre, Klaus«, sagte er, »der Herr Hauptmann wird meine Spur finden und ihr nachgehen; darum wollen wir sie verbergen. Du trittst in die Tapfen, die ich gemacht habe, und nun vorwärts.«

Damit schritt Kurz voran, ganz in seinen früheren Fußtapfen, und Klaus folgte, indem er die Tapfen des Knaben größer trat. So gelangten sie zu der Stelle, wo der Wolf lag. Auch er wurde aufgeladen, und Klaus deckte beide Tiere mit Reisig zu.

Nun ging es auf demselben Weg zurück, auf dem Kurt durch die Erlen gegangen war, wobei auch hier seine Tapfen verwischt wurden. Auf diese Weise gelangten sie nach dem Vorwerk.

Der Steuermann trat aus dem Haus und wollte zanken, daß Kurt so spät zurückkehrte, dieser jedoch fiel ihm in die Rede.

»Papa, hast du einen Taler?« – »Einen Taler?« fragte Helmers, ganz erstaunt über diese Forderung. »Für wen?« – »Für den Klaus hier. Da unter dem Reisig steckt etwas; er hat es mir aus dem Wald hierhergefahren, und ich habe ihm dafür einen Taler versprochen.« – »Du bist nicht klug.« – »Hältst du mich für dumm, Papa?« – »Hm! Was ist es denn?« – »Das darf jetzt nicht gesagt werden, sondern erst wenn der Herr Hauptmann aus dem Wald kommt.«

Helmers überlegte sich die Sache. Der Hauptmann konnte ja etwas erlegt haben.

»Ist es einen Taler wert, was du da bringst?« fragte er den Mann. – »Ja, noch viel mehr«, antwortete dieser. – »Gut, so sollst du ihn haben. Hier!«

Helmers gab Klaus das Geldstück und fragte dann seinen Sohn: »Also ich darf nicht wissen, was es ist, und sonst auch niemand?« – »Nein.« – »Aber Klaus braucht seinen Schlitten, du mußt also abladen.« – »So gehst du in die Stube, und wir laden im Holzstall ab, dessen Schlüssel ich behalte.« – »Heimlichkeit über Heimlichkeit!« schalt Helmers.

Aber er tat doch Kurt seinen Willen und ging in die Stube.

Klaus fuhr nun mit dem Schlitten und seinem Taler ab, ohne das Geheimnis zu verraten, und Kurt lief den ganzen Vormittag im Vorwerk und im Schloß umher, wie einer, dem irgend etwas das Herz abdrücken will.

Endlich kehrte der Hauptmann mit seinen Untergebenen aus dem Wald zurück. Kurt sprang ihm entgegen.

»Haben Sie ihn, Herr Hauptmann?« fragte er. – »Packe dich zum Teufel, Bube!« lautete die Antwort.

Der Oberförster war augenscheinlich in einer höchst grimmigen Stimmung. Er schob den Knaben beiseite und ging nach seiner Wohnung. Kurt wartete, bis die Burschen sich in ihrer Stube versammelt hatten, ehe er dort eintrat.

»Habt ihr ihn, Ludwig?« war auch hier seine erste Frage. – »Nein, sondern er hat uns gefoppt«, antwortete der Gefragte und zog den Tabaksbeutel hervor, um sich eine neue Pfeife zu stopfen. Als dies geschehen war und der Tabak brannte, setzte er sich zu den anderen an den Ofen und sagte. »Kurt, du bist noch sehr jung dahier, aber man darf dir schon etwas sagen.« – »Nun?« fragte der Knabe neugierig. – »Ich meine etwas, was du noch nicht zu wissen brauchst, weil dabei selbst uns Großen der Verstand stillsteht dahier.« – »Ja, vollständig still«, stimmte ein anderer bei. – »Halte den Mund, wenn ich rede!« fuhr ihn Ludwig an. »Dein Verstand steht übrigens stets still. Kurt, hast du einmal von der schwarzen Henne gehört oder von einem dreibeinigen Hasen?« – »Nein.« – »Vom achtbeinigen auch nicht?« – »Nein.« – »Von der Eule mit den vier Flügeln oder vom Hund mit einem Kopf und Schwanz vorn und hinten?« – »Auch nicht.« – »Aber vom wilden Hackelberg hast du gehört, sowie vom wilden Jäger und vom getreuen Eckart?« – »Ja.« – »Nun gut, wir sollen dir von solchen Sachen nichts erzählen, der Herr Hauptmann hat es uns verboten, aber aus ihnen geht doch hervor, daß es im Wald nicht ganz ohne ist dahier. Verstanden?« – »Ja.« – »Ich habe auch vieles nicht geglaubt, aber seit heute glaube ich alles und jedes, weil ich ein Gespenst gesehen habe.« – »Ein Gespenst?« fragte der Knabe. – »Jawohl, Gottstrambach, es ist wahr dahier!« – »Was denn für eins?« – »Hast du etwas gehört vom verwünschten Bär oder vom Geisterwolf?« – »Nein.« – »Nun siehst du, Kurt, den habe ich gesehen.« – »Den Geisterwolf?« – »Ja. Wenn du dem Herrn Hauptmann nichts wiedersagst, will ich es dir erzählen.« – »Ich sage nichts.« – »Nun gut. Also ich gehe heute morgen in den Wald und nehme einige Bunde Heu mit für die Rehe. Auf dem Rückweg komme ich an den Forellenbach, und da huscht etwas, so etwa zwanzig Schritt weit, an mir vorüber ins Gebüsch.« – »Der Wolf?« – »Ja. Als ich hinkomme, sehe ich sofort an der Fährte, daß es ein Wolf ist. Ich ging zum Herrn Hauptmann, zeichnete ihm die Fährte vor, und auch er sagte, daß es ein Wolf sei.« – »Ich war dabei.« – »Ja, du bist also Zeuge dahier! Darauf ziehen wir mit dem ganzen Hundezeug hinaus, um den Wolf zu stellen. Wir finden seine Fährte, folgen ihr und – weg ist sie auf einmal, wie fortgeblasen. Sie verlor sich auf einer Schlittenfährte, der wir bis auf die Straße gefolgt sind. Es sieht also ein jeder sehr leicht ein, daß es der Geisterwolf gewesen ist.« – »Ihr hättet mich mitnehmen sollen«, meinte Kurt sehr ernsthaft. – »Nein, beileibe nicht, denn weißt du, was es bedeutet, wenn der Geisterwolf erscheint?« – »Nun, was denn?« – »Es stirbt einer aus der Gesellschaft. Mich mag es immerhin betreffen. Seit ich damals den Sauschuß getan habe, ist mir alles egal dahier!«


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