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Fortsetzung 43

Goldberg ging ein Licht auf. Die Gräfin war mit Gebhardt allein gewesen. Sie hatten miteinander gesprochen, und jetzt kam sie zurück, von Zorn erfüllt.

»Ah, Du hast es verrathen?« fragte er den Freund.

»Verrathen hat es Niemand,« antwortete die Gräfin; »aber errathen hat es Jemand. Ihr Freund ist verschwiegen; er hat mir Ihren Namen nicht genannt; ich aber habe es dennoch erfahren. Wollen Sie noch leugnen?«

Er glaubte sich wirklich verrathen; er sah ein, daß kein Leugnen helfen könne; darum antwortete er:

»Madame, die Stimme des Herzens ist oft übermächtig; es ist ganz – – –«

»Schweigen Sie von der Stimme des Herzens! Sprechen Sie lieber von der Stimme der Vernunft und Pflicht. Es wäre Ihre Pflicht gewesen, zuvor mit mir zu sprechen. Von einem Ehrenmanne mußte ich das erwarten.«

»Ich war ja der Einwilligung von Mademoiselle noch gar nicht sicher!«

»Aber jetzt sind Sie sicher?«

»Leider auch noch nicht ganz!«

»Wie, noch nicht ganz?«

»Ich sage die Wahrheit!«

»Ich werde mich überzeugen!«

Sie trat auf Ida zu und forderte diese im strengsten Tone auf:

»Wenn er noch leugnet, so hoffe ich wenigstens von Dir, daß Du die Wahrheit sagst. Ich habe das an Dir verdient. Liebst Du ihn?«

Ida war bereits über das von großem Zorne zeugende Hereintreten der Tante höchst erschrocken gewesen. Die jetzige strenge Frage brachte sie um alle weitere Fassung. Sie unterschied in diesem Augenblicke nicht, wer mit dem »Er« gemeint sei, und antwortete voller Angst:

»Liebe Tante, Verzeihung!«

»Ich will wissen, ob Du ihn liebst!« wiederholte die Gräfin.

»Ja, beste Tante!«

»Und er Dich?«

»Ja.«

»Ihr habt miteinander darüber gesprochen?«

»Ja.«

»Wann?«

»Am Schlusse voriger Woche.«

»Er hat Dir also seine Liebe in aller Form gestanden?«

»Ja.«

Die Gräfin wollte soeben ihrem Zorne einen erneuten Ausdruck geben, als sie hinter sich ein lautes Schluchzen hörte. Sie drehte sich um und sah, daß es von Hedwig kam, welche bleich wie eine Leiche da stand und das Taschentuch an die Augen hielt.

»Was ist's mit Dir?« fragte sie. »Warum weinst Du?«

»O, der Schreckliche!« schluchzte die Gefragte.

»Wer?«

»Dieser Lügner!«

»Ich frage, wer!«

»Lieutenant von Goldberg!«

»Warum nennst Du ihn einen Lügner?«

»Weil er auch zu mir von Liebe gesprochen hat.«

»Ah! Wirklich?« rief die Gräfin, jetzt beinahe außer sich vor Zorn.

»Ja.«

»Und Du? Was hast Du geantwortet?«

»Ich – ich – – ich – – –!«

»Heraus damit! Ich will die Wahrheit hören, die volle Wahrheit!«

Goldberg hatte ganz perplex dagestanden. Jetzt endlich gelang es ihm, sich zu fassen und zu Worte zu kommen. Er trat rasch heran und sagte:

»Gnädige Frau, das muß ein Irrthum sein!«

»Ein Irrthum? Schweigen Sie! Hedwig wird mich nicht belügen!«

»Nein, sie lügt allerdings nicht; sie hat die Wahrheit gestanden.«

»Nun, was sprachen Sie da von einem Irrthum?«

»Ich meine Mademoiselle Ida.«

»Diese? Nun, die lieben Sie ja auch!«

»Keineswegs! Ich begreife gar nicht, wie – – –!«

»Schweigen Sie!« unterbrach sie ihn. »Ida hat mir ganz sicher die Wahrheit gesagt. Sie hat mich noch nie belogen!«

»Und doch ist sie dieses Mal der Wahrheit nicht treu geblieben.

»Ja, Tante,« stimmte Ida höchst verlegen bei. »Ich habe mich geirrt!«

Da schlug die Gräfin die Hände zusammen und rief:

»Geirrt hast Du Dich? Herr von Goldberg hat Dir nicht gesagt, daß er Dich liebt?«

»Nein.«

»Das hast Du ja vorhin gestanden!«

»Ah, ich dachte – mein Gott, ich – ich dachte – –!«

Weiter konnte sie nicht vor Angst. Die Gräfin aber drang in sie:

»Was dachtest Du? Ich will die volle Wahrheit hören!«

»Ich dachte, du meintest – einen Anderen,« stieß Ida endlich hervor.

Frau von Rallion wußte in diesem Augenblicke vor Schreck gar nicht, was sie denken und sagen solle. Erst nach einer Weile rief sie:

»Einen Andern? Einen Andern, der Dich liebt?«

»Ja, liebe Tante.«

»Und den Du wieder liebst?«

»Ja, beste Tante.«

»Und der zu Dir von Liebe gesprochen hat?«

»So ist es!«

»Ah, ist es möglich, daß so etwas hinter meinem Rücken vorgeht! Bester Herr von Königsau, entschuldigen Sie! Sie sehen, daß es sich hier um sehr zarte und discrete Angelegenheiten handelt. Sie gestatten wohl, Sie morgen Vormittag zu empfangen.«

Gebhardt machte eine verbindliche Verbeugung und antwortete:

»Gewiß, gnädige Frau. Also wünschen Sie, daß ich mich zurückziehe?«

»Ich muß Sie leider darum ersuchen!«

»Wenn Sie es wünschen, muß ich gehorchen, obgleich ich glaube, daß gerade meine Gegenwart hier am Nothwendigsten ist!«

»Die Ihrige? Wieso?«

»Weil ich im Stande bin, Ihnen die nöthige Aufklärung zu geben.«

»Worüber?«

»Ueber das gegenwärtige Quiproquo. Ich bin nämlich dieser Andere.«

»Welcher Andere?«

»Von welchem Mademoiselle Ida sprach.«

»Was? Der sie liebt?«

»Ja.«

»Und sie ihn wieder?«

»Gott sei Dank, ja!«

Er trat bei diesen Worten zu Ida heran, legte die Hand um ihre Taille, strich ihr mit der anderen Hand beruhigend über das reiche Haar und sagte:

»Sei nicht ängstlich, meine Seele! Unsere liebe, gute Tante wird Dir das Mißverständniß gern verzeihen.«

Jetzt hätte man das Gesicht der Gräfin studiren müssen. Erstaunen, Aerger, Freude und Zorn stritten sich auf demselben um die Herrschaft. Das Erstaunen behielt zunächst die Oberhand.

»Ihr Beide also liebt Euch?« fragte sie.

»Ja, und dort die Beiden auch,« antwortete Königsau, indem er auf Hedwig und Goldberg deutete.

»Mit diesen Beiden werde ich nachher sprechen. Jetzt habe ich es mit Ihnen zu thun. Sie sagten doch, daß Sie eine Andere liebten.

»O nein, Madame. Ich habe keinen Namen genannt.«

»Dann sagten Sie, daß Herr von Goldberg Ida liebe!«

»Auch das nicht. Sie selbst haben ja erst vorhin bestätigt, daß ich ihn gar nicht genannt habe.«

»Mein Gott, da werde ich an mir selbst ganz irre. Was haben Sie denn überhaupt gesagt?«

»Daß ich von ganzem Herzen ein liebes, prächtiges Mädchen liebe. Und sodann habe ich gesagt, daß Ida auch liebt, und zwar einen deutschen Officier.«

»Aber, warum haben Sie mir denn nicht sofort gesagt, daß Ihre Geliebte und Ida identisch sind?«

»Darf ich Ihnen die volle Wahrheit mittheilen, gnädige Frau?«

»Ich bitte sehr energisch darum.«

»Ich bemerkte die Zuneigung, welche mein Freund Goldberg für Mademoiselle Hedwig hegte und sah, daß dieselbe erwidert wurde – – –«

»Sie haben das wirklich bemerkt? Ich nicht!«

»Ich wußte das. Ebenso sah ich, daß sie sich liebten, ohne zur Klarheit, zu einem Resultate zu kommen. Das war Unrecht; das tödtet die Liebe. Hier war ein Gewaltstreich nöthig, und ich habe es gewagt, ihn auszuführen. Jetzt hat Herr von Goldberg gestanden, daß er Fräulein Hedwig liebt, und diese hat das Geheimniß ihres Herzchens verrathen. Mein Zweck ist erfüllt. Ich bitte um gnädige Strafe!«

Die Anderen standen da und blickten einander an.

»Garstiger!« rief endlich Hedwig, die sich noch darüber ärgerte, daß sie über Goldbergs vermeintliche Untreue geweint hatte.

»Intriguant!« flüsterte Ida ihm zu, obgleich es ihr gar nicht wohl zu Muthe war. Sie kannte ja den Inhalt des Gespräches nicht, welches er mit der Gräfin geführt hatte.

Diese Letztere wußte wirklich nicht, ob sie zürnen oder über die vorgekommenen Verwechselungen lachen solle. Sie fühlte sich ganz glücklich, daß ihr ursprünglicher Plan doch noch gerathen sei, und war doch bös darüber, daß auch Goldberg eine Nichte für sich in Anspruch nahm.

In diese Pause hinein erscholl Kunzens an Gebhardt gerichtete Frage:

»Geheimnißkrämer. Warum hast Du mir das verschwiegen?«

»Unglückliche Liebe klagt, glückliche aber schweigt,« antwortete Königsau.

»Seit wann seid Ihr denn einig?«

»Gleich seit dem ersten Tage.«

»Unsinn!«

»Wirklich. Nicht wahr, Ida?«

Sie nickte mit dem Köpfchen. Da fragte auch die Gräfin:

»Wirklich seit dem allerersten Tage?«

»Ja, gnädige Frau,« antwortete Gebhardt.

»Mein Gott, wie habt Ihr das denn eigentlich angefangen?«

»Das wird Ihnen Ida unter vier Augen erzählen müssen. Wir waren eben für einander bestimmt.«

»Und sagtet Euch das hinter meinem Rücken!«

Sie wollte beginnen wieder zornig zu werden; er aber drohte ihr scherzend mit dem Zeigefinger und sagte:

»Die Vorherbestimmung war auch hinter unserm Rücken geschehen!«

Da endlich brach sie in ein herzliches Lachen aus.

»Diese Jugend ist doch unverbesserlich. Niemand lernt sie durchschauen. Und glaubt man, einmal einen Aufrichtigen gefunden zu haben, so entpuppt er sich ganz unversehens als ein Intriguant comme il faut. Na, ich werde Euch Eure Strafe noch dictiren.«

Da ergriff Gebhardt ihre Hand und zog sie an seine Lippen.

»Verzeihung, beste Gräfin!« bat er. »Ich hatte Ida gesagt, daß ich sie über mein Leben lieb habe, aber ich hatte auch hinzugefügt, daß ich dieser Liebe erlauben werde, nur erst nach meiner Rückkehr von der Reise zu sprechen. Darum schwiegen wir. Ich wollte mir erst Ihre Achtung verdienen. Habe ich daran unrecht gethan, so hoffe ich dennoch Gnade zu finden.«

Da trat in ihr Auge ein feuchter Glanz, wie ihn selbst die Nichten noch nicht in demselben bemerkt hatten, und mit bewegter Stimme antwortete sie:

»Ich verzeihe Euch Beiden. Es mag bei Dem, was Ihr besprochen habt, bleiben. Eure Liebe mag sich bewähren. Thut sie das, so soll sie ihren Lohn finden. Nun aber zu den beiden Andern! Also, Herr von Goldberg, Sie behaupten, meine Nichte Hedwig zu lieben?«

»Von ganzem, ganzem Herzen!« antwortete er.

»Und Du, Hedwig?«

Bei dieser trat sofort das ursprüngliche neckische Wesen hervor.

»Ich? O, ich mag ganz und gar nichts von ihm wissen,« antwortete sie schmollend.

»Warum nicht?«

»Er hat mich einen Irrwisch genannt.«

»Der bist Du auch!« bestätigte die Tante.

»Sie aber hat mir versprochen,« fügte Goldberg bei, »daß aus diesem Irrlichte ein Stern werden solle, auf dessen sicheren, treuen Glanz ich mich verlassen könne.«

»Ist das wahr, Hedwig?«

Die Gefragte neigte das Köpfchen verlegen zur Seite, antwortete aber doch:

»Ja, liebe Tante, das habe ich ihm versprochen.«

»Und Sie glauben an dieses Versprechen, Herr von Goldberg?«

»Wie an Gottes Wort, gnädige Frau,« betheuerte der Gefragte.

»So sagen Sie mir zunächst, was Sie meiner Nichte zu bieten haben.«

»Für jetzt ein Herz voll innigster Liebe und den festen Willen, mir eine Zukunft zu gründen, welche ihrer würdig ist.«

»Suchen Sie dieses Ziel zu erreichen; dann wird auch Ihre Liebe nicht vergeblich sein. Wie schade, daß Sie kein Geograph sind!«

»Ich kann in meiner gegenwärtigen Stellung ebenso Gutes wirken.«

»Aber Sie konnten Herrn von Königsau begleiten. Ihr Name wäre dann mit einem Male berühmt. Das werden Sie doch einsehen.«

»Madame mögen Recht haben, doch muß ichs mit den Aussichten, welche sich mir bieten, fürlieb nehmen. Ich habe alle Hoffnung, Ihnen beweisen zu können, daß nun, da das Irrlicht verlischt und mein Stern mir aufgegangen ist, auch in Beziehung auf meinen Beruf mir Sterne aufgehen, deren Leitung ich mich anvertrauen kann.« – – –

Nach diesen Ereignissen waren volle zwei Jahre vergangen, da kamen drüben im Süden von Algerien drei Reiter das Wadi Thal Guelb herabgeritten. Anstatt auf Pferden, saßen sie auf hochbeinigen Dromedaren, schienen aber sehr gut beritten zu sein, denn ihre Thiere gehörten zu jener grauhaarigen Race, welche Bischarihnkameele genannt werden.

Zwei davon waren Europäer, Herr und Diener allem Anscheine nach. Der Dritte war ein Beduine, welcher ihnen als Führer diente. Er sprach mit ihnen jenes Gemisch von Arabisch, Französisch und Italienisch, welches an der Nordküste Afrikas gebräuchlich ist.

Es war noch am Morgen; aber die Sonne lag doch bereits brennend auf dem Sande und den Felsen der Wüste. Darum war es kein Wunder, wenn der Europäer sich nach einem Orte umsah, an welchem ein wenig Schatten zu finden sei, um in demselben während der heißen Mittagszeit einige Kühlung zu finden.

»Giebt es in der Nähe keinen Ruheort?« fragte er den Führer.

»Nein, Herr. Erst am Ziele, am Ende des Wadi finden wir Felsen und Mimosen, welche uns Schatten bieten.«

»Wie weit ist es bis dahin?«

»Zur Zeit des Mittags sind wir dort.«

»Und dort soll der Löwe sein?«

»Ja, dort ist der Herr des Erdbebens, welcher fast sämmtliche Rinder des Stammes gefressen hat.«

»So laß die Thiere ausgreifen, daß wir den Ort baldigst erreichen.

Der Führer zog eine einfache Holzpfeife hervor, um auf derselben, die nur drei Töne hatte, eine monotone Melodie zu pfeifen. Bei diesen Klängen stutzten die Kameele die Ohren und verdoppelten ihre Schritte.

So ging es ohne Aufenthalt immer nach Osten. Die Sonne stieg höher und höher, und endlich, als sie den Zenith erreicht hatte, war auch das Versprechen des Führers erfüllt. Das Thal trat enger zusammen, zu seinen beiden Seiten stiegen hohe Felsen empor, und stachelige Mimosen bildeten kleine Wälder, in welchen es allerdings nicht ungefährlich war, Zuflucht vor dem Sonnenbrande zu suchen.

»Allah sei Dank!« rief da der Führer. »Seht Ihr die Zelte?«

»Wo?«

»Da links im Thale. Dorthin haben sich die Söhne der Wüste vor dem Löwen zurückgezogen. Reiten wir hin.«

»Werden wir willkommen sein?«

»Ja. Wir werden Salz, Brod und Datteln bekommen, denn diese Beduinen sind keine Tuareks, denen nicht zu trauen ist.«

An der einen Seite des Wadi standen fünf einsame Zelte, vor denen einige Kameele und Pferde angebunden waren. Eine kleine Anzahl von Schafen weideten in der Nähe.

Als sich die Fremdlinge näherten, wurden die Zelte geöffnet, und die männlichen Bewohner traten hervor. Sie brachten Salz und Brod zum Zeichen des Willkommens und theilten auch ihre wenigen Datteln mit ihnen.

Der Bey el urdi Herr des Lagers winkte den Führer abseits und fragte:

»Wer sind die Fremdlinge, welche Du uns gebracht hast?«

»Es sind zwei Franken,« lautete die Antwort.

»Ich liebe die Franken nicht. Wann reiten sie wieder ab?«

»Wenn sie den Herrn des Erdbebens geschossen haben.«

»Den Löwen? Allah '1 Allah! Sie wollen den Löwen schießen?«

»Ja. Wir hörten, daß er hier in der Nähe sei.«

»Er hat sein Lager oben im Nebenthale, welches Du von hier erblickst. Aber sie sind ja nur zu Zweien!«

»Und dennoch wollen Sie den Löwen schießen.«

»Allah hat ihnen den Verstand genommen. Wir sind zu Sechzig ausgeritten, um ihn zu tödten; er aber hat vier Männer von uns getödtet und viele verwundet, ohne daß wir ihn bestrafen konnten.«

»Hast Du noch nicht gehört, daß oft nur ein einziger Franke ausgeht, um den Löwen zu schießen?«

»Allah ist groß. Die Franken sind böse Geister, die sich nicht zu fürchten brauchen.«

Als der Führer zu seinem Gebieter zurückgekehrt war, theilte er ihm mit, was er erfahren hatte. Der Herr blickte nach dem Seitenthale hinüber und schätzte die Entfernung mit dem Blicke ab.

»Wir bleiben hier, um beim Morgengrauen unser Heil zu versuchen. Endlich, endlich einmal ein Löwe. Ich hoffe, daß ich Wort halten kann!«

Beide hatten ein ächt militärisches Aussehen und sprachen jetzt reines Französisch mit einander. Der Diener antwortete:

»Auch ich wünsche, daß wir einmal so ein Thier zu Gesicht bekommen. Es ist doch ein eigener Wunsch von einer Braut, die Haut und die Reißzähne eines Löwen zu besitzen. Dies Beides zu holen, ist gefährlich.«

»Fürchtest Du Dich?«

»Nein. Ein Löwe ist doch nur eine etwas größere Katze.«

»Hm. Eine etwas sehr große Katze sogar. Es geht mir gerade wie Dir, ich habe auch noch keinen wirklich wilden gesehen. Vielleicht wäre es gut, wenn wir während des Mittags die Gegend einmal recognoscirten.«

»Das Seitenthal, wo das Vieh stecken soll?«

»Ja. Natürlich zu Fuße. Wir hätten nur eine halbe Stunde bis hinüber.«

»Ich stehe zu Befehl, Herr Hauptmann.«

Einige Zeit später brachen sie auf, gerade so, als ob sie einen Gang auf Hasen oder Hühner unternehmen wollten. Die Beduinen sahen ihrem Beginnen mit Kopfschütteln zu; es war ihnen ein wahnsinniges Wagestück.

Die Beiden wanderten über die Breite des Hauptthales hinüber und schritten dann das weit engere Nebenthal empor. Es war mit Mimosen und Therebinthen bestanden und mit wirrem Fels und Geröll angefüllt. In diesem Thale sollte, wie sie bereits gestern erfahren hatten, ein männlicher Löwe sein Lager haben. Sie hofften, seine Fährte zu finden und so den Ort zu entdecken, wo sie ihn morgen bei Tagesgrauen aufsuchen wollten.

Es ist wahr, daß der Löwe sich nur selten zur hellen Mittagszeit zeigt. Indessen, durch irgend einen Umstand aus seiner Ruhe aufgescheucht, kann er doch einmal zum Vorschein kommen, und dann ist es gefährlich, ihm zu begegnen. Er rächt sich für die ärgerliche Störung.

Indem sie so zwischen Busch und Felsen emporstiegen, blieb der Diener plötzlich halten und faßte den Herrn am Arme.

»Um Gotteswillen, was ist das?« fragte er, empor nach der Thalwand deutend.

Der Hauptmann folgte mit dem Blicke der angedeuteten Richtung und zuckte zusammen, ob vor Ueberraschung oder Schreck, das war schwer zu unterscheiden.

»Tausend Donner! Ein Löwe!« flüsterte er. »Ja, das ist ein ächter, richtiger Löwe und nicht so einer, wie man in der Menagerie findet. Was thun wir? Wagen wir es?«

Seitwärts vor ihnen und zwar etwas über ihnen kam ein riesiges Thier thalabwärts geschritten, langsam und majestätisch im Bewußtsein seiner Riesenkraft. Noch zwei Minuten, so mußte der Löwe die Beiden sehen. Der Diener war ein wagehalsiger Patron. Er antwortete:

»Der Kerl ist gerade noch einmal so groß als ich mir ihn vorgestellt habe; aber geschossen wird er. Wer weiß, ob wir ihn morgen so vor die Büchse bekommen. Wohin schießt man ihn?«

»In das Herz. Nur im Nothfalle zielt man in das Auge.«

»Gut. Ducken wir uns hier hinter die Büsche nieder. Da sieht er uns nicht. Jeder hat zwei Kugeln; das giebt vier und wird genügen.«

Gesagt, gethan! Sie knieeten hinter den Büschen nieder und legten die Gewehre an. Das Thier befand sich jetzt wohl dreißig Schritt vor ihnen und zwanzig Fuß höher als sie.

»Schieß Du zuerst,« befahl der Hauptmann. »Ich bleibe zur Sicherheit in Reserve.«

Er that recht daran, wie sich sofort zeigte. Der Diener zielte und drückte ab. Der Schuß krachte, allein der Löwe blieb unversehrt. Die zweite Kugel traf ihn in den Leib, ohne ihn tödtlich zu verletzen.

Jetzt aber hatte er auch die Stelle bemerkt, von welcher aus er angegriffen worden war. Er stieß ein tiefes, fürchterliches Brüllen aus und kam herbeigesprungen. Dazu genügten ihm fünf Sprünge.

»Um Gotteswillen, wir sind verloren!« schrie der Diener und warf sich zu Boden. Vorher so verwegen, war es jetzt mit seinem Muthe vorüber.

Der Hauptmann blieb unbeweglich knieen. Als der Löwe im Sprunge sich in der Luft befand, drückte er zum ersten Male ab, und gleich darauf folgte auch die zweite Kugel. Das gewaltige Thier machte mitten im Sprunge eine Wendung seitwärts und stürzte zur Erde nieder. Ein kurzes, dumpfes Brüllen und Röcheln, ein krampfhaftes Schlagen und Zucken der Pranken; dann war es todt.

»Gott sei tausend Dank. Das waren zwei Meisterschüsse!« meinte der Diener. »Ich glaubte bereits, mein Ende sei gekommen.«

Der Hauptmann sagte gar nichts. Er trat an das Thier heran und betrachtete es. Dann strich er sich den Angstschweiß von der Stirn und meinte:

»Zum ersten und zum letzten Male! Es waren nur drei Secunden; aber ich bin während ihrer Dauer fünfmal gestorben. Was werden die Araber sagen! Jetzt das Fell herunter und die Reißzähne heraus.«

*


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