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Capitän Richemonte blickte seinen Partner, den Baron Reillac, triumphirend an, und weidete sich an dem Erstaunen desselben.
»Ja, ja, ich meine wirklich den Lieutenant Königsau,« wiederholte der Capitän, jedes Wort scharf betonend.
Der Baron sperrte den Mund abermals weit auf. Dieses Mal wurde es ihm wirklich schwer, zu Worte zu kommen.
»Kö-nigs-au?« fragte er endlich gedehnt.
»Ja.«
»Dieser preußische Husarenlieutenant soll den Kaiser gerettet haben?«
»Allerdings.«
»Unmöglich.«
»O, höchst wahrscheinlich.«
»Ich hörte doch, es sei ein Seecapitän aus Marseille gewesen.«
»Königsau war es. Er hat sich allerdings für einen Seecapitän ausgegeben, da er als Spion in dieser Gegend gewesen ist. Wir haben den ganzen Meierhof nach ihm durchsucht.«
»War er hier?«
»Jedenfalls.«
»Aber man hat ihn nicht gefunden?«
»Leider nein.«
»Jammerschade.«
»Allerdings. Ich selbst erhielt vom Kaiser den Auftrag, nach ihm zu suchen; aber auch meine Bemühungen waren erfolglos. Uebrigens habe ich dabei eine Bemerkung gemacht. Sie kennen den Kutscher Florian?«
»Ja. Er ist von mir bestochen.«
»Sie glauben, ihm trauen zu dürfen?«
»Gewiß.«
»Ich warne Sie vor ihm. Es ist mir ein häßlicher Streich gespielt worden, dessen Urheber ich in ihm vermuthe. Er scheint mir überhaupt nicht so sehr einfältig zu sein, wie er gern erscheinen möchte.«
»Er hat mir aber bereits sehr viel genützt.«
»Und im Geheimen wohl noch viel mehr geschadet. Ich werde auf diesen Menschen ein scharfes Auge haben. Ich bemerke zum Beispiel, daß er heut Abend ruhelos von einem Orte zum andern schleicht. Ich glaube, er hat Etwas vor. Vielleicht steckt er gar mit diesem Königsau im Bunde.«
»Das glaube ich nicht.«
»Er soll es sich auch nicht einfallen lassen. Uebrigens habe ich mit Ihnen bereits zu viel Zeit versäumt. Wir müssen uns trennen.«
»Was giebt es für Sie noch so Nöthiges zu thun?«
»Ich passe auf, ob ich vielleicht doch noch den Preußen erwische. Ich schleiche mich ohne Unterlaß um den Meierhof herum. Dabei habe ich eben diesen Florian bemerkt, welcher mir dadurch verdächtig geworden ist.«
»So will ich Sie nicht stören, Capitän. Es wäre ja auch mir ein wahres Gaudium, wenn es Ihnen gelänge, diesen Königsau zu fangen. Ich reite also jetzt nach Sedan zurück, um Ihnen die Wechsel zu holen. Doch sage ich Ihnen vorher, daß Sie dieselben erst nach unserer Audienz beim Kaiser ausgehändigt erhalten.«
»Mir ist das gleich. Geben Sie die Wechsel nicht, so erhalten Sie Margot nicht; das steht unumstößlich fest.«
»Man muß unter Freunden ehrlich sein, und Freunde sind wir Beide hoffentlich doch. Also auf Wiedersehen, Capitän.«
»Auf Wiedersehen!«
»Wann steht der Kaiser auf?«
»Bei Tagesanbruch.«
»So muß ich mich bereiten.«
Er verließ das Zimmer. Der Capitän blieb lauschend stehen, bis die Schritte verklungen waren. Dann murmelte er tief aufathmend:
»Endlich, endlich gesiegt. Diese verdammten Accepte werden vernichtet, und das Erbschaftsdocument, ah, wozu ist das nicht zu gebrauchen! Den Namen verändert, so bin ich der Universalerbe. Diese Angelegenheit läßt sich überhaupt auf sehr verschiedene Weise nutzbar machen. Der Kaiser will mir wohl; Margot wird gezähmt; ich bin meine Schulden los und darf nun endlich aufathmen. Freilich darf ich diesem Baron jetzt noch nicht mittheilen, daß er sich zu hüten hat, Margot anzurühren. Ich glaube, es fiele ihm ein, noch in letzter Stunde scheu zu werden.«
Nach diesem Selbstgespräch begab er sich wieder hinaus in die Nacht, um seinen Patrouillengang fortzusetzen.
Kurze Zeit vorher war Florian auf das Dach zu Königsau gekommen. Dieser hatte geglaubt, daß es Zeit zum Aufbruche sei.
»O nein,« sagte da der Kutscher. »Ich befürchte fast, daß es uns unmöglich sein wird, fortzukommen.«
Königsau erschrak.
»Warum sollte es unmöglich sein?« fragte er.
»Weil dieser Richemonte gar nicht zur Ruhe kommen will.«
»Was thut er?«
»Er schleicht ruhelos aus einer Ecke in die andere. Fast scheint es mir, als ob er ahne, daß Sie sich noch auf Jeanette befinden.«
»Er wird das Schleichen schon noch satt bekommen. Haben wir nur noch einige Zeit lang Geduld.«
Es verging abermals eine Stunde, während welcher Florian auf sich warten ließ. Endlich erschien er. Königsau hörte, daß er einen leisen Fluch ausstieß.
»Was giebt es abermals?« fragte er.
»Jetzt hatte ich ein wenig Luft,« antwortete der Kutscher. »Es kam ein Reiter, mit welchem der Capitän sich bis jetzt unterhalten hat. Diese Zeit habe ich benutzt, um die Pferde nach dem Garten zu bringen. Mit dreien ist es mir gelungen, aber das vierte befindet sich noch im Stalle.«
»Der Capitän schleicht wieder?«
»Freilich.«
»Das könnte man ihm verleiden. Dauert es lange, das vierte Pferd nach dem Garten zu bringen?«
»Höchstens fünf Minuten.«
»Kann man aus dem Garten fortreiten, ohne gehört zu werden?«
»Ja, sobald das große Thor von Innen geöffnet wird.«
»Wo schleicht der Capitän?«
»Jetzt meist außen um die ganze Besitzung herum.«
»Wäre da der Hund nicht zu gebrauchen?«
»Sacriste! Ja, an den habe ich doch gar nicht gedacht.«
»Also. Er mag ihn festhalten, so lange als es für uns nothwendig ist.«
»Das werde ich sofort besorgen. Ziehen Sie sich einstweilen um, Herr von Königsau, und tragen Sie auch den Damen die Kleider hinab. Ihr jetziger Anzug und die Frauenanzüge, welche ich geborgt habe, werden in die Mäntel geschnallt. Alles übrige Besitzthum der Damen bleibt hier. Sind Sie hinreichend mit Geld versehen?«
»Vollständig.«
»Sonst hätte ich Ihnen Einiges zur Verfügung gestellt.«
Er entfernte sich rasch aber leise wieder und begab sich zunächst nach dem Stalle, in welchem Tiger an der Kette lag. Er machte ihn los und sagte ihm:
»Komm, mein Hund. Du sollst den Kerl noch einmal fassen, aber still, ganz still, damit kein Lärm entsteht. Uebrigens wirst Du uns dann begleiten, denn Du bist ein tapferer Kerl und kannst uns von großem Nutzen sein.«
Er schlich mit ihm hinaus und legte sich draußen hinter einem der Nebengebäude auf die Lauer. Er hatte ungefähr eine Viertelstunde gewartet, als er leise Schritte hörte. Er legte sich auf den Boden, um den Nahenden möglichst gegen den Himmel betrachten zu können. Trotz der Dunkelheit erkannte er in demselben den Capitän. Er ließ ihn vorüber.
»Halte ihn!« gebot er dann leise dem Hunde.
Das Thier schnellte sich mit einigen weiten Sätzen vorwärts. Ein unterdrückter Schrei, der Fall eines Körpers und dann ein grimmiges Knurren war Alles, was man hörte; dann war es still.
Jetzt wußte der Kutscher sich sicher und den unbequemen Späher unter der besten und schärfsten Bewachung. Er kehrte nach dem Stalle zurück und führte das Pferd nach dem Garten. Dann koppelte er die Thiere zusammen und führte sie aus dem Garten hinaus nach einer einzelnen Linde, welche in einiger Entfernung vom Meierhofe auf dem Felde stand.
Nun wendete er sich wieder rückwärts, ging erst zu sich selbst, um Alles, was er für nöthig hielt, zu sich zu stecken und stieg dann auf das Dach hinauf. Dort fand er Königsau bereits in der Dragoneruniform.
»Ist Alles gut gegangen?« fragte dieser.
»Ja.«
»Der Capitän liegt fest?«
»Ja; der Hund hat ihn. Wie weit sind die Damen?«
»Sie sind auch bereit. Es ist schneller gegangen, als ich dachte.«
»So will ich sie holen.«
Florian stieg zur Leiter hinab und brachte bald die beiden verkleideten Frauen hinauf. Er zog die Leiter nach und schloß dann die Treppenöffnung zu. Die Leiter legte er neben die Esse, daß es den Anschein hatte, als sei sie von einem Schornsteinfeger gebraucht worden.
»Jetzt bitte ich, mir zu folgen,« sagte er dann. »Aber möglichst leise, damit wir nicht bemerkt werden.«
Die drei Anderen schritten unter seiner Führung über das Dach hinüber und kamen an den Hauptausgang, von da auf die Treppe, in einen finsteren Corridor, auf welchem sie sich bei den Händen fassen mußten, sodann auf eine Nebentreppe, in einen kleinen Hof, aus demselben in den Garten und von da hinaus auf das Feld.
»Wo sind die Pferde?« fragte jetzt Königsau. »Ich dachte, sie in dem Garten zu finden.«
»Ich habe sie weiter fortgeschafft, weil mir das sicherer erschien.«
Nach diesen Worten führte der Kutscher die Anderen zu der Linde, wo er jeder Person das betreffende Pferd anwies.
»Jetzt bitte ich, einige Augenblicke zu warten. Ich muß Richemonte frei lassen.«
»Warum?«
»Weil ich meinen Hund mitnehmen will. Er kann uns nützlich werden.«
Er schlich sich wieder zurück. In der Nähe der Stelle angekommen, an welcher Richemonte lag, trat er fester auf und that ganz so, als ob er eben um die Ecke herumkomme.
»Holla. Was ist das?« fragte er. »Tiger, bist Du es? Was hast Du denn da? Zeige einmal her.«
Er bückte sich nieder.
»Ah, einen Kerl! Ist der Königsau also doch hier gewesen und mir in die Falle gegangen. Wie gut, daß ich gewacht habe! Wart, Bursche, ich werde Dich dem Herrn Capitän Richemonte überliefern. Du darfst zwar aufstehen, aber versuche nicht, mir auszureißen! Mein Hund hätte Dich sofort wieder beim Kragen, und dann könnte ich es ihm nicht mehr wehren; es wäre um Dich geschehen. Laß gehen, Tiger; aber passe noch gut auf.«
Der Hund gab den am Boden Liegenden frei, entfernte sich aber keineswegs von ihm hinweg. Richemonte raffte sich empor.
»Donnerwetter!« sagte er. »Das ist nun bereits zum zweiten Male.«
»Wie, Herr Capitän, Sie sind es, Sie?« fragte Florian ganz erstaunt.
»Ja, ich! Mensch, warum lässest Du denn diesen Hund so frei umherlaufen?«
»Weil er mir den Königsau fangen sollte.«
»Du selbst behauptetest doch, daß er fort sei.«
»Ja; aber der Kaiser sagte, daß er vielleicht doch noch hier herum versteckt sei. Es ärgerte mich furchtbar, von diesem Deutschen belogen worden zu sein, und darum gab ich mir alle Mühe, ihn zu fangen.«
»Das war ganz überflüssiger Eifer. Ich habe darunter leiden müssen und bin nun zum zweiten Male dem Tode nahe gewesen.«
»Ja, der Tiger ist ein ausgezeichneter Hund.«
»Hole ihn der Teufel! Du aber kannst Dich in das Bett scheeren, anstatt Andere in Lebensgefahr zu bringen.«
»Pst, sprechen Sie nicht so barsch, Monsieur.«
»Warum nicht? Hast Du es etwa nicht verdient?«
»Ich weiß nicht. Aber mein Hund könnte sonst denken, daß Sie sich mit mir zanken, und dann reißt er Sie wieder nieder.«
»Miserable Bestie! Halte ihn einmal fest!«
»Warum?«
»Weil ich mich entfernen will.«
»Gut. Ich denke, es wird auch für Sie besser sein, sich zu Bette zu begeben. Diese Deutschen sind gar nicht werth, daß man sich von ihnen an der Nase herumführen läßt. Verstanden, Herr Capitän?«
Richemonte hatte sich bereits um einige Schritte entfernt; jetzt blieb er stehen.
»Wie meinst Du das?« fragte er.
»Ganz so, wie ich es gesagt habe, Herr Capitän.«
»Höre, mir scheint, Du treibst ein falsches Spiel mit mir. Nimm Dich in Acht, daß ich Dich nicht dabei ertappe, sonst bekommst Du es mit mir zu thun.«
»Ja, bisher habe ich Sie stets dabei ertappt, und da hatten Sie es mit dem Hunde zu thun.«
Richemonte ging wüthend davon, und der Kutscher begab sich zu seinen drei Gefährten, welche ein jedes Wort mit angehört hatten.
»Das war ein wenig unvorsichtig,« meinte Königsau. »Es war besser, dem Hunde zu pfeifen, als hingehen und sich dem Manne zu zeigen.«
»Das ist egal. Der Mann muß auch wissen, wer es ist, der ihn auslacht; sonst hat man kein Vergnügen daran.«
Er stieg zu Pferde, und der Ritt begann.
Es war doch ziemlich spät geworden. Der Schleicher Richemonte hatte ihren Aufbruch verzögert; die beiden Damen konnten sich noch nicht in die gegenwärtige Art und Weise zu reiten schicken; darum kam man nur langsam vorwärts, und die halbe Wegsstrecke bis Sedan war kaum zurückgelegt, so begann der Tag zu grauen.
»Wir müssen uns sputen, sonst laufen wir Gefahr, in Sedan aufgehalten zu werden,« meinte Florian.
»Ja, es ist unangenehm, daß der Tag bereits beginnt. Jetzt – – ah, dort kommt uns ein Reiter entgegen!« sagte Königsau.
Florian strengte seine Augen an; aber erst als der Betreffende ziemlich nahe heran gekommen war, erkannte er ihn.
»Sacristi! Wissen Sie, wer das ist?« fragte er den Lieutenant.
»Nun? Wer?«
»Der Baron de Reillac.«
»Mein Gott, wie gefährlich! Giebt es keinen Seitenweg, den wir einschlagen können? Ja, er ist es wirklich. Jetzt erkenne auch ich ihn genau.«
»Einen Seitenweg giebt es leider nicht,« antwortete der Kutscher.
»So giebt es nur ein einziges Mittel: Wir reiten im Galopp an ihm vorüber, ohne uns um ihn zu bekümmern. In der Schnelligkeit bekommt er unsere Gesichtszüge nicht so gut weg.«
»Das ist wahr,« meinte Florian. »Ich werde mir außerdem noch Mühe geben, seine Aufmerksamkeit auf mich zu locken.«
Sie nahmen die Pferde in Galopp, und als der Armeelieferant nahe genug herangekommen war, ließ Florian das seinige bocken und that, als ob er alle Mühe habe, sich im Sattel zu erhalten. Es gelang ihm dadurch allerdings einigermaßen, die Augen des Barons von den drei Andern abzulenken, aber doch nicht ganz. Er überflog sie mit einem raschen Blicke, stutzte und sagte:
»Florian, alle Teufel, wo soll dieser Ritt hingehen?«
»Nach Sedan, Herr Baron,« antwortete der Gefragte, scheinbar noch immer über Maßen mit seinem Pferde beschäftigt.
»Warum so eilig?«
»Hm! Weil die Pferde laufen.«
»Wer war der Officier mit den beiden jungen Kerls?«
»Ich weiß nicht; sie sind ja nun vorbei.«
»Du kamst doch mit ihnen.«
»Nein, sie mit mir. Adieu, Herr Baron.«
Damit nahm er sein Pferd in die Zügel und sprengte den Anderen nach.
Dieses kleine unangenehme Intermezzo hatte die Damen in den Galopp eingerichtet. Sie behielten denselben bei, und selbst als sie Sedan erreichten, hielten sie nicht an. An der Brücke hielt ein Posten. Er präsentirte das Gewehr. Vorüber ging es, durch die Stadt hindurch, von hunderten von Officieren und Soldaten neugierig betrachtet und bewundert, drüben wieder hinaus und in demselben Tempo auf der Straße nach Bouillon zu.
Je näher sie diesem Orte kamen, desto mehr verminderte sich dann allerdings die Eile; der Hauptwaffenplatz Sedan lag ja glücklich hinter ihnen, und den beiden Reiterinnen wurde es schwer, auszudauern. Königsau hielt den besorgten Blick auf Margot gerichtet. Sie war sehr blaß geworden, und eben, als sie durch Bouillon kamen, wankte sie im Sattel.
»Es wird Dir zu schwer, Margot,« sagte er, sie schnell unterstützend. »Schmerzt Deine Wunde?«
»Nein, gar nicht,« antwortete sie mit einem leisen Lächeln. »Ich bin nur matt.«
»Sehr?«
»Sehr,« nickte sie.
»Wir sollten hier absteigen, um Dich auszuruhen; hier ist ein Einkehrhaus; aber die Leute kennen mich. Hältst Du es nicht vielleicht noch zwei Minuten aus, bis wir die Stadt hinter uns haben?«
»Vielleicht.«
»Ich unterstütze Dich.«
Er bog sich zu ihr hinüber und legte ihr den Arm um die Taille. Aber lange ging es nicht. Sie schloß plötzlich die Augen und wäre ganz sicher aus dem Sattel gefallen, wenn er sie nicht mit beiden Armen gehalten hätte.
»Wasser!« flüsterte sie.
Er sprang ab, faßte sie an und trug sie nach dem Bache. Er war so um sie besorgt, daß er gar nicht bemerkte, daß zwei Leute dort auf der Wiese beschäftigt waren. Es war der alte Wirth und seine Frau, bei denen er auf der Herreise eine Nacht geschlafen hatte.
»Du, sieh!« sagte die Frau, sich auf den Rechen stützend.
»Dem jungen Soldaten wird es schlecht. So ein junges Blut schon in die Montur zu stecken.«
»Ja,« nickte der Mann nachdenklich. »Aber der Officier scheint ein guter Kerl zu sein. Er nimmt ihn vom Pferde. Ah, er trägt ihn sogar her zum Wasser.«
Da faßte die Alte den Alten beim Arme und sagte hastig:
»Sieh Dir den Officier einmal an, Vater!«
»Warum?«
»Kennst Du ihn?«
»Hm! Den muß ich freilich schon gesehen haben.«
»Natürlich hast Du ihn gesehen.«
»Wo denn?«
»Bei uns.«
»Bei uns ist doch nie ein Major eingekehrt,« meinte der Alte, sich die etwas blöd gewordenen Augen wieder heller reibend.
»Er war doch gar nicht als Major da.«
»Als was denn sonst?«
»Als Musikus. Besinnst Du Dich nicht auf ihn? Wir haben ihm ja die Geschichte von der Kriegskasse erzählt.«
»Ach ja, der ist es; der ist es ganz gewiß! Also ein Officier! Er hat uns getäuscht. Warum aber übernachtete er gerade bei uns?«
Da faßte die Alte ihren Mann abermals und drückte ihm den Arm mit aller Gewalt.
»Was giebt es denn?« fragte er.
»Siehst Du es, siehst Du?«
»Was denn?«
»Der junge Soldat ist ein Mädchen.«
»Unsinn.«
»Unsinn? Siehst Du denn nicht die fürchterlich schönen, langen Haare, welche jetzt aufgegangen sind?«
»Das sind Haare? Hin! Das ist eigenthümlich.«
Margots Schwäche war ebenso schnell gewichen, wie sie gekommen war. Königsau hatte ihr Gesicht mit Wasser besprengt und ihr einen Schluck eingeflößt; dann konnte sie von selbst aufstehen.
»Ich danke Dir!« sagte sie. »Ich hin wieder wohl.«
»Aber reiten kannst Du noch nicht wieder.«
»Es wird vielleicht doch gehen. Hilf mir wieder in den Sattel.«
Er that dies, und siehe da, das schöne Mädchen hielt sich von jetzt an wacker. Leider aber stellte es sich heraus, daß die Mutter sich von Minute zu Minute schwächer fühlte. Sie klagte zwar noch nicht, aber ihre Haltung zeigte, daß sie sich nach einer Stütze, oder nach Ruhe sehnte.
Da bog Florian links ab, gerade an derselben Stelle, an welcher Königsau es auch gethan hatte, als er den beiden Kriegskassendieben folgte. Dieser wendete sich daher überrascht mit der Frage an ihn:
»Wohin soll das gehen, Florian?«
»In die Berge, wie ich Ihnen bereits sagte. Wir entgehen dadurch der Beobachtung und täuschen unsere Verfolger. Die Damen können da eher einmal absteigen und ausruhen, als auf der offenen Landstraße.«
Man folgte dem Bergwege, den Königsau damals auch gegangen war. Als sie zu der verlassenen Köhlerhütte gelangten, bat Frau Richemonte:
»O bitte, geben Sie mir nur fünf Minuten Zeit, mich zu erholen; dann wird es sicher wieder gehen.«
Florian half ihr ab. Sie setzte sich in das weiche Moos und holte tief Athem. Da kam Königsau ein Gedanke.
»Welcher Richtung folgen wir nun?« fragte er. »Der Weg hört auf.«
»Immer gerade aus, über den Berg hinweg. Wir kommen an einer tiefen Schlucht vorüber, welche sich rechts in die Felsen zwängt.«
»Bist auch Du wieder sehr müde, Margot?«
»Nein, mein Hugo.«
»So wollen wir bis an jene Schlucht voran reiten. Mama mag mit Florian nachkommen, sobald sie sich gekräftigt fühlt.«
»Warum?«
»Du erlaubst, daß ich Dir dies dann erkläre.«
Sie ritten langsam mit einander weiter. Er kannte die Richtung noch ganz genau und erreichte den Eingang zur Schlucht ohne fehlgegangen zu sein.
»Hier laß uns absteigen,« sagte er.
»Du thust so ernst, so geheimnißvoll, Hugo.«
»Ich bin Beides auch wirklich, liebste Margot.«
»So ist Dir diese Gegend wohl nicht unbekannt?«
»Nein! Ich kenne sie. Ich habe hier, wo wir jetzt stehen, bereits gestanden, und diese Schlucht ist der Schauplatz einer der wichtigsten Episoden meines Lebens. Ich werde sie Dir jetzt an Ort und Stelle erzählen. Komm.«
Sie waren unterdessen abgestiegen. Königsau band die Pferde an einen Baum und führte die Geliebte tiefer in die Schlucht hinein. –
Als Baron de Reillac vorhin den Kutscher fortsprengen sah, ohne von ihm die gewünschte Auskunft zu erhalten, blickte er ihm kopfschüttelnd nach.
»Hm, da ist auf dem Meierhofe ganz sicher Etwas los!« dachte er, indem er sein Pferd antrieb, den Weg wieder fortzusetzen. »Aber was? Diesen Officier habe ich jedenfalls bereits gesehen. Sehr jung zu dem Range eines Majors. Und die beiden Soldaten hatten auch so etwas Bekanntes an sich.«
Er sann und sann, ohne auf das Richtige zu kommen.
»Ah pah! Warum mir den Kopf zerbrechen. Ich werde auf Jeanette ja Alles erfahren!« rief er so laut, als ob es Jemand hören solle.
Das Pferd mochte glauben, gemeint zu sein, denn es setzte in ein beschleunigteres Tempo ein. So ging es fort und schon war der Meierhof fern in Sicht, als der Reiter plötzlich sein Pferd mit einem Rucke anhielt.
»Donnerwetter! Welch ein Gedanke!« rief er. »Wenn dies wahr wäre. Richemonte traute diesem Florian nicht. Das wäre ein ganz verfluchter Strich durch unsere Rechnung. Rasch vorwärts! Ich muß so rasch wie möglich Gewißheit und Aufklärung haben.«
Er spornte sein Pferd, daß es in Carriere davon flog, und hielt nicht eher an, als bis er sich auf dem Hofe der Meierei befand. Dort sprang er ab und eilte nach dem Zimmer des Capitäns. Er fand diesen wachend auf dem Sopha liegen. Richemonte erhob sich nachlässig.
»Wieder da?« fragte er.
»Wie Sie sehen.«
»Die Wechsel mitgebracht?«
»Ja. Doch ob wir sie vernichten, ist noch nicht ganz gewiß.«
»Wieso?«
Er betrachtete erst jetzt den Baron aufmerksamer und bemerkte alle Zeichen einer nicht gewöhnlichen Unruhe. Er fuhr darum fort:
»Was haben Sie? Ist Etwas passirt?«
»Vielleicht sehr viel. Beantworten Sie mir schnell einige Fragen.«
»Fragen Sie.«
»Wurde noch später eine Spur von diesem Königsau gefunden?«
»Nein.«
»Ist Deine Mutter und Schwester noch hier?«
»Natürlich.«
»Sie können nicht entkommen?«
»Es steht ein Posten vor der Thür.«
»Dann ist es räthselhaft. Befindet sich Florian noch auf dem Meierhofe?«
»Jedenfalls. Wenigstens habe ich erst vor Kurzem mit dem Menschen gesprochen.«
»Er ist nicht mehr da. Auch ich habe mit ihm gesprochen.«
»Wo?«
»Zwischen hier und Sedan. Es war ein Dragonermajor mit zwei Soldaten bei ihm. Eine Täuschung ist nicht möglich, denn ich sprach mit ihm.«
»Kam der Major von Jeanette?«
»Ja.«
»Es ist nur ein einziger hier. Er kam gestern als Ordonnanz und schläft noch.«
»Das ist möglich, denn der Major, welchen ich gesehen habe, war kein Anderer als dieser Königsau.«
Bei diesem Worte sprang Richemonte gleich zwei Schritte vorwärts.
»Baron, was sagen Sie?« rief er.
»Ja, es war Königsau; dieser Florian ist ein Verräther.«
»Irren Sie sich nicht?«
»Nein. Der Deutsche flog im Galoppe an mir vorüber; ich konnte sein Bild also nur höchst flüchtig in mir aufnehmen. Darum mußte ich längere Zeit angestrengt nachdenken, ehe ich darauf kam, wem dieses Gesicht gehörte.«
»Verdammt! Sie hätten ihm sonst nachreiten können, um ihn in Sedan festnehmen zu lassen.«
»Allerdings. Das ist es ja, was mich ärgert.«
»Nun jetzt ist er entkommen.«
»Und die beiden Soldaten mit. Ich will nur wünschen, daß ich mich in ihnen irre. Das Gegentheil wäre eine höllische Fatalität.«
»Was ist's mit den Soldaten?«
»Sie sahen Ihrer Mutter und Schwester außerordentlich ähnlich.«
Richemonte erbleichte.
»Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß –« stotterte er.
»Daß dieser verdammte deutsche Lieutenant sich in unser Hauptquartier und in die unmittelbare Nähe des Kaisers wagt, um mir meine Braut vor meinen Augen zu entführen? Ja, gerade das will ich sagen.«
»Das ist ein Unding, eine Unmöglichkeit. Wenn dies wahr wäre, so würde ich fast gezwungen sein, mich einfach zu erschießen.«
»Ueberzeugen Sie sich.«
»Ja. Kommen Sie mit.«
Die beiden Männer begaben sich nach dem Zimmer Margots. Vor demselben hielt der Posten.
»Etwas passirt?« fragte Richemonte.
»Nein.«
»Viel Geräusch gehört?«
»Gar keins.«
Der Capitän sowohl, als der Baron sahen einander verdutzt an, und es schien, als ob sie wieder Vertrauen in die Lage ihrer Sache gewonnen hätten.
*