Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fortsetzung 22

Die Lanciers waren alle erlegt, und so stand Napoleon mit den drei hohen Officieren den Räubern ganz allein entgegen. Nur Jan Hoorn, der treue Leibkutscher des Kaisers, hatte die Peitsche umgedreht und schlug die Angreifenden muthig über die Köpfe hinein; doch sah er sich bald gezwungen, den aufgeregten Pferden seine ganze Aufmerksamkeit wieder zuzuwenden.

Die Officiere vertheidigten sich mit dem größten Muthe und ganz ebenso großer Geschicklichkeit. Bald waren schon einige der Marodeurs verwundet, aber sie drangen mit desto größerer Wuth auf die Viere ein.

Napoleon selbst hatte Zwei gegen sich während der Generaladjutant ihn zu decken suchte, indem er Vier, welche ihn mit den Kolben niederschlagen wollten, von sich abwehrte. Seine Klinge zuckte, wie der Blitz mit Gedankenschnelligkeit, von einer feindlichen Waffe zur anderen. Es war zu sehen, daß die Herren trotz aller Tapferkeit gegen den rohen Angriff ermüden würden, wenn nicht eine glückliche Wendung eintrat. Da ertönte wieder die Stimme des Alten:

»So ist's nichts! Nehmt ihnen die Deckung! Greift sie von hinten an! Kriecht unter den Wagen hindurch, aber laßt sie am Leben, wenigstens den Kaiser!«

Da rief Ney, der Bravste der Braven, wie Napoleon ihn oft genannt hatte:

»Bei Gott, jetzt gilt's! Drauf, Grouchy!«

Der Wagen konnte, wenn die Feinde unter demselben hinweg krochen, ihm keine Deckung, keine Sicherheit mehr bieten; ja, die Nähe desselben mußte ihm im Gegentheile nur gefährlich werden. Darum that er einen gewaltigen Satz mitten unter die Feinde hinein und begann mit dem Degen sein berühmtes Rad zu schlagen. Sie wichen zunächst zurück, aber bald war er vollständig von ihnen umringt, die von allen Seiten auf ihn eindrangen.

Ebenso erging es Grouchy, welcher seinem Beispiele gefolgt und vom Wagen weg mitten unter die Gegner hineingesprungen war.

Es war eine Scene, keines Kaisers und keines Marschalls würdig, aber nichts desto weniger höchst gefährlich für die berühmten Helden des Schlachtfeldes. Trotz ihrer Tapferkeit mußte der Kampf in kurzer Zeit das voraus zu sehende Ende finden. –

Als der Kaiser vorhin mit seinen Marschällen und den Damen den Platz verlassen hatte, an welchem die letzteren überfallen, durch die Dazwischenkunft Königsaus aber gerettet worden waren, blieb nur dieser mit dem Kutscher zurück.

»Verdammt!« brummte dieser. »Nun haben wir den alten Kasten allein!«

»Meinen Sie etwa, daß der Kaiser sich vorspannen sollte?« lachte Königsau.

»Hm! Könnte nichts schaden! Wo der sich vorspannt, da geht es! Werden Sie mir vollends helfen?«

»Das versteht sich!«

»Sie fahren mit nach Jeanette?«

»Ja.«

»Und bleiben ein Wenig da?«

»Das wird sich wohl erst entscheiden.«

»Gut, Monsieur. Das Pferd ist bald angespannt. Es ist auch kräftig genug, den Wagen mit uns nach Hause zu bringen. Aber was thun wir mit den Leichen?«

»Wir lassen sie natürlich liegen.«

»Hm! Ja! Aber mit Allem, was sie bei sich tragen?«

»Ich denke.«

»Das paßt mir nicht. Da sind eine Menge Gewehre und andere Sachen, die man recht gut gebrauchen könnte!«

»Sie gehören aber nicht uns.«

»Wem sonst? Wir sind die Sieger!«

»Der Kaiser wird in Le Chêne Anzeige machen, und dann wird sich der Maire sofort nach hier begeben, um den Sachverhalt aufzunehmen. Er wird auch Alles an sich nehmen, was er hier findet.«

»Oder es kommen unterdessen Andere, welche Alles stehlen. Diese Kerls werden wohl Kameraden haben, welche nur darauf warten, daß wir uns entfernen.«

»Thun Sie, was Sie denken. Aber ich möchte nicht gern unnütz Zeit versäumen; ich möchte auch nicht gern haben, daß es heißt, ein Beamter vom Meierhof Jeanette, der Leibkutscher der Baronin, habe todte Banditen ausgeplündert.«

Da kratzte sich der Knecht in den Haaren. Das Wort Leibkutscher schmeichelte ihm.

»Hm,« brummte er. »Denken Sie wirklich?«

»Ja, das denke ich.«

»Ich soll das Alles liegen lassen?«

»Ja, Alles.«

»Nun, so mag es in drei Teufelsnamen liegen bleiben, obgleich ich mich vielleicht ärgere, so oft ich daran denke. Aber ich habe auch meine Ambition. Man soll nicht von mir sagen, daß ich Banditen ausplündere.«

»Schön! Also das Pferd her!«

»Da ist es. Verstehen Sie, ein Pferd an den Wagen zu hängen?«

»Ganz gut.«

»So thun Sie es! Ich werde unterdessen die zweite Laterne suchen.«

Er fand sie bald, wenn auch in zerbrochenem Zustande. Nach Verlauf einer kleinen Viertelstunde konnte man den Ort verlassen.

»Setzen Sie sich in den Wagen?« fragte der Kutscher.

»Ja, wenn es Ihnen recht ist.«

»Hm! Wäre es nicht besser, Sie setzten sich hier neben mich auf den Bock?«

»Warum?«

»Wir sind hübsch beisammen, wenn noch Etwas passiren sollte; auch sehen vier Augen mehr als zwei, und wir können uns miteinander unterhalten.«

»Gut. Sie haben Recht. Machen Sie also Platz!«

Er stieg auf, und bald rollte der Wagen im Trabe von dannen.

Zunächst schwiegen die Beiden. Der Kutscher, der eine biedere, treue Seele, aber keine allzu intelligente Natur war, hatte genug zu thun, sich das Erlebte von Anfang bis zum Ende zurecht zu legen, um es seinen Mitbediensteten erzählen zu können, Königsau hingegen dachte an die Geliebte, welche jetzt an der Seite des Kaisers saß. Dieser hatte Wohlgefallen an ihr gefunden, ein ganz auffälliges Wohlgefallen; er wollte auf Jeanette wohnen. Welche Perspectiven konnten sich da öffnen, welche Folgen konnte dies nach sich ziehen.

Man darf bei diesen Worten ganz und gar nicht meinen, daß der Deutsche dabei an die Möglichkeit einer Untreue von Seite der Geliebten dachte. O nein, dazu war sie ihm zu werth, zu rein, zu heilig. Aber er selbst wollte auf Jeanette, wenn auch nur kurze Zeit, verweilen; war der Kaiser zugleich zugegen, so konnten möglicher Weise Umstände eintreten, welche reiche Folgen brachten.

Da schien der Kutscher mit seinem Nachdenken bis zu einem gewissen Punkte gekommen zu sein, über welchem es ihm unmöglich war, sich hinweg zu schwingen.

»Hm!« brummte er. »Fatale Geschichte!«

»Was?«

»Sie, Monsieur!«

»Ich? Ich bin eine fatale Geschichte?«

»Ja.«

»In wiefern?«

»Ja, ich weiß nicht, ob ich Sie damit belästigen darf.«

»Reden Sie!«

»Nun gut! Der ganze Ueberfall ist mir nun klar. Ich habe zwar erst lange auf dem Bocke gesessen, um mir zu überlegen, ob ich mit zuhauen soll oder nicht; denn ein braver Kutscher darf nicht vom Bocke herab; aber dann, als ich mit dem Ueberlegen fertig war, habe ich dem Kerl auch sofort die Seele aus der Gurgel gequetscht. So weit ist mir Alles klar. Aber Sie, Monsieur, Sie sind mir ein Räthsel, über das ich nicht hinauskommen kann.«

»Das begreife ich nicht.«

»Ja, ich begreife es eben auch nicht. Wie kamen Sie grad zur rechten Zeit, um diese acht Kerls so gemüthlich todtzuschießen?«

»Ich habe es ja bereits erzählt!«

»Aber mir nicht.«

»So mögen Sie es noch einmal hören. Ich kam nach dem Meierhofe, um die Frau Baronin zu besuchen. Dort hörte ich, daß diese mit den beiden anderen Damen nach Vouziers sei. Was sie dort machten, weiß ich nicht.«

»Capitalzinsen hat die Gnädige dort einkassirt.«

»Gut. Ich weiß, daß die Straße unsicher ist; darum wurde ich besorgt um die Damen und ließ mir von dem Herrn Baron ein Pferd geben, um den Damen entgegenzureiten. Ich kam grad zur rechten Zeit.«

»Schön, jetzt ist mir das klar. Aber das Andere nicht.«

»Was?«

»Sie waren bereits einmal bei uns, als Sie die Damen Richemonte brachten; da hießen Sie Königsau und waren ein Deutscher. Jetzt heißen Sie ganz plötzlich Sainte-Marie und sind ein Franzose, sogar ein Seekapitän.«

»Und das verursacht Ihrem ehrlichen Kopfe Schmerzen?«

»Ja,« nickte der Kutscher.

»So sagen Sie einmal, was Ihnen lieber wäre, nämlich ob ich ein Deutscher oder ein Franzose bin!«

»Hm! Ja! Was sind Sie denn eigentlich von diesen Beiden?«

»Das wird sich finden, sobald Sie meine Frage beantwortet haben.«

»Na, da will ich Ihnen sagen, daß mir ein einziger Deutscher lieber ist, als alle Franzosen zusammen genommen!«

»Ist das wahr?« fragte Königsau überrascht.

»Vollständig.«

»Also lieben Sie Ihre Landsleute nicht?«

»Landsleute? Hm! Wissen Sie, wie ich heiße, Monsieur?«

»Nein.«

»Nun, so will ich es Ihnen sagen. Mein Name ist Florian Rupprechtsberger.«

»Das ist ja ein vollständig deutscher Name!«

»Allerdings. Der Name ist deutsch und der Kerl erst recht.«

»Wo sind Sie geboren?«

»Ich stamme zwischen Weißkirchen und Mettlach da drüben herüber. Dort hatten die Eltern der gnädigen Frau eine Besitzung. Die Baronin nahm mich, weil ich ein alter ehrlicher Kerl bin, mit nach Roncourt herüber. Das ist eine so lange Zeit her, daß ich unterdessen das Französische gelernt habe.«

»Das ist mir allerdings höchst interessant.«

»Ja. Und nun werden Sie mir auch sagen, ob Sie wirklich ein Franzose sind?«

»Ich bin keiner.«

»Donnerwetter! Ein Deutscher?«

»Ja.«

»Da muß vor Freude die Bulle platzen! Herr, nun sind wir einig, vollständig einig; nun gönne ich sie Ihnen, und zwar von ganzem Herzen!«

»Wen?«

»Nun, die Margot.«

»Wie kommen Sie auf diese Dame?«

Der brave Florian hustete sehr geheimnißvoll, sehr selbstbewußt und sagte:

»Glauben Sie etwa, daß ein Deutscher keine Augen hat?«

»Ich hoffe, daß unsere Augen ebenso gut sind wie diejenigen der Franzosen!«

»Das sind sie auch. Hören Sie, Monsieur, diese Margot ist ein Prachtmädel, ein Mädel, für die man sich die Finger wegbeißen könnte. Als Sie sie brachten, habe ich mich auf der Stelle bis über die Ohren in sie verliebt – – –«

»Oho!«

»Ja, ja! Nämlich so, wie sich ein ehrlicher Kutscher in die Herrschaft verlieben darf. Ich habe nun genau aufgepaßt. Da gingen nun Blicke herüber und hinüber, die Niemand sehen sollte; da mußte ich Sie Beide ausfahren, und als ich die Ohren spitzte, da hörte ich es hinter mir – – hm, na, gerade so, als wenn vier Lippen zusammen kleben und auseinander gerissen werden, ungefähr so, als wenn man eine halb neubackene Fischblase aus einander reißt.«

»Florian, Florian!«

»Na, nichts für ungut! Sie sind ein Deutscher; Sie sind ein Kerl, den man leicht lieb gewinnt, und darum gönne ich sie Ihnen; einem Andern aber nicht; den hätte ich halb todt geprügelt. Aber wie ist denn eigentlich Ihr Name?«

»Jetzt heiße ich Sainte-Marie.«

»Gut, wenn Sie nicht anders wollen! Man kann sich kein Vertrauen erringen, das muß von selbst kommen. Aber beweisen will ich Ihnen doch, daß ich ein ehrlicher Kerl bin. Sagen Sie mir nur vorher erst, was Sie sind?«

»Jetzt bin ich Seecapitän.«

»Da schlage doch das Wetter d'rein! Auch hier wird man belogen.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ja.«

»Beweisen Sie es.«

»Sofort! Sie heißen nicht Sainte-Marie, sondern Königsau.«

»Ah!«

»Sie sind nicht aus Marseille, sondern aus Berlin.«

»Oho!«

»Und Sie sind nicht Seecapitän, sondern Husarenlieutenant.«

»Unsinn!«

Königsau war im höchsten Grade erschrocken. Woher kannte dieser Kutscher ihn so genau? Das konnte höchst gefährlich werden; er mußte sich höchst vorsichtig benehmen.

»Unsinn?« fragte der Kutscher. »Das ist kein Unsinn, sondern die reine Wahrheit.«

»Wer sagte das?«

»Beide sagten es, nämlich sie und er.«

»Wer ist diese »sie«?«

»Mademoiselle Margot.«

»Ah! Hat sie von mir gesprochen?«

»Nein, das war anders. Wenn ich nicht fahre, bin ich oft im Garten. Da saß sie denn einmal in der Laube und hatte einen Brief in der Hand. Sie küßte und küßte ihn immer wieder, denn sie dachte, sie wäre allein. Dann legte sie ihn neben sich. Er fiel von der Bank herab, und als sie ging, vergaß sie ihn.«

»Ah! Sie haben ihn gelesen?«

»Ja.«

»Donnerwetter, das ist unverschämt.«

»Warten Sie es ab!« antwortete Rupprechtsberger ruhig.

»Was giebt es da abzuwarten! Sie eilten nach der Laube – – –!«

»Ja, ich eilte sehr.«

»Sie hoben den Brief auf – – –!«

»Natürlich.«

»Sie schlugen ihn auseinander – – –!«

»Ja, sonst hätte ich ihn ja nicht lesen können.«

»Und Sie lasen ihn! Wirklich? Wirklich?«

»Na, ganz und gar nicht; dazu hätte ich gar keine Zeit gehabt, denn ich hörte Mademoiselle bereits wieder zurückkehren. Ich las nur die Ueberschrift und dann die Unterschrift.«

»Schurke!«

»Unsinn! Ich hatte meine Gründe dazu. Die Ueberschrift lautete »Berlin« und »meine heißgeliebte Margot«, und die Unterschrift klang wie »Hugo von Königsau«. Habe ich richtig gelesen?«

»Welchen Grund hatten Sie, diese Indiscretion zu begehen, he?«

Er sprach diese Frage in einem sehr strengen, ärgerlichen Tone. Er war zornig geworden.

»Welchen Grund? Hm, weil »er« mir den Namen genannt hatte.«

»Er? Ah, Sie sprachen vorhin von er und sie. Ist das dieser Er?«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Das darf ich nicht verrathen. Uebrigens haben Sie kein Vertrauen zu mir; was nützt es da, Vertrauen zu Ihnen zu haben.«

»Florian, ich beginne, zu bemerken, daß Sie nicht ein »guter, treuer und ehrlicher« sondern ein höchst pfiffiger und verschmitzter Kerl sind.«

»Da irren Sie sich! Ich bin sogar noch etwas dümmer, als ich  aussehe; aber für eine Person, die ich lieb habe, kann ich, weiß Gott, zum gescheidtesten Kerl werden.«

»Da wollte ich, daß ich zu Denen gehörte, die Sie lieb haben.«

»Das ist ja auch bereits der Fall!«

»Wirklich?«

»Wahrhaftig. Ich wollte Sie ja deshalb herauf auf den Bock haben, um mit Ihnen von der Leber weg reden zu können. Hier im Walde hört es kein Mensch.«

»Es scheint aber doch, als ob es nicht so recht von der Leber weg gehen wollte.«

»In wiefern?«

»Nun, weil ich von diesem »Er« nichts höre.«

»Von ihm darf ich nur zu Einem reden, der Königsau heißt und Lieutenant ist.«

»Wirklich zu keinem Andern?«

»Zu Keinem.«

»Nun gut, ich will Ihnen vertrauen. Ich heiße Königsau und bin Husarenlieutenant.«

»Mit dem alten Blücher gut bekannt?«

»Ja. Aber woher wissen Sie das?«

»Das wird bald kommen. Sie haben Mademoiselle Margot hier verstecken wollen?«

»Ah! Wie kommen Sie auf diese Idee?«

»Nun, Madame Richemonte ist mit Mademoiselle von Paris heimlich fort.«

»Sie werden mir unbegreiflich.«

»Sie werden mich bald begreifen,« sagte der Kutscher in seiner bedächtigen Weise.

»Warum sollten sie heimlich fortgegangen sein?«

»Eines Stiefbruders wegen, welcher Richemonte heißt und Capitän ist.«

»Donnerwetter!«

»Und eines Baron's wegen, welcher Reillac heißt und Armeelieferant ist.«

»Mensch, Sie haben irgend ein Gespräch der beiden Damen belauscht.«

»Fällt mir gar nicht ein.«

»Woher wissen Sie das Alles?«

»Von »ihm« natürlich.«

»Wer aber ist dieser »Ihm« denn eigentlich?«

»Capitän Richemonte.«

Wäre es im Walde hell gewesen, so hätte der Kutscher sehen können, daß Königsau erbleichte. Was er hörte, ließ ihn tief erschrecken.

»Der Capitän?« fragte er. »War er hier?«

»Ja.«

»Auf Jeanette?«

»Ja.«

»In Roncourt?«

»Ja.«

»In Sedan?«

»Ja.«

»Wann ist das gewesen?«

»Vor einer Woche.«

»Alle Teufel! War er bei der Baronin?«

»Nein.«

»Bei einer von den andern Damen?«

»Auch nicht.«

»Oder bei dem jungen Baron?«

»Das fiel ihm gar nicht ein.«

»Nun, zum Teufel, bei wem soll er hier dann sonst gewesen sein, he?«

Da holte der Kutscher tief Athem und antwortete mit Nachdruck: »Bei mir!«

»Ah, der Tausend! Bei Ihnen?«

»Ja, natürlich!«

»Wie kommt er denn zu Ihnen?«

»Ich war ihm empfohlen.«

»Von wem?«

»Vom Herrn Baron de Reillac.«

»So kennen Sie diesen auch?«

»O, sehr gut, außerordentlich gut.«

»Woher denn?«

»Woher? Hm! Wissen Sie denn nicht, daß er sehr oft in Roncourt ist?«

»In Roncourt? Davon weiß ich kein Wort, kein einziges Wort. Wahrhaftig nicht!«

»Er hat ja sein Quartier in Sedan!«

»Er quartiert in Sedan? Wohl wieder als Armeelieferant des Kaisers?«

»Das versteht sich.«

»Alle tausend Teufel! Nun wird die Plage und Gefahr von Neuem beginnen.«

»Keine Sorge, Herr Lieutenant! Da ist der Florian Rupprechtsberger da.«

»Um Gotteswillen, lassen Sie den Lieutenant fort.«

»Es hört ja Niemand.«

»Wenn zehnmal! Nennen Sie mich Herr Seecapitän; das ist das Sicherste! Aber sagen Sie mir doch, wie Sie mit diesen Kerls zusammen gekommen sind?«

»Nun, eines Tages fahre ich die Damen nach Sedan. Wir stiegen in unserm gewöhnlichen Gasthofe ab. Ich führe die Pferde in den Stall, und da kommt mir ein feiner Herr, der aber mehr wie ein Schuft als wie ein ehrlicher Kerl aussah, und fragte mich:

»Sind Sie es, welcher die drei Damen gefahren hat, welche soeben abstiegen?«

»Ja,« antwortete ich.

»Wer sind sie?«

»Die Baronin de Sainte-Marie. Die beiden Andern sind Gäste von ihr.«

»Woher? Vielleicht aus Paris?«

»Vielleicht.«

»Wie heißen sie?«

»Madame und Mademoiselle Richemonte.«

»Ah, diese Namen habe ich gehört. Wo wohnt die Baronin, Ihre Gebieterin?«

»Auf Meierhof Jeanette bei Roncourt.«

»Danke.«

Damit drückte er mir einen vollen, goldenen Napoleonsd'or in die Hand und geht.«

»Das war jedenfalls der Baron de Reillac?«

»Ja. Einige Zeit darauf hatte ich im Felde draußen zu thun. Da kam ein Reiter; es war derselbe Baron. Er begann ein Gespräch mit mir und war so auffällig freundlich, daß er mir geradezu widerwärtig wurde. Ich mußte es ihm ansehen, daß er mich zu irgend einem Zwecke gewinnen wolle; darum nahm ich mir vor, sehr vorsichtig zu sein. Nachdem er Verschiedenes gesagt und gesprochen hatte, fragte er auch:

»Kamen die beiden Damen Richemonte allein nach Jeanette?«

»Ich weiß nicht,« antwortete ich vorsichtig. »Ich war an diesem Tage abwesend.«

»War vielleicht mit ihnen ein anderer Besuch da?«

»Ich könnte mich nicht besinnen.«

»So besinnen Sie sich vielleicht auf den deutschen Namen Königsau?«

»Nein. Ich habe ihn noch gar nicht gehört.«

»Hm, eigenthümlich! Wissen Sie auch nicht, ob die Damen Briefe aus Berlin empfangen?«

»Nein.«

Da sah er mich mit einem außerordentlich forschenden Blick an und fragte:

»Ich gab Ihnen letzthin einen Napoleonsd'or, nicht wahr?«

»Ja, Monsieur,« antwortete ich.

»Wollen Sie sich mehrere solche Goldstücke verdienen?«

»Wie viele?«

»Das wird ganz auf Sie ankommen!«

»O, so werde ich gleich jetzt beginnen, sie mir zu verdienen, Monsieur.«

»Nun gut, so frage ich Sie, ob Sie in meine Dienste treten wollen.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Well ich in dem Dienste der Frau Baronin de Sainte-Marie mich befinde.«

»Das thut nichts zur Sache. Sie können ihr und mir ganz gut dienen.«

»Zu gleicher Zeit?«

»Ja, ihr öffentlich und mir heimlich.«

»Was geben Sie mir für Aufträge, Monsieur?«

»Sie werden dieselben empfangen, sobald Sie sich erklärt haben.«

»Nun gut, so stelle ich mich Ihnen zur Verfügung. Aber was werden Sie mir zahlen?«

»Ich gebe Ihnen fünfundzwanzig Napoleonsd'or, und dann erhalten Sie das Weitere je nach dem Werthe ihrer Dienste.«

»Ich bin zufrieden, Monsieur.«

»Gut, so haben Sie hiermit die versprochenen Fünfundzwanzig.«

Er gab mir das Geld und fuhr dann weiter fort:

»Ich wünsche nämlich Alles zu wissen, was Mademoiselle Richemonte betrifft. Ich bin ein heimlicher Anbeter von ihr und möchte gern wissen, ob ihr Herz noch frei oder bereits vergeben ist, ob sie die Briefe oder Besuche eines Geliebten empfängt, kurz Alles, was einen Liebhaber zu interessiren pflegt. Sie verstehen mich doch?«

»Vollständig, Monsieur.«

»Ich brauche Ihnen folglich keine weitläufigere Instruction zu geben?«

»Ich glaube nicht.«

»Nun gut, so hoffe ich, daß ich Sie zu unserm gegenseitigen Nutzen engagirt habe.«

»Wohin soll ich Ihnen bringen, was ich erfahre?«

»In's Hauptquartier nach Sedan. Ich bin Baron Reillac, der Armeelieferant. Aber sagen Sie mir, ob Sie verschwiegen sein können.«

»Ich werde stumm sein.«

»Das ist mir lieb und auch gut für Sie. Die Damen sollen nicht erfahren, daß ich in der Nähe bin; deshalb werde ich nie nach Jeanette kommen. Auch daß Sie mich kennen, darf kein Mensch wissen. Jede Botschaft erhalten Sie gut bezahlt. Passen Sie besonders genau auf, ob Briefe aus Berlin kommen, und wenn Sie erfahren können, daß dieselben mit »Hugo Königsau« unterzeichnet sind, so erhalten Sie doppelte Belohnung.«

Jetzt mußte Königsau doch sein längeres Schweigen brechen.

»So sind Sie förmlich von ihm engagirt worden?« fragte er den Kutscher.

»Ja,« antwortete dieser ruhig.

»Und haben in seinen Diensten gearbeitet?«

»Fürchterlich!«

»In wiefern?«

»Ich habe ihm ein halbes Dutzend Lügen erzählt und für jede mein Goldstück erhalten.«

»Wissen Sie, Florian, daß Sie ein Spitzbube sind!«

»Gegen diesen Kerl? Ja. Das schadet gar nichts. Gegen Andere bin ich desto ehrlicher.«

»Aber Sie haben doch nachgesehen, ob Briefe aus Berlin mit meiner Unterschrift eintreffen.«

»Ja, aber nicht dieses Barons wegen, sondern meinetwegen.«

»Ah, Ihretwegen?«

»Ja, natürlich!«

»Was haben Sie dem Baron davon gesagt?«

»Nichts, gar nichts. Er hat gar nichts davon gehört, daß ich jenen Brief gesehen habe.«

»Aber warum wollten Sie ihn gerade Ihretwegen sehen?«

»Ich wollte wissen, ob der Geliebte von Mademoiselle Margot wirklich ein Deutscher sei. Wenn das der Fall war, so war ich sein Landsmann und nahm mir vor, ihn gegen seine Feinde zu beschützen. Habe ich da Unrecht gethan, Monsieur?«

»Unrecht? Hm! Ja und nein! Aber ich absolvire Sie. Ich darf Sie also meinen Beschützer nennen, nicht wahr, Monsieur Florian?«

»Ja. Lachen Sie immerhin darüber; es ist dennoch so. Unsereiner kann leicht einem großen Herrn einmal einen Dienst erweisen; das können Sie glauben.«

»Ich glaube es, denn ich weiß es; ich habe es oft erfahren,« sagte Königsau im ernstesten Tone. »Also Sie sind mit dem Barone öfters zusammen gekommen?«

»Sehr oft. Wir treffen uns wöchentlich einige Male. Letzthin nun passirte es mir, daß ich mir ein Goldstück holen wollte; ich wollte ihm irgend Etwas erzählen, was gar nicht geschehen war, und fand seinen Diener nicht anwesend. Das Vorzimmer war nicht verschlossen, und ich trat ein. Da hörte ich in seinem Zimmer laute Stimmen. Er sprach mit einem Herrn. Ich setzte mich sehr gleichmüthig nieder und hörte zu; ich konnte jedes Wort verstehen. Sie sprachen von Ihnen.«

»Von mir?«

»Ja, und vom alten Blücher.«

»Ah!«

»Von einem Ueberfalle, bei welchem Sie einen Küraß getragen hatten.«

»Sapperment!«

»Ferner von Mademoiselle Margot, die sie zu dem Baron geschafft hatten. Sie waren dann mit dem Feldmarschall gekommen – – –«

»Wer war der Mann, mit dem der Baron sprach?«

»Derselbe, welcher Sie gestochen und auf Sie geschossen hatte.«

»Capitän Richemonte?«

»Ja. Ich hörte es aus dem Gespräche heraus. Aber ich hörte noch viel mehr!«

»Was! Erzählen Sie!«

»Zunächst sagte der Baron, daß er jetzt einen dummen Knecht bestochen habe. Damit meinte er natürlich mich. Ich werde ihm bei Gelegenheit diese Dummheit um den Kopf herumschlagen, daß ihm alle Gedanken vergehen sollen!«

»So wußte also auch der Capitän bereits, daß Margot sich auf Jeanette befindet?«

»Ja. Sie wußten es schon in Paris.«

»Unmöglich!«

»O doch; ich habe es im Laufe ihres Gespräches ganz deutlich bemerken können.«

»Wer sollte es ihnen denn verrathen haben? Kein Mensch hat es gewußt.«

»O, doch Einer, nämlich der Bankier, von welchem Frau Richemonte ihr Einkommen bezieht.«

»Ah, das ist wahr; das haben wir aus der Acht gelassen.«

»Die Hauptsache aber erfuhr ich erst am Schluß des Gespräches. Nämlich der Capitän Richemonte ist im Meierhofe gewesen.«

»Bei den Damen?« fragte Königsau erschrocken.

»Nein, sondern bei General Drouet.«

»Was wollte er bei ihm? Die Klugheit hätte ihm doch eigentlich geboten, sich vor den Damen nicht sehen zu lassen. Er hätte besser gethan, nicht zu verrathen, daß er ihren Aufenthaltsort kennt.«

»Das hat er auch ganz und gar nicht gethan.«

»Aber man muß ihn doch gesehen haben!«

»Nein, denn er ist des Abends gekommen, sogar erst gegen Mitternacht.«

»So muß der Grund seines Besuches ein sehr geheimnißvoller sein.«

»Das ist er auch; geheimnißvoll und schurkisch, schurkisch im höchsten Grade.«

»So kennen Sie diesen Grund?«

»Ja, denn er kam im Laufe der Unterhaltung zur Sprache.«

»Darf ich ihn hören?«

»Ja. Sie sind, wie ich aus Allem vermuthe, und wie Sie selbst auch vorhin gestanden, ein Freund von dem alten Feldmarschall Blücher?«

»Ja, freilich, freilich!«

»O, so wollte ich, daß Sie activ in Diensten ständen!«

»Warum? Glauben Sie, daß ich außer Dienst bin, Monsieur Florian?«

»Natürlich!«

»Ach, warum glauben Sie das?«

»Wären Sie activer Militär, so befänden Sie sich bei Ihrer Truppe und nicht hier.«

»Ach, Sie waren wohl nie Soldat?«

»Nein, aber der Onkel meines Großvaters war einer; das ist aber lange her!«

»Das glaube ich,« lachte Königsau. »Das muß so zur Zeit des großen Churfürsten und des alten Dörflinger gewesen sein.«

»Ja, unter dem hat er gedient; Sie haben ganz richtig gerathen, Monsieur!«

»Nun, da ich einmal aufrichtig mit Ihnen bin, so will ich Ihnen gestehen, daß ich nicht passiv bin, sondern mich gegenwärtig noch im Dienst befinde.«

»In Blüchers Armee, welche bei Lüttich und da herum liegt?«

»Ja. Mein Dienst ist sogar ein sehr schwerer und gefährlicher!«

Da klatschte der Kutscher mit der Peitsche, daß es weithin schallte, und sagte:

»Donnerwetter, jetzt bin ich es, der Ihnen sagt, daß Sie leiser sprechen sollen! Herr – Herr Seecapitän, ich sage Ihnen, Sie sind mein Mann!«

»Ah, warum?«

»Ich ahne, welchen Dienst Sie thun!«

»Nun?«

»Sie kommen, die Franzosen ein Wenig auszuhorchen. Nicht wahr, Monsieur?«

»Mag sein.«

»Nun, dann zählen Sie auf mich! Uebrigens thut Capitän Richemonte dasselbe drüben auf Ihrer Seite.«

»Ah, er macht den Eclaireur?«

»Den Eclaireur, ja. Aber bei ihm möchte ich lieber und richtiger sagen, daß er den Spion und Mörder macht.«

»Den Mörder? Donnerwetter! Wie meinen Sie das, bester Florian?«

»Nun, er soll den alten Blücher zur Seite schaffen.«

»Unmöglich! Sie irren sich.«

»Ich mich irren? Ich habe es ja mit diesen meinen eigenen Ohren gehört!«

»Das wäre infam, fürchterlich infam!«

»So will ich Ihnen sagen, daß er den Auftrag dazu bereits in Paris empfangen hat.«

»Von wem?«

»Von General Drouet, wenn ich mich nicht irre.«

»Ich bin ganz starr vor Erstaunen!«

»Ja, das ist die leichteste Art, Krieg zu führen. Man putzt die Anführer weg.«

»Und zwar per Meuchelmord. Wie leicht wäre es mir da heut gewesen, den Kaiser und zwei seiner berühmtesten Marschälle zu tödten!«

»Sie sind ein Deutscher, Monsieur!«

»Aber mein Gott, so ist dieser Mensch ja noch weit gefährlicher als ich dachte!«

»Allerdings!«

»Und Drouet steht mit ihm im Bunde?«

»Wie es scheint.«

»Das ist nicht zu glauben. Ein General thut das nicht. Der Capitän muß irgend einen einigermaßen mystischen Auftrag des Generals falsch verstanden haben.«

»Das geht mich nichts an. Ich habe nur gehört, daß Richemonte den Marschall auf die Seite bringen soll, und sich zugleich an demselben rächen will.«

»Hat er bereits von einem Versuche gesprochen?«

»Er beklagte sich, daß es ihm noch nicht gelungen sei, in die Nähe des Alten zu kommen.«

»Donnerwetter, das kann ihm täglich gelingen! Der Feldmarschall befindet sich da in einer außerordentlichen Gefahr. Wann hörten Sie diese Unterredung?«

»Vor acht Tagen.«

»Wollte der Capitän sofort wieder retour?«

»Er sprach von einem Spielchen machen.«

»So! Nun ich dieses weiß, ist meines Bleibens auf Jeanette nicht lange. Ich muß so schleunig wie möglich aufbrechen, um den Marschall zu warnen.«

»Thun Sie es, thun Sie es! Ich habe Ihnen das ja deshalb mitgetheilt!«

»Aber Sie sind wirklich ein Freund der Deutschen?«

»Ja, freilich!«

»Und ein Bewunderer Blüchers?«

»O, wenn ich nur dem einmal die Hand drücken dürfte! Er sollte sich wundern!«

»Aber, wenn dies wahr ist, warum haben Sie nichts gethan, um ihn zu warnen, oder den Mordanschlag auf irgend eine Weise zu vereiteln?«

»Ich? Was sollte ich thun? Ich, ein einfacher Kutscher!«

»Vielerlei! Man thut in solchen Fällen das, was Einem am Leichtesten wird.«

»Richtig! Das habe ich auch gethan!«

»Was?«

»Ich habe gewartet, bis Sie kommen. Ich dachte, daß Sie Bescheid wissen würden.«

»Aber Sie wußten ja gar nicht, daß ich kommen würde.«

»O, das wußte ich im Gegentheile ganz gewiß.«

»Ich bin da doch neugierig, woher.«

»Das ist sehr einfach. Mademoiselle Margot spaziert gewöhnlich nur im Garten. Seit sie aber den letzten Brief erhalten hat, geht sie täglich einige Male vor der Meierei spazieren, dem Wege entgegen, welcher von Roncourt her kommt. Und wenn ein Wagen in den Hof rollt, so eilt sie schnell an das Fenster.«

»Florian!«

»Herr Seecapitän!«

»Sie sind ein Schlauberger.«

»Nein, ich bin kein gescheidter Kerl, aber, wie ich Ihnen bereits sagte, wenn ich Jemand gern habe, so kann ich vor Liebe gescheidt werden.«

»Sie haben also in Wahrheit geahnt, daß ich komme?«

»Ich war überzeugt davon. Darum nahm ich mir vor, das vom Capitän aufzuheben, bis es mir möglich war, es Ihnen zu erzählen.«

»Ich danke Ihnen! Es soll an die richtige Adresse gelangt sein. Aber dort sehe ich Lichter auftauchen. Was ist das? Vielleicht bereits Le Chêne?«

»Ja. Fahren wir durch?«

»Nein. Wir halten am Gasthofe an und trinken ein Glas Wein. Vielleicht ist der Kaiser – – – ah, Donnerwetter, da fällt mir Etwas ein!«

»Was?«

»Etwas Hochwichtiges, was ich ganz vergessen habe.«

»Das klingt ja ganz und gar wichtig und apart.«

»Das ist es auch. Mein Gott, daß ich nicht daran gedacht habe. Florian, hauen Sie auf das Pferd, nur derb, derb, daß wir vorwärts kommen.«

»Jetzt klingt's nun gar gefährlich.«

Mit diesen Worten gab der Kutscher dem Braunen die Peitsche, so daß dieser die Karosse mit doppelter Schnelligkeit weiter schleppte.

»Es ist auch gefährlich,« antwortete Königsau. »Der Kaiser befindet sich in Gefahr mit Allen, die bei ihm sind.«

»Donnerwetter! Welche Gefahr wäre das?«

»Ich belauschte da unten am Kreuze einige Männer, welche davon sprachen, daß zwei Marschälle erwartet werden, welche man überfallen wolle.«

»Am Kreuze?«

»Ja.«

»Gegen Roncourt hin?«

»Ja.«

»Teufel, das ist eine gefährliche Stelle. Dort haben bereits Einige seit kurzer Zeit das Leben lassen müssen. Was ist da zu thun?«

»Rasch nach Le Chêne in den Gasthof. Dort ist der Kaiser abgestiegen. Wir müssen sehen, ob er vielleicht noch anwesend ist.«

»Verdammte Geschichte. Mir ist's nicht um den Kaiser, sondern um meine guten drei Frauenzimmer. Ihn könnten sie in Gottesnamen abquetschen und seine Marschälle dazu; aber wenn es sich um Mademoiselle Margot und die beiden Anderen handelt, so jage ich lieber den Braunen todt, als daß ich sie verlasse. Vorwärts!«

Er schlug mit aller Gewalt auf das Pferd ein, so daß die alte Staatskarosse fast zu fliegen schien.

»Sogar meine Pistolen habe ich wieder zu laden vergessen.«

Königsau zog die Waffen hervor, und es gelang trotz des holperigen Weges, alle acht Läufe zu laden, so daß er eben fertig war, als sie vor dem Gasthofe hielten.

Er sprang von dem Wagen und trat in die Stube. Der Kutscher folgte in ganz gleicher Eile hinter ihm.

»War der Kaiser da?« fragte der Erstere.

Der Wirth saß am Tische. Der Maire war noch da; er hatte sich eben zum Gehen angeschickt, als die Beiden eintraten.

»Ja,« antwortete der Beamte in wichtigem Tone. »Seine Majestät hatten die Gnade, mich in einer wichtigen – –«

»Hielten alle drei Wagen des Kaisers hier an?« unterbrach ihn der Deutsche.

»Ja. Es waren Herren und Damen bei ihm, welche mit mir freundl – – –«

»Wann sind sie fort?«

»Soeben; in diesem Augenblicke. Ich hatte die Ehre ein Protokoll zu – – –«

»Antworten Sie mir schnell und genau. Wie viele Minuten sind verflossen, seit der Kaiser sich von hier entfernt hat?«

»Vielleicht zwei Minuten. Aber junger Mann, wie können Sie es wagen, mit dem Maire von Le Chêne in diesem Tone – – –«

»Papperlapapp. Ich sehe ein Protokoll in Ihrer Hand. Worüber handelt es?«

»Von einem Ueberfall im Walde. Der Kaiser selbst hat es mir dictirt.«

»Nun, so werden Sie auch wissen, daß ein Mann als Reiter erschien – – –«

»Der acht Räuber erschlug? Ja,« fiel der Maire ein.

»Nun, dieser Mann bin ich. Jetzt nun befindet sich der Kaiser in allerhöchster Lebensgefahr. Haben Sie ein Pferd im Stalle, Wirth?«

»Ja.«

»Heraus damit! Florian, Sie reiten es!«

Da erhob sich der Wirth erschrocken und rief:

»Mein Pferd hergeben? Ach. Fällt mir nicht ein. Wer sind Sie? Wie heißen Sie?«

»Ja, wer sind Sie, und wie heißen Sie?« fragte auch der Maire im strengsten Amtstone. »Wenn der Kaiser sich in allerhöchster Gefahr befindet, so – – –«

»So haben Sie zu handeln, aber nicht zu schwatzen,« fiel ihm Königsau in die Rede. »Sagen Sie, ob in Ihrem Protokoll ein Seecapitän Sainte-Marie erwähnt wird.«

»Ja. Er ist der, welcher acht Räuber erschlagen hat. Jedenfalls ist er mit der Frau Baronin auf Jeanette verwandt, denn der Kaiser hat ihn als ihren Cousin dictirt.«

»Nun, der bin ich. Draußen steht die Karosse der Baronin, welche überfallen wurde. Es befindet sich nur ein Pferd davor; mit diesem Wagen können wir den Kaiser nicht einholen, welcher am Kreuze mit den Marschällen überfallen werden soll.«

»Am Kreuze!« rief der Wirth.

»Ueberfallen!« schrie der Maire.

»Ja. Sie haben die schleunigste Hilfe zu leisten, sonst schicke ich Ihnen den Kaiser auf den Hals.«

»Um Gotteswillen, nur das nicht!« meinte der Maire. »Ich renne bereits; ich laufe, ich eile. Was soll ich thun?«

»Wer im Orte ein Pferd und Waffen hat, soll aufsitzen und unter Ihrem Kommando zum Kreuze kommen – –«

»Unter meinem Kommando?« zeterte der Maire. »Ich kann nicht kommandiren. Ich bin heiser, fürchterlich heiser.«

»Pa. Ihre Stimme ist gut, wie ich höre! Eilen Sie. Wer in einer Viertelstunde nicht am Kreuze ist, wird erschossen.«

»Gott, o Gott! Da will ich doch lieber probiren, ob ich Einen erschießen kann!«

Mit diesen Worten eilte der Maire hinaus.

»Nun, wie wirds mit dem Pferde?« fragte Königsau den Wirth.

»Muß ich's denn wirklich hergeben?« jammerte dieser.

»Ja, ja, ohne Frage. Steht es in einer Minute nicht vor dem Thore, so jage ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf; darauf können Sie sich verlassen.«

Er zog seine Pistole.

»Gleich, gleich. In einer halben Minute ist's da!« rief der Wirth.

Er sprang eiligst zur Thür hinaus; Königsau rief ihm nach:

»Sie brauchen es nicht zu satteln.«

Da meinte Florian, der Kutscher:

»Wir reiten?«

»Natürlich.«

»So nehmen Sie das Pferd des Wirth's; ich nehme den Braunen. Und hier ist auch eine Waffe, die ich gut gebrauchen kann.«

Ueber der Thür hing nämlich ein schwerer Kavalleriesäbel aus der Zeit der Revolution. Den riß der Kutscher herab, und dann sprang er hinaus.

Auf einem Tische lagen zwei Bündel Talglichte. Als Königsau sie bemerkte, kam ihm ein Gedanke. Draußen war es dunkel. Wie nun, wenn er sich eine Fackel bereitete? Das war jedenfalls vortheilhaft und nahm keine Zeit weg.

Von der Decke hingen einige ausgeglühte, leicht biegbare Drähte, an denen gewöhnlich die Lampen aufgehängt wurden. Er riß diese Drähte herab, nahm aus der Ecke einen dort liegenden Spazierstock, legte um den oberen Theil desselben die Lichte herum und umwickelte sie mit den Drähten.

Hinter dem Ofen stand das Zunderzeug. Mit Hilfe desselben und einer kleinen Hand voll Schießpulver war der obere Theil der so improvisirten Talglichtfackel so präparirt, daß sie mit Hilfe eines Pistolenschusses augenblicklich zum Lichterlohbrennen gebracht werden konnte.

Das Alles hatte kaum eine Minute Zeit in Anspruch genommen. Ein geistesgegenwärtiger Mann bringt in der Zeit der Gefahr in einer Minute mehr fertig als ein Anderer in einer Stunde. Königsau vergaß sogar nicht ein Goldstück als Ersatz auf den Tisch zu werfen; dann ging er hinaus.

Florian hatte soeben seinen Braunen abgeschirrt, auch in fliegender Eile, und stieg auf, den mächtigen Pallasch in der Faust.

Der Wirth brachte sein Pferd. Er sah den Säbel und schrie:

»Halt. Wo ist der Säbel her?«

»Er hing über der Thür,« antwortete Florian.

»Er ist mein.«

»Holen Sie ihn sich.«

Damit sprengte der wackere Kutscher davon.

Königsau riß dem Wirthe das Halfter aus der Hand und schwang sich auf.

»Bekomme ich denn das Pferd wieder?« fragte der Wirth ängstlich.

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Wann denn?«

»Ihre Nachbaren werden es Ihnen mitbringen.«

Damit sauste er davon.

»Aber Wort halten!« brüllte ihm der Wirth nach.

*


 << zurück weiter >>