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Fortsetzung 40

Gebhardt reiste ab, nachdem er den zärtlichsten Abschied von den Seinen genommen hatte. In Paris angekommen, war es sein Erstes, seinen Freund Kunz von Goldberg aufzusuchen, von welchem er mit Freuden empfangen wurde. Er hatte noch keine Ahnung, zu welchem Zwecke Gebhardt nach Paris gekommen sei, da dieser ihm dies nicht geschrieben hatte, um ihn zu überraschen.

»Du in Paris?« fragte Kunz. »Wohl eine Erholungsreise?«

»Ja, wenn Du meinst, daß man sich in der Sahara erholen kann.«

»In der Sahara?« fragte Kunz erstaunt.

»Ja, mein Freund.«

»Du willst doch nicht sagen, daß Du die Absicht hast, nach der Wüste zu gehen!«

»Nicht nur nach der Wüste, sondern sogar quer durch dieselbe.«

»Mein Gott, ich träume!«

»Nein, mein Lieber, Du bist im Gegentheil ganz außerordentlich wach.«

»So bitte ich Dich dringend, mir das Räthsel zu erklären!«

»Meine Erklärung ist ganz einfach die, daß ich das Glück habe, Mitglied einer Expedition zu sein, welche nach Timbuktu gehen soll.«

»Nach Timbuktu? Das klingt ja wie ein Märchen aus tausend und eine Nacht.«

»Es kommt mir selbst so vor.«

»Aber sage doch, wie kommst Du dazu? Wer Alles ist Mitglied dieser Expedition, und welche Zwecke soll dieselbe in Timbuktu verfolgen?«

Als er den erbetenen Aufschluß bekommen hatte, umarmte er den Freund vor Freude und sagte:

»Ich gratulire Dir, lieber Gebhardt. Du glaubst nicht, wie glücklich ich bin, zu hören, daß wenigstens Dir unser Lieblingswunsch in Erfüllung geht. Du lernst die Sahara kennen.«

»Ich danke!« antwortete Gebhardt in scherzender Ironie. »Ich lerne die Sahara kennen; ich wade im tiefsten Sande, während Du in den feinen Salons Deine Studien machst. Du bereicherst Dich mit Kenntnissen, während ich von der Sonne ausgebraten werde. Wenn ich dann später zurückkehre, bist Du Major, oder Oberst, ich aber – – ein Mohr.«

»Meinetwegen!« meinte Kunz lustig. »Ich wollte doch, ich könnte mit Dir tauschen. Welche Perspective auf Abenteuer eröffnet sich Dir! Du wirst Dich mit den wilden Berbern, Arabern und Tuareks herumschlagen, Du wirst Hyänen, Schakale und Löwen tödten – Löwen, sacré, Löwen, da fällt mir Hedwig ein!«

»Hedwig?« fragte Gebhardt. »Hyänen, Schakale, Löwen und Hedwig? Soll das eine Steigerung der Wildheit bedeuten?«

»Hm! Beinahe! Hedwig ist nicht sehr zahm.«

»Ah!« lachte Gebhardt. »So ist diese Hedwig wohl eine ungezähmte Tigerin, welche ihre Wohnung im zoologischen Garten hat?«

Kunz schüttelte geheimnißvoll den Kopf und antwortete:

»Nein. Hedwig ist ein wunderschönes, allerliebstes Creatürchen, welches allerdings einen gewissen, höchst bezaubernden Grad von Unbezähmbarkeit besitzt, aber nicht in einem Tigerkäfig, sondern in einem der besten Paläste der Rue de Grenelle wohnt.«

»Ah! Also kein Raubthier?«

»Nein.«

»Sondern genus homo?«

»Ja.«

»Jung?«

»Achtzehn.«

»Schön?«

»Zum Verrücktwerden.«

»Reich?«

»Bedeutende Erbschaft zu erwarten.«

»Wohl reicher Onkel?«

»Nein, sondern steinreiche Tante.«

»Alle Teufel! Nimm Du die Hedwig, und laß mir die Tante!«

»Mit größtem Vergnügen! Besser für Dich aber wäre es, wenn Du nach der Schwester trachtetest. Da theilten wir die Erbschaft.«

»Sapperlot! Diese Hedwig hat eine Schwester?«

»Ja.«

»Auch nicht übel, besonders wegen der Erbschaft. Darf ich um eine möglichst genaue Beschreibung dieser Schwester bitten?«

»Dir stehe ich sehr gern zur Verfügung, einem Andern aber nicht.«

»Welch eine Auszeichnung! Nimm meinen Dank! Also beginnen wir mit der Beschreibung: Alter?«

»Siebzehn.«

»Also ein Jahr jünger als Hedwig. Haar?«

»Mittelblond.«

»Schön, meine Lieblingsfarbe. Augen?«

»Hellgrau, mild leuchtend wie ein Stern.«

»Komet oder Planetoid?«

»So sanft und mild, wie Du nur willst.«

»Du zeichnest ganz mein Ideal! Gestalt?«

»Schlank, aber voll, trotz ihrer Jugend.«

»Stimme?«

»Wie ein silbernes Glöckchen.«

»Hm! Sehr nach Goldarbeiter klingend! Hat sie einen?«

»Was?«

»Nun, so einen wie die Hedwig bereits hat?«

»Dich, mein Sohn!«

»Alle Teufel, wenn sie mich doch hätte! Da aber liegt der Hase im Pfeffer.«

»Wohl schwerlich! Ich denke mir vielmehr, sie hat Dich, Du aber nicht sie.«

»Magst Recht haben! Also, ob sie so Einen hat?«

»Noch nicht.«

»Höchst günstig! Der Name?«

»Ida.«

»Klingt nicht ganz unschön. Eltern?«

»Keine.«

»Ah! Also fertig zum Heirathen?«

»Leider nicht. Der alte Cerberus liegt vor der Thür.«

»Besteht dieser Cerberus, zu Deutsch Höllenhund, etwa in der alten, reichen Tante?«

»Ja.«

»Wir machen es wie Herkules: wir besiegen diesen Hund.«

»Mit dem Knittel oder mit Liebenswürdigkeit; je nach dem.«

»Da hilft weder Waffe noch Gesellschaftskunst. Ich liebe unglücklich.«

Kunz seufzte komisch.

»Man sieht es Dir an,« meinte Gebhardt. »Das Unglück hängt um Dich herum wie die Mönchskutte um den Bajazzo. Vielleicht bin ich glücklicher.«

»Will es Dir wünschen.«

»Wirklich?«

»Von Herzen.«

»So thue Deine Pflicht.«

»Welche?«

»Mich nach der Rue de Grenelle zu dem Cerberus zu führen.«

»Ich befürchte sehr, daß er bellt, heult und beißt!«

»Schrecklich! Aber ich fürchte mich dennoch nicht. Ich heiße Gebhardt; mein Pathe war ein gewisser Blücher, und mein Wahlspruch heißt vorwärts.«

»Versuche es!«

»Du sprichst von Bellen, Heulen und Beißen. In welche Unterabtheilung des menschlichen Geschlechtes gehört denn da die alte, reiche Tante?«

»Gräfin.«

»Eine Gräfin? Sapperlot, diese Traube hängt hoch! Der Name?«

»Rallion, Gräfin de Rallion.«

»Wie kamst Du zu ihr?«

»Wurde ihr von unserm Sekretär vorgestellt.«

»Sie ist also nicht umgänglich?«

»Ausgezeichnete Deutschenhasserin. Sie liebt überhaupt keinen Menschen.«

»Aber Du liebst ihre Nichte Hedwig.«

»Leider! Mit Hindernissen!«

»Welche sind das? Die Alte?«

»Erstens diese, zweitens die Hedwig selbst und drittens so ein verteufelter Cousin, der mir immer im Wege herumläuft.«

»Auch ein Graf?«

»Ja, Graf Jules de Rallion.«

»Gieb ihm einen Hieb, daß er aus dem Wege fliegt.«

»Bei nächster Gelegenheit ganz sicher.«

»Bevorzugt ihn denn der Drache?«

»Nicht im Mindesten. Der Drache hat überhaupt nicht die mindeste Lust, einen Menschen zu bevorzugen.«

»Hm! Scherz bei Seite! Du machst mir wirklich Lust, die Familie kennen zu lernen.«

»Soll ich Dich einführen?«

»Ich bitte Dich darum!«

»Wie lange bleibst Du hier?«

»Nicht viel mehr als zwei Wochen.«

»Gut, so bist Du mir nicht sehr gefährlich. Ich werde Dich einführen.«

»Oho! Ich Dir gefährlich? Wo denkst Du hin!«

»Pah! Du bist größer, stärker, überhaupt hübscher als ich.«

»Aber ich bin Dein Freund! Hedwig hat nichts zu befürchten. Uebrigens bete ich ausgelassene Naturen, wie sie eine zu sein scheint, nicht sonderlich an.«

»Sie ist ausgelassen. Ida ist mild und sanft. Ich bin überzeugt, daß Du ihr gut werden würdest, wenn Du länger hier bleiben könntest.«

»Zwei Wochen genügen,« lachte Gebhardt. »Ich kam, sah und ward besiegt. Aber sage einmal, hat denn die Tante nicht eine schwache Seite, irgend eine Eigenheit, bei welcher sie zu fassen wäre?«

»Eigenheit? Donner und Wetter! Davon bin ich ganz abgekommen. Davon wollte ich ja sprechen, als ich vorhin sagte, daß mir Hedwig eingefallen sei. Freilich hat die Alte eine schwache Seite, und Hedwig ebenso.«

»Welche Schwäche wäre das?«

»Eine ganz und gar eigenthümliche, wie man sie bei Damen wohl selten finden wird. Hast Du von Gérard gehört?«

»Gérard? Welcher Gérard? Der General?«

»Nein, der Löwentödter.«

»Der berühmte Saharajäger? Natürlich! Was ist es mit ihm?«

»Tante und Hedwig schwärmen für ihn.«

»Das ist sonderbar, aber nicht gerade unweiblich.«

»Mir aber desto unangenehmer, sintemal ich leider kein Löwenjäger bin.«

»Ah! Die Kleine will nur einen Löwenjäger heirathen?«

»So spricht sie.«

»Bizarr. Vielleicht nur um Dich zu ärgern?«

»Möglich.«

»In diesem Falle kannst Du Dir ja Glück wünschen!«

»Wieso?«

»Ein Mädchen, welches es partout darauf anfängt, einen Herrn, der ihm nichts gethan hat und es im Gegentheil auszeichnet, zu ärgern, ist sicherlich in ihn verliebt.«

»Meinst Du wirklich?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Herrgott, hast Du Erfahrungen!«

»Massenhaft!« lachte Gebhardt unter einer Miene komischen Stolzes.

»Das ist aber keine große Ehre für Dich. Ich habe Dich bisher stets für einen unverdorbenen Jüngling gehalten!«

»Das bin ich auch, lieber Kunz. Es hat sich nämlich noch Keine die Mühe gegeben, mich zu verderben. Wie aber kommt es, daß die beiden Damen so begeistert für diesen Löwenjäger sind?«

»Das hat zwei Gründe anstatt nur einen.«

»Laß sie hören! Der erste?«

»Die Tante liest außerordentlich viel, fast den ganzen Tag – – –«

»Romane?«

»Fällt ihr gar nicht ein! Romane verachtet sie. Sie liest nur Reisebeschreibungen. Hedwig liest sehr schön und muß ihr also vorlesen. Daher kommt es, daß Beide eine besondere Vorliebe für Abenteuer haben und für diejenigen Personen, welche solche Abenteuer bestehen. Gérard ist jetzt in Aller Munde. Was Wunder also, wenn auch diese Beiden für ihn schwärmen!«

»Das ist ein Grund. Und der zweite?«

»Der liegt nur in der Tante. Sie hat nämlich Gérard gesehen. Sie hat ihn sogar einmal eingeladen. Sie hat seinetwegen eine Soiree gegeben, was bei ihrem Geize ein fürchterliches Opfer gewesen ist. Dabei aber hat sie eine ganz besondere Aehnlichkeit herausgefunden zwischen Gérard und – – – hm, ich weiß nicht, ob ich das sagen darf. Ich werde indiscret.«

»Pah! Wir sind Freunde!«

»Allerdings. Also sie hat gefunden, daß Gérard eine bedeutende Aehnlichkeit besitzt mit einem ihrer früheren Anbeter, den sie begünstigt haben muß.«

»So so! Und das hat sie Dir gesagt?«

»Fällt ihr natürlich gar nicht ein!«

»Woher weißt Du es?«

»Mein Sohn, ich bin Diplomat!«

»Ich denke, einstweilen noch Lieutenant!«

»Aber dem diplomatischen Chore einstweilen beigezählt, also doch Diplomat.«

»Schön! Meine Hochachtung, lieber Papa.«

»Als Diplomat aber lernt man intriguiren, combiniren, spioniren – – –«

»O weh, o weh, o weh!«

»Ja, und manches herausdüfteln und schließen, was Andern verborgen bleibt.«

»Du bist, bei Zeus, ein Kerl, von dem die Welt einst reden wird.«

»Ich hoffe es!« lachte Kunz.

»So hast Du also den früheren, begünstigten Liebhaber der Alten auch herausgedüftelt?«

»Ja, mit unvergleichlichem Scharfsinn.«

»Auf welche Weise?«

»Ich war einst in ihrem Boudoir – –«

»Donner! Nicht als früherer, sondern als gegenwärtiger Liebhaber?«

»Als keins von Beiden, sondern einfach als Vorleser. Eine Mappe, welche sie mir zeigte, enthielt nur Bilder von Anverwandten. Ein einziges Aquarell war das Portrait eines Nichtverwandten. Sie betrachtete es mit einem so ganz besonderen Blick, so liebevoll! sie konnte es fast gar nicht aus der Hand bringen, und es war auch wirklich ein schöner Kopf.«

»Ah, da begann nun Dein berühmtes Düfteln.«

»Natürlich! Ich fragte sofort, wessen Bild das sei.«

»Neugierde, holder Jüngling.«

»Das ist wahr. Sie wurde aber befriedigt. Ich erfuhr, daß das Original der Banquier ihres seligen Mannes gewesen sei. Da aber mochte sie doch ahnen, daß sie sich verrathen habe, denn sie setzte schnell hinzu, daß das Aquarell sich nur deshalb in der Mappe befinde, weil es von Meisterhand gefertigt sei.«

»Das war so halb und halb herausgebissen.«

»Aber doch nicht ganz. Ich wußte nun, woran ich war.«

»Schlaukopf. Den Namen des Banquiers hast Du nicht erfahren?«

»O, doch.«

»Von der Alten?«

»Nein. Die hätte sich gehütet, ihn mir zu sagen. Ich wendete mich vielmehr an die Nichte, nämlich an Ida.«

»Ah, an die Sanfte, Freundliche, Zarte.«

»Ja, an die Unbefangene. Sie wußte den Namen und gab mir Auskunft. Es war ein Pariser Banquier, der sich einst sehr gut gestanden hatte, später aber durch die Verführung eines Barons de Reillac herunterkam, so daß er elend zu Grunde ging.«

»Reillac?« fragte Gebhardt schnell. »Wie hieß der Banquier?«

»Richemonte.«

»Richemonte, mein Gott, wäre es vielleicht – ah!«

Kunz blickte den Freund betroffen an.

»Was ist mit Dir?« fragte er. »Dieser Name frappirt Dich?«

»Ungeheuer sogar.«

»Weshalb?«

»Das ahnst, das begreifst Du nicht? Denke an die Familie meiner Mutter.«

»Sapperlot! Ja, da fällt mir ein, daß Deine Mutter eine Französin ist, eine geborene Richemonte.«

»Deren Vater Banquier war – –«

»Der von jenem Baron de Reillac verführt und betrogen wurde – – –«

»So daß er zu Grunde ging und Frau und Tochter unglücklich machte.«

»Wahrhaftig! Verzeihung, lieber Gebhardt, daß ich nicht daran dachte! Ich hatte nicht die mindeste Ahnung von dem Zusammenhange dieser Dinge.«

»Ich bin überzeugt davon, lieber Freund. Uebrigens war ich eben nur frappirt. Ich habe den Großvater nicht gekannt, also auch nicht lieb gehabt. Ob ich sein Andenken in Ehren zu halten habe, darüber bin ich mir noch jetzt im Zweifel. Also Du meinst, daß er ein Anbeter dieser alten Gräfin de Rallion gewesen sei?«

»Jedenfalls, obgleich ich Dich damit vielleicht kränke.«

»Nicht im Mindesten. Meine Großmutter war seine zweite Frau. Vielleicht ist das vorher gewesen. Das interessirt mich außerordentlich.«

»Ich glaube das. Uebrigens mag die Gräfin früher ganz und gar nicht häßlich gewesen sein. Sie hat noch heute den Teufel im Leibe, wenn auch in anderer Weise, als es in jüngeren Jahren der Fall zu sein pflegt. Ich glaube, daß sie das Temperament besessen hat, einen Mann zu verlocken.«

»Wie gut, daß Du sie damals nicht gekannt hast.«

»Freilich! Jetzt lasse ich mich von der Nichte verlocken.«

»Von der unbezähmbaren! Ich gestehe Dir offen, daß ich beginne, mich auf das Lebhafteste für diese Familie zu interessiren.«

»So muß ich Dich wirklich einführen.«

»Wann?«

»Hm! Du hast es natürlich gewaltig nothwendig?«

»Das versteht sich, da mir hier nur so kurze Zeit geboten ist. Zu welcher Tageszeit empfängt die Gräfin am liebsten Besuche?«

»Des Abends, obgleich ich auch des Tages hingehe, oft sogar zweimal.«

»Das ist bei einem Verliebten ganz und gar glaubhaft.«

»Spotte immer! Wenn Du Hedwig siehst, so wirst Du Dich nicht wundern, daß man sie liebt. Ein Glück, daß die Gräfin nicht viele Besuche empfängt! Sonst wären die beiden Nichten längst vergriffen.«

»Trotz des Drachen?«

»Ja, trotz des Drachen.«

»Und nun möchtest Du die eine Nichte vergreifen! Na, ich will Dir gern wünschen, daß es Dir gelingt.«

»Ich will Dir gestehen, daß dies mein höchstes Verlangen ist. Ich liebe Hedwig so wahr und innig, daß ich es für eine Unmöglichkeit halte, von ihr lassen zu können, um einer Andern das gleiche Gefühl entgegenzubringen. Würde es Dir heute Abend passen?«

»Ich bin so halb und halb versagt; aber ich werde es doch passend machen.«

»Acht Uhr?«

»Ja. Wir treffen uns hier bei Dir?«

»Ich ersuche Dich darum und werde die Gräfin noch im Laufe des Nachmittags besuchen, um Dich anzumelden.«

»Wäre es nicht vielleicht gerathener, dies zu unterlassen?«

»Warum?«

»Sie könnte es abschlagen, während, wenn Du mich am Abende unangemeldet mitbringst, sie mich annehmen muß.«

»Du kennst sie nicht. Sie kennt nur ihren Willen, welcher gilt. Gesellschaftliche Rücksichten sind ihr fremd. Bringe ich Dich mit, ohne ihr vorher davon zu sagen, so muß ich gewärtig sein, daß sie uns Beide nicht empfängt.«

»So thue, was Du für das Beste hältst. Aber ich ersuche Dich, von meinen Familienverhältnissen noch nichts zu sagen. Ich selbst möchte es sein, der zuerst davon mit ihr spricht, um aus ihrem Verhalten meine Schlüsse zu ziehen.«

»Ob Dein Großvater wirklich ihr Bekannter war?«

»Ja. Jetzt aber gehe ich. Da ich den Abend Dir zu widmen beabsichtige, muß ich meinen anderweiten Verpflichtungen bereits vorher nachkommen.«

Sie trennten sich. Es war Gebhardt ganz eigenthümlich zu Muthe. Das Familienbild, welches der Freund vor ihm entrollt hatte, interessirte ihn auf das Lebhafteste. Er hatte noch nie geliebt. Er konnte jetzt, da er eine lange und gefährliche Reise antrat, auch nicht die Absicht haben, ein Verhältniß einzugehen. Aber doch war es ihm wie eine Ahnung, daß hier von Personen die Rede gewesen sei, denen er auf diese oder auf jene Weise später nahe stehen werde. Darum fand er sich des Abends pünktlich zur angegebenen Zeit bei Kunz von Goldberg ein.

»Welch eine Pünktlichkeit!« sagte dieser, welcher bereits in Gesellschaftstoilette seiner wartete. »Ida, die Sanfte, scheint Zugkraft zu besitzen.«

»Der Drache vielleicht ebenso,« lachte Gebhardt. »Die allermeiste aber jedenfalls Hedwig, die Unbezähmbare.«

»Wieso?«

»Weil Du bereits in Gala meiner wartest.«

Kunz erröthete ein wenig.

»Soll ich Dich etwa im Schlafrocke empfangen?« fragte er.

»Warum nicht? Ich hätte es Dir nicht übel genommen. Aber da Du bereit stehst, so scheint es, daß die Gräfin mich empfangen will?«

»Allerdings. Das hast Du meiner ganz dringlichen Empfehlung zu danken.«

»So nimm den Dank, Bruderherz!«

»Ich spreche im Ernste. Sie ist nicht Freundin von zahlreichen Bekanntschaften. Als sie hörte, daß Du ein Deutscher seist, runzelte sie die Stirn, und als sie gar hörte, daß Du ein junger Lieutenant seist, da – – –«

»Da runzelte sie sogar das Kinn, die Ohren und die Wangen!« fiel Gebhardt lachend ein.

»Fast war es so. Sie sagte, daß sie für Dich nicht zu sprechen sei.«

»Wie kam es, daß sie diesen Entschluß doch noch änderte?«

»Ich sagte ihr, daß ich Dir mein Wort gegeben hätte, sie werde Dich empfangen. Ich muß doch nicht ganz übel bei ihr stehen, daß sie darauf Rücksicht nahm. Im anderen Falle wäre es ihr höchst gleichgiltig gewesen, ob ich gezwungen sei, wortbrüchig zu sein oder nicht. Uebrigens bedeutete sie mich, daß sie Dich nur dieses eine Mal empfangen werde.«

»Alle Teufel, das ist sehr kategorisch.«

»Ich rathe Dir, den Angenehmen zu spielen.«

»Fällt mir gar nicht ein.«

»So thust Du mir leid.«

»Ich gebe mich stets so, wie ich bin. Wer mich angenehm haben will, der mag mir angenehm entgegenkommen.«

»Mein lieber Freund, man merkt es, daß Du nach der Wüste reisest. Du handelst bereits ganz und gar nach den Regeln der Sahara.«

»Und Du bist bereits ganz und gar ein Diplomat. Dein Hauptgrundsatz ist, Dich möglichst angenehm aufzuspielen. Uebrigens scheint es nicht, daß diese alte Tante so sehr für Reisen schwärmt.«

»Wieso?«

»Weil sie mich, den angehenden berühmten Afrikareisenden nicht bei sich empfangen wollte. Ist das etwa Sympathie für die Sahara?«

»Vergieb es ihr. Sie weiß kein Wort davon.«

»Wie? Kein Wort?«

»Kein einziges!«

»Du hast ihr nichts davon gesagt?«

»Nein. Da Du mir verboten, von Deinen Familienverhältnissen zu sprechen, so hielt ich es für angezeigt, auch über das Andere zu schweigen.«

»Hm! Vielleicht hast Du recht daran gethan. Gehen wir, lieber Kunz?«

»Ja, komm, alter Wüstenräuber!«

Sie nahmen einen Fiakre und erreichten in kurzer Zeit die Rue de Grenelle und die Wohnung der Gräfin. Es war ein großes, massiv gebautes Haus; dennoch stand kein Portier am Thore, und im hohen Flur brannte nur ein ärmlich zu nennendes Lämpchen. Ebenso war es auf Treppe und Corridor, welche Beide nur spärlich erleuchtet waren. Doch fanden sie da oben wenigstens einen Diener, an den sie sich wendeten.

»Madame, die Gräfin, zu sprechen?« fragte Kunz.

»Ja, für Sie Beide, Monsieur,« antwortete der Mann.

»Wo befindet sie sich?«

»Bereits im Salon.«

»Doch nicht allein?«

»Nein. Die gnädigen Demoiselles sind bei ihr.«

»Sonst Niemand?«

»O, doch!« antwortete der Diener unter einem listigen Augenzwinkern.

Kunz griff in die Tasche, zog ein Frankenstück hervor und gab es ihm.

»Wer?« fragte er.

Der Diener, dem bei dem Geize der Gräfin nur selten selbst ein so geringfügiges Geschenk in die Hand fließen mochte, verbeugte sich tief und antwortete:

»Graf Rallion, der Neffe. Danke sehr, Monsieur!«

»Bereits lange hier?«

»Nein, vor fünf Minuten erst gekommen.«

»Melden Sie mich und Monsieur, den Lieutenant von Königsau!«

Der Domestike gehorchte dieser Weisung, und dann traten die Beiden ein.

Der Salon war ein ziemlich großes Gemach mit Möbeln, welche früher sicher reich und kostbar gewesen waren, jetzt aber nur noch an eine glänzende Vergangenheit zu erinnern vermochten. Auf dem Tische, welcher in der Mitte stand, brannten zwei Kerzen auf einem sechsarmigen Leuchter. Das gab ein sehr spärliches Licht, und darum hatten sich die anwesenden Personen ganz nahe um diesen Leuchter gruppirt. Sie erhoben sich, als die beiden Deutschen eintraten.

Der Blick Gebhardt's von Königsau fiel zunächst auf die Gräfin, die ihm am nächsten stand. Sie war eine nicht sehr hohe, aber wie es schien, sehr bewegliche Dame, im Anfang der sechziger Jahre, mit scharfem Gesichte und ebenso scharfen, dunkel glühenden Augen. Gebhardt gab seinem Freunde Recht, sie mußte früher sehr hübsch, wohl gar schön gewesen sein und schien noch heute ein Etwas in Blick, Bewegung und Miene zu besitzen, was auf Sieg berechnet zu sein schien.

Ihr zur Rechten und zur Linken standen zwei Wesen, welche von der dunkel gekleideten Gräfin sich hell und sympathisch hervorhoben. Die Rechte war jedenfalls Hedwig, die Unbezähmbare. In graue Seide gekleidet glich sie einer Sylphide, welche darauf wartet, von Zeus zur Venus umgewandelt zu werden. Obgleich sie jetzt bewegungslos dastand, war es doch, als müßten auf ihren zart gerundeten Schultern goldene Flügel zum Vorschein kommen, um sie schwebend durch den dämmerigen Raum zu tragen. Blitzende Augen, neckische Grübchen in Wangen und Kinn, ein spöttisches Mündchen und ein leise zurückgeworfenes Köpfchen gaben ihr etwas Kampfbereites, welches allerdings verführen konnte.

Ganz anders dagegen die Schwester. Obgleich ein Jahr jünger, war Ida doch fast mehr entwickelt als Hedwig. Sie glich einer Hebe, deren wohl gerundete Glieder sich in rosa Seide hüllten. Ihr kleines Köpfchen schien die Fülle des Haares zu schwer zu finden; es senkte sich leise und bescheiden nieder. Sanfte, seelenvolle Augen, von langen Wimpern halb und züchtig verhüllt, zart rosig angehauchte Wangen, ein feines Kinn und volle, schön gebogene Lippen bildeten mit der elfenbeinernen Stirn und den lieblich geschweiften Brauen ein Ensemble, welches auf Gebhardt den Eindruck machte, als müsse er sogleich nahe treten, um die Hand des holden Wesens mit den Worten zu ergreifen: »Wie schön und gut bist Du. Wer Dich nicht liebt, der ist ein böser Mensch!«

Die vierte Person war einige Schritte seitwärts getreten, um unter dem Schutze des Halbdunkels Beobachtungen anzustellen, ohne selbst scharf beobachtet werden zu können. Graf Rallion, der »Neffe«, war jedenfalls bereits dem dreißigsten Jahre nahe. Lang und hager gebaut, war auch sein Kopf aus der Breite in die Höhe gedrückt. Das schmale, scharfe Gesicht glich dem Kopfe eines Raubvogels. Die Augen waren stechend, die Brauen buschig und an der Nasenwurzel zusammenstoßend; die Nase besaß eine schlimme Schärfe; die Lippen waren schmal, und das Kinn machte über dem langen dünnen, aus einer hohen Cravatte hervorschießenden Halse, wie es schien, eine Bewegung nach seitwärts, als erheische es der aristokratische Stolz seines Besitzers, sich nicht berühren zu lassen. Das war Graf Jules de Rallion.

Vielleicht erinnert sich der freundliche Leser, daß längere Zeit später, nämlich im Jahre 1870 ein Graf Jules de Rallion nach Ortry zu dem alten Capitän Richemonte kam, um seinen Sohn mit der schönen Marion zu verheirathen, welche Doctor Müller, der verkleidete deutsche Officier liebte. Und ebenso wird wohl noch erinnerlich sein, daß die sterbende Seiltänzerin damals, als sie vom Seile gestürzt war, dem braven Diener Fritz Schneeberg die Worte in das Ohr flüsterte: »General – Kunz von Goldberg – Vater – Rauben lassen Graf – Jules Rallion – Cousin Hedwig – Bajazzo – bezahlt.« Es schürzt sich hier eben der Knoten, von welchem die Fäden nach verschiedenen Richtungen auseinandergehen, um in dem angegebenen Jahre in Ortry zusammenzulaufen. So spinnt das Leben seine wunderbaren Gewebe, und der schwache Mensch steht vor dem Ende, um die Weisheit des Schicksals staunend zu bewundern, dessen tief und scharf berechnendes Walten eine jede irdische That mit untrüglicher Genauigkeit abzuwägen und mit wunderbarer Gerechtigkeit zu belohnen oder zu bestrafen weiß.

Die beiden Officiere, welche hier allerdings in Civil gekleidet gingen, verbeugten sich vor den Anwesenden, und Kunz von Goldberg sagte:

»Meine Damen und mein Herr, ich stütze mich auf die mir heute gewordene Erlaubniß, Ihnen meinen Freund, den Lieutenant Gebhardt von Königsau, vorzustellen!«

Die Gräfin trat einen Schritt näher, betrachtete den Genannten mit kalten und scharfen Augen und antwortete:

»Ich heiße Sie willkommen, Lieutenant von Goldberg. Herr Lieutenant von Königsau, Sie sehen hier zwei Comtessen von Rallion, meine Nichten, und da den Grafen Jules de Rallion, meinen Neffen.«

Sie hatte also nur Kunz willkommen geheißen, nicht aber auch Gebhardt. Dieser that, als ob er diese Unhöflichkeit nicht bemerkt habe, verbeugte sich abermals und antwortete im höflichsten Tone:

»Tief ergebensten Dank, gnädige Frau! Ich kam erst heute in Paris an; dieser erste Tag mußte meinem Freunde gewidmet sein, und da er Ihnen den Abend zu widmen hatte, so sah ich mich leider gezwungen, mich ihm anzuschließen, wenn ich nicht auf seine Gesellschaft verzichten wollte.«

Das war natürlich mit anderen Worten gesagt: Ich komme nicht um Euretwillen, sondern meines Freundes wegen; Gebhardt hatte also der Unhöflichkeit der Gräfin eine zweite entgegengesetzt, die aber in ein besseres Gewand gekleidet war als die ihrige.

Die Gräfin warf einen erstaunten Blick auf den jungen Menschen, welcher dieses wagte. Die Lieder Idas hoben sich einen kurzen Augenblick empor, um einen warnenden Blick passiren zu lassen. Hedwig legte das Köpfchen sofort noch etwas weiter nach hinten und schnipfte leise mit den rosigen Fingerchen; Graf Rallion ließ ein halblautes, indignirtes Hüsteln hören, und selbst Kunz von Goldberg konnte nicht umhin, dem Freunde einen warnenden Blick zuzuwerfen.

»Setzen Sie sich!« sagte die Gräfin kurz und scharf. Und als dies geschehen war, fuhr sie, zu Kunz gewendet, fort: »Also, Monsieur, Ihr Freund wollte heute Abend Ihnen gehören?«

»Allerdings,« antwortete der Gefragte gewandt; »aber allerdings nicht so ausschließlich, wie die Herrschaften seine Worte vielleicht verstanden haben.«

»So mag es gelten,« erwiderte sie in einem ironischen Tone. »Vielleicht ist er des Französischen nicht so sehr mächtig, als nothwendig ist, sich präciser Ausdrücke zu bedienen.«

Der Graf nahm augenblicklich diese Gelegenheit, seinem Aerger Luft zu machen, wahr, indem er meinte:

»Die Deutschen sprechen nie ein gutes Französisch. Und was haben sie für unbequeme Namen. Der Vorname des Lieutenants ist Gepar; wie sinnlos! Wie schwer auszusprechen.«

»Sie irren, Graf,« entgegnete Königsau. »Nicht Gepar, sondern Gebhardt ist mein Name. Und wenn unsere deutschen Worte Ihnen so schwer fallen, so beweist dies nur, daß Sie des Deutschen nicht so mächtig sind wie wir des Französischen. Ich muß nämlich auch die Frau Gräfin dahin berichtigen, daß ich des Französischen so vollständig Herr bin wie ein geborener Franzose, und daß ich auch in dieser Sprache gerade nur das und so viel sage, was und wieviel ich sagen will.«

Das war gerade, als sei ein Stück der Decke eingefallen. Die Rallions blickten einander mit großen Augen an. Kunz stieß den kühnen Sprecher mit dem Fuße, und nur Ida ließ keinen Unwillen bemerken. Sie wußte, daß der Deutsche zuerst von ihrer Tante beleidigt worden sei und bewunderte den Muth und die Kaltblütigkeit, mit welchen er diesen gesellschaftlichen Fehler zurechtwies.

»Pah!« schnarrte der Graf zornig. »Gebhardt ist doch ein schlechter Name. Blücher hieß ebenso.«

»Mich hat man so genannt, weil der Feldmarschall von Blücher der Freund meines Vaters und mein Pathe war,« antwortete Königsau.

»Wie, Monsieur, Blücher war Ihr Pathe?« fragte der Graf.

»Ja, Monsieur.«

»Dann werde ich Ihnen rathen, hier diesen Umstand zu verschweigen oder gar keine Pariser Gesellschaft zu besuchen.«

»Warum?«

»Weil Blücher ein Ungeheuer war, der das schöne Frankreich unendlich unglücklich gemacht hat.«

»So meinen Sie wohl, daß Napoleon ein Engel war, der das häßliche Deutschland unendlich glücklich gemacht hat? Ehe Sie mir einen Rath geben, lernen Sie erst, Nationen und weltgeschichtliche Personen gerecht beurtheilen. Ich bin hier mit ausgesuchter Unhöflichkeit empfangen worden, Herr Graf und Madame. So etwas könnte bei den Deutschen, welche Sie Barbaren nennen, niemals vorkommen. Meine Mutter ist eine geborene Pariserin; ich bin also Ihrer Nation, welche ich achte, nicht fremd und weiß ihre Fehler und Vorzüge genau zu beurtheilen. Man hat mich bisher überall, wo ich eingeführt wurde, willkommen geheißen, nur hier bei Ihnen nicht, wo man sich im Gegentheile sogleich im ersten Augenblicke über meinen Namen und mein Französisch, welches doch dem Ihrigen vollständig ebenbürtig ist, moquirte. Ich reise von hier nach der Sahara und bin überzeugt, daß der wilde Tuba oder Tuareg, in dessen Zelt ich trete, mir sein » Habakek îa Sihdi, sei willkommen, o Herr,« zurufen wird. Wünschen Sie, daß ich diesen räuberischen Nomaden erzählen soll, daß in Paris, der großen Metropole der Civilisation, diese schöne Sitte noch nicht herrsche, oder daß selbst hochgräfliche Personen Frankreichs es darauf anfangen, von einem bildungslosen Kameelhirten an Höflichkeit übertroffen zu werden?«

Er schwieg. Lautlose Stille herrschte. Da Niemand antwortete, erhob er sich von seinem Stuhle und fuhr fort:

»Sie wurden mir von meinem Freunde als Aristokraten feinster Distinction geschildert, und ich kam zu Ihnen, innig erfreut von dem Bewußtsein, bei der ersten Familie, welche mir Zutritt gestattet, den Beweis zu finden, daß in den Franzosen sich wirklich der Begriff des untadelhaften Cavaliers krystallisirt. Herr von Goldberg ist trotz seiner Jugend ein tüchtiger Menschenkenner. Sagen Sie mir, ob er sich heute zum ersten Male geirrt hat.«

Noch immer schienen Alle ganz starr zu sein vor Staunen, vor Schreck oder Zorn; aber da erklang eine volle, reine Altstimme:

»Wie, Herr Lieutenant, Ihre Mama ist eine geborene Pariserin?«

»Ja, mein Fräulein,« antwortete Gebhardt.

»Und Sie gehen von hier wirklich nach der Sahara?«

»Durch die Sahara hindurch bis nach Timbuktu und vielleicht noch weiter.«

»Dann muß Ihre Mama sehr muthig sein, wenn sie ihren Sohn solchen Gefahren entgegengehen läßt. Ich wollte, ich könnte ihr sagen, daß ich ihr Gottvertrauen bewundere.«

Ida war die Sprecherin. Mit jener Schlauheit, welche selbst dem reinsten, unverdorbensten Weibe eigen ist, hatte sie aus Gebhardt's Rede jene beiden Punkte herausgegriffen, welche geeignet waren, das Interesse der zornigen Tante zu erwecken. Ihre Stimme war wie ein versöhnender Engelsruf durch den Salon gedrungen.

Gebhardt trat auf sie zu, reichte ihr die Hand entgegen und sagte:

»Mademoiselle, ich danke Ihnen innig! Sie retten in meinem Innern die Ehre der französischen Nation, deren Kind auch ich mich nenne. Sie sprechen mit freundlicher Sympathie von meiner heißgeliebten Mutter, obgleich Sie dieselbe nicht kennen. Ich nahm ihr Bild mit aus der Heimath fort, um die theuren Züge auch im Sonnenbrande der Wüste bei mir zu haben. Sie sollen meine Mutter wenigstens im Bilde kennen lernen, und wenn ich einst nach Hause zurückkehre, so werde ich ihr erzählen von der hochherzigen Landsmännin, die mir das erste freundliche Wort gönnte, weil ich eine edle, gute, muthige Mutter habe.«

Er nestelte ein Medaillon von seiner Uhrkette los, öffnete es und reichte es ihr hin. Sie trat mit demselben näher an das Licht heran, um es zu betrachten.

»O, mein Herr,« sagte sie; »welch' schöner, herrlicher Kopf; was für prächtige, seelengroße Augen. Ja, Ihre Mutter muß ein großes, edles Weib sein. Liebe Tante, magst Du Dir nicht einmal diesen Kopf betrachten?«

Sie reichte das Medaillon der Gräfin hin, und diese, noch im Zweifel, ob sie zornig losbrechen oder diesen Fremden lieber mit einem stillen aber gebieterischen, unwiderstehlichen Wink der Hand zur Thür hinausweisen solle, hatte das kleine Elfenbeinbild in den Fingern, sie wußte nicht, wie. Unwillkürlich senkte sich ihr Blick auf dasselbe. Im nächsten Momente stand auch sie nahe am Leuchter, um das Portrait besser und schärfer betrachten zu können. Dann blickte sie rasch zu Gebhardt hinüber und fragte:

»Das ist wirklich das Portrait Ihrer Mutter?«

Ihre Stimme klang noch immer hart und zurückweisend.

»Ja, Madame,« antwortete er.

»Sie behaupten, daß dieselbe aus Paris stamme?«

»Ja.«

»Wie lautet der Familienname Ihrer Mutter?«

»Richemonte.«

»Richemonte? Ah, ich habe eine Familie dieses Namens gekannt. Es war eine Tochter da, welche ich öfters gesehen habe. Sie würde jetzt ungefähr dieselben Züge besitzen, welche ich hier sehe. Was war der Vater Ihrer Mutter?«

»Ursprünglich Banquier, Madame.«

Ihr Auge verlor seine bisherige Schärfe, und unter einer raschen Bewegung ihrer Hände und mit sichtlichem Interesse fragte sie weiter:

»Wie war sein voller Name?«

»Jean Pierre Richemonte; eigentlich de Richemonte. Ein Vorfahre hatte das adelige »Von« aus irgend einem Grunde abgelegt.

Das Gesicht der Gräfin begann, sich zu beleben. Ihre Züge wurden sichtlich milder, und ihr Auge ruhte mit einer Art von Wärme auf der Gestalt Gebhardt's, als sie fortfuhr:

» Mon dieu! Ich glaube, das ist der Mann, dessen Familie ich gekannt habe. Können Sie mir sagen, wo er wohnte?«

»Er hatte sein Bureau in der Rue de Vaugirard gehabt. Später, nach seinem Tode, zog Mama nach der Rue d'ange, wo mein Vater, welcher damals preußischer Officier war, sie kennen lernte.«

»Sie hat ihn geliebt?« fragte sie, hörbar mit wieder steigender Härte. Kunz von Goldberg hatte sie ja als »Deutschenhasserin« bezeichnet.

»Ja, gnädige Frau. Sie liebt ihn sogar noch,« antwortete Gebhardt lächelnd.

»War und ist das recht von ihr, als Französin?«

»Jedenfalls, Madame. Schon Christus will, daß alle Menschen, welcher Nationalität sie auch sein mögen, sich lieben sollen. Und der gute Gott hat uns ja ein Herz gegeben, dessen Sprache so mächtig wirkt, daß vor ihr die Stimme des Parteihasses, der Rache, des Vorurtheiles verstummen muß. Dieses Herz hat wohl in jeder menschlichen Brust einmal gesprochen. Wohl dem, welchem es erlaubt war, diesen süßen und beglückenden Einflüsterungen Folge zu leisten.«

Ida's Augen ruhten mit zustimmendem Wohlgefallen auf ihm. Es lag eine Art von Bewunderung in ihrem Blicke, Bewunderung der beredten Art und Weise, in welcher er seine Sache zu führen verstand.

Auch auf ihre Tante schienen seine Worte nicht ohne Eindruck zu bleiben. Ihre vorher mißfällig zusammengekniffenen Augen erweiterten sich wieder. Ihr Blick richtete sich empor, ins Weite. Er schien in der Ferne zu ruhen, in welcher sich ihm Erinnerungsbilder der Liebe boten, von welcher der junge Mann soeben gesprochen hatte.

»Sie mögen Recht haben,« sagte sie langsam und zögernd. »Ich will nicht richten, zumal ich keineswegs annehmen darf, dazu berufen zu sein. Aber noch weiß ich nicht, ob Ihre Familie wirklich diejenige ist, an welche ich denke. Hatte Ihre Mutter Geschwister?«

»Einen Bruder.«

»Wie war sein Name?«

»Albin.«

» A la bonne heure! Was war er? Auch Kaufmann oder Banquier?«

»Nein, Madame. Er war Officier, Capitän bei der alten Kaisergarde.«

»Das stimmt; das stimmt! Lebt er noch?«

»Vielleicht. Niemand weiß es.«

»Niemand weiß es? Sie müssen doch über die Schicksale eines so nahen Verwandten irgend welche Nachrichten haben!«

»Dies ist hier nicht der Fall, gnädige Frau. Er war den Meinen zwar bluts- aber nicht geistig verwandt.«

»Sie haben keinen Umgang mit ihm gepflogen?«

»Sie haben ihn gemieden. Und wenn er selbst eine vorübergehende Annäherung herbeiführte, so ist die Folge stets ein Unglück für sie gewesen.«

Sie nickte langsam mit dem Kopfe.

»Ja,« sagte sie; »er war ein Bube, ein böser Mensch, welcher mit geholfen hat, seinen Vater in das Unglück zu stürzen. Wissen Sie davon?«

»Es ist mir allerdings Einiges bekannt.«

»Kennen Sie auch seinen Verbündeten, mit welchem er daran arbeitete, die Eltern und die Schwester in das Elend zu führen?«

»Sie meinen den Baron de Reillac?«

»Ja. Ob dieser Mensch wohl noch vorhanden ist?«

»Nein; er ist todt.«

»Ah! So besitzt die Erde eine gefährliche Kreatur, ein Raubthier weniger. Er hat einen schlimmen Tod verdient. Woran ist er gestorben?«

»An keiner Krankheit, sondern unter der Hand eines Mörders.«

»Gott! Er ist ermordet worden?«

»Ja.«

»Wann?«

»Schon längst, nämlich am Tage oder einige Tage vor der Schlacht bei Ligny.«

»Wer war der Mörder?«

»Sein Freund, Capitän Richemonte.«

»Ihr Onkel?«

»Ja.«

»Sein eigener Freund, Cumpan und Verbündeter? Welch eine Fügung! Sie werden mir davon erzählen müssen, auch von den Ihrigen. Zuvor aber« – und dabei nahm ihre Stimme wieder den harten, klanglosen Ausdruck an – »zuvor aber muß ich Ihnen sagen, daß die Art und Weise, in welcher Sie sich bei mir eingeführt haben, keineswegs eine angenehme und empfehlende ist.«

*


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