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Der Blick der Gräfin ruhte forschend und auffordernd auf Königsau, als ob sie eine Entschuldigung erwarte. Er aber verbeugte sich unter einem höflichen Lächeln und antwortete, indem er leise mit der Achsel zuckte:
»Madame, der Deutsche besitzt ein oft angewendetes Sprichwort, welches auch hier am Platze sein dürfte.«
»Wie lautet es?«
»Wie es in den Wald schallt, so schallt es wieder heraus.«
»Dieses Sprichwort klingt nicht gut. Es beweist, daß der Deutsche der Mann der Vergeltung, der Rache, der Revanche ist, welche er doch dem Franzosen so gern und geflissentlich vorzuwerfen pflegt.«
»O, er will damit doch nur einen gewöhnlichen Erfahrungssatz ausdrücken, welchen auch Sie anerkennen werden. Der Charakter des Deutschen scheint mir mehr ein passiver, als ein activer zu sein. Er schreitet nur dann zur Vergeltung, wenn er mit Gewalt dazu getrieben wird.«
»Wer hat vorhin Sie mit Gewalt dazu getrieben?«
»Die Antwort liegt in Ihrer eigenen Frage, gnädige Frau Gräfin. Indem Sie zugeben, daß ich mich zu einer Art von Abwehr treiben ließ, gestehen Sie ein, daß vorher ein Angriff stattgefunden hat.«
»Dieser Angriff war kein directer.«
»Aber dennoch ein sehr fühlbarer und energischer.«
»O, nur ein kleiner, gesellschaftlicher Unterlassungsfehler, wie er sehr leicht einmal vorkommen kann. Und besonders, da er von einer Dame begangen wurde, so wäre es höflich gewesen, denselben mit Stillschweigen zu übergehen.«
Ihr Blick ruhte streng und herausfordernd auf ihm. Er hatte große Lust, den bereits aufgenommenen Fehdehandschuh nicht wieder hinzuwerfen; aber er sah das Auge Idas mit stummer und doch beredter Bitte auf sich gerichtet; darum nahm er einen heitereren, leichteren Ton an und antwortete:
»Sie haben Recht, gnädige Frau. Eine Dame hat unter allen Umständen diejenigen Aufmerksamkeiten zu erwarten, welche ihr von den Gesetzen und Regeln der gesellschaftlichen Dehors zugesprochen worden. Habe ich gegen diese Regeln gesündigt, so würde ich recht glücklich sein, von Ihnen Absolution zu empfangen.«
Die Falten ihrer Stirn verschwanden. Er bat sie um Verzeihung. Sie hatte also, wenigstens scheinbar, einen Sieg über ihn errungen. Das erlaubte ihr, nun Freundlichkeit und Milde walten zu lassen. Sie antwortete:
»Ich will keineswegs grausam sein, Herr von Königsau. Ich verzeihe Ihnen also und heiße Sie nachträglich willkommen.«
Sie reichte ihm die Hand entgegen, welche er ergriff und hochachtungsvoll küßte. Ueber Hedwigs hübsches Gesichtchen glitt ein Zug, welcher ganz deutlich sagte: »Er hat aber doch gesiegt, dieser Deutsche.« Idas Augen strahlten dem Letzteren warm entgegen; aber aus dem Halbdunkel, in welches sich der Graf zurückgezogen hatte, erklang es scharf und wie zurechtweisend:
»Liebe Tante, Du vergissest, daß Du Dich nicht allein hier befindest.«
Sie wendete sich ihm mit einem Ausdrucke des Erstaunens zu und fragte:
»Du willst damit sagen?«
»Daß mehrere Personen vorhanden sind, welche beleidigt wurden, und daß Du also nicht eigenmächtig verzeihen darfst.«
»Ah,« meinte sie, »ich ahnte nicht, daß Du annimmst, auch angegriffen worden zu sein. Fühlst Du Dich beleidigt, so ist das einfach Deine Sache. Jedenfalls aber nehme ich für mich das Recht in Anspruch, für meine Person verzeihen zu können. Das Andere aber gehet mich nichts an.«
»Ich denke doch, daß es Dich tangiren muß.«
»In wiefern?«
»Ich will nicht bestreiten, daß Du das Recht hast, für Dich persönlich zu verzeihen; aber ich habe auch die Geberzeugung, daß Du in Deiner Eigenschaft als meine Tante einen Angriff auf Deinen Neffen nicht so gleichgiltig übersehen darfst, wie es in Deiner Absicht zu liegen scheint.«
»Ja, wenn dieser Neffe ein Kind wäre, welches dieses Schutzes bedarf. Ihr Herren aber seid stets so passionirt, Euch Männer zu nennen, daß ich mir in dieser Angelegenheit wohl erlauben darf, Dich Dir selbst zu überlassen.«
»Das heißt, Du nennst diesen Mann wirklich willkommen?«
»Jawohl; Du hast es gehört.«
Da trat er aus dem Halbdunkel hervor auf sie zu.
»So muß ich allerdings annehmen,« sagte er, »daß ich Dir weniger willkommen, vielleicht sogar unwillkommen bin.«
Er hatte die Augen finster zusammengekniffen, und die Stellung, welche er einnahm, war eine herausfordernde, ja fast drohende zu nennen.
Sie dagegen behielt ihre vollständige Ruhe bei. Ihm einen nur verwunderten Blick zuwerfend, sagte sie:
»Mein Neffe ist mir jederzeit willkommen gewesen, und auch noch jetzt kenne ich keinen Grund zu einer Aenderung hierin. Wen ich aber außer ihm bei mir empfangen will und werde, darüber steht mir sicher das alleinige Urtheil zu. Mein Haus ist mein Eigenthum, und ich kenne keinen Menschen, welchem ich erlauben werde, die für mich daraus hervorgehenden Rechte mir streitig zu machen.«
Er zog unter einem beinahe höhnischen Lächeln die Schultern nach vorn, machte eine ironische Verbeugung und sagte:
»Ich lasse Dir natürlich dieses Recht; es kann mir gar nicht einfallen, es Dir zu schmälern, da ich nicht die Erlaubniß dazu habe. Aber ich bitte um die Erlaubniß, zu den Stunden, in welchen Du mir unsympathische Personen empfängst, auf das Glück Deiner Nähe verzichten zu dürfen.«
Da legte sie den Kopf in den Nacken, grad so, wie es die hübsche Hedwig in ihrer Gewohnheit hatte, warf ihm einen ernsten, dominirenden Blick entgegen und antwortete:
»Ich habe nichts dagegen, daß Du selbst in den Stunden, in denen Du Dich wohl bei mir fühlen würdest, auf mich verzichtest. Ich verliere nichts dabei.«
»Fällt mir nicht ein,« entgegnete er. »Eines Fremden, eines Eindringlings wegen, gebe ich Dich ebenso wenig auf, als ich auf eine Person oder Sache verzichten würde, welche mir lieb und angenehm ist. Ich habe keineswegs die Absicht, Dich zu beleidigen, sondern ich will Dich nur warnen, Bekanntschaften anzuknüpfen, welche Dir nur Enttäuschung bringen können. Ich hoffe, Cousinchen Ida ist ganz gleicher Meinung mit mir?«
Diese letztere Frage war an die Genannte direct gerichtet. Sie sah sich darum zu einer Antwort gezwungen.
»Ich wohne bei der Tante und habe mich nach ihr zu richten,« sagte sie. »Auch kann ich nicht sagen, daß Herr von Königsau mich beleidigt hat.«
Der Graf hatte diese Antwort vielleicht nicht erwartet. Er verschmähte, eine Gegenbemerkung zu geben, und wendete sich an die andere Schwester:
»Und Du, liebe Hedwig?«
Diese zuckte leichthin die Achsel, zog ein schnippisches Mäulchen und sagte:
»Cousin, Du mußt gestehen, daß Du außerordentlich unartig bist. Schwestern sollen stets einerlei Meinung haben; ich stimme Ida vollständig bei.«
Da bleichte der Zorn seine Wangen. Er trat zurück und sagte:
»So stehe ich also allein! Ich konnte es mir denken. Treue Herzen pflegen ja oft dem ersten besten hergelaufenen Fant geopfert zu werden. Aber es wird die Zeit kommen, in welcher Ihr einsehen lernt, wer Euch wirklich nahe steht und auf wessen Meinung Ihr hättet Gewicht legen sollen. Ich verabschiede mich für heute Abend von Euch.«
Und sich mit einer raschen Umdrehung zu Kunz von Goldberg wendend, fuhr er mit erhobener Stimme fort:
»Mein Herr, Sie haben seit der ersten Stunde, da wir uns hier trafen, merken müssen, daß mir Ihre Besuche höchst unangenehm waren. Sie haben dieselben trotzdem fortgesetzt. Ich finde das höchst sonderbar.«
»Pah!« antwortete Kunz. »Ich glaubte, Sie würden seit der ersten Stunde, da wir uns hier trafen, gemerkt haben, daß meine Besuche nicht Ihnen galten. Daß Sie dies selbst jetzt noch nicht einsehen, finde ich noch sonderbarer.«
» Diable! Wollen Sie mich etwa höhnen?«
»Nein. Ich will Ihnen damit nur sagen, da ich nicht Sie, sondern Ihre Tante, die Frau Gräfin besuche, so kann es mir sehr egal sein, ob Ihnen meine Anwesenheit angenehm ist oder nicht. Und hinzufügen will ich noch, daß mir überhaupt auch alles Andere, was Sie denken und meinen, vollständig gleichgiftig ist. Sie müssen bereits längst erkannt haben, daß Sie für mich gar nicht existiren.«
»Nun, so werde ich hoffentlich und wenigstens für Ihren Freund existiren.«
Er wendete sich zu Gebhardt, welcher unterdessen wieder Platz genommen hatte und bisher ein scheinbar theilnahmsloser Hörer von des Grafen Expectorationen gewesen war, und fragte:
»Sie sind Officier, Herr von Königsau?«
»Ja, wie Sie gehört haben,« antwortete dieser kurz und gelassen.
»Ich zweifle daran.«
»Das kann mir gleichgiftig sein.«
Der Graf trat ihm einen Schritt näher. Er sagte in einem Tone, dem man die beabsichtigte Provocation anhören mußte:
»Sie sind in Wirklichkeit nicht Officier.«
Gebhardt wendete sich zur Seite und verzichtete darauf, eine Antwort zu geben. Der Graf trat ihm noch näher und meinte:
»Ich sehe, daß Sie nicht antworten. Nun, wenn ich sage, daß Sie in Wirklichkeit nicht Officier sind, so meine ich damit, daß ich Sie für einen Lügner erkläre, wenn Sie behaupten Officier zu sein.«
In Gebhardts Augen blitzte es auf. Aber er verstand es, sich zu beherrschen, und seine Stimme klang hell und ruhig, als er entgegnete:
»Sie erlauben mir, Ihnen meine Antwort morgen zu geben.«
»Ich brauche Ihre Antwort nicht. Wer sich da eindrängt, wo er unangenehm ist, der ist kein Officier und Cavalier. Sie haben die Frau Gräfin beleidigt; Sie haben sich mit ausgesuchter Grobheit betragen und besitzen die Stirn, hier Ihren Platz festzuhalten: Sie sind nicht Officier.«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich Ihnen meine Antwort morgen geben werde.«
»Und ich habe Ihnen darauf bemerkt, daß ich darauf verzichte, eine Antwort von Ihnen zu empfangen.«
Jetzt verließ auch Gebhardt seinen Stuhl. Er erhob sich und stand ganz nahe vor dem Grafen, so daß beim Sprechen ihr Athem sich berühren mußte.
»Wissen Sie wohl,« sagte er, »was ich meinte, als ich Ihnen zweimal erklärte, daß Sie meine Antwort morgen empfangen werden?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung davon,« erklärte der Graf.
»Ah! Sind Sie Officier?«
»Nein.«
»Aber Edelmann?«
»Allerdings. Ich bin, wie Sie gehört haben, Graf Jules de Rallion.«
»Und dennoch wissen Sie nicht, was ich gemeint habe?«
»Ganz und gar nicht!«
»Nun, ich habe bisher geglaubt, daß auch die Edelleute Frankreichs sich auf die Art und Weise gewisser Antworten verstehen, welche nicht mit dem Munde gegeben werden; ich scheine mich aber doch geirrt zu haben.«
Da forcirte der Graf ein erstauntes Gesicht. Er wich, wie in Folge einer plötzlichen Verwunderung zurück, und fragte:
»Sie meinen doch nicht etwa ein Duell?«
»Ah, Sie scheinen auch das nicht zu wissen, daß man in Gegenwart von Damen nicht über gewisse Dinge zu sprechen pflegt!«
»Was mich angeht, können diese Damen hören. Sie wollen sich mit mir schlagen, mein Herr?«
»Sie werden das anderweit erfahren.«
»Nun, ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich mich auf keinen Fall mit Ihnen schlagen werde.«
»Warum?«
Der Graf warf sich in eine Attitude, welche Furcht erwecken sollte, nahm eine Stellung an, als ob er sich auslegen wollte und antwortete:
»Weil ich Sie schonen müßte. Ich bin lange Jahre Fechtmeister gewesen und würde Sie in Grund und Boden hauen!«
Gebhardt konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Er entgegnete mit einem beredten Blicke auf Kunz:
»Sie würden mich nicht im Mindesten zu schonen brauchen. Mein Kamerad, Herr von Goldberg hier, wird mir gern bezeugen, daß ich als ein Schläger bekannt bin, der keinen Andern zu fürchten braucht.«
Der Graf bezwang sich, ein enttäuschtes Gesicht zu verbergen.
» Mon dieu!« meinte er leichthin. »So würde ich Sie in Grund und Boden schießen!«
»Auch das verfängt nicht, mein Herr. Ich schieße die Schwalbe aus der Luft. Und um Ihnen zu beweisen, daß ich wirklich Officier bin, der im Kriege seinen Mann nicht verfehlen darf, würde ich Ihnen meine erste Kugel durch den Kopf jagen.«
Der Graf war sichtlich entmuthigt. Er wußte nicht, was er sagen sollte, und meinte endlich:
»Das wird Ihnen nicht gelingen; ich versichere es Ihnen.«
»Warum nicht, Monsieur?«
»Weil ich mich überhaupt niemals mit Ihnen schlagen werde.«
»Ich darf wohl jedenfalls nach dem Grunde dieses höchst sonderbaren Entschlusses fragen?«
»Ich schieße mich mit keinem Menschen, der nicht satisfactionsfähig ist.«
»Sie meinen, ein solcher Mensch sei ich?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil Sie durch Ihr heutiges Verhalten bewiesen haben, daß Sie kein Ehrenmann sind.«
»Ah, eine neue Beleidigung. Nun, da Sie diese heikle Sache vor das Forum der Damen förmlich gezwungen haben, so will ich Ihnen auch in Gegenwart derselben meine Entscheidung sagen; ich werde nämlich – –«
»Ich bin neugierig, dieselbe zu hören, da ich mir nicht erklären kann, wie gerade Sie dazu kommen, eine Entscheidung zu fällen,« unterbrach ihn der Graf.
»Ich bin der Beleidigte und habe also auf Satisfaction zu dringen, wäre es auch nur, um Ihnen die Ueberzeugung beizubringen, daß ich wirklich ein Ehrenmann bin. Herr von Goldberg wird die Güte haben, mir zu secundiren. Morgen früh Punkt neun Uhr ist er bei Ihnen, um zu hören, welchen Herrn Sie zum Beistand wählen, und wie Sie mit diesem sich vereinbaren. Sollten Sie meine Forderung nicht annehmen, so erkläre ich Sie für den größten Feigling Frankreichs, und werde das auch öffentlich bekannt geben.«
»Sie wollen mich fürchten machen; das aber soll Ihnen doch nicht gelingen,« antwortete der Graf. »Ich weiß ganz genau, wie Leute ihres Schlages zu behandeln sind, und werde Ihnen das beweisen. Gute Nacht, die Damen.«
Er drehte sich scharf auf dem Absatze um und ging fort.
Wie bei solchen unangenehmen Scenen gewöhnlich, trat zunächst eine Pause ein, welche allerdings nicht lange währte, denn die Gräfin begann unter völliger Ignorirung des zuletzt Vorgefallenen:
»Herr von Königsau, Sie versprachen mir, uns von dem Tode dieses Barons de Reillac zu erzählen.«
»Ich bin gern bereit, mein Wort zu halten,« antwortete Gebhardt. »Nur weiß ich nicht, ob die Ermordung eines Menschen ein Damenthema ist.«
Da ergriff ihm gegenüber Hedwig zum ersten Male das Wort:
»Erzählen Sie immerhin, Herr Lieutenant,« sagte sie, indem sie sich behaglich in ihrem Sessel zurechtrückte. »Ein Mord ist allerdings ein fürchterliches Thema; aber wenn Sie wüßten, wie gern ich grusele, so würden Sie mich keinen Augenblick warten lassen.«
»Nun, mein Fräulein,« antwortete er lächelnd, »so muß ich es allerdings versuchen. Und ich hoffe, daß Ihnen der Genuß des Gruselns nicht verloren geht.«
Er erzählte. Die Damen hörten mit gespannter Erwartung zu, ihn nur zuweilen durch einen theilnahmsvollen Ausruf unterbrechend. Das Erlebniß, von welchem er berichtete, stand in so innigem Zusammenhange mit seinen Familienverhältnissen, daß dann später Frage auf Frage ausgesprochen wurde, die er zu beantworten hatte.
So entspann sich eine außerordentlich animirte Unterhaltung. Er war ein guter Sprecher und ein sehr angenehmer Gesellschafter, überhaupt ein hübscher, kenntnißreicher und gewandter junger Mann. Die Damen lauschten seiner Unterhaltung. Sie hörten aus jedem seiner Worte, daß er trotz seiner für seine Jugend höchst bedeutenden Kenntnisse nicht die mindeste Einbildung besaß, sondern sich selbst aus dem Zusammenleben mit den Angehörigen des Officiercorps seine ursprüngliche Einfachheit und Bescheidenheit gerettet hatte.
Das zog sie zu ihm hin. Die sonst so muntere Hedwig war schweigsam und hörte lieber auf ihn, als daß sie sich zum vordringlichen Sprechen entschloß. Ida, schon sonst schweigsam, weil contemplativ angelegt, sprach fast kein Wort. Aber ihr Auge sprach desto mehr, und immer und immer wieder begegnete ihr Blick dem seinigen, so daß sie hundert Mal gezwungen war, die schönen, geheimnißvollen Wimpern niederzuschlagen und das leise feine Roth ihrer Wangen zu verbergen, welches sie zwar nicht sehen konnte, aber an dem frohen Klopfen ihres Herzens fühlte.
So kam es, daß die Kosten der Unterhaltung fast nur von den beiden Officieren und der Gräfin getragen wurden.
Die Letztere hatte ihr vorheriges Wesen vollständig abgelegt. Sie war mittheilsam und gesprächig geworden, und besonderen Dank verdiente sie sich bei Gebhardt dadurch, daß sie mit keiner Sylbe ihres Neffen gedachte, der zu einer so außerordentlich peinlichen Scene Veranlassung gegeben hatte. Ihre völlig umgewandelte Gesinnung erhielt endlich den besten Ausdruck dadurch, daß sie die beiden jungen Männer einlud, am Souper theilzunehmen, was natürlich mit großem Danke angenommen wurde.
Am meisten schienen sich die beiden Nichten darüber zu freuen. Es war so außerordentlich selten, daß die Tante einem Herrn die Ehre gönnte, mit ihnen zu speisen, und so kam es, daß sie durch die Einladung der Gräfin in die beste Laune versetzt wurden, welche wieder ihren guten Einfluß auf die Andern äußerte.
Kurz vor der Tafel entfernte sich die Gräfin auf kurze Zeit, und diesen günstigen Augenblick benutzte Kunz von Gold berg, um Hedwig zu folgen, welche an das Piano getreten war und sich mit den darauf liegenden Noten zu beschäftigen begann. In den Letzteren blätternd und scheinbar sich über dieselben unterhaltend, führten sie ein halblautes Gespräch, von welchem die beiden Anderen nichts verstehen konnten oder vielmehr nichts verstehen gekonnt hätten, selbst wenn es ihre Absicht gewesen wäre, einige der Worte zu erlauschen.
»Sagen Sie einmal, Herr von Goldberg,« begann Hedwig; »war es Ihrem Freunde mit der Forderung wirklich Ernst?«
»Ganz gewiß, Mademoiselle,« antwortete er.
»Das Duell wird also stattfinden?«
»Ich bin davon überzeugt.«
»Wie uninteressant!«
»Uninteressant?« fragte er. »Und Sie gruseln doch so gern. Ist bei Ihnen vielleicht nur die Erzählung eines Mordes interessant?«
Sie blickte ihn ein wenig verächtlich von der Seite an und sagte:
»Was Ihr Deutschen doch für Menschenkenner seid.«
»Nicht wahr?« lachte er, ohne zu thun, als ob er den Blick bemerkt habe.
»Ja. Sagten Sie nicht erst vorgestern, daß es Ihnen ein außerordentliches Interesse gewähre, mich zu studieren?«
»Gewiß.«
»Und daß Sie sich schmeicheln, mich ganz und genau zu kennen?«
»Auch das.«
»Und doch glauben Sie, daß nur ein Mord mich interessiren könne?«
»Muß ich es nicht glauben, da Sie ein Duell uninteressant nennen?«
Sie zog die schönen, vollen Schultern verächtlich empor, so daß das rosige Fleisch derselben aus dem Ausschnitte des Kleides hervortrat, um sich nur langsam wieder unter den weichen Stoff zu verbergen, und antwortete:
»Es kommt auf die Veranlassung an.«
»Wieso, Mademoiselle?« fragte er.
»Ein Duell nur deshalb, weil Einer nicht glaubt, daß der Andere ein Officier ist – wie kindisch.«
»Oder, wollen Sie sagen, ein Duell, weil der eine den Andern gewaltsam provocirt?«
»Das ist barbarisch, aber doch nicht interessant.«
»Wann würde denn ein Duell für Sie interessant sein?«
»Hm! In vielen Fällen,« antwortete sie, indem sie ein höchst nachdenkliches Gesichtchen zog, welches ihr ganz allerliebst stand.
»Darf ich vielleicht einen von diesen vielen Fällen erfahren?«
»Neugieriger! Aber es ist wahr, Sie sind in Beziehung auf das Duell so ganz und gar unwissend, daß ich es schon unternehmen muß, Ihnen Unterricht zu geben.«
Sie zog die Brauen empor und bemühte sich, die strenge gelehrte Miene eines pedantischen Lehrers anzunehmen. Das sah so allerliebst aus, daß Kunz sie am Allerliebsten gleich hätte umarmen mögen. Er sagte:
»Ich brenne vor Wißbegierde. Belehren Sie mich, Mademoiselle.«
»Nun, es kommt vor allen Dingen auf den Gegenstand an, wegen dessen man sich schlägt. Ist dieser interessant, so ist es auch das Duell. Nun, mein Herr von Goldberg, nennen Sie mir einmal einen Gegenstand, welcher interessanter ist als eine rohe oder kindische Provocation.«
Er nickte ihr mit einem ahnenden Lächeln zu und antwortete:
»Darf ich es da nicht am Besten gleich wagen, den interessantesten Gegenstand zu nennen?«
»Ja. Aber ich bitte mir aus, nicht im Besonderen, sondern nur im Allgemeinen zu sprechen.«
»Ah, meine schöne Hedwig, Sie haben mich im Verdachte, daß ich sofort eine gewisse Person nennen würde?«
»Ja, ich habe Sie da sogar in einem sehr dringenden Verdachte.
»Warum?« fragte er leise flüsternd, indem er sich ganz nahe zu ihr hinüberbog.
Sie versetzte ihm einen leisen, scherzenden Schlag mit dem Fächer und antwortete:
»Diese Deutschen sind allesammt rechte, ächte Bären, und Sie in'sbesondere sind – –«
Sie stockte.
»Was? Was bin ich?« fragte er.
Sie blickte ihn wie furchtsam von der Seite an und antwortete rasch:
»So ein ganz gewaltiger Doppelbär.«
Er fuhr in scherzhaftem Schreck zurück und sagte:
»Mademoiselle, Sie kommen da ganz gewaltig von unserm Thema ab!«
»O nein, mein Herr, wir sind ganz gewaltig dabei.«
»Beim Duell?«
»Ja, beim Duelle!«
»Bei der Frage, welches Duell interessant ist?«
»Ja, bei dieser Frage!«
»Das sehe ich nicht ein. Oder meinen Sie vielleicht, daß nur ein Duell zwischen Doppelbären interessant ist?«
»O nein. Ich möchte mich da gern eines deutschen Wortes bedienen. Wie übersetzen Sie das schöne französische Wort lourdaud in das Deutsche?«
»Dieses Wort würde das schöne deutsche Wort Tolpatsch ergeben.«
»Schön. Das ist ein Dingwort, ein Hauptwort?«
»Ja.«
»Und das Eigenschaftswort davon? Wie würde es lauten?«
»Tolpatschig.«
»Nun, so will ich Ihnen sagen, daß ein Duell zwischen Doppelbären höchst tolpatschig aussähe, also ganz und gar nicht interessant sein würde. Wir sprachen aber gar nicht von Bären, am Allerwenigsten von Doppelbären.«
»Wovon sonst, meine schöne Tadlerin?«
»Nur Sie allein sind so ein langweiliger Mensch, welcher niemals bei einem Thema Stand halten kann. So oft ich mich mit Ihnen unterhalte, habe ich mir die größte Mühe zu geben, Sie bei der Sache festzuhalten.«
Sie sprach das so ernsthaft aus, daß er lachen mußte.
»Gut,« meinte er. »Halten wir jetzt also Stand.«
»Ja, ich fordere Sie allen Ernstes dazu auf. Der bekannte Bär kam nur deshalb zum Vorscheine, weil Sie mich fragten, weshalb ich Ihnen die Nennung einer ganz besonderen Person zutraue.«
»Ah, jetzt endlich besinne ich mich. Ich habe Sie wirklich zu bitten, nachsichtig mit meinem allzu altersschwachen Gedächtnisse zu sein – – –«
»Altersschwach wohl nicht, aber sehr ungeübt,« fiel sie ihm in die Rede.
»Mag sein. Also ich sollte keine Person nennen, sondern nur ganz im Allgemeinen sprechen?«
»Ja. Sie sollen mir einen Gegenstand nennen, welcher interessant ist.«
»Nun, ist der Ausdruck Dame ein allgemeiner?«
»Aus alter Rücksicht für Sie will ich das einmal zugeben.«
»Und ist eine Dame interessant?«
Sie blickte ihn erstaunt an und antwortete unter Kopfschütteln:
»Natürlich. Was kann interessanter sein, als eine Dame. Etwa ein Herr?«
»Natürlich niemals!«
»Nun also! Wie weiter?«
»Sie schließen: Da eine Dame interessant ist, wird ein Duell auch interessant sein, wenn es wegen einer Dame vorgenommen wird.«
»Ja, das ist meine Meinung.«
»Ich möchte diesen Schluß einer kleinen Beschränkung unterwerfen.«
»Welcher?«
»Es giebt auch uninteressante Damen – – –«
»Ah, das ist mir völlig neu.«
»Ja. Ein Duell wegen einer solchen würde also nicht interessant sein.«
»Sie sind abermals ein Bär! Nennen Sie mir eine einzige uninteressante Dame; dann will ich glauben, daß es solche giebt.« .
»Nun, würden Sie sich für eine Schlägerei wegen eines Aepfelweibes interessiren?«
» Fi donc! Nein!«
»Wegen Ihrer Nähterin?«
»Vielleicht.«
»Wegen Ihrer Zofe?«
»Schon mehr.«
»Wegen Ihrer Tante?«
»Sehr!«
»Wegen Ihnen selbst?«
»O, ganz gewaltig.«
»Ah,« lachte er; »damit sagen Sie nun selbst, was zu sagen Sie mir vorher so streng verboten haben.«
»Was?«
»Daß Sie die interessanteste Dame sind.«
Wieder gab sie ihm einen Schlag mit dem Fächer, dieses Mal aber einen derberen.
»Viel Ehre!« meinte sie. »Aepfelhändlerin, Nähterin, Zofe, Tante, das ist die Gesellschaft, in welche Sie mich bringen. Sie sind zum dritten Male ein Bär! Aber lassen Sie uns nicht scherzen. Sagen Sie mir lieber, ob Ihr Freund wirklich ein so guter Fechter ist, wie er sagt.«
»Er ist der beste Fechter, den ich kenne.«
»Auch Schütze?«
»Ja, gewiß.«
»So ist mein Cousin verloren.«
»Wieso?«
»Weil er nicht mit den Waffen umzugehen versteht.«
»Ich denke, er will meinen Freund in Grund und Boden schlagen.«
»Fällt ihm gar nicht ein.«
»Oder in Grund und Boden schießen.«
»Er lügt.«
»Ah, er sagte doch, daß er längere Zeit Fechtmeister gewesen sei.«
»Das war Aufschneiderei. Er that es vor Angst. Er hat eine angeborene Aversion gegen Alles, was Waffe heißt; daher ist er nicht Militär geworden.«
»Mein Freund wird dennoch auf Satisfaction beharren.«
»Aber wenn der Graf nicht einwilligt?«
»Aus welchem Grunde?«
»Weil er nicht versteht mit den Waffen umzugehen.«
»Dann darf er es auch nicht unternehmen, einen Ehrenmann in so schmachvoller Weise zu beleidigen. Uebrigens ist es nicht gesagt, daß der Sieg nur dem gehört, welcher Herr seiner Waffe ist.«
»Ein Anderer kann auch treffen?«
»Sehr gut sogar, wie es bereits vorgekommen ist.«
»Mein Gott, das wäre sehr schlimm,« meinte sie ängstlich.
»Warum?«
»O, wenn Herr von Königsau verwundet würde.«
Die Sorge, welcher sie jetzt Worte gab, war keine geheuchelte, sondern eine wirkliche; das sah man ihr an. Kunz bemerkte dies. Ueber seine Stirn zog sich eine kleines, dunkles Fältchen, und er fragte:
»Würde Ihnen dies so unangenehm sein?«
»Sehr, allerdings sehr.«
»Ah, so beneide ich ihn.«
Sie verstand ihn sofort.
»Warum beneiden Sie ihn, mein Herr?«
»Weil Sie für ihn fürchten. Wer weiß, ob Sie die geringste Sorge hätten, wenn ich vor einem Zweikampf stände.«
»Sorge?« lachte sie. »Sorge? Ihretwegen, Monsieur? O, nicht die mindeste!«
Das Fältchen auf seiner Stirn wurde tiefer, ohne daß sie darauf zu achten schien. Er schwieg einen Augenblick, ehe er sich mit stockender Stimme erkundigte:
»Ist das wahr, mein Fräulein?«
»Gewiß,« antwortete sie.
»Ganz gewiß? Wirklich gewiß?«
»Wirklich und ganz gewiß.«
»Leben Sie wohl.«
Er wollte sich rasch abwenden, doch gelang ihm dies nicht, denn noch rascher hatte sie ihn beim Aermel erfaßt, so daß er bleiben mußte, wenn er die beiden Anderen nicht aufmerksam machen wollte.
»Wohin, Herr von Goldberg?« fragte sie.
»Von Ihnen fort,« antwortete er kurz.
»Warum?«
Er schwieg. Ihr Auge blickte noch immer neckisch auf ihn, als sie fragte:
»Wohl weil ich keine Sorge für Sie haben würde?«
Er antwortete auch jetzt nicht.
»Ja, Sie sind ein Bär, ein rechter, großer Bär! Sagen Sie mir doch einmal, was mich verpflichten soll, mich gerade um Sie zu sorgen.«
Er hob das Auge, in welchem ein eigenthümliches Licht schimmerte, langsam zu ihr empor und antwortete:
»Sie haben Recht, Comtesse! Was geht Sie der deutsche Tolpatsch an! Er ringt seit langer, langer Zeit nach einem freundlichen Worte, nach einem warmen Blicke von Ihnen. Mag er ringen, mag er sich sehnen; mag erhoffen und harren; käme er einmal in Gefahr, Sie hätten nicht die geringste Sorge für ihn.«
Er hatte das in tiefer Erbitterung gesprochen; dennoch antwortete sie:
»Ja, das ist wirklich wahr.«
»Wie? Das wiederholen Sie?«
»Gewiß.«
»So lassen Sie mich doch auch gehen.«
»Aber warum doch nur?« fragte sie, indem sie ihn abermals festhielt.
Da legte er seine Hand auf die ihrige und bat in tiefem Ernste:
»Hedwig, bitte, treiben Sie nicht Spiel mit mir. Sagen Sie mir einmal aufrichtig: Hassen Sie mich?«
»Hassen? O nein,« flüsterte sie.
»Aber gleichgiftig bin ich Ihnen?«
»Auch das nicht. Ein Freund des Hauses kann doch nicht gleichgiftig sein.«
»Ich habe also für Sie das Interesse, welches ein Freund Ihres Hauses zu beanspruchen hat?«
»Natürlich, ja.«
»Mehr nicht?«
Sie senkte das Köpfchen tief in ein aufgeschlagenes Notenbuch, antwortete aber nicht. Da ergriff er auch ihre andere Hand und flehte:
»Hedwig, bitte, nicht dieses tödtliche Schweigen. Geben Sie eine Antwort.«
Da flüsterte sie:
»Ich soll noch größere Theilnahme für Sie hegen?«
»O, wie unendlich glücklich würde das mich machen.«
»Ah, womit hätten Sie sich denn diese Theilnahme verdient, mein Herr?«
Da ließ er ihre Hände los und seufzte:
»So können Sie fragen? Ja, ich will Ihnen antworten. Ich habe mir eine so große Theilnahme allerdings nicht verdient. Man kann alles Große thun, und doch wär ein solcher Lohn doch noch zu hoch. Aber daß es Ihnen so gleichgiftig sein würde, wenn ich in Todesgefahr käme, das thut weh.«
»Wer hat denn das gesagt?« fragte sie rasch.
»Sie selbst.«
»Wann denn?«
»Soeben, vorher.«
»Das weiß ich nicht.«
»Sagten Sie nicht, daß Sie sich ganz und gar nicht um mich sorgen würden?«
»Allerdings.«
»Nun, ist das nicht der größte Grad von Gleichgiftigkeit?«
»Ganz und gar nicht.«
»So begreife ich Sie nicht.«
»Sie sind abermals und abermals ein Bär. Das begreifen Sie nicht? Wenn der Bär geht, um mit dem Wolf oder Fuchs zu kämpfen, wer wird da Sorge um ihn haben? Er muß und wird auf alle Fälle siegen.«
Er schüttelte den Kopf.
»Nie und nie werden Sie den Scherz lassen können!« klagte er.
Da erweiterten sich ihre Augen; ihr Blick war groß und voll auf ihn gerichtet, und in tieferem Tone als gewöhnlich antwortete sie:
»O, mein Herr, ich kann auch ernsthaft sein.«
»Darf ich das glauben?«
Sie nickte ihm freundlich zu und sagte:
»Glauben Sie es. Ich kann sehr, sehr ernst sein, nämlich dann, wenn es wirklich gilt, ernst zu sein.«
»Wenn das ist, so erfüllen Sie mir eine einzige Bitte.«
»Welche?«
»Seien Sie auch jetzt einmal ernst, Mademoiselle Hedwig.«
»Ist denn das so sehr nothwendig?«
»Ja; ich versichere es Ihnen.«
»Nun gut, so will ich Ihnen diese Bitte erfüllen.«
»Warum sagten Sie vorhin, daß Sie um mich keine Sorge haben würden?«
Jetzt war sie es, welche ihr Händchen auf seinen Arm legte.
»Ich will ernst sein, sehr ernst,« sagte sie, »und dennoch muß ich Sie abermals einen Bär nennen. Ueberlegen Sie sich doch meine Worte! Sind Sie denn nicht ein klein wenig Logiker?«
Er schüttelte langsam und zweifelnd den Kopf, indem er antwortete:
»Ich wollte, ich könnte Sie verstehen und begreifen.«
»So bin ich wahrhaftig gezwungen, mich Ihnen verständlich zu machen. Wissen Sie, um wen man Sorge hat?«
»Nun?«
»Um Kinder – –«
»Ah.«
»Ja, um Kinder, um unsichere und unzuverlässige Personen. Ich weiß nicht, ob ich Recht habe und ob ich mich richtig ausgedrückt; aber um Personen, denen man ein volles Vertrauen schenkt, die man achtet oder hochachtet, kann man sich nicht sorgen.«
»Aber das Weib eines Kriegers, der im Felde ist?«
»Ist das Sorge, was sie fühlt? Ist es nicht vielmehr Angst?«
»Mag sein. Also Sie sorgen sich nicht um Jemand, den Sie achten und dem Sie vertrauen?«
»Das habe ich gesagt.«
»Auch nicht um Jemand, den Sie lieben?«
Da zog sie ihre Hand wieder von seinem Arme und antwortete:
»Sie fragen zu viel, Monsieur.«
Er haschte ihr Händchen wieder, hielt es fest und fuhr fort:
»So sagen Sie wenigstens, ob Sie bereits Jemand kennen, um den Sie sich nicht sorgen, weil Sie ihn lieben.«
Da glitt ihr gewöhnliches schalkhaftes Lächeln wieder über ihr Gesicht.
»Ja,« antwortete sie in versicherndem Tone.
Er schien fast zu erschrecken und fragte leise und stockend:
»Wer ist das, wer? Darf ich das erfahren?«
»Ja, mein Herr; es ist ja kein Geheimniß.«
»Nun, wer ist es?«
»Ida, meine Schwester.«
»Donnerw – –« fast hätte er diesen Fluch ausgestoßen. Er hielt aber die zweite Hälfte desselben glücklich zurück und fuhr fort: »Mein Gott, Comtesse, wollen Sie mich denn wirklich in Verzweiflung bringen? Ich versichere Ihnen, daß ich Ihre Schwester nicht gemeint habe.«
Da endlich schien sie ihn zu verstehen; sie machte ein sehr ernsthaftes Gesicht und sagte:
»Ah, jetzt erst weiß ich, woran Sie dachten!«
Ihre Miene gab ihm Veranlassung, neue Hoffnung zu schöpfen, darum sagte er, zu ihr hinübergeneigt:
»Gott sei Dank. Also, giebt es eine solche Person?«
»Ja, Herr Lieutenant,« antwortete sie leise und ihm freundlich zunickend.
»Wer ist es?«
»Meine Tante, die Gräfin.«
Das war ihm zu toll. Er öffnete bereits den Mund, um irgend ein derbes Wort zu sagen, besann sich aber noch und hielt zurück. Doch drehte er sich um, um sich von ihr zu entfernen. Sie wollte ihn abermals festhalten, dies gelang ihr aber nicht, und so that sie, was in diesem Falle am Gerathensten war. Sie folgte ihm, um an seiner Seite zu den beiden Anderen zurückzukehren. Doch während der wenigen langsamen Schritte, die sie bis dahin thaten, sagte sie:
»Sie zürnen mir?«
»Ja,« antwortete er kurz.
»Habe ich das verdient?«
»Sehr, Comtesse!«
»Womit?«
»Ich glaubte, einen Stern in Ihnen zu finden, Sie aber sind der reine Irrwisch.«
Nur der Aerger hatte vermocht, ihm dieses letztere Wort zu entreißen.
»Mein Herr, Sie sind nun wieder und wieder ein Bär,« antwortete sie. »Vielleicht ist ein Irrwisch gerade für einen Bär ein Stern. Uebrigens muß ich Ihnen sagen, daß auch ich höchst zornig auf Sie bin.«
»Ah! Warum?«
»Sagen Sie, wollen Sie heirathen?«
Er war ganz verblüfft über diese Frage. Sie hatte er keinesfalls erwartet. Es fiel ihm in der Schnelligkeit keine andere Antwort ein, als:
»Natürlich werde ich einmal heirathen.«
»Aber wann?«
»Zum Teufel,« dachte er bei sich im Innern; »wozu diese nüchternen Fragen!« Laut jedoch antwortete er ebenso nüchtern:
»Sobald mein Beruf und die Verhältnisse es erlauben, Mademoiselle.«
»So haben Sie also mit Ihrem Berufe und mit den Verhältnissen zu rechnen?«
»Leider!«
»O weh. Ich beklage ein jedes Herz, welches zu rechnen hat!«
»Beklagen Sie auch das meinige?«
»Vielleicht mehr als jedes andere.«
»Mehr? Wohl weil es umsonst rechnet und fühlt?«
»Nein, sondern weil ich wünsche, daß es fühlen dürfe, ohne zu rechnen.«
»Ja, die Damen hassen gewöhnlich das Rechnen.«
»Ich nicht. Ich halte es für ein angenehmes Turnen des Geistes.«
»So möchte ich Sie bitten, mir beizustehen.«
»Im Rechnen?«
»Ja.«
»Gut. Hier meine Hand. Wir wollen mit einander berechnen.«
»Die Ansprüche Ihres Berufes und die Gunst oder Ungunst der Verhältnisse.«
»Bis wie lange?«
»Bis wir ein gutes Facit erreichen.«
»Und dieses Facit heißt?«
»Schon wieder ein Bär! Man darf nicht mit den Pranken dreinschlagen.«
»Verzeihung. Aber ehe wir das Facit erlangen, könnte das Irrlicht verlöschen.«
»Oder doch zeigen, daß es kein Irrlicht, sondern ein Stern sei.«
»Aber nicht für mich!«
»Für wen sonst?«
»Für einen Andern.«
Sie waren während der wenigen Schritte, welche sie zu thun hatten, einige Male halten geblieben. Auch jetzt blieb Hedwig stehen und sagte:
»Warum glauben Sie das?«
»Weil es so die Natur des Irrlichtes ist.«
»Aber es ist ja ein Stern, und Sie wissen, daß ein jeder Stern treu und unverdrossen um einen andern kreist. Haben Sie denn nie Vertrauen?«
»Mein Gott, wer kann Vertrauen haben, wenn man nie ein Wort hört, welches so ernst ist, daß man darauf bauen könnte.«
Da trat sie ganz nahe zu ihm heran, ergriff seine Hand und sagte:
»Ist Hedwig ein Wort?«
»Ja, ein Name.«
»Bauen Sie auf dieses Wort. Ein besseres, festeres und sichereres kann ich Ihnen nicht sagen.«
Dann trat sie von ihm hinweg und begab sich nach dem Fenster, an welchem Ida mit Gebhardt gestanden hatte, und zwar so vertieft in ihre Unterhaltung, daß sie auf Hedwig und Kunz gar keine Aufmerksamkeit gerichtet hatten.
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