Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als General Cavaignac in der Nähe der Truppenaufstellung angekommen, zogen sich die Führer zurück, so daß der General nun an der Spitze ritt. Die Trommeln wirbelten, die Musik fiel ein, und die Truppen präsentirten. Der General salutirte, ritt an der Front vorüber und wendete sich dann dem Eingange des Ortes zu, nachdem der Befehlshaber der Truppen ihm eine kurze Meldung gemacht hatte.
Er winkte den Letzteren an seine linke Seite und fragte im Reiten:
»Sind Sie mit der Bevölkerung zufrieden?«
»Bis jetzt kann ich nicht klagen, mein General.«
»Sie werden auch in Zukunft nicht zu klagen haben, so lange Sie meine Grundsätze befolgen. Der Beduine hält jede Milde für Schwachheit. Man muß ihn streng und gerecht behandeln; das imponirt ihm. Wie steht es mit den Stämmen im Gebirge?«
»Sie halten sich von der Stadt fern.«
»Haben ihre Scheiks die Burnusse angenommen?«
Frankreich schenkte nämlich einem jeden Scheik einen kostbaren Burnus. Die Beduinen sollten das für einen von Frankreich geleisteten Tribut ausgeben; doch wußten sie gar wohl, daß sie sich durch die Annahme dieses Geschenkes in Abhängigkeit zu Frankreich stellten.
»Nein,« antwortete der Commandant.
»Das ist ein schlimmes Zeichen. Haben Sie ihnen die Burnusse nicht angeboten?«
»O doch.«
»Und man hat die Annahme geradezu verweigert?«
»Nein. Dazu sind diese Leute zu schlau.«
»Was sonst?«
»Wenn meine Boten an die Orte kamen, wo die Lager gestanden hatten, waren dieselben allemal abgebrochen.«
»Das ist noch schlimmer. Das ist gerade als wenn eine Kugel in weiche, nachgiebige Erde fährt. Ein solcher Schuß ist nutzlos, während eine Kugel den festesten Stein zerbricht und zermalmt. Ich möchte Ihnen rathen – – –«
Er hielt inne. Sein Auge war auf den Mauren gefallen, welcher gerade an dem Wege stand, wo sie vorüberkamen. Er hielt sein Pferd an, und sein sonst so strenges Gesicht zeigte den Ausdruck der Zufriedenheit.
»Ah! Da bist Du!« sagte er.
Der Maure kreuzte die Arme über die Brust, verbeugte sich tief und antwortete:
» Allah jikun ma'ak!«
Diese Worte heißen zu Deutsch: »Gott sei mit Dir.«
»Bist Du allein?«
» La – nein.«
»Dein Verwandter ist mit da!«
» Na'm – ja.«
»Wo ist er?«
» Hunik, fil suk – dort auf dem Markte.«
»Er handelt mit Früchten?«
»Ja.«
»Sind sie gut?«
Diese Frage mußte irgend eine Nebenbedeutung haben, denn der Maure lächelte verständnißvoll und antwortete:
» S'lon daiman – wie immer.«
»So mag er mir welche bringen. Er wird erfahren, wo ich mein Quartier nehme.«
Er nickte dem Manne wohlwollend zu und ritt weiter.
Der Commandant wunderte sich nicht wenig, daß der General einen Mann kannte, welcher hier in Biskra war. Er fragte:
»Sie kennen diesen Menschen, mein General?«
»Ja,« antwortete Cavaignac kurz.
»Ich habe ihn noch nie gesehen.«
»Ich sehr oft. Er ist ein Fruchthändler, welchen ich in Bildah kennen lernte. Wo werde ich wohnen?«
»Ich gebe mir die Ehre, Ihnen mein Quartier anzubieten.«
»Ich nehme es an. Wenn der Verwandte dieses Mannes kommt, mag er sofort zu mir gelassen werden. Ich interessire' mich für ihn.«
»Woran wird man ihn kennen?«
»An seinem großen, grauen Schnurrbarte und an seinem Namen. Es ist der Fakihadschi Malek Omar.«
Fakihadschi heißt Fruchthändler.
Während der General nach seinem Quartiere ritt, begab der Maure sich nach dem Markte zurück, wo der Alte auf ihn wartete.
»Nun?« fragte ihn dieser erwartungsvoll.
»Ich habe mit ihm gesprochen.«
»Was?«
»Er mußte sehr kurz sein. Er fragte mich, ob Du anwesend seist.«
»Das konnte er sich denken. Weiter.«
»Ich beantwortete diese Frage, und darauf sagte er, daß Du zu ihm kommen sollst.«
»Wo wohnt er?«
»Das weiß ich nicht. Wir werden es erfahren.«
»So gehe und erkundige Dich!«
Der Andere ging, während der Alte bei den Früchten zurückblieb. Der geneigte Leser hat in diesem ganz sicher den einstigen Capitän Richemonte wiedererkannt.
Sein Gehilfe, der sich »Cousin« mit ihm nannte, kehrte nach einer Weile zurück und nannte ihm das Haus, in welchem der General abgestiegen war. Nun füllte Richemonte ein aus Dattelfaser geflochtenes Körbchen mit Früchten und begab sich mit den gravitätischen Schritten eines freien Arabers nach dem angegebenen Orte, an dessen Eingange zwei Posten standen.
»Wohin?« fragte der Eine.
» Fil seri' asker,« antwortete der Gefragte.
»Was heißt das? Rede französisch, Bursche!«
» Ge-ne-ral!« buchstabirte der Andere, scheinbar mit großer Mühe.
»Zu General Cavaignac?«
Der Gefragte nickte.
»Wer bist Du?«
»Fakthadschi Malek Omar.«
»Das ist wieder Arabisch; aber ich denke, so klang der Name, welcher uns genannt wurde. Du kannst passiren!«
Richemonte trat ein, schritt durch den dunklen, engen Hausgang und gelangte nach einem Hofe, welcher rundum von einer Säulenhalle umgeben war. Dort stand eine Ordonnanz, welche die Fragen wiederholte und ihn dann nach einem großen Gemache geleitete, in welchem der General vom langen Ritte ausruhte. Als er den Eintretenden erkannte, erhob er sich aus seiner bequemen Stellung und sagte:
»Pünktlich wie immer! Sie wußten, daß ich nach Biskra kommen werde?«
»Ja, mein General.«
»So hat mein Bote Sie getroffen?«
»Vor vier Tagen. Ich befand mich im Wadi Hobla und bin sofort hierhergeritten, um Ihre Befehle entgegen zu nehmen.«
Er sprach jetzt sein fließendes Französisch.
»Haben Sie mir Ungewöhnliches zu melden?«
»Nicht viel. Der Stamm der Beni Hassan rüstet sich zum Widerstande.«
»Ah! Wo wohnt der Stamm?«
»Im Süden von Biskra.«
»Wie viele Krieger zählt er?«
»Wenn alle Unterabtheilungen sich betheiligen, so können einige tausend zusammen kommen.«
»Ah! Das ist beträchtlich und also gefährlich. Wer regt sie auf?«
»Der Marabut Hadschi Omanah, wie ich glaube.«
»So nimmt dieser Mann jetzt gegen uns eine feindliche Stellung ein?«
»Wie es scheint. Doch glaube ich nicht, daß eine Macht wie die angegebene zusammenkommt, da sich einige Unterabtheilungen weit nach Süden und einige andere auf tunesisches Gebiet hinübergezogen haben.«
»Das beruhigt mich einigermaßen. Wir haben jetzt im Norden und Westen des Landes so viel zu thun, daß es uns unmöglich ist, größere Truppenmassen nach Süden zu geben. Sind Ihre Berichterstatter noch treu?«
Richemonte zuckte die Achseln.
»So lange ich gut bezahle, ja,« antwortete er.
Der General lächelte.
»Sie wollen sagen, daß Sie sich ausgegeben haben?« fragte er.
»Nichts Anderes, mein General.«
»Nun, ich werde Ihre Kasse wieder füllen, da ich den Werth eines guten Kundschafters zu schätzen weiß. Uebrigens bin ich in der Lage, Sie in den Stand zu setzen, sich eine beträchtliche Extragratification zu verdienen.«
»Ich stelle mich zur Verfügung.«
»Es handelt sich nämlich um den Marabut.«
»Ich ahnte es.«
»So hat Ihr Scharfsinn Sie nicht getäuscht. Es gilt, endlich einmal zu erfahren, was man von ihm zu halten hat.«
»Sie wußten das bis jetzt noch nicht?« fragte der Spion lächelnd.
»Leider nein. Ich hatte meine Aufträge unfähigen Leuten übergeben, wie es scheint, und werde mich nun an Sie wenden. Getrauen Sie sich, den Mann aufzusuchen und auszuhorchen?«
Der Gefragte machte ein sehr bedenkliches Gesicht.
»Das ist schwer!« sagte er.
»Ich weiß es.«
»Und gefährlich für mich.«
»Gefährlich? Ah, Sie wollen Ihr Verdienst steigern, damit ich die Gratification entsprechend vergrößere. Sie sind ein Schlaukopf!«
»Ich spreche nur die Wahrheit,« meinte Richemonte im Tone der Kränkung.
»Wie könnte ein Besuch bei dem Marabut gerade Ihnen gefährlich sein? Sie gelten für einen guten Moslem, und tausende von Muselmännern besuchen den Heiligen, ohne daß ihnen dabei eine Gefahr droht.«
»Das mag sein. Aber bedenken Sie, mein General, daß ich »das Auge der Franzosen« genannt werde. Grad so, wie ich darauf brenne, den Marabut zu durchschauen, glüht er darauf, das »Auge der Franzosen« in seine Hand zu bekommen. Der kleinste Umstand genügt, mich ihm zu verrathen, und dann bin ich verloren.«
»So haben Sie nichts zu thun als vorsichtig zu sein!«
»Das sieht leichter aus, als es ist.«
»Das heißt, Sie wollen diesen Auftrag nicht übernehmen.«
»O doch, wenn ich mit der Belohnung zufrieden bin.«
»Ah, da kommt es! Wie viel verlangen Sie für eine sichere Nachricht über die Stimmung und Haltung des Marabut uns gegenüber?«
»Außer den gewöhnlichen Spesen fünftausend Franken.«
Cavaignac erhob sich und schritt einige Male im Raume hin und her. Endlich blieb er vor dem Spione stehen und sagte:
»Das ist bedeutend, aber ich bin dennoch bereit, Ihnen diese Summe zu zahlen, falls Sie Ihre Aufgabe gründlich lösen. Sie kennen den Aufenthalt des Marabut?«
»Ja.«
»Sie waren bereits einmal dort?«
»Nein.«
»So haben Sie ihn noch gar nicht gesehen?«
»Nein. Sie wissen, daß ich seit langen Jahren im westlichen Algerien und Marokko beschäftigt gewesen bin.«
»Allerdings. Sie haben uns da sehr gute Dienste geleistet, so daß ich hoffe, Sie werden auch Ihre jetzige Aufgabe lösen. Sind Sie vollständig ausgerüstet dazu?«
»Ich habe Alles; nur das Metall fehlt.«
»Ich erwartete Sie und habe bereits das Nöthige zu mir gesteckt. Hier haben Sie. Die Extragratification werden Sie sich allerdings erst verdienen müssen.«
Er zog eine sehr umfangreiche Börse aus der Tasche und hielt sie ihm entgegen. Als er sie schüttelte, gab ihr Inhalt einen goldenen Klang. Richemonte nahm sie und steckte sie ein und sagte:
»Ich bin überzeugt, daß ich mir diese Gratification verdienen werde.«
»Wann werden Sie Ihre Reise antreten?«
»Bereits heute, mein General.«
»Gut! Und wann kann ich nach Constantin Nachricht erhalten?«
»Das ist unbestimmt, doch hoffe ich, in nicht viel über zwei Wochen dort eintreffen zu können.«
»Das ist sehr lange. Ich glaube nicht, Sie so lange entbehren zu können.«
»So haben Sie noch weitere Aufträge für mich?«
»Allerdings. Sie sprachen ja davon, daß die Beni Hassan im Begriff stehen, sich gegen uns zu erheben. Haben Sie sichere Anzeichen beobachtet?«
»Ja. Ich habe mit einigen Scheiks darüber gesprochen.«
»Sie sind Freund mit ihnen?«
»Noch mehr als Freund; ich bin Gast bei ihnen.«
»Als was kennt man Sie dort?«
»Ich bin aus einer östlichen Oase und durchsuche die westliche Sahara nach einem Manne, gegen den ich eine Blutrache habe. Anders konnte ich meine unstäte Lebensweise bei diesen Leuten nicht erklären.«
»Und man glaubt es Ihnen?«
»Ja. Nichts legitimirt bei diesen Leuten mehr, als eine Blutrache.«
»Das ist gut. Darum wäre es mir eigentlich lieb, wenn Sie jetzt bei diesem gefährlichen Stamme bleiben könnten. Ich wäre dann sicher, durch Ihre Beobachtungen immer auf dem Laufenden erhalten zu bleiben.«
»Keine Sorge, mein General! Zur Erhebung eines Stammes gehört Zeit. Die Vorbereitungen, die Verhandlungen und Berathungen nehmen da Monate in Anspruch. Ich bin überzeugt, daß ich vom Marabut zurück sein werde, ehe ein fester Entschluß gefaßt worden ist.«
»Das heißt, daß innerhalb zweier Wochen nichts geschehen wird?«
»Innerhalb eines Monats sogar.«
»Das beruhigt mich. So treten Sie denn Ihre Reise an, und lassen Sie sich möglichst bald in Constantin sehen! Haben Sie mir sonst noch Etwas zu sagen?«
»Nein.«
»Nun, so bin ich es, der noch einen Punkt mit ihnen besprechen möchte.«
»Ich bin bereit dazu.«
»Zu jeder Auskunft?«
»Zu jeder.«
Der General sah ihn scharf und forschend an und fragte im Tone des Nachdrucks:
»Wirklich zu jeder?«
Die Miene des Spions wurde weniger zuversichtlich. Er antwortete:
»Zu jeder, welche sich mit meinen Verhältnissen verträgt, natürlich.«
»So machen Sie also doch eine Bedingung! Welche Verhältnisse meinen Sie?«
»Meine persönlichen.«
»Und auf diese bezog ich mich ebenfalls. Seit wann haben Sie Frankreich hier in Algerien gedient?«
»Seit dem Jahre achtzehnhundert und dreißig.«
»Stets in Ihrer gegenwärthigen Eigenschaft?«
»Meist.«
»Hat keiner Ihrer Vorgesetzten und Auftraggeber gewußt, wer Sie eigentlich sind?«
»Keiner.«
»Warum beobachten Sie eine so strenge Verschwiegenheit?«
»Weil es theils in meinem Charakter, theils auch in meinem Interesse liegt.«
»Würden Sie sich nicht entschließen, Vertrauen zu mir zu haben?«
»Ich vertraue Ihnen, mein General, sonst würde ich Ihnen nicht dienen; aber in diesem Punkte zwingt mich eine Pflicht, welche ich unmöglich verletzen darf, zur Verschwiegenheit.«
»So werde ich diese Pflicht gelten lassen müssen, obgleich es mir natürlich lieb und erwünscht sein muß, nur mit Männern zu thun zu haben, deren Verhältnisse offen vor mir liegen. Doch wenigstens fragen darf ich wohl, ob Sie ein geborener Franzose sind?«
»Das bin ich allerdings.«
»Welches war Ihr früherer Stand?«
»Ich bitte um die Erlaubniß, diese Frage übergehen zu dürfen.«
Die Miene des Generals verfinsterte sich.
»Ich glaube, daß Sie mit Ihrer Schweigsamkeit zu weit gehen,« sagte er. »Es scheint, Sie waren gezwungen, Frankreich zu verlassen?«
»Nein. Ich ging freiwillig von zu Hause fort.«
»Ihr Ton ist der Ton der Wahrheit; ich will Ihnen glauben. Ich möchte gern, daß ich Etwas für Sie thun könnte. Haben Sie Verwandte in der Heimath?«
»Nein, wenigstens keine näheren.«
»Und soll es auch fernerhin verborgen bleiben, daß der Fruchthändler Malek Omar derjenige ist, welchen man das Auge der Franzosen nennt?«
»Ja. Es liegt ganz in Ihrem eigenen Interesse. Erführe man die Wahrheit, so könnte ich unmöglich weiter thätig für Sie sein.«
»Nun gut! Sie hüllen sich in ein undurchdringliches Geheimniß und zwingen mich, es zu achten. Darum dürfen Sie aber nicht erwarten, daß ich mich Ihnen unbedingt übergebe. Nur Vertrauen verdient Vertrauen. Sie spielen gegen die Beduinen gerade so den geheimnißvollen Freund wie gegen mich und uns überhaupt. Gegen wen sind Sie nun wahr und ehrlich?«
»Natürlich gegen Sie und meine Landsleute, General!«
Diese Worte waren im Tone der aufrichtigsten Betheuerung gesprochen; aber die Spur von Mißtrauen, welche in den Worten des Generals lag, machte doch, daß sich der graue Schnurrbart in die Höhe zog, so daß die Zähne sich fletschend sehen ließen. Cavaignac bemerkte dies und sagte:
»Ich hoffe das um Ihretwillen. Das Gegentheil würde ja nur zu Ihrem eigenen Verderben führen. Nehmen Sie sich dies zu Herzen.«
Die sonnverbrannten Wangen des früheren Gardecapitäns rötheten sich. Aus seinem Auge schoß ein unbewachter Blitz auf Cavaignac. Er fragte:
»Wie kommen Sie zu diesem plötzlichen Mißtrauen, mein General? Haben Sie mich vielleicht einmal unzuverlässig gefunden?«
»O, dazu sind Sie zu vorsichtig. Aber ich will gegen Sie aufrichtiger sein, als Sie gegen mich, und Ihnen sagen, daß es mir bisweilen geschienen hat, als wenn Sie nur unter einer gewissen Reserve Frankreich Ihre Dienste zur Verfügung stellten. Auch der klügste, der geriebenste Mensch exponirt sich einmal, wenn er es nicht durch und durch ehrlich meint. Es will mir scheinen, als ob Sie dem Herrn dienten von dem Sie den größten Lohn erwarteten. Frankreich ist reicher als so ein Beduinenscheik. Wäre es umgekehrt der Fall, was würden Sie thun?«
»Ich würde dennoch Frankreich dienen!« antwortete Richemonte mit Emphase.
»Ah! Wirklich?«
»Ich bin sogar bereit, für Frankreich zu sterben!«
»Nun, warten Sie damit noch einige Zeit! Es ist zwar sehr rühmlich, für sein Vaterland zu sterben, vortheilhafter aber ist es doch, für sein Vaterland zu leben. Ich will hoffen, daß ich mich in jeder Beziehung auf Sie verlassen kann! Aber noch Eins: Wie nennt sich Ihr Gefährte?«
»Ben Ali.«
»Also der Sohn Ali's. Er ist also nicht Ihr Sohn?«
»Nein.«
»Ein Verwandter von Ihnen?«
»Ein Cousin von mir.«
»Also auch ein Franzose?«
»Ja.«
»Hat er über seine Verhältnisse dasselbe Stillschweigen zu beobachten wie Sie?«
»Ganz dasselbe.«
»Eigenthümlich! Nun, ich will nicht in Sie dringen. Dienen Sie mir gut, so finden Sie Ihren Vortheil dabei. Ertappe ich Sie aber bei einer Untreue, so hoffe ich, daß Ihnen meine Strenge und Gerechtigkeit bekannt ist. Ich erwarte, Sie baldigst in Constantin zu sehen. Adieu.«
Richemonte machte eine sehr devote Verbeugung und ging. Cavaignac blickte ihm nach, bis er hinter der Thür verschwunden war. Dann fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und murmelte:
»Und dennoch habe ich dieses Gesicht gesehen! Es sind keine guten, ehrlichen, Vertrauen erweckenden Züge. Als ich noch als Knabe in Paris lebte, wohnte den Eltern gegenüber in der Rue d'ange ein Officier, an welchem ich dasselbe Zähnefletschen bemerkte, wenn er zuweilen aus dem Fenster sah. Er bewohnte die Hälfte der ersten Etage, während seine Mutter mit der Schwester die andere Hälfte inne hatte. Leider kann ich mich nicht mehr auf den Namen besinnen. Ich weiß nur noch, daß einst ein preußischer Husarenlieutenant diese Etage vor der Plünderung rettete. Ich traue diesem Spion nicht ganz und werde vorsichtig sein.«
Seine Erinnerung hatte ihn ganz richtig geleitet.
Richemonte verließ das Local keineswegs in guter Stimmung. Er suchte sein Gesicht zu beherrschen; aber als er zu seinem Gefährten zurückkehrte und hinter den Datteln neben ihm Platz nahm, machte er seiner Stimmung Luft.
»Dein Gesicht glänzt nicht wie Sonnenschein,« sagte der Cousin, welcher sich also Ben Ali nannte.
»Ich habe auch Veranlassung dazu,« antwortete er, indem er die wieder mitgebrachten Datteln aus dem Körbchen auf den Haufen schüttete.
»Welche Unvorsichtigkeit!« meinte der Cousin.
»Was?«
»Daß der General diese Datteln nicht behalten hat. Man wird nun ahnen, daß er Dich aus einem anderen Grunde kommen ließ.«
»O, wir hatten keine Zeit, an die Datteln zu denken!«
»Gab es so viel Wichtiges?«
»Gewiß. Vor allen Dingen aber sage ich Dir, daß ich diesen Generalgouverneur von heute an glühend hasse.«
»Das ist mir etwas ganz Neues. Warum gerade von heute an?«
»Weil er mich tödtlich beleidigt hat.«
Er ließ seine gelben Zähne auf eine wirklich drohende Weise sehen.
»Womit?« fragte Ben Ali neugierig.
»Er traut mir nicht.«
»Ah! Warum nicht?«
»Er sagt, daß er denke, ich werde dem Herrn dienen, welcher mir das Meiste bietet.«
Der Cousin ließ ein leises Kichern hören.
»Hat er da Unrecht?« fragte er.
»Nein! Aber denken soll er es nicht und sagen noch weniger.«
»Nun, dieser General scheint kein dummer Kerl zu sein. Das ist Alles! Willst Du Dich darüber ereifern und wohl gar auf unsern Vortheil verzichten?«
»Das fällt mir gar nicht ein!« brummte der Alte.
Er stützte den Kopf in die Hände und blickte einige Zeit lang sinnend vor sich nieder. Dann sagte er:
»Ich habe Unglück gehabt, so lange ich mich kenne –«
»Das ist also, so lange Du lebst!«
»Schweig! Ich hatte Ruhm und Carriée vor mir. Da kam jener verfluchte Königsau. Es lag ein Reichthum vor mir, Millionen groß – abermals kam dieser Königsau. Meine Ehre war hin, und ich mußte das Land verlassen. Jetzt gab es nur einen Gedanken. Reich wollte ich werden; reich wollte ich zurückkehren, denn der Reichthum bringt Ehre. Ich diente dem Dey; ich diente den Engländern, den Franzosen, den Beduinen. Was habe ich erworben? Nichts, gar nichts! Ich ließ Dich aus der Heimath kommen, um Unterstützung meiner Pläne zu finden. Ich fand sie, aber dennoch blieb der Reichthum aus. Nichts, nichts will mir mehr glücken. Jetzt sind mir lumpige fünftausend Franken geboten. Was helfen sie mir?«
»Fünftausend Franken? Wofür?«
»Ich soll den Marabut Hadschi Omanah ausforschen.«
»Wirst Du es thun?«
»Was bleibt mir anderes übrig? Kann ich diese Summe etwa bei den Beduinen verdienen?«
»Warum nicht?« fragte Ben Ali langsam und mit Nachdruck.
Der Alte blickte ihn zweifelnd an.
»Was fällt Dir ein? Woher nimmt der Kabyle so viel baares Geld? Und welchen Dienst könnte ich ihm leisten, um es zu bekommen?«
»O, das scheint mir sehr leicht zu erklären!«
»Willst Du klüger sein als ich?«
»Nein; aber vielleicht bin ich es doch!«
»So rede!«
»Du fragst, woher ein Beduine Geld nehmen soll? Nun, so verschaffe es ihm doch; dann wird er Dir Deinen Theil gern auszahlen.«
»Ich glaube, Du sprichst am hellen Tage im Traume!«
»Ich werde Dir beweisen, daß ich sehr wach bin. Sprachst Du nicht soeben von diesem Königsau, von dem Du mir bereits so oft erzählt hast?«
»Du hörtest es ja deutlich genug.«
»Wird es in Deutschland Viele geben, welche diesen Namen tragen?«
»Ich glaube nicht.«
»Nun, so sind er und Derjenige, welcher jetzt mit so großen Schätzen aus Timbuktu kommt, jedenfalls Verwandte.«
»Möglich! Ah, jetzt errathe ich!«
»Was erräthst Du, Cousin?«
»Du meinst, ich soll mich an dem einen Königsau rächen, indem ich dem anderen seinen Reichthum abnehme.«
»Natürlich.«
»Der Gedanke ist gut, außerordentlich gut. Er thut meinem Herzen wohl und würde mich zum reichen Manne machen, wenn er ausführbar wäre.«
»Warum soll er nicht ausführbar sein?«
»Dieser Königsau hat dreißig Krieger der Ibn Batta bei sich; wir aber sind nur zwei Personen!«
Da legte der junge dem Alten die Hand auf die Schulter und sagte:
»Cousin, Du verleugnest Dich ganz! Wir waren so lange Zeit bei den Beni Hassan, und Du hast doch gehört, daß sie in Blutsfehde mit den Ibn Batta leben.«
Da sprang Richemonte dieses Mal wirklich von seinem Sitze auf.
»Mensch!« sagte er. »Daran dachte ich wirklich nicht. Jetzt bemerke ich, daß Du bei mir in einer ausgezeichneten Schule gewesen bist. Laß uns jetzt kein Wort, keinen Augenblick verlieren. Wir brechen augenblicklich auf.«
»Wohin?«
»Zu unsern Gastfreunden, den Beni Hassan.«
»Ich denke, Du mußt zu dem Marabut?«
»Das hat Zeit.«
»Aber unsere Datteln hier?«
»Die verkaufen wir im Ganzen. Dort unter jenem alten Dache haust ein Tagir, Händler welcher mir Alles abkaufen wird, wenn ich einen billigen Preis fordere. Wir haben die Früchte ja nur zum Scheine. Ich werde ihn holen.«
Er schritt mit einer Eile über den Platz hinüber, welche sich mit der muselmännischen Gravität nicht sehr in Einklang bringen ließ, und brachte wirklich bereits nach einigen Minuten den Händler herbei, welcher nach kurzem Feilschen die Datteln kaufte und bezahlte.
Jetzt wollte Richemonte sofort aufbrechen, aber der Cousin fragte:
»Hast Du von dem General Geld erhalten?«
»Ja.«
»Wie viel?«
»Ich habe es wirklich noch nicht gezählt.«
»So zähle es sofort!«
»Warum?«
»Weil ich meinen Antheil brauche.«
»Das hat Zeit, bis wir zum Theilen Muse haben.«
»Nein, das hat keine Zeit. Ich will mir Verschiedenes hier kaufen.«
»Kaufen? Hast Du nicht Alles, was Du brauchst?«
»Ja, das habe ich; aber ich habe keine Kassabe, Pfeife keine Bawaby, Pantoffel keine Halkar Ringe und keinen Semsije.« Sonnenschirm
»Bist Du des Teufels! Wozu willst Du das Alles?«
»Da fragst Du noch? Die Pfeife will ich für Scheik Menalek, und die Ringe, Pantoffel und den Sonnenschirm soll seine Tochter Liama erhalten.«
»Also bist Du wirklich so verliebt in dieses Mädchen?«
»Sie muß mein werden.«
Er sagte dies in einem Tone, der jede Gegenrede abschnitt. Richemonte zog den Beutel heraus und zählte das Geld.
»Hier,« sagte er. »Zwei Drittel für mich und ein Drittel für Dich.«
»Gut. Gehst Du mit?«
»Ja. Ich müßte sonst zu lange warten.«
Sie gingen in einige Bazars, und bald waren die erwähnten Gegenstände gekauft, eine prächtige Pfeife für den Scheik der Beni Hassan und für seine Tochter silberne Arm- und Knöchelringe, ein Paar Pantoffel aus blauem Sammet, mit Stickerei verziert und ein seidener Sonnenschirm.
Mit diesen Sachen wanderten die Beiden zur Stadt hinaus. Diese liegt am Wadi Biskra. Am rechten Ufer desselben zog sich ein Terebinthengebüsch hin, in welches sie eindrangen, bis ihnen das Schnauben von Pferden entgegentönte. Sie gelangten an eine Stelle, an welcher zwei Reitpferde versteckt waren.
»Da sind sie noch. Welch ein Glück!« sagte der Cousin.
»Wer sollte sie uns genommen haben?« fragte Richemonte.
»Diebische Beduinen.«
»Die ahnen nicht, daß sich hier Pferde befinden.«
»Oder Raubthiere.«
»Löwen und Panther giebt es hier nicht, und wenn es welche gäbe, so gehen diese Thiere erst des Nachts auf Raub aus. Ziehen wir uns rasch um.«
An jedem der beiden Lehnsattel war ein Bündel gehängt. Sie wurden geöffnet, und da zeigte es sich, daß sie Alles enthielten, was zu einer reichen Kleidung und Bewaffnung gehört. Das Habit, welches ein Jeder der Beiden in der Stadt getragen hatte, war nur eine Verkleidung gewesen. Die Anzüge wurden gewechselt, und bald hatten die zwei Spione das Aussehen von wohlhabenden Beduinen.
Die alten Sachen wurden in Bündel geschnürt und hinter die Sättel befestigt. Dann führten sie die Pferde in das Freie, stiegen auf und ritten, nicht das Wadi entlang, sondern nach Süden auf dem Wege nach Uinasch davon. Das war allerdings nicht die Richtung nach dem Marabut.
Während des Rittes nun hatten sie Zeit, die vorhin unterbrochene Unterhaltung wieder aufzunehmen.
»Glaubst Du, daß wir die Beni Hassan dazu bringen werden, den Deutschen zu überfallen?« fragte der Junge.
»Ganz gewiß,« antwortete der Alte. »Wir müssen nur sagen, daß er ein Franzose sei; sie sind ja den Franzosen feindlich gesinnt. Und übrigens wird er von Leuten des Stammes Ibn Batta begleitet, mit denen sie sich in Blutrache befinden. Es bedarf also nur eines Wortes.«
»Aber werden sie uns die Schätze lassen?«
»Ich hoffe es. Es kommt darauf an, es klug anzufangen. Gehen sie nicht mit darauf ein, so zwingen wir sie.«
»Zwingen? Wie wäre das möglich?«
»Siehe, jetzt bin ich Dir überlegen,« lachte der Alte. »Ich würde sie ganz einfach durch die Franzosen zwingen.«
»Wieso?«
»Ich hole die Franzosen und überfalle sie. Die Schätze reclamire ich dann als mein Eigenthum.«
»Werden die Franzosen auf diesen Ueberfall eingehen?«
»Unbedingt. Ich habe bereits heute dem General die Mittheilung gemacht, daß die Beni Hassan im Begriff stehen, sich aufzulehnen.«
»Das ist gut. Aber – – –«
»Was aber?«
»Liama.«
»Mensch, ich begreife Dich nicht! Dieses Mädchen hat Dich wirklich um Deinen ganzen Verstand gebracht.«
»Ist es ein Wunder? Sie ist schön wie ein Engel.«
»Pah! Es ist zwar wahr, daß sie sehr schön ist; aber in Frankreich kommt zu der Schönheit noch die Bildung.«
»Welche schöne und gebildete Französin würde einen Spion heirathen?«
»Du gebrauchst da ein nicht sehr schönes Wort. Weiß es übrigens die Französin, daß Du hier Spion warst?«
»Sie kann es erfahren.«
»Wir bringen Reichthümer mit. Das gleicht Alles aus.«
»Dieses Mädchen ist mir lieber als aller Reichthum.«
Der Alte zog den Schnurrbart in die Höhe.
»Du bist unverbesserlich! Liebt sie Dich denn wieder?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du hast noch nicht mit ihr gesprochen?«
»Nein.«
»Ah, Du bist ein guter Rechner. Du rechnest mit Seifenblasen.«
»Warum sollte eine Beduinin nicht einen Franzosen lieben?«
»Richtig!« lachte der Alte. »Du brauchst ja nur zu kommen und die Hand auszustrecken. Und der Scheik? Was wird er dazu sagen?«
»Er wird ja sagen, sobald er sieht, daß sie mich liebt.«
»Aber ein Fremder erhält die Tochter eines Scheiks nie anders, als daß er Mitglied des Stammes wird.«
»Gut, so werde ich Beduine.«
»Mensch, ich fange wirklich an, zu glauben, daß diese sogenannte Liebe auch ein sonst verständiges Individuum von Sinnen bringen kann.«
»So hast Du nie geliebt?«
»O, doch.«
»Ah! Du sprachst doch noch nie davon.«
»Das war auch nicht nothwendig. Ich habe geliebt und liebe noch.«
»Wen?«
»Mich. Jetzt weißt Du es. Dies ist die einzige und vernünftige Liebe, welche ich kenne. Uebrigens würde ich Dir Deine Ueberspanntheit strengstens untersagen, wenn ich nicht dächte, auch meine Rechnung dabei zu finden.«
»Das glaube ich Dir. Ein Egoist, wie Du bist, thut nichts, wobei er nicht irgend einen Vortheil im Auge hat. Welche Rechnung meinst Du da?«
»Du weißt, daß ich bei den Beni Hassan für Deinen Vater gelte. Wenn mein Sohn der Eidam des Scheiks wird, gewinne ich bedeutend an Einfluß. Der Stamm, wenn er alle Abtheilungen zusammenzieht, stellt über dreitausend Gewehre ins Feld. Du siehst ein, daß man damit einen bedeutenden Druck ausüben kann.«
»Ich gebe Dir Recht. Uebrigens denke ich dabei auch an diesen Königsau.«
»In wiefern?«
»Wenn der Scheik mein Schwiegervater ist, so wird er nichts dagegen haben, daß wir die Schätze, welche dieser Deutsche mit sich führt, unter uns Zweien theilen.«
»Theilen? Hm!« brummte der Alte. »Unserm bisherigen Abkommen gemäß erhalte ich stets zwei Drittel.«
»Das ist hier eine ganz andere Sache. Es war bisher nur von dem die Rede, was wir uns durch unsere Kundschafterei verdienten.«
»Und Du denkst, daß Du von Königsau's Sachen die Hälfte erhältst?«
»Ich denke es nicht blos, sondern ich verlange es.«
»Gut! So ist aber die Kriegskasse da drüben in den Ardennen auch eine andere Sache. Ich werde sie selbst heben, ohne Dich zu brauchen.«
»Du weißt nicht, wo sie liegt.«
»Ich werde den Ort finden.«
»Du wirst Dich wohl kaum wieder nach Frankreich begeben.«
»Warum nicht? Sobald ich als reicher Mann auftreten kann, gehe ich hinüber.« – – –
Zwischen den zwei Karawanenwegen, welche westlich von Uinasch nach El Baadsch und östlich von Tahir Rafsa nach Um el Thiur gehen, liegt eine Ebene, welche sich lang von Norden nach Süden erstreckt. Ihr nördlicher Theil wird vom Wadi Dscheddi und ihr südlicher vom Wadi Itel durchzogen, ein sicherer Beweis, daß es diesem Theile der Wüste nicht ganz an Wasser und Feuchtigkeit fehlt.
Um el Thiur heißt zu Deutsch Mutter der Vögel, und wo es Vögel giebt, da muß es auch Baum oder Strauch geben, und in der That ist diese Gegend auch mehr Weideland als Wüste.
Hier hatte sich der Theil der Beni Hassan, welcher unter dem bereits genannten Scheik Menalek stand, für einige Zeit niedergelassen, um seine Heerden weiden zu lassen.
Die Ebene war mit einem zwar nicht reichen aber doch zulänglichen Grün bedeckt, von welchem die weißen Zelte der Beduinen angenehm abstachen. Pferde sprangen hin und her; Rinder grasten, indem sie sich in ruhigem Schritte vorwärts bewegten, und Kameele und Schafe lagen, mit Wiederkäuen beschäftigt, an der Erde. Dabei standen die Hirten, um aufzupassen, daß keines dieser Thiere sich in die Weite verlaufe.
In der Nähe der Zelte jagten die Beduinen hin und her, um ihren jungen Pferden die berühmte arabische Schule beizubringen. Andere lagen, ihre Pfeife rauchend, in oder vor und zwischen den Zelten, um dem geschäftigen Treiben ihrer Frauen und Töchter zuzusehen, welche unverschleiert ab und zu gingen. Der Beduine zwingt das weibliche Geschlecht nicht, wie der Städtebewohner, das Gesicht, den edelsten Theil des menschlichen Körpers, unter der neidischen Hülle zu verbergen.
Im Westen, vom Wadi Fahama her, welches sich bei el Baadsch mit dem Wadi Itel vereinigt, kam ein Reiter geritten.
Sein Pferd mußte einen weiten Weg zurückgelegt haben, denn es zeigte sich so ermüdet, daß es ihm schwer hielt, ihm einen kurzen Trab abzugewinnen. Er war ein noch junger Mann von wenig über zwanzig Jahren, und nur ein kurzer, weicher Flaum bedeckte seine Oberlippe. Er trug den weißen Burnus der Beduinen, und sein Kopf war gegen die Strahlen der Sonne durch ein buntes Tuch geschützt, welches er malerisch um denselben geschlungen hatte. Auch das Sattel- und Riemenzeug war arabisch, aber seine Waffen schienen nicht die hier gewöhnlichen zu sein.
Er hatte nämlich eine doppelläufige Büchse quer vor sich liegen, und aus den Satteltaschen guckten die Kolben von zwei Pistolen hervor, welche man bei näherer Betrachtung als ächte Kuchenreutersche erkannt hätte.
Dennoch war dieser junge Mann kein Europäer, sondern ein Beduine. Das sah man schon dem freudeglänzenden Blicke an, welchen er auf die sich vor ihm entfaltende Scenerie warf. Es war der Blick eines Menschen, welcher, heimkehrend nach langer Zeit, den schmerzlich entbehrten Anblick genießt, welchen er seit frühester Kindheit gewohnt war.
Die Hirten hatten ihn schon von Weitem beobachtet. Jetzt zwang er sein Pferd, die letzten Kräfte an einen Galopp zu setzen; dann parirte er es vor dem Hirten, welcher am entferntesten von dem Duar oder Zeltdorfe stand.
»Mubarak – Dein Tag sei gesegnet!« sagte er.
» Neharak saaide – Dein Tag sei beglückt!« antwortete der Hirte.
Aber als er das Gesicht des Ankömmlings genauer betrachtet hatte, rief er aus:
» Allah il Allah! Du bist Saadi, und fast hätte ich Dich nicht erkannt!«
»Hat die Zeit mein Angesicht so sehr verändert?« fragte der Jüngling lächelnd.
»Nein; aber meine Augen waren mit Blindheit geschlagen.«
»Wie geht es den Söhnen der Beni Hassan?«
»Sie dienen Allah, und er hat sie lieb.«
»Und den Töchtern des Stammes?«
»Allah begnadigt sie mit Schönheit des Leibes und der Seele.«
»Den Heerden?«
»Allah macht sie fruchtbar, daß sie wachsen von Tag zu Tag,«
»Ist Menalek, der Scheik des Stammes, im Dorfe?«
»Er sitzt vor seinem Zelte und freut sich seiner Weisheit.«
»Ist Abu Hassan, der Bruder meines Herzens, gesund?«
»Allah verkündete ihm langes Leben und Freude an seinem Sohne.«
»So will ich sehen, ob er sich auch über mich, seinen Bruder, freut.«
Er zwang sein Pferd zu einem abermaligen Galopp, der ihn durch die Heerden hindurch bis an das Zelt des Scheiks brachte. Dieser saß, wie der Hirte gesagt hatte, rauchend vor seinem Zelte. Er hatte den Reiter kommen sehen. Als dieser jetzt vom Pferde stieg, um ihn, den Obersten des Stammes, ehrfurchtsvoll zu grüßen, zog sich seine Stirn in Falten.
» Alla jikun ma'ak – Gott sei mit Dir!« sagte der Jüngling.
» Ruh lil dschehennum – geh zum Teufel!« lautete die Antwort.
Da hob der Angekommene den Kopf stolz empor.
» Ma fehimtu – ich habe es nicht verstanden,« sagte er.
»Geh zum Teufel!« wiederholte der Scheik.
Da blitzten die Augen des Andern auf.
»Dein Alter ist größer als das meinige; ich verzeihe Dir!« sagte er.
»Ich brauche Deine Verzeihung nicht.«
Schon hatte der junge Mann eine scharfe Entgegnung auf den Lippen; da öffnete sich der Vorhang des Zeltes, und es war ein Bild zu sehen, so lieblich, so hold, daß er seine Worte vergaß.
Ohne daß der Vater es merkte, war hinter ihm die Tochter erschienen. Sie konnte siebzehn Jahre zählen, war aber bereits vollständig entwickelt.
Ihre Züge waren jene reinen, weichen, melancholischen, wie man sie so oft bei Perserinnen höheren Standes beobachtet. Ihr großes Auge hatte einen Ernst an sich, welcher ihrer Jugend eine ergreifende Weihe gab. Das herrliche, schwarze Haar hing in schweren, dicken Flechten herab und war mit goldenen Fäden verziert. Stirn und Hals schmückten Reihen großer Gold- und Silberstücke. Die Beine steckten in rothseidenen Hosen und die nackten, schneeweißen Füßchen in Pantöffelchen von eben solcher Farbe. Der Oberleib war mit einem blauen, goldgestickten und ärmellosen Jäckchen bekleidet, welches, vorn offenstehend, eine herrliche Büste sehen ließ, welche von einem weißen Hemde verhüllt wurde, dessen weite Aermel, aus der Jacke hervorquellend, zwei schöne, volle Arme nur halb bedeckten. An den Fußknöcheln und Handgelenken trug dieses zauberhaft schöne Wesen Ringe von Silber und Spangen von massivem Golde.
Als sie den Jüngling erblickte, rötheten sich ihre Wangen. Sie legte den Finger bittend an den Mund und verschwand augenblicklich wieder hinter dem Vorhange, welcher den Eingang des Zeltes verschloß.
Ihr Vater hatte ihr Erscheinen gar nicht bemerkt. Saadi aber hatte verstanden, was ihm der an den Mund gehaltene Finger sagen sollte. Darum drängte er die bittere Antwort zurück und sagte in mildem Tone:
»Vergieb mir! Du hast Recht. Die Jugend darf nicht wagen, dem Alter zu verzeihen!«
Er ergriff sein Pferd beim Zügel und führte es an den Zelten hin, bis er vor einem der kleinsten und ärmlichsten halten blieb. Bei dem Geräusche, welches die Tritte seines Pferdes verursachten, öffnete sich dasselbe, und es trat ein Beduine hervor, in welchem man sofort den älteren Bruder des Jüngeren erkennen mußte.
»Abu Hassan!«
»Saadi!«
Nur diese beiden Rufe erschallten, dann lagen sich die Brüder in den Armen. Da öffnete sich das Zelt abermals und es kam eine Frau zum Vorscheine, welche Kleider trug, deren Aermlichkeit aber ihre Schönheit nicht zu verdunkeln vermochten. Sie wartete, bis die Männer ihre Umarmung gelöst hatten, schritt dann auf Saadi zu, streckte ihm mit strahlender Miene die Hand entgegen und sagte:
» Ta ala, marhaba – komm und sei willkommen!«
»Allah sei Dank!« meinte Saadi. »Endlich höre ich ein Willkommen.«
»Wer hat Dir dieses Wort versagt?« fragte sein Bruder schnell ernst werdend.
»Der Scheik.«
»Du mußt ihm verzeihen, denn er ist sehr erzürnt auf Dich.«
»Warum?«
»Weil Du zu den Giaurs gegangen bist.«
»Hat Allah dies verboten?«
»Nein; aber er haßt die Franzosen.«
»Ich habe Euch nicht der Franzosen wegen verlassen.«
»War der Inglis, mit dem Du gingst, nicht auch ein Giaur?«
»Ja. Aber war er nicht vorher der Gast des Scheiks?«
»Du hast Recht, doch er haßt Dich auch deshalb, weil Liama, seine Tochter, Dich nicht vergessen will.«
»Allah allein ist Herr des Herzens, aber nicht der Mensch. Darf ich in Dein Zelt treten, mein Bruder?«
»Tritt herein! Was mein ist, das ist Dein; ich bin Du, und Du bist ich.«
Die Beiden verschwanden in dem Zelte. Die Frau des älteren Bruders nahm dem Pferde den Sattel und gab ihm dann einen Schlag, um ihm zu sagen, daß es frei sei und weiden könne. Dann trat auch sie hinein, um ihren Gast zu bedienen.
*