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Fortsetzung 25

Die letzten Worte des Barons wurden mit einer solchen Ueberzeugung gesprochen, daß selbst Frau Richemonte nicht ganz ernsthaft bleiben konnte.

»Ich bin überzeugt davon,« sagte sie unter einem nicht ganz zu verbergenden Zucken ihrer Mundwinkel.

»Ja gewiß! Aber wer ist denn eigentlich dieser Bräutigam?«

Die beiden Damen blickten sich an. Es kam ihnen zu gleicher Zeit der Gedanke, daß es jetzt wohl nicht ganz gerathen sei, diese Frage zu beantworten. So gutmüthig und leicht getröstet der Baron auch war, er befand sich doch unter dem ersten Einflusse einer zurückgewiesenen Werbung und konnte dies seinem Nebenbuhler entgelten lassen. Königsau konnte dadurch in Gefahr kommen.

»Erlauben Sie, dies jetzt noch als Geheimniß zu behandeln,« bat darum die Mutter.

»Warum?«

»Familienrücksichten – –!«

»Ah! Gut! Aber sagen Sie wenigstens, was er ist!«

»Officier!«

»Das dachte ich mir! Franzose?«

»Nein; er ist ein Deutscher.«

»Das lasse ich eher gelten. Ich danke für die Auskunft. Weiß Mama bereits davon?«

»Ja.«

»Das ist ja kaum zu glauben. Ich habe bisher geglaubt, es sei ein Wunsch von ihr, Margot und mich vereint zu sehen.«

»Hat sie diesen Wunsch ausgesprochen?«

»Deutlich ausgesprochen nicht, aber sehr verständlich angedeutet.«

»So will ich Ihnen gestehen, daß Ihre Mama erst heute von der Verlobung meiner Tochter gehört hat.«

»Was sagte sie dazu?«

»Sie gratulirte.«

Er kratzte sich leise hinter den Ohren und fragte:

»Da meinen Sie wohl, daß ich auch gratuliren soll?«

Margot antwortete unter einem leisen Lachen:

»Natürlich. Ich erwarte dies ganz bestimmt von Ihnen!«

Er machte ein halb ärgerliches und halb komisches Gesicht und antwortete:

»Das scheint mir denn doch zu viel verlangt.«

»Wohl nicht. Sie sind ja mein Cousin!«

»Ja, aber der Cousin, der soeben einen Korb erhalten hat. Na, ich will nicht ganz und gar unhöflich sein. Ich gratulire Ihnen also, liebe Margot.«

»Ich danke!«

Er hatte ihr die Hand geboten, und sie nahm dieselbe an. Sie hielt sie jetzt fest und fragte:

»Sind Sie mir bös, lieber Baron?«

»Nein, obgleich ich eigentlich sollte! Doch jetzt muß ich Sie verlassen. Die hohen Herrschaften werden meiner bedürfen.«

»Was thut der Kaiser?«

»Als ich ihn vorhin verließ, hatte er sich soeben vom Souper zurückgezogen. Er hat sehr wenig gegessen und beorderte die Marschälle für später zu sich.«

Er ging.

Draußen im anderen Zimmer saß Bertha Marmont. Ihr Auge richtete sich mit einem fragend besorgten Blick auf ihn. Er blieb bei ihr stehen, betrachtete sie einen Augenblick lang und fragte dann:

»Warum siehst Du so ernsthaft aus, Mädchen?«

Sie erhob sich und antwortete:

»Darf eine Krankenpflegerin lustig sein, Herr Baron?«

»Warum nicht, wenn die Kranke selbst lustig ist.«

»Ah, ist Mademoiselle lustig gewesen?«

»Sehr!«

Ihr Auge verdunkelte sich. Wer lustig ist, der muß sich glücklich fühlen, und glücklich fühlt man sich zumeist, wenn man liebt und wieder Liebe findet. Dies war der schnelle Gang ihrer Gedanken. Darum sagte sie:

»Ich beneide Mademoiselle!«

»Warum?«

»Sie ist so glücklich, vergnügt sein zu können.«

»Kannst Du denn nicht auch vergnügt sein?« fragte er sie. Er legte ihr bei diesen Worten die Spitzen seiner Finger unter das weiche, mit einem allerliebsten Grübchen versehene Kinn; sie aber trat aus dem Bereiche seiner Hand zurück.

»Worüber sollte ich mich glücklich fühlen!« sagte sie.

»O, über denselben Gegenstand, worüber sich meine schöne Cousine glücklich fühlt!«

Sie blickte ihn fragend an.

»Erräthst Du diesen Gegenstand nicht?« fuhr er fort.

»Nein, Herr Baron.«

»Nun, welch größeres Glück giebt es denn für eine Dame, als einen Bräutigam?«

Man sah es ihr an, daß sie erschrak.

»Mademoiselle hat einen Bräutigam?« fragte sie.

»Ja,« antwortete er.

»Darf ich fragen, wer dies ist?«

»Schelm Du!« antwortete er. »Du glaubst wohl gar, daß ich es bin?«

»Ist das so unmöglich?«

»Ja. Ich kann es nicht sein, da ein Anderer es ist.«

Da holte sie lang und tief Athem.

»Sie sind es wirklich, wirklich nicht?« fragte sie stockend.

»Nein, liebe Bertha, ich bin es wirklich nicht, ganz gewiß nicht.«

Da röthete sich ihr schönes Gesichtchen lieblich, und sie fragte:

»Darf ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen dies kaum glaube?«

»Warum glaubst Du es nicht, kleiner Schelm?«

»Mademoiselle ist so schön.«

»Ja, eben darum hat sie so leicht einen Bräutigam gefunden.«

»Und eben darum werden Sie dieser Bräutigam sein.«

»Ich? Nein. Ich möchte sie nicht, wahrhaftig nicht.«

»Warum, Herr Baron?«

»Sie ist zwar schön, aber sie hat ein hartes Herz.«

»So ist sie hartherzig gegen Sie gewesen?«

»Ich habe ihr keine Veranlassung dazu gegeben. Uebrigens sage ich zwar, daß ich sie für schön halte; aber die Schönste ist sie noch lange nicht. Ich kenne Eine, welche mir noch tausendmal besser gefällt.«

Sie schwieg, obgleich sie erröthete. Darum fuhr er fort:

»Nun, Bertha, Du fragst nicht, wer das ist?«

»Ich darf mir eine solche Frage ja gar nicht erlauben, Herr Baron.«

»Warum nicht? Gerade Du hast das meiste Recht, diese Frage auszusprechen, denn Du bist Diejenige, welche ich meine!«

Er versuchte, den Arm um sie zu legen. Sie entwand sich ihm und flüsterte:

»Es ist nicht recht von Ihnen, eines armen Mädchens zu spotten.«

»Spotten? Wo denkst Du hin! Du bist mir in Wahrheit tausendmal lieber als diese Cousine. Du bist zehnmal hübscher, und ich bin überzeugt, daß Du nicht ein so hartes, gefühlloses Herz besitzest wie sie. Habe ich da Recht oder Unrecht?«

Er legte abermals den Arm um sie. Sie wollte sich auch dieses Mal ihm entwinden, aber er hielt sie so fest, daß es ihr nicht gelang.

»Herr Baron, lassen Sie mich,« bat sie leise aber dringend. »Man wird uns hören.«

»Nein,« flüsterte er, sie fester an sich drückend. »Ich werde diesen schönen Mund so leise küssen, daß man es gar nicht zu hören vermag.«

»O nein, nein! Das darf nicht sein,« bat sie, sich gegen ihn wehrend.

»Warum nicht?«

»Sie sind Baron!«

»Nun gut, so wirst Du meine Baronin werden.,«

»Ich, das arme Schenkmädchen?«

»Ja. Du und keine Andere.«

Er nahm jetzt ihr Köpfchen so fest an sich, daß ihr ein fernerer Widerstand zur Unmöglichkeit wurde. Seine Lippen legten sich auf ihren Mund und küßten denselben ein, zwei, drei und noch mehrere Male. Er war so in diesen süßen Genuß vertieft, daß er gar nicht bemerkte, wie die Thür geöffnet wurde.

» Bon appetit,« klang es da hinter ihnen.

Sie fuhren erschrocken auseinander.

»Der Kaiser!« rief Bertha im tiefsten Schreck.

Im nächsten Augenblicke war sie aus dem Zimmer entflohen. Der junge Baron stand vor Napoleon, verlegen wie ein Schulknabe.

»Sie haben einen guten Geschmack, Baron,« sagte der Kaiser unter jenem sarkastischen Lächeln, welches bei ihm eine solche Schärfe besaß. »Darf ich hoffen, daß Sie mir die Unterbrechung verzeihen?«

»Majestät – – –!« stotterte der Gefragte.

»Ich hatte allerdings keineswegs die Absicht, Sie zu stören. Ich wollte mich nach dem Befinden unserer schönen Blessirten erkundigen und fand den Weg nach hier. Wo ist Demoiselle Richemonte zu treffen?«

»Im Nebenzimmer, Majestät.«

»Ist sie allein?«

»Nein; ihre Mutter ist bei ihr.«

»Sie haben sie gesprochen?«

»Ja; soeben, Sire.«

»So ist der Zutritt nicht untersagt?«

»Die Damen werden glücklich sein, Majestät bei sich zu sehen.«

»Melden Sie mich!«

Der Kaiser hatte in seiner kurzen, gebieterischen Weise gesprochen. Der Baron gehorchte schleunigst. Er trat an die Thür und riß dieselbe auf.

»Seine Majestät!« rief er hinein.

Die beiden Frauen fühlten sich im höchsten Grade erschrocken, als sie Napoleon bei sich eintreten sahen. Er konnte wirklich herzgewinnend sein, wenn er wollte. Er verbeugte sich leicht und sagte im höflichsten Tone:

»Pardon, Mesdames! Die Sorge um Mademoiselle läßt mich vielleicht eine Unhöflichkeit begehen; aber ich hörte, daß der Zutritt gestattet sei.«

Frau Richemonte verbeugte sich tief und stumm, und Margot versuchte, sich respectvoll ein wenig emporzurichten.

Des Kaisers Augen ruhten forschend auf ihr. In seinem Blicke glänzte ein Etwas, was Margot tief erröthen ließ.

»Der Arzt war bei Ihnen?« fragte er.

Bei diesen Worten zog er sich einen Stuhl ganz in die Nähe des Bettes und nahm darauf Platz. Die Mutter gab für die Tochter die Antwort.

»Er hat uns erst vor kurzer Zeit verlassen, Majestät.«

»Darf ich Sie um seinen Bescheid bitten?«

»Er versicherte, es sei keine directe Gefahr vorhanden, warnte aber vor jeder Aufregung.«

»Ich habe ganz denselben Bericht von ihm erhalten.«

Er ließ sein Auge abermals langsam und forschend über Margot und deren Mutter gleiten. Es war, als ob er beurtheilen wolle, welches Entgegenkommen er hier finden werde. Dann fuhr er, die Beine über einander legend, fort:

»Mademoiselle ist an meiner Seite verwundet worden. Die Dankbarkeit eines Kaisers wird dadurch herausgefordert. Darf ich einige Fragen aussprechen?«

Frau Richemonte verbeugte sich schweigend. Der Kaiser fragte:

»Monsieur Richemonte, lebt er noch?«

»Nein.«

»So sind Sie Wittfrau, und Mademoiselle ist eine Waise?«

»Leider, Majestät.«

»Es ist Pflicht der Herrscher, sich der Wittwen und Waisen anzunehmen. Haben Sie Besitzungen oder Vermögen?«

»Wir sind arm, Majestät.«

»Sie sind im Gegentheile sehr reich, Madame. Im Besitze einer schönen, liebenswürdigen Tochter ist man niemals arm. Ist Mademoiselle verlobt?«

»Ja, Majestät.«

Seine Brauen zogen sich leicht zusammen.

»Mit wem?«

Ihm, dem gewaltigen Kaiser, war es höchst gleichgiltig, ob seine Fragen peinlich berührten oder nicht. Es war ja überhaupt eine Gnade von ihm, mit Jemand zu sprechen.

»Mit einem Officier,« antwortete die Mutter.

»Ah!« sagte er. »Mit einem jungen Officier?«

»Ja, Sire.«

»So hat er keine Charge. Warum sorgen Sie nicht in vortheilhafter Weise für die Zukunft Ihrer Tochter? Mademoiselle ist schön, ist geistreich. Sie wird sehr leicht eine höhere Connaissance anknüpfen. Haben Sie nicht Lust, bei Hofe zu erscheinen, Mademoiselle?«

Diese Frage war direct an Margot gerichtet. Er erwartete natürlich, daß sie sehr schnell und überglücklich ja sagen werde; aber sie antwortete:

»Majestät, mein Wunsch ist nur, glücklich zu sein.«

»Das werden Sie in jenen Kreisen werden.«

»Ich wage, dies zu bezweifeln, Sire.«

»Ah, warum?«

Sein Blick, welchen er jetzt auf sie richtete, war fast stechend zu nennen.

»Ich ziehe ein bescheidenes Glück einem glänzenden vor,« antwortete sie.

»Man kann den höheren Kreisen angehören ohne allzusehr hervorzutreten. Auch dort wird die echte Bescheidenheit anerkannt und belohnt. Sie haben für mich gelitten; ich fühle die Verpflichtung, für Sie zu sorgen. Sie werden die Frau eines hohen Officiers werden und ein Schmuck der Gesellschaft sein.«

»Majestät, meine Mutter hatte bereits die Ehre zu sagen, daß ich verlobt bin.«

»Pah! Mit einem niedrigen Officier.«

»Ich hoffe, daß er sich eine Zukunft erringen werde.«

»Ah, Sie lieben ihn?«

»Von ganzem Herzen.«

Er heftete seinen Blick nach der Ecke des Zimmers und sagte erst nach einer Weile:

»Das ist schwärmerisch. Wohl! Ich werde ihn kennen lernen und nach Verdienst belohnen. Wie ist sein Name?«

Da zuckte es wie eine innige Genugthuung über das bleiche Gesicht Margots.

»Majestät werden nichts für ihn thun können,« sagte sie einfach.

Das war Napoleon noch nicht vorgekommen. Er, der allmächtige Kaiser könne nichts für einen obscuren Officier thun, er, der aus Bürgerssöhnen Marschälle, Fürsten und Herzöge gemacht hatte! Er fragte im sehr scharfen Tone:

»Warum nicht, Mademoiselle?«

»Er dient nicht im Heere,« antwortete sie.

»So aber in der Marine?«

»Er ist auch nicht eigentlich Marineofficier, sondern Capitän der Handelsflotte.«

Da zuckte der Kaiser zusammen.

»Meint Mademoiselle etwa jenen Capitän de Sainte-Marie?«

»Allerdings, Sire.«

»Er wird nicht Ihr Mann werden.«

Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, gegen den es voraussichtlich keinen Widerspruch gab; Margot aber antwortete ruhig:

»Womit wollen Majestät diese Behauptung begründen?«

»Ich verbiete es!« sagte er kurz.

Da stemmte sie den schönen Kopf in die Hand und blickte ihn von der Seite an. Es war ihr gar nicht zu Muthe, als ob sie mit einem Kaiser spreche.

»Majestät werden da eine sehr ungehorsame Unterthanin finden,« sagte sie.

»Und Mademoiselle werden einen sehr strengen Kaiser kennen lernen. Ich habe bereits über Ihre Zukunft bestimmt; Sie haben nicht zu appeliren. Wo befindet sich jetzt dieser Capitän?«

»Majestät hatten ihn ja in Dero Gefolge.«

»Er wurde entfernt. Man wird nach ihm suchen.«

Es war zu sehen, daß der Kaiser eifersüchtig war. Diesem Capitän gönnte er das schöne Mädchen nicht. Er stand auf und sagte im strengen Tone:

»Bis morgen wird Mademoiselle sich entscheiden, ob sie eine gehorsame Unterthanin sein will oder nicht. Nur in ersterem Falle ist Hoffnung vorhanden, daß die Ungnade, welche der Capitän so verdienter Maßen auf sich geladen hat, wieder von ihm genommen werde.«

»Majestät, diese Ungnade wird ihn nicht drücken,« antwortete das muthige Mädchen.

»Mademoiselle ist sehr kühn!« rief der Kaiser zornig.

»Ich sage die Wahrheit. Mein Verlobter befindet sich bereits in Sicherheit. Er wird Gelegenheit haben, jenseits von Frankreichs Grenzen vom heutigen Abend zu berichten und von dort aus seine Braut zu reclamiren.«

Der Kaiser stand sprachlos vor Erstaunen. In dieser Weise hatte noch kein Mensch zu ihm gesprochen. Endlich fand er Worte:

»Mademoiselle scheint die Absicht zu haben, in ein Kloster zu gehen,« sagte er.

»Majestät,« sagte sie, »ich hoffe, daß eine jede Unterthanin Frankreichs das Recht besitzt, ihre Selbstbestimmung zu behaupten. ich ertheile das Recht, für mich zu sorgen, nur meinem Bräutigam.«

Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

»Pah!« sagte er. »Sie sind sehr schön, aber – – außerordentlich dumm.«

Nach diesen Worten verließ er das Zimmer, ohne Mutter oder Tochter nochmals anzusehen. Sein Gesicht hatte jenen starren marmornen Ausdruck angenommen, der ihm eigenthümlich war, sobald er einen festen, unerschütterlichen Entschluß gefaßt hatte.

»Welch ein Unglück!« sagte Frau Richemonte. »Wir sind verloren!«

»Nein, wir haben gewonnen!« antwortete Margot.

»Da täuschest Du Dich sehr.«

»Im Gegentheile, ich habe vollkommen Recht.«

»Wieso?«

»Der Kaiser kann ein arm und niedrig geborenes, niemals aber ein dummes Mädchen lieben. Wenn er die Absicht hatte, mich in seine Nähe zu ziehen, so hat er diese Absicht jetzt ganz sicher aufgegeben.«

»Das gebe Gott, sonst sind wir wirklich verloren.«

»Für uns ist mir nicht bange, aber desto mehr für Hugo.«

»Wieso?«

»Gegen ihn wird sich der Grimm des Kaisers richten.«

»Ich denke, er befindet sich in Sicherheit.«

»Jetzt wohl nicht mehr. Bitte, Mama, benachrichtige sofort die Baronin von dem Vorgefallenen, damit sie ihre Maßregeln trifft.«

Die Mutter entfernte sich, um diesem Wunsche der Tochter zu willfahren.

Königsau lag oben auf dem Dache vor dem Ventilator. Er hatte die ganze Scene mit angesehen und angehört. Jetzt, nachdem der Kaiser gegangen war, verschloß er das Loch und forschte unter den übrigen Ventilatoren. Er hatte den richtigen sehr bald gefunden. Er konnte ganz genau das Zimmer Napoleons überblicken, in welches dieser Letztere soeben eingetreten sein mußte.

»Die Baronin!« hörte er den Kaiser sagen.

Der Diener, welchem dieser Befehl gegolten hatte, entfernte sich schleunigst.

»Ah, jetzt fragt er nach mir!« dachte Königsau.

Der Kaiser saß finster sinnend in seinem Sessel. Als die Baronin eintrat, fuhr er mit dem Kopfe empor, sah sie scharf an und fragte:

»Sie sind eine brave Französin?«

»Ja, hoffe ich, Majestät!« antwortete sie.

Sie wußte noch nicht, weshalb der Kaiser sie hatte rufen lassen.

»Sie werden jetzt Gelegenheit haben, mir dies zu beweisen,« sagte der Letztere. »Seit wann ist Ihr Verwandter, der Seecapitän, der Verlobte von Mademoiselle Richemonte?«

Sie erschrak. Also er hatte dies erfahren! Von wem? Hier galt es, sehr vorsichtig zu antworten, um keinen Fehler zu begehen.

»Seit einigen Monaten,« sagte sie.

»Wo lernte er sie kennen?«

»In Paris.«

»Ist er reich?«

»Ja,« antwortete sie getrost.

»Seit wann befindet er sich hier bei Ihnen?«

»Seit kurzen Tagen.«

»Wo ist er in diesem Augenblick zu treffen?«

»Das weiß ich nicht, Majestät.«

»Ich hoffe, daß Sie es dennoch wissen.«

Er schien sie jetzt mit seinen Augen durchbohren zu wollen. Sie hielt diesen Blick ruhig und standhaft aus und antwortete mit fester Stimme:

»Sire, ich sagte die Wahrheit.«

»Sie haben auch keine Ahnung?«

»Ich ahne nur, daß er sich schleunigst über die Grenze geflüchtet, um den Folgen, welche das Mißfallen Ew. Majestät nach sich ziehen könnte, zu entgehen.«

»Hier auf dem Meierhofe befindet er sich nicht?«

»Nein, sonst wüßte ich es.«

»Das ist gut für Sie; denn ich werde den Hof augenblicklich durchsuchen lassen. Haben Sie mir also vielleicht eine Bemerkung zu machen?«

»Nein, Sire.«

»So können Sie sich entfernen.«

Sie ging. Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, so ergriff der Kaiser die Glocke.

»General Drouet,« befahl er dem Diener, welcher auf dieses Zeichen eingetreten war und sich eiligst entfernte, um den Befehl auszuführen.

Drouet ließ kaum zwei Minuten auf sich warten.

»Sie entsinnen sich des Capitäns, von welchem bei Tafel die Rede war?« fragte Napoleon.

»Sehr wohl, Sire.«

»Ich wünsche, ihn zu fassen. Lassen Sie sofort den ganzen Hof genau nach ihm durchsuchen. Findet er sich nicht, so sind berittene Piquets auszusenden, um ihn zu ergreifen. Er kann sich noch nicht weit entfernt haben.«

Er machte die Bewegung der Entlassung; als Drouet dennoch stehen blieb, fragte er:

»Was noch?«

»Nachrichten vom Feinde, Majestät.«

»Ah!« rief der Kaiser, rasch aufspringend. »Von welchem Feinde? Von den Engländern oder den Preußen?«

»Von beiden, Sire.«

»Wer brachte sie?«

»Capitän Richemonte, mein bester Eclaireur.«

»Richemonte? Ah, ist er vielleicht mit Frau Richemonte verwandt, welche sich hier auf dem Hofe als Gast befindet?«

»Möglich; ich weiß es nicht.«

»Wo befindet sich der Capitän?«

»In meinem Arbeitscabinet.«

»Er soll augenblicklich zu mir kommen. Nachdem Sie meinen vorigen Befehl ausgeführt haben, bringen Sie Ney und Grouchy zu mir.«

Der General entfernte sich eiligst, und nach ganz kurzer Zeit meldete der Diener den Capitän Richemonte, welcher auch sogleich eintrat.

Napoleon betrachtete ihn mit scharfem Auge, konnte aber eine Aehnlichkeit zwischen ihm und Margot nicht entdecken. Er fragte:

»Wo sind Sie geboren, Capitän?«

»In Paris, Sire,« antwortete der Gefragte.

»Wo lebten Sie zuletzt?«

»Eben daselbst.«

»Sie standen im Dienst?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich wollte nur meinem Kaiser dienen, nicht aber dem Könige, welchen uns die Feinde aufzwangen.«

»Das ist brav, Capitän. Man wird solche Treue zu belohnen wissen. Haben Sie Verwandte?«

Der Capitän horchte bei dieser Frage auf. Hatte sie einen näheren Zweck?

»Ja,« antwortete er.

»Wen?« »Mutter und Schwester.«

»Ah! Wie heißt diese Schwester?«

»Margot, Sire.«

Napoleon nickte sehr schnell mit dem Kopfe.

»Aber Sie sehen dieser Schwester nicht ähnlich!« sagte er.

»Es sind Stiefmutter und Stiefschwester, Majestät.«

»Ah! Wo befinden sie sich?«

»Hier auf dem Meierhofe.«

Er konnte keine andere Antwort geben, denn er sagte sich, daß der Kaiser seine Schwester gerade heute und hier gesehen haben müsse.

»Sie kamen heute, um Drouet Bericht zu erstatten?«

»So ist es, Sire.«

»Woher?«

»Von Lüttich, Namur und Brüssel.«

»Wann sind Sie angekommen?«

»Vor einer Viertelstunde.«

»Haben Sie Ihre Mutter und Schwester gesprochen, Capitän?«

»Nein, Sire.«

»Warum nicht?«

»Ich hätte keine Zeit dazu gehabt, spreche aber mit diesen Verwandten überhaupt nicht.«

Das war dem Kaiser auffällig.

»Sind Sie mit ihnen zerfallen?« fragte er.

»Ja.«

»Warum?«

»Sie sind der Sache des Vaterlandes untreu geworden, Sire. Ich muß mich ihrer schämen, darum habe ich sie verstoßen.«

»Untreu geworden?« fragte Napoleon rasch. »Wie meinen Sie das?«

»Die Schwester hat sich mit einem preußischen Officier verlobt.«

Da erhob sich Napoleon rasch vom Stuhle und sagte:

»Das ist ein Irrthum, Capitän. Sie sind falsch berichtet worden.«

»Sire, ich sage die Wahrheit,« behauptete Richemonte.

»Ihre Schwester ist mit einem Seecapitän aus Marseille verlobt.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Dieser Seemann heißt Sainte-Marie und ist ein Verwandter der Besitzerin dieses Meierhofes.«

»Auch dies ist mir vollständig unbekannt, Majestät.«

»Wohl nur deshalb, weil Sie mit den beiden Frauen nicht verkehren.«

»Es ist nur erst kurze Zeit, daß ich mich von ihnen trennte; außerdem habe ich sie auch hier nicht aus meiner Beobachtung gelassen.«

»Merkwürdig! Wie heißt jener deutsche Officier?«

»Hugo von Königsau.«

»Welchen Grad besitzt er?«

»Lieutenant bei den Ziethenhusaren.«

»Kennen Sie ihn persönlich?«

»Ja. Er ist übrigens ein besonderer Schützling des Feldmarschall Blücher.«

»Beschreiben Sie ihn mir genau.«

»Er ist hoch und stark gebaut, wenn auch nicht zu lang, hat blondes Haar, einen starken, leicht gekräuselten Schnurrbart von derselben Farbe, blaue Augen, sehr gute Zähne und hat ein kleines, rothes Mal auf der rechten Wange.«

Da trat Napoleon zwei Schritte auf den Sprecher zu:

»Sie malten da wirklich diesen Lieutenant ab?« fragte er rasch und dringlich.

»Ja, Majestät.«

»Sie wissen genau, daß Sie nicht irren?«

»Ganz genau.«

»Ah, so hat man es gewagt, mich zu betrügen, zu belügen und zu hintergehen! Dieser sogenannte Seecapitän ist kein Anderer als jener Husarenlieutenant, jener Liebling des Feldmarschall Blücher. Er kam nach hier, um zu spioniren. Man muß Alles thun, um ihn zu fangen. Dann wird man ihn aufhängen. Warten Sie draußen im Vorzimmer. Ich muß sofort zu Drouet. Ich komme gleich wieder.«

Königsau hatte diese Unterredung von Wort zu Wort belauscht. Er erschrak. Diese Sache konnte gefährliche Dimensionen annehmen. Er mußte die Freunde sofort warnen. Daher eilte er nach der geheimen Treppe und stieg hinab, um sich zu Margot zu begeben.

Als die Baronin den Kaiser verlassen hatte, begab sie sich sofort zu ihren Verwandten, um ihnen mitzutheilen, daß Napoleon nach dem vermeintlichen Seecapitän suchen lassen werde. Sie begegnete Frau Richemonte, welche ja im Begriffe gestanden hatte, sie aufzusuchen, unter der Thür und veranlaßte sie, wieder mit einzutreten.

»Erschrecken Sie nicht, liebe Margot,« sagte sie. »Ich komme soeben vom Kaiser.«

»Das bedeutet ein Unglück,« sagte Frau Richemonte.

»Es sieht größer aus, als es ist. Der Kaiser läßt das Haus nach dem sogenannten Seecapitän durchsuchen.«

»Mein Gott! Wird man ihn finden?«

»Wohl schwerlich.«

»Wo ist er versteckt?«

»Ganz in Ihrer Nähe,« sagte die Baronin lächelnd.

»Unmöglich. Wo wäre das?«

»Hier!«

Diese Antwort wurde aber nicht von der Baronin, sondern von Königsau ausgesprochen, welcher durch die hintere Thür trat.

»Hugo!« rief Margot. »Neben mir bist Du?«

»Ja. Aber um Gotteswillen, wir Alle befinden uns in einer fürchterlichen Gefahr.«

»Wir wissen bereits davon. Die Frau Baronin wollte Dir davon mittheilen.«

»O, es bedarf dieser Mittheilung nicht, denn ich weiß bereits Alles. Ich weiß sogar mehr als die Frau Baronin ahnt.«

»Haben Sie gelauscht?« fragte diese.

»Ja. Capitän Richemonte ist da.«

»Albin hier?« fragten Mutter und Tochter zu gleicher Zeit.

»Ja,« meinte er.

»Mein Gott, so sind wir verrathen. Wie hat er unseren Aufenthalt erfahren?«

»Durch einen Commis des Hauses, von welchem Mama ihre Gelder bezieht.«

»Ah, daran hatten wir nicht gedacht; diese Möglichkeit wurde von uns übersehen. Aber ist es nicht möglich, daß Du Dich geirrt hast?« fragte Margot.

»Nein. Er war soeben bei Napoleon; er befindet sich noch im Vorzimmer desselben. Er hat dem Kaiser gesagt, daß Dein Verlobter nicht ein Seecapitän, sondern ein preußischer Husarenlieutenant ist.«

»So sind wir verloren.«

»Noch nicht. Er hat dem Kaiser sogar mein Signalement gegeben und sogar das kleine Mal hier an der Wange nicht vergessen; aber dennoch kann man Euch nichts thun. Ihr dürft nur behaupten, daß die Verlobung mit mir aufgehoben wurde, und daß ich durch Capitän von Sainte-Marie ersetzt wurde.«

»Das ist die einzige Rettung,« stimmte die Baronin bei. »Meine Leute sind mir alle treu. Ich werde sie sofort instruiren lassen, auf etwaiges Befragen auszusagen, daß Capitän de Sainte-Marie hier auf Besuch gewesen sei.«

»Dann muß er aber mein vollständiges Signalement besitzen,« meinte Königsau.

»Natürlich. Es wird der Dienerschaft mitgetheilt. Wo ist der Kaiser?«

»Er eilte zu Drouet, jedenfalls um die Haussuchung zu beschleunigen.«

»Gott, wenn man Dich entdeckt,« klagte Margot.

»Man wird ihn nicht finden,« tröstete die Baronin.

»Ich befürchte doch, daß man mich finden wird,« meinte Königsau.

»Wieso?«

»Man wird wohl auch dieses Zimmer durchsuchen und also diese Thür sehen, durch welche man in mein Zimmer gelangt. Dort wird man die Treppe und den Ausgang nach dem Dache entdecken. Dann bin ich verloren.«

»So weit kommt es nicht,« bestritt die Baronin. »Man wird nicht wagen, diese Krankenstube zu betreten.«

»Warum nicht? Der Kaiser war bereits da, ohne Rücksicht zu nehmen. Man wird mich ja am Ersten bei meiner Braut vermuthen und suchen.«

»Nun, so ist auch dann noch nichts verloren. Begeben Sie sich nach Ihrem Zimmer, und klingeln Sie Florian. Sie brauchen ihm nur zu sagen, daß er die Treppe fortnehmen solle. Dann sind Sie geborgen. Aber schnell! Ich höre unten laufen. Man beginnt die Durchsuchung bereits, wie es scheint.«

Königsau ging in seine Stube und klingelte. Bald erschien Florian.

»Was befehlen Sie?« fragte er.

»Sie sollen die Treppe da fortnehmen,« antwortete Königsau.

»Sapperlot! Warum?«

»Napoleon hat erfahren, daß ich nicht der Seecapitän Sainte-Marie, sondern ein preußischer Husar bin. Er läßt aussuchen.«

»Sie meinen, daß man auch hierher kommen wird?«

»Ich vermuthe es.«

»Gut. Dann nehmen wir die Treppe weg.«

»Geht dies so leicht?«

»Ja. Ich brauche nur zwei Schrauben aufzudrehen.«

»Wo kommt die Treppe hin?«

»Hinunter in den Stall, unter den Dünger.«

»Wird man den Ausgang nach dem Dache nicht trotzdem entdecken?«

»Nein. Haben Sie noch nicht bemerkt, daß die Eisenplatte genau dieselbe Farbe wie die Decke Ihres Zimmers hat?«

»Ich habe nicht so genau aufgemerkt. Uebrigens ist es ja ganz dunkel hier. Wir wollen schnell ans Werk gehen. Es ist keine Zeit zu verlieren.«

»So steigen Sie hinauf.«

»Ah! Ich bleibe auf dem Dache?«

»Ja. Sie steigen hinaus und schließen die Platte von draußen zu. Sie müssen freilich auf dem Dache bleiben, bis die Gefahr beseitigt ist. Ich werde überdies, so bald es mir möglich ist, kommen, um Sie zu benachrichtigen.«

Unterdessen hatte Capitän Richemonte im Vorzimmer gewartet. Als der Kaiser zurückkehrte, mußte er mit diesem wieder eintreten.

»Man beginnt soeben die Haussuchung,« sagte Napoleon. »Er wird uns nicht entgehen, wenn er sich noch hier befindet. Würden Sie ihn erkennen?«

»Sofort.«

»Und ihn recognosciren können?«

»Ja. Uebrigens befindet sich ein Zweiter hier, der ihn ebenso genau kennt wie ich.«

»Wer ist dies?«

»Der Baron de Reillac.«

»Hier auf Jeanette?«

»Nein, sondern in Sedan.«

»So könnte man ihn kommen lassen. Wie ist übrigens dieser Königsau mit Ihrer Schwester bekannt geworden?«

»Majestät, ich weiß dies nicht.«

»Wer hat die Einwilligung zur Verlobung gegeben?«

»Meine Stiefmutter.«

»Trotzdem er ein Deutscher ist?«

»Sie selbst ist auch eine Deutsche.«

»Ah, man hat also doppelt vorsichtig zu sein! Gab es denn keinen Franzosen, welchem es hätte gelingen können, das Herz Ihrer Schwester zu erobern?«

Der Capitän sah ein, daß der Kaiser ein persönliches Interresse für Margot hege. Er konnte dies zu seinem Vortheile ausnutzen; es gab ihm ferner Gelegenheit, sich an Königsau, seinem Todfeinde, zu rächen. Er antwortete:

»Dieser Husarenlieutenant machte mir einen meiner besten Pläne zu Schanden.«

»Ah, Sie hatten einen Plan? Welchen?«

»Schon mein Vater bestimmte auf seinem Sterbebette, daß Margot die Gemahlin seines und meines besten Freundes, nämlich des Barons Reillac, werden solle –«

»Des Baron Reillac? Sie meinen meinen Lieferanten?«

»Ja, Sire.«

»Er erhielt aber die Zuneigung Ihrer Schwester nicht?«

»Leider nein.«

Ueber die ehernen Züge des Kaisers glitt ein Lächeln, welches man theils erfreut und theils schadenfroh nennen konnte. Er blickte eine Zeit lang sinnend vor sich hin und sagte dann:

»Der Baron hat dieses Project fallen lassen?«

»Nein. Mutter und Schwester ergriffen die Flucht; der Baron half mir, ihre Spuren zu entdecken, und ist jetzt so wenig wie vorher gesinnt, seinen Absichten zu entsagen.«

»Man muß zugeben, daß er einen sehr guten Geschmack besitzt. Ihre Schwester ist ganz geeignet, den feinsten Salon zu schmücken. Ich war bereit, ihr den Weg zu ebnen; sie aber hat verzichtet, dies zu acceptiren.«

Jetzt wußte der Capitän ganz genau, daß der Kaiser in Margot verliebt sei. Er sagte im Tone des tiefsten Erschreckens:

»Himmel, das ist ja gar nicht möglich! Eine solche Gnade zurückzuweisen! Wenn Majestät mich mit diesem Arrangement betrauen wollten, so bin ich überzeugt, den sträflichen Eigenwillen der Schwester zu besiegen.«

»Sie würden auf einen sehr energischen Widerstand stoßen.«

»Mit der Vollmacht von meinem Kaiser in der Hand, würde ich diesen Widerstand nicht fürchten.«

»Sie würden ihn nicht blos bei der Tochter, sondern auch bei der Mutter finden.«

»Die Mutter ist verständig und lebenserfahren genug, um einzusehen, welch einen unverdienten Schatz die Huld des Kaisers bildet.«

»So muß man sich die Angelegenheit überlegen. Vorher aber wollen wir sehen, ob es uns gelingt, diesen Lieutenant Königsau zu ergreifen. Dieser Baron Reillac ist kein Jüngling mehr, wie es scheint?«

»Er ist ungefähr fünfzig, Sire.«

»So ist seine Liebe keine rein leidenschaftliche?«

»Er glüht wie ein Milchbart.«

»Ah, das will einem so bejahrten Manne nicht wohl anstehen. Ich meinte, er begehre die Hand Ihrer Schwester nur, um mit ihr zu glänzen, um die Traditionen seines Hauses in schöne Aufbewahrung zu geben.«

Bei den Worten »Traditionen seines Hauses« lächelte Napoleon überlegen. Er hatte Reillac ja erst den Adel verliehen. Von solchen Traditionen konnte also keine Rede sein.

»Vielleicht ist die glühende Ueberregung nur vorübergehend, Sire.«

»Man müßte dies hoffen. Der Baron hätte also Ihre Zustimmung?«

»Ich habe sie ihm bereits gegeben.«

»Sie werden ihn sehen und sprechen?«

»Ja.«

»Wann?«

»Morgen, wenn ich nach Sedan komme.«

»Nun wohl, so will ich diese Angelegenheit Ihrer Hand anvertrauen und sehen, ob Sie sich so geschickt erweisen, wie ich es erwarte.«

Der Capitän verbeugte sich so tief wie möglich.

»Sire,« sagte er, »mein Leben gehört meinem Kaiser.«

»Ich bin überzeugt davon.« Und nach einer Pause fuhr er fort: »Sie wissen, Capitän, daß es Dinge und Arrangements giebt, über welche man nicht spricht – – –«

Richemonte verbeugte sich stumm.

»Welche man ordnet, ohne sich vorher Instruction zu holen – – –«

Eine zweite Verbeugung war des Capitäns Antwort.

»Eine solche Angelegenheit ist die gegenwärtige. Ich gebe Ihnen nur zu überlegen, daß ich als Kaiser Vormund aller Waisen bin.«

»Eins der schönsten Vorrechte der Krone, Sire.«

»Daß Ihre Schwester eine Waise ist.«

»Leider eine etwas selbstständige Waise.«

Der Kaiser beachtete diese Bemerkung nicht, sondern fuhr ruhig fort:

»Daß ich meine Vormundschaft nicht mit Gewalt zur Geltung bringen möchte. Eine Dame darf die möglichsten Rücksichten erfordern – – –«

»Bis zu einer gewissen Grenze, Majestät.«

»Ich sehe, Sie verstehen mich. Diese Grenze dürfte nur im Nothfalle überschritten werden, und dann zwar in einer Weise, welche nicht von sich reden macht. Ich muß das ganz allein Ihrer Klugheit überlassen.«

»Ich hoffe, die richtige Weise zu treffen, Sire.«

»Gut. So beauftrage ich Sie, dem Baron Reillac mitzutheilen, daß ich geneigt bin, ihn als den Verlobten Ihrer Schwester zu betrachten.«

»Er wird diese freudige Nachricht morgen empfangen.«

»Ich verbiete ihm aber, sich der Dame zu nähern, bevor ich ihm meine Erlaubniß dazu ertheile. Verstanden?«

»Er wird gehorchen, obgleich ihm die Erfüllung dieses Befehles nicht leicht werden kann.«

»Sie haben darüber zu wachen, daß dieser Punkt streng respectirt wird.«

»Majestät, ich muß mir doch erlauben, eine solche Verantwortlichkeit von mir zu weisen.«

»Warum?«

»Weil ich der Schwester fern stehe und andere Pflichten –«

»Pah,« unterbrach ihn der Kaiser. »Sie werden der Schwester nahe gestellt werden, und die Erfüllung Ihrer anderen Pflichten wird man anderen Händen anvertrauen.«

»Dann soll es meine Aufgabe sein, darüber zu wachen, daß die Intention Ew. Majestät genau befolgt werde.«

»Ich erwarte das. Das Hauptquartier wird in kurzer Zeit den Meierhof Jeanette verlassen, doch werde ich eine Etappe auf dem Platze lassen.«

Der Capitän erröthete vor Freude. Er ahnte, was kommen werde.

»Das Kommando derselben werden Sie überkommen,« fuhr der Kaiser fort. »Ich werde General Drouet das Nöthige mittheilen. Außer den Instructionen, welche Sie von ihm erhalten, haben Sie mir täglich briefliche Nachricht von dem Befinden Ihrer Schwester in das Quartier zu senden. Sollte sich etwas Ungewöhnliches ereignen, so benachrichtigen Sie mich sofort per Estafette.«

»Majestät, ich fühle mich glücklich, mit diesen Aufträgen beehrt zu werden, muß aber bemerken, daß ich über meine Befugnisse eine, wenn auch nur ganz kleine Andeutung nothwendig habe.«

»Diese Andeutung ist kurz. Sie lautet: Ihre Schwester und Ihre Mutter sind Ihre Gefangenen, natürlich nicht officiell, sondern geheim. Die beiden anderen Damen dürfen den Meierhof ohne meine Erlaubniß nicht verlassen.«

So weit war die Instruction gegeben, da wurde Drouet gemeldet. Der General trat gleich unmittelbar hinter dem meldenden Diener ein. Napoleon wendete sich ihm zu:

»Gefangen?« fragte er.

»Leider noch nicht, Sire,« lautete die Antwort.

»Ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß Ihr Kommen mich zu der Ueberzeugung berechtigte, daß Sie den Gesuchten bereits gefunden haben.«

»Man hat bisher noch keine Spur entdeckt.«

»So hat man vielleicht schlecht gesucht.«

»Man hat bisher unterlassen, die Zimmer der Damen zu untersuchen.«

»Welche Damen meinen Sie?«

»Die Baronin und die Damen Richemonte.«

»Man suche auch bei ihnen.«

»Wird auf die Verwundung von Mademoiselle Margot nicht einige Rücksicht zu nehmen sein?«

Napoleon blickte vor sich nieder, dann antwortete er:

»Die einzige Schonung, welche ich gewähren kann, ist diejenige, daß nicht fremde Leute, sondern ihr Bruder bei ihr suchen soll.«

Das war eine Rache an Margot für ihre Zurückweisung. Der Kaiser fuhr fort:

»Capitän, Sie werden sich sofort nach den Gemächern Ihrer Verwandten begeben und dort die genaueste Nachsuchung halten.«

Der Capitän verbeugte sich und sagte:

»Ich erlaube mir, zu bemerken, daß unser Suchen trotz allem Eifer und aller Sorgfalt vielleicht vergebens sein kann und der Deutsche sich trotzdem hier versteckt aufhält. Dieser alte Meierhof hat Schlupfwinkel. Um ganz sicher zu gehen, müßte man sich mit Jemandem verständigen, welcher das Haus genau kennt.«

»Es wird sich Keiner finden, der sich dazu hergiebt, die Herrschaft zu verrathen,« sagte Drouet.

»Ich kenne Einen,« bemerkte Richemonte.

»Wer wäre das?«

»Der alte Kutscher Florian.«

»Grad dieser scheint seiner Herrschaft sehr ergeben zu sein.«

»Dies scheint nur so, mein General. Ich habe Beweise, daß er mir ergebener ist, als der Baronin oder dem Baron de Sainte-Marie.«

»Dieser Baron scheint ein etwas leichtsinniger Patron zu sein?« fragte Napoleon.

»Er ist nicht als sehr charactervoll bekannt,« antwortete der Capitän.

»Solche Leute sind schwach und lassen sich leicht erschrecken. Man wird ein Wenig ernst auftreten und den Baron so damit erschrecken, daß er die Wahrheit eingesteht. Ich habe soeben den Capitän Richemonte zum Etappenkommandanten von Jeanette ernannt. Er wird sich jetzt zu der Baronin und ihrem Sohne, ebenso zu den Damen Richemonte begeben und ihnen ankündigen, daß sie seine Gefangenen sind.«

»Diese strenge Maßregel – – –« wollte der General bemerken.

»Ist sehr begründet,« fiel Napoleon schnell ein. »Man nimmt einen preußischen Spion hier auf; man verbirgt ihn; das ist Landesverrath, in Kriegszeiten doppelt strafbar. Das Gesetz bedroht dieses Verbrechen mit dem augenblicklichen Tode. Man lasse sofort den Kutscher kommen, von dem Sie gesprochen haben.«

Diese Worte waren an Richemonte gerichtet. Er meldete dem Diener den Befehl, Florian sofort zur Stelle zu bringen, was augenblicklich befolgt wurde.

*


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