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Der Sohn legte rasch die Hand auf den Arm des Vaters und fragte:
»Du hast fremdes Eigenthum an Dich genommen?«
»Ja.«
»Wessen?«
»Der Mutter.«
»Allah kerihm! Ich bin erleichtert. Das Eigenthum der Mutter war ja auch das Deinige. Du hast keinen Diebstahl begangen, mein Vater.«
»Und doch. Das Besitzthum der Mutter war noch nicht mein Eigenthum. Ich hatte mir alles Geld, was vorhanden war, mitgenommen; ich war in Paris gewesen, um auf Rechnung der Mutter große Summen aufzunehmen, und ich nahm sogar den kostbaren Familienschmuck mit, in welchem der größte Reichthum unseres Hauses bestand. Ich ging – als ein Dieb.«
»Was that Deine Mutter?«
»Sie that nichts. Sie ließ mich nicht verfolgen. Sie ließ mir Alles, was ich ihr geraubt hatte. Aber sie ließ mir, nachdem sie erfahren hatte, wo ich mich befand, sagen, daß ich nicht mehr ihr Sohn sei und niemals wieder ihr Angesicht sehen werde.«
»Mein armer, armer Vater. Hat dieser Fluch sich erfüllt?«
»Ja, mein Sohn!«
Er sagte diese drei Worte langsam und stockend. Man hörte es seinem Tone an, daß es wirklich ein Fluch für ihn gewesen war.
»Hast Du sie nie um Barmherzigkeit angefleht?«
»Ich habe es versucht.«
»Aber ohne Erfolg?«
»Ich wurde niemals vorgelassen. Ich brachte ihr den größten Theil dessen wieder, was ich ihr genommen hatte; aber ich wurde dennoch abgewiesen. Sie wollte mich nicht sehen und wollte nichts wieder haben, obgleich ich mich von Bertha getrennt hatte.«
»Ah! Ihr bliebt nicht beisammen?«
»Nein. Es war in Berlin, als sie mir einen Sohn gebar. Margot, Königsau und dessen Mutter waren Pathen, als dieser getauft wurde. Ich ließ ein Bild des Kindes anfertigen und sandte es der Mutter. Sie schickte es wieder retour. Ich wurde er- und später auch verbittert. Mein Weib mußte das empfinden. Unser Sohn warst Du. Deine Geburt hatte Deiner Mutter die Schönheit und die Gesundheit gekostet; ich hörte auf, sie zu lieben.«
»Meine arme, arme Mutter!«
»Jawohl arm! Bald haßte ich sie. Ich gab ihr die Schuld an Allem, was ich gethan und zu tragen hatte. Ich vernachlässigte sie; ich machte ihr Vorwürfe. Sie wurde von Tag zu Tag unglücklicher, und eines Abends, als ich nach Hause kam, war sie verschwunden.«
»Allah! Wohin?«
»Ich wußte es lange nicht.«
»Allein?«
»Nein. Sie hatte Dich mitgenommen.«
»Ah! Was thatest Du? Sie hatte mich lieber als Du!«
»Nein, mein Sohn. Ich war grausam gegen sie; an Dir aber hing meine ganze Seele, denn Du warst mein Ebenbild. Dich wollte und konnte ich nicht missen; ich mußte Dich wieder haben. Ich begann meine Nachforschungen.«
»War sie nicht nach der Heimath gegangen?«
»Das ahnte ich auch.«
»Du folgtest ihr?«
»Ja, und ich fand, daß ich mich nicht getäuscht hatte.
Ich fand ihre Spur, aber dabei auch diejenige eines Menschen, in dessen Gesellschaft ich Bertha niemals vermuthet hätte.«
»Wer war dieser Mensch?«
»Capitän Richemonte, welcher Margot, seine eigene Schwester, dem Kaiser hatte zubringen wollen. Wie war er auf Bertha getroffen? Welche Absichten hatte er mit ihr?«
»Hast Du es erfahren?«
»Das Erstere wohl, aber das Letztere nicht.«
»Du hast sie Beide getroffen?«
»Ja. Richemonte war aus irgend welchen Gründen, die ich nicht erfuhr, aus dem Officiercorps gestoßen worden und zunächst nach Deutschland gegangen. Er mochte in Berlin nach Königsau gesucht haben, um sich an diesem zu rächen, hatte aber vielleicht keine Gelegenheit dazu gefunden. Da traf er Bertha, die er von Schloß Jeanette her kannte. Er erfuhr, daß sie meine Frau sei und höchst unglücklich mit mir lebe. Einem Menschen von seinen Eigenschaften konnte es nicht schwer fallen, die von mir auf das Aeußerste gebrachte Frau zu bereden, mich zu verlassen. Er hatte sie bis nach Marseille geführt, wo sie eine Anstellung finden sollte. Sie Beide waren nur zwei Tage vor mir angekommen.«
»Du fandest sie und suchtest sie auf?«
»Ja.«
»Was sagte er?«
»Er war ausgegangen. Nur Bertha war daheim im Gasthofe.«
»Wohnten sie beisammen?«
»Nein. Die Geliebte eines anderen Mannes hätte Bertha niemals werden können. Sie hatte mich verlassen, um nicht länger mit mir unglücklich zu sein, und war ihm gefolgt, weil er ihr bei Verwandten von sich eine Stellung angeboten hatte. Das war Alles.«
»Besaß er denn Verwandte in Marseille?«
»Nein, so viel ich weiß. Es mußte ihn also irgend eine geheime, jedenfalls schlimme Absicht veranlaßt haben, mir das Weib und den Sohn zu entführen. Ich habe sie aber weder erfahren noch errathen können.«
»Wie empfing Dich meine Mutter?«
»Sie war voller Schreck, doch faßte sie sich schnell. Ich bat sie, wieder mit mir umzukehren; sie weigerte sich. Ich drohte ihr; auch das half nichts. Ich verlangte wenigstens mein Kind. Da sagte sie, daß sie sich lieber tödten als von demselben trennen werde.«
»Meine arme, gute Mutter.«
»Deine Worte sind tödtliche Stiche für meine schuldige Seele.«
»Wenn sie todt ist, so befindet sie sich im Himmel und wird Dir längst verziehen haben, mein lieber Vater.«
»Todt? Jawohl ist sie todt,« sagte der Alte in dumpfem Tone.
»Seit wann ist sie todt?«
»Seit – seit jenem Abende.«
»An welchem Du sie in Marseille fandest?«
»Ja. Ich konnte weder durch Bitten noch durch Drohungen in Deinen Besitz gelangen. Ich versuchte es mit Gewalt. Da stellte sie sich wie eine Löwin, welche ihr Junges zu beschützen hat, vor Dein Bettchen. Auf dem Tische hatte ein Messer gelegen, spitz und scharf wie ein Dolch. Sie ergriff es und drohte, mich zu erstechen, falls ich Gewalt anwende. Ich lachte über diese Worte. Ich kannte den Muth einer Mutter noch nicht. Ich faßte sie an, um sie von Dir fortzuschleudern. Sie wehrte sich. Wir kamen in das Ringen. Ihre Kräfte waren den meinigen nicht gewachsen. Da gebrauchte sie das Messer. Sie stieß es mir durch den Arm.«
»Welch ein Weib!«
»Ja, welch eine Mutter! Aufgeregt durch meine Liebe zu Dir und durch mein Verlangen, Dich zu besitzen, durch Berthas Widerstand und durch den Stich, den ich erhalten hatte, riß ich ihr das Messer, welches sie sofort wieder aus der Wunde gezogen hatte, um einen zweiten Stich zu versuchen, aus der Hand. Ich kannte mich vor Wuth nicht mehr und stieß zu. Mit einem halblauten Aufschrei brach sie zusammen. Ich hatte sie mitten in das Herz getroffen.«
»O Allah '1 Allah! Du warst ihr Mörder.«
»Ja, mein Sohn, ich war und bin ihr Mörder,« sagte der Alte.
Es trat eine Pause ein, während welcher eine tiefe Stille herrschte. Dann brach Arthur das Schweigen zuerst. Er fragte:
»Was dachtest und was thatest Du nun, mein armer Vater?«
»Ich dachte und that zuerst gar nichts,« antwortete der Marabout. »Ich starrte vor Entsetzen wie abwesend auf die Leiche der einst so sehr Geliebten. Aber die Angst um mich und ebenso die Angst, Dich nun ganz zu verlieren, brachte mich bald zur Besinnung. Ich mußte handeln.«
»Hatte man Euch denn nicht gehört?«
»Ich glaube, nein. So lebhaft unser Wortwechsel gewesen war, wir hatten ihn doch nur mit halblauter Stimme geführt. Und der Kampf war gar in voller und heimtückischer Stille vor sich gegangen.«
»So konntest Du entkommen?«
»Ja. Ich riß mir den Rock herunter und zog ihn erst dann wieder an, als ich mir das Taschentuch fest um die Wunde gebunden hatte. Dann nahm ich Dich, hüllte Dich in Dein Kleidchen und verließ mit Dir das Zimmer, dessen Schlüssel ich zu mir steckte, nachdem ich die Thür verschlossen hatte.«
»Warum thatest Du das?«
»Richemonte sollte bei seiner Rückkehr, und ebenso auch die Bediensteten des Hauses, denken, daß Bertha bereits schlafen gegangen sei. Auf diese Weise gewann ich einen weiten Vorsprung zur Flucht.«
»Aber Mutter mußte sich ja rettungslos verbluten, falls der Stich ja vielleicht nicht tödtlich gewesen wäre.«
»Er war absolut tödtlich. Ich untersuchte sie ja. Sie war eine Leiche.«
»Aber Richemonte mußte bei seiner Rückkehr erfahren, daß ein Fremder zur Mutter gegangen sei. Das mußte seinen Verdacht erwecken?«
»Man hatte mich nicht gesehen. Ich war unbemerkt bei ihr eingetreten.«
»Hattest Du nicht vorher fragen müssen, in welchem Zimmer sie wohne?«
»Nein, denn ich hatte sie am erleuchteten Fenster stehen sehen. Zum Glücke gelang es mir, ebenso unbemerkt zu entkommen, wie ich zu ihr gelangt war.«
»Das ist mir eine Beruhigung, mein Vater. Es ist ein großes Unglück, daß meine Mutter durch Deine eigene Hand sterben mußte; ein doppeltes, ja dreifaches Unglück aber wäre es gewesen, wenn man Dich ergriffen hätte. Ich wäre dann eine Waise gewesen.«
»Gewiß, mein Sohn. Ich hätte das Schicksal gefunden, welches eines Gattenmörders wartet: Ich wäre hingerichtet worden.«
»Aber Du warst verwundet; Du warst voller Blut! Wie entkamst Du?«
»Es galt zunächst, unbemerkt das Zimmer, welches ich in meinem Hotel bewohnte, zu erreichen. Ich hatte das Glück eines Bösewichtes: Es gelang mir auch das. Du warst so still, so ruhig. Du schliefst in meinen Armen; von Dir hatte ich keinen Verrath zu befürchten.«
»Aber dann weiter.«
»O, zum größten Glücke wußte ich, daß in meinem Hotel ein Schiffer aus Ajaccio war, welcher noch diese Nacht nach Hause segeln wollte. Ich fragte ihn, ob er mich mitnehmen wollte, und er machte nicht die geringsten Schwierigkeiten, da ich Geld hatte und mich im Besitze guter Papiere befand. Natürlich hatte ich mich gewaschen und andere Kleider angelegt. Während Du schliefest, brachte ich Dich in einem leeren Reiseköfferchen an Bord. Ich befand mich bald in Ajaccio und also wenigstens einstweilen in Sicherheit.«
»Du warst für jetzt entkommen, mein Vater; aber konntest Du auch vor Dir selbst entfliehen?«
»Mein Sohn, darüber will ich jetzt noch schweigen.«
»Was wird man gesagt haben, als man am andern Morgen die Leiche fand?«
»Das erfuhr ich auf Sicilien, wohin ich schleunigst die erste Gelegenheit ergriff. Man hatte Bertha's Leiche bereits während der Nacht entdeckt. Das Blut war durch die Decke gedrungen. Die Mutter war erstochen worden, und das Kind fehlte. Von ihren Habseligkeiten war nicht das Geringste entwendet worden. Wer konnte der Thäter sein? Kein Anderer als der Vater, dem sie entflohen waren. Man forschte. Man erfuhr, daß ich sie wirklich verfolgt hatte. Nun war man außer allem Zweifel. Ich durfte nie mehr nach der Heimath zurückkehren.«
Das Sprechen griff den Kranken von Minute zu Minute mehr an. Er war erschöpft und machte eine Pause. Auch der Sohn schwieg. Ihn erfüllte eine Traurigkeit, welche nicht geringer war als die Reue, welche der Vater fühlte. Endlich ergriff dieser Letztere wieder das Wort:
»So war aus einem Diebe ein Mörder geworden und aus dem Mörder ein heimathloser Ahasver, welchen die Furien seines Innern von Ort zu Ort verfolgten. Ich erfuhr, daß man meine Flucht nach Ajaccio entdeckt hatte und dort weiter nach mir suchte. Wo fand ich Sicherheit? Ich ging nach Egypten. Nicht lange war ich dort, so hörte ich, daß man bereits von meinem Aufenthalte auf Sicilien wisse. Bald mußte man erfahren, daß ich von dort nach Egypten gegangen sei. Um sicher zu sein, galt es mich von Dir zu trennen. Du mußtest unbedingt für das Kind eines Moslem gelten; daher war es nothwendig, Dich zu beschneiden. Aber das durfte ich keinem Andern überlassen. Ich beschnitt Dich selbst, und als die Wunde geheilt war, brachte ich Dich an eins der Findelhäuser, welche damals noch mit einigen Moscheen in Kairo verbunden waren. Ich wartete im Verborgenen, bis man Dich gefunden und aufgenommen hatte und ging nun den Nil aufwärts bis über die Grenze von Nubien. Dort blieb ich zwei Jahre lang. Während dieser Zeit hatte ich gelernt, das Arabische zu sprechen wie ein Eingeborener. Die größte Sicherheit bot sich mir, wenn ich mich für einen geborenen Araber, für einen wahren Gläubigen ausgab. Ich that dies und bin niemals in Verdacht gekommen, das zu sein, was ich bin.«
»Jetzt, mein Vater, erwacht meine Erinnerung. Ich sehe mich bei alten bärtigen Männern in einem heißen Hofe, welcher mit einer hohen Mauer umschlossen ist, und viele andere Knaben sind bei mir.«
»Das ist der Findelhof an der Moschee. Ich kehrte nach Kairo zurück und suchte Dich auf. Ich sagte, daß ich ein kinderloser Mann sei und die Absicht habe, einen Knaben an Kindesstatt zu mir zu nehmen. Gegen ein Geschenk für die Moschee durfte ich unter den Knaben wählen. Ich erkannte Dich wieder, auch gab man mir das Kleidchen, welches Du getragen hattest, als man Dich fand. Ich hatte es bei einem Juden in einem der engsten Gäßchen von Kairo gekauft. Es war gerade die Zeit der großen Pilgerreise nach Mekka. Ich schloß mich an, denn ich wollte von nun an nur Dir allein leben, und das konnte ich nur dann, wenn ich als ächter Muselmann in vollkommener Sicherheit lebte.«
»Von nun an weiß ich Alles, mein Vater. Du nahmst mich mit nach Mekka.«
»Ja. Dort blieb ich fünf volle Jahre, um den Islam zu studiren. Dann aber sehnte ich mich nach einem Aufenthalt, an welchem es möglich war, zuweilen Etwas von der Heimath zu hören. Ich verließ also Arabien und ging nach Egypten zurück.«
»Und von da durch die Wüste nach Tunesien und später nach Algerien.«
»So ist es. Ich hatte in Mekka einen arabischen Namen getragen. Auf diesen hatte mir der Scheriff meine Zeugnisse und Legitimationen ausgestellt. Ich hatte den Koran aus Mekka am Halse hängen, ich trug das Fläschchen mit dem Wasser des heiligen Brunnens Zemzem am Gürtel; ich besaß viele Reliquien der heiligen Stadt und ebenso von Medina. Ich galt überall als ein außerordentlich frommer Hadschi. Pilger Kein Mensch hätte in mir einen entflohenen Mörder vermuthet. Der Gram und die Reue hatten mich eingetrocknet, die Sonne hatte mich schwarz gebrannt. Ich trug sogar den grünen Turban der Abkömmlinge des Propheten, was ich zwar in Algerien, nie aber in Mekka hätte wagen dürfen. Und wenn mir jetzt meine Mutter, oder Margot, oder selbst dieser Richemonte begegnet wäre, Keins von ihnen hätte mich erkannt.«
»Hattest Du nun sofort die Absicht, in steter frommer Zurückgezogenheit zu leben?«
»Nein. Ich wollte Dein Vater und zugleich Dein Lehrer sein. Von mir solltest Du alle diejenigen Schätze des Charakters und Gemüthes empfangen, welche meiner Jugend gefehlt hatten. Ich träumte von einem Sohne, welcher berufen sein solle, eine hohe Stelle einzunehmen. Aber dieser Traum zerrann in nichts, nicht schnell und plötzlich, sondern nach und nach, aber desto sicherer. Ich hatte in der Heimath die Universität besucht und mich vorzugsweise mit Medizin beschäftigt. Auf diesen Bergen wachsen tausend heilsame Kräuter. Ich sammelte sie und erprobte ihre Wirkung. Bald war ich der Wohlthäter vieler Stämme. Konnte ein schöneres, besseres Loos eines Mörders harren?«
»Nein, mein Vater!«
»Du hast Recht, und ich danke Dir. Ich baute mir diese Hütte und blieb was ich war. Du solltest mein Nachfolger werden. Niemals solltest Du erfahren, wer ich war und wer Du eigentlich bist.«
»Und dennoch hast Du es mir erzählt.«
»Mein Sohn, die Gedanken und Entschlüsse des Menschen sind wie das Haar, welches sich im Sande niedergelassen hat. Der erste Lufthauch nimmt es mit sich fort. Ich war Dein Vater und Beschützer. Nun aber gehe ich von hinnen, und Du bleibst allein zurück. Wen sollst Du lieben, und wer liebt Dich? Du wirst unter Moslemim stehen allein, zwar hoch geehrt, aber Dein Herz wird keine Worte finden dürfen. Ich habe Dich in die Wüste geführt; ich habe Dich der Civilisation und dem göttlichen Erlöser geraubt. Ich muß Dich dahin zurücksenden, von wo Dein Leben ausgegangen ist.«
»Soll ich Dich verlassen, mein Vater? Niemals.«
»Mein Leben ist zu Ende. In kurzen Augenblicken werde ich zu Staub geworden sein.«
»Soll ich Dein Grab verlassen?«
»Ja. Mein Segen und mein Geist werden bei Dir sein! Und nun, Arthur, mein Sohn, hast Du meine Beichte vernommen. Dein Vater liegt vor Dir; seine Seele steht unter Thränen bitterer und lang verborgener Reue, und sein Herz schreit auf nach einem Worte der Vergebung. Da droben strahlen Gottes Sterne; sie leuchten Liebe und Barmherzigkeit herab. Du kennst mein Thun. Verdamme oder begnadige mich, wie Dir es der Allwissende eingiebt jetzt in der Stunde, welche die letzte meines Lebens ist. Ich habe zu viel gesprochen, ich bin müde zum ewigen Schlafe. Bereits werden die Beine kalt und starr. Vielleicht ist in wenigen Augenblicken das Ohr nicht mehr offen, um Deinen Richterspruch zu hören.«
Er streckte die Beine aus und faltete die Hände. So wartete er auf das Wort, welches er aus dem Munde des Sohnes ersehnte. Dieser schluchzte laut vor Schmerz und umschlang den sterbenden Vater mit beiden Armen.
»Mein Vater, o mein Vater!« meinte er. »Will Gott Dich wirklich von mir nehmen, sollen wir wirklich scheiden, so habe Dank für Deine tausendfältige Liebe und für Dein treues Sorgen! Ich wollte, ich könnte mit Dir sterben!«
»Keinen Dank!« antwortete der Alte. »Den Richterspruch!«
»Gott ist die Liebe, mein Vater. Er zürnt Dir nicht, sondern er hat Dir vergeben.«
»Und Du, Arthur?«
»Auch ich. Mein Schmerz um Dein Scheiden ist unsäglich, aber der Wunsch, alle Schuld von Dir zu nehmen, ist noch tausendfältig größer. Gehe getrost aus dieser Welt, da oben wird es keinen Vorwurf geben.«
Da entflog dem Munde des Sterbenden ein langer, tiefer Seufzer unendlicher Erleichterung. Man sah beim Scheine der Sterne, daß sich ein seliges Lächeln über sein Antlitz breitete.
»Ich danke Dir, mein Sohn, o, ich danke Dir!« sagte er langsam und mit Anstrengung. »Nun sterbe ich ruhig, denn ich habe Barmherzigkeit gefunden. Grabe in der Hütte unter meinem Lager nach. Dort findest Du wohl verwahrt das Kleidchen, welches Du in Marseille trugst, meine Aufzeichnungen, welche Dich legitimiren werden, den Schmuck und den Rest des Geldes, welches ich raubte. Gehe damit nach Jeanette und siehe, ob Du dort Gnade findest, so wie ich sie bei Dir gefunden habe.«
Der Sohn hielt den Vater noch immer fest umschlungen. Er küßte ihn auf den bleichen, bereits erkaltenden Mund und fragte unter strömenden Thränen:
»Ist's wahr, ist's denn wirklich wahr, daß Du sterben mußt?«
»Ja, mein Sohn, mein lieber, lieber Sohn. Und wenn ich todt bin, so lege mich in die Hütte und maure, ehe Du gehst, den Eingang zu. Nur oben laß gegen Osten eine kleine Oeffnung, damit täglich ein Strahl der aufgehenden Sonne in das Grab des Mannes falle, dessen Leben von so wenigen Strahlen erwärmt und erleuchtet wurde.«
»Ich werde es thun! Ja, mein Vater, ich werde es thun.«
»Und noch den letzten Wunsch, mein Kind. – – Bereits kann ich – – kaum mehr sprechen. Du hast vorhin ein Lied gebetet. Jetzt – – das Lied noch vom – – Leben und vom Ende.«
»Ja, mein guter, mein lieber Vater!«
»Richte mich auf! Lehne – – meinen Rücken höher – – an die Hütte, damit ich – – noch einmal den Sternenhorizont – – – überschaue.«
Unter immer strömenden Thränen that Arthur ihm den Willen. Sodann knieete er nieder und faltete die Hände. Er drückte mit aller Anstrengung das Schluchzen hinab und betete mit lauter aber schwer zitternder Stimme:
»Bedeckt mit Deinem Segen
Eil ich der Ruh' entgegen;
Dein Name sei gepreist.
Mein Leben und mein Ende
Ist Dein. In Deine Hände
Befehl ich, Vater, meinen Geist!«
Die Worte klangen laut zu den Wipfeln der Bäume empor und von der Bergeshöhe hinab. Es war ein christliches Sterbegebet inmitten eines durchaus muhammedanischen Landes.
»A – – – men!« hauchte es von der Mauer herüber.
Dann war es still. Der Beter regte sich nicht. Er wartete, daß der Vater ihn rufen, noch ein Wort, ein einziges Wort sagen solle – – vergebens!
Da endlich erhob er sich und trat zu ihm. Er bückte sich zu ihm nieder.
»Vater, lieber Vater!«
Keine Antwort.
»Schläfst Du, Vater!«
Auch jetzt erhielt er keine Antwort. Da nahm er die Hände des Entschlafenen leise und behutsam in die seinigen. Sie hatten noch eine Spur von Lebenswärme, wurden aber bald völlig kalt.
»Gott, mein Gott, ist er wirklich todt, todt, todt?«
Die beiden Lauscher hörten das schnelle Rauschen eines Gewandes. Der Sohn fühlte nach dem Herzen des Vaters, um sich zu überzeugen, ob der eingetretene Schlummer wirklich der ewige sei.
»Allah! Allbarmherziger! Er ist gestorben! Sei ihm gnädig da oben und auch mir hier in meiner Einsamkeit.«
Das wurde unter lautem Schluchzen gesprochen. Dann warf sich der Lebende neben dem Todten nieder. Es herrschte tiefe Stille rings umher. Nur in den Zweigen war ein leises, leises Rauschen zu hören, als ob eine Seele die Schwingen breite, um sich zum Fluge nach der ewigen Heimath zu erheben.
Richemonte stieß jetzt seinen Gefährten an.
»Komm!« flüsterte er ihm zu.
»Wohin?«
»Immer hinter mir her. Aber leise, damit er uns ja nicht hört.«
Sie schlichen sich von der Hütte fort und nach dem Rande der Lichtung hin. Dort angekommen, faßte der Capitän den Anderen bei der Hand und zog ihn ziemlich tief in das Dunkel des Waldes hinein.
»So!« sagte er, endlich stehen bleibend. »Jetzt sind wir so weit entfernt, daß er auch ein Räuspern nicht vernehmen kann. So lange Zeit ganz und gar lautlos bleiben zu müssen, ist wirklich eine fürchterliche Anstrengung. Ich hätte es nicht fünf Minuten länger ausgehalten.«
»Ich auch nicht.«
»Hast Du Alles gehört?«
»Jedes Wort.«
»Was sagst Du dazu?«
»Wer hätte das gedacht! Alle Teufel, wer hätte das gedacht!«
»Hm! Als ich hörte, daß der Kerl beichten wolle, ahnte ich einen ziemlichen Theil dessen, was wir dann wirklich zu hören bekamen.«
»Und es ist Alles wahr?«
»Ja.«
»Der Kaiser war wirklich in Deine Schwester verliebt?«
»Rasend.«
»Sie entfloh?«
»Leider! Mit diesem verdammten Königsau.«
»Welch eine kolossale Dummheit von ihr! Du aber verfolgtest sie?«
»Natürlich.«
»Doch aber nicht auf den Befehl Napoleons?«
»Auf seinen ausdrücklichen Befehl. Hätte er die Schlacht nicht verloren, so wäre er mit einem Schlage Meister der ganzen Situation und Herr Europas geworden. Margot hätte die Stelle einer Maintenon oder Pompatour eingenommen, und ich – alle tausend Teufel, was für Chancen hätten sich mir geboten! Was wäre ich heute?«
»Mußtest Du denn wirklich aus der Armee treten?«
»Das geht Dich ganz und gar nichts an. Glaube es oder glaube es nicht; mir ist dies ganz und gar egal.«
»Und Du hättest Dich wirklich nach Deutschland, nach Berlin gewagt?«
»Natürlich! In Frankreich war ja meines Bleibens nicht.«
»Was wolltest Du?«
»Hm! Ich wollte mit diesem guten Königsau einige Worte sprechen; aber der Satan legte sich mir immer in den Weg, so daß ich nicht so an ihn kommen konnte, wie ich wollte. Da entdeckte ich diesen dummen Sainte-Marie mit seiner noch einfältigeren Dulcinea. Das war mir natürlich im höchsten Grade willkommen.«
»In wiefern? Seines Geldes wegen?«
»Auch! Das wäre später mein geworden. Zunächst hatte ich es natürlich auf seinen Buben gemünzt.«
»Auf den Knaben? Das verstehe ich nicht. Das Geld und der Schmuck wären mir ja tausendmal lieber und willkommener gewesen.«
»Da sieht man wieder einmal, was für ein Schwachkopf Du bist.«
»Pah! Ich sehe keine sehr große Geistesstärke darin, einen Menschen mit Hunderttausenden laufen zu lassen und dafür sich mit einem Säugling zu begnügen, der einem nur Arbeit und Sorge bringen kann.«
»Hm! Wie Du es verstehst.«
»War diese Bertha denn gleich bereit, mit Dir zu gehen?«
»Ich brauchte meine Ueberredungsgabe allerdings nicht sehr anzustrengen. Sie hatte ihren Mann hassen gelernt und strebte darnach, von ihm fortzukommen, um ihr Kind aus seiner Nähe zu bringen. Es war dann allerdings für mich ein harter Schlag, als ich ihre Leiche fand, die Leiche ganz allein, ohne das Kind.«
»Aber, welche Absichten hattest Du denn eigentlich mit dem Letzteren?«
»Das erräthst Du nicht?«
»Wie sollte ich.«
»Ja,« lachte der Capitän leise vor sich hin. »Dieser Richemonte ist ein Kerl, dessen Combinationen nicht so leicht ein Anderer folgen kann. Wer war denn der Vater des Kindes, he?«
»Nun, der Baron de Sainte-Marie.«
»Schön! Wer war also der Junge?«
»Hm!« brummte der Andere ziemlich verblüfft. »Sein Sohn natürlich.«
»Sehr geistreich geantwortet. Weißt Du, was ein Fideicommis ist?«
»Ich denke.«
»Nun?«
»Eine Besitzung, welche ungeschmälert vom Vater auf den Sohn oder überhaupt auf den Erben übergeht, ohne verkauft werden zu können.«
»Ja. In Frankreich darf sogar auch nicht zu Gunsten eines Anderen darüber verfügt werden, im Falle der eigentliche Erbe mißliebig wird. Verstehst Du mich nun?«
»Noch nicht.«
»So beklage ich die Kürze Deines Verstandesfadens. Der Junge war unbedingt der Erbe seines Vaters.«
»Ah! So ist er es ja auch jetzt noch.«
»Sehr richtig.«
»Dieser wilde Beduine. Der Erbe der sämmtlichen Güter.«
»Ja.«
»Donnerwetter! Und so ein civilisirter Kerl, wie Unsereiner ist, hat oft weder zu trinken noch zu beißen.«
»Du bist nur selber schuld.«
»In wiefern?«
»Du brauchst es ja nur zu ändern.«
»Ich? Du bist wohl närrisch, Alter! Wie sollte ich es ändern können?«
»O, sehr leicht, sehr leicht sogar.«
»So erkläre es mir. Ich bin zu einer solchen Aenderung auf der Stelle und herzlich gern bereit. Das kannst Du mir wohl glauben.«
»Ein Schuß, ein Stich ist das Ganze, was nöthig sein würde.«
»Du sprichst abermals in Räthseln.«
»Und für Dich wird ein jeder gute Plan, ein jeder geistreiche Gedanke in Ewigkeit ein Räthsel bleiben. Du fragtest vorhin, was ich mit dem Sprößlinge dieses Sainte-Marie und dieser Bertha wollte – –«
»Ja.«
»Nun, hast Du Dich vielleicht auch gefragt, was ich damals mit Dir wollte?«
»Nein. Damals war ich zu jung, um mir eine solche Frage vorzulegen. Ich glaube, ich habe damals kaum die Wickeln verlassen gehabt.«
»Du warst bereits ein zweijähriger Bube.«
»Aber doch noch immer zu jung zu so einer ungewöhnlichen Frage.«
»So frage Dich jetzt.«
»Gieb mir lieber sogleich die Antwort.«
»Bei Deinem Schwachkopfe bleibt mir allerdings gar nichts Anderes übrig. So höre also! Du hattest damals bereits weder Vater noch Mutter mehr.«
»Leider! Ich wurde von einer alten Base ausgehungert und durchgeprügelt. Das nannte sie erziehen. Jetzt aber werde ich von Dir erzogen.«
»Jedenfalls ist meine Manier besser als die ihrige, obgleich ich auch noch keinen Erfolg verspüre. Ich kam damals zu dieser Base und bat sie, Dich mir zu überlassen – – –«
»Sie ging sofort darauf ein, wie sie mir dann später erzählte.«
»Ich machte ihr allerdings den ihr sehr erwünschten Vorschlag, Dich zu adoptiren. Auf diese Weise wäre sie Dich los geworden.«
»Leider aber wurde sie mich nicht los. Du kamst nicht wieder. Warum? Das habe ich Dich oft gefragt, ohne aber jemals eine Antwort zu erhalten.«
»Mein Schweigen hatte seine Gründe; jetzt aber kann ich endlich sprechen.«
»So rede! Ich bin sehr neugierig auf Das, was ich erfahren werde.«
»Du weißt, daß durch die Adoption beide Theile in die Naturrechte eintreten?«
»Was nennst Du Naturrechte?«
»Beide gelten wie leiblicher Vater und leiblicher Sohn.«
»Ah, ja.«
»Was der Eine hat, gehört dem Andern.«
»Ja.«
»Und was der Eine erwirbt, genießt auch der Andere mit.«
»Natürlich.«
»Nun, ich wollte Dein wirklicher Vater werden, um das mit genießen zu können, was Dir später zufallen würde.«
» Parbleu! Du thust ja gerade, als ob mir irgend ein Fürstenthum hätte zufallen sollen.«
»Wenn auch nicht gerade ein Fürstenthum!«
»So doch eine Grafschaft?«
»Auch diese nicht ganz!«
»Meinst Du etwa eine Baronie?«
»Das ist viel eher und leichter möglich!«
»Du phantasirst!«
»Pah! Ich weiß stets genau, was ich sage und thue. Ich werde Dir meinen damaligen Plan anvertrauen. Aber ich hoffe, daß ich das ohne irgend eine Befürchtung zu thun vermag. Verstehst Du mich?«
»Wenn es sich um eine Baronie handelt, werde ich zu schweigen wissen.«
Er hatte diese Worte in einem ironischen Tone ausgesprochen.
»Laß diesen Ton! Er gefällt mir nicht und paßt auch nicht hierher!« sagte der Capitän. »Also höre! Dieser Bertha wollte ich irgend eine Stellung verschaffen, wie Du bereits gehört hast.«
»Ihr und dem Kinde etwa?«
»Nein. Es wäre das auf alle Fälle eine Stellung gewesen, in welcher sie sich von dem Kinde scheinbar nur auf kurze Zeit hätte trennen müssen.«
»Wäre sie darauf eingegangen?«
»Ich hätte sie schon zu bearbeiten verstanden. Natürlich hätte sie den Jungen irgendwo in Pflege thun müssen. Und weißt Du, bei wem dies gewesen sein würde?«
»Ich habe keine Ahnung davon!«
»Nun, nirgends anders als bei Deiner alten Base.«
»Donnerwetter! Bei dieser? Aus welchem Grunde gerade bei ihr?«
»Zunächst wäre die brave Bertha verschwunden.«
»Ah! Wie denn und wohin denn?«
»Meine Sache! Sodann wäre ihr Sprößling verschwunden.«
»Aber zu welchem Zwecke denn?«
»Schwachkopf! Du wärst an seine Stelle getreten. Die Papiere waren da. Wer hätte beweisen können, welcher von den beiden Buben der richtige Erbe der Baronin ist?«
Der »Schwachkopf« ließ ein leises, verwundertes Pfeifen hören.
»Alle Teufel, ist es das,« sagte er. »Die Nachbarn hätten es beweisen können, denn sie kannten mich und die Alte sehr genau.«
»Die Alte hätte den Wohnort gewechselt. Dann war Alles gemacht. Ich hätte einen Baron de Sainte-Marie adoptirt gehabt. In Frankreich geht das, während es in andern Ländern schwieriger sein würde.«
»Donnerwetter, welch ein Plan! Schade, daß nichts daraus geworden ist.«
»Der Mord kam mir darein und das Verschwinden des Knaben.«
»Aber warum hast Du mich dann doch noch adoptirt?«
»Du bist allerdings zugleich mein Cousin und mein Sohn. Ich that es, weil ich doch noch Hoffnung hegte, den Kerl zu erwischen.«
»Und da mußte er entkommen! Ich könnte Baron sein, Baron!«
»Was damals nicht möglich wurde, kann vielleicht jetzt noch geschehen.«
»Ah! Wenn das wäre!« meinte der Andere höchst eifrig.
»Warum nicht?«
»Auf welche Weise?«
»Abermals Schwachkopf! Ein Schuß oder ein Stich, sagte ich ja vorhin.«
»Donnerwetter! Jetzt beginnt mein Schwachkopf zu begreifen.«
»Das ist zu wünschen. Der junge Baron muß, gerade wie damals, spurlos verschwinden. Eine einzige Kugel ist vollständig genug.«
»Das ist wahr.«
»Die Papiere sind da.«
»Allerdings! Geburtsschein und Taufzeugniß, sämmtliche Legitimationen seines Vaters, dazu das Geld und die Schmucksachen!«
»Das ist Legitimation genug. Du hast fast das gleiche Alter, hast in der Wüste gelebt, sprichst Arabisch und kennst nun auch die ganze Vergangenheit Deines Vaters, des Barons Alban de Sainte-Marie.«
Der Andere schwieg. Richemonte hütete sich, ihn zu stören. Er wußte, daß der ausgestreute Samen mit riesiger Schnelligkeit heranwachsen werde. Er hatte richtig gerechnet, denn sein Gefährte meinte bald:
»Der Kerl da drin wäre bald beseitigt. Aber die Schwierigkeiten in der Heimath! Ich bin zu wenig dazu.«
»Pah. Ich helfe Dir!«
»Hm. Wenn ich mich wirklich auf Dich verlassen könnte, Alter!«
»Natürlich! Ich setze allerdings voraus, daß ich nicht umsonst arbeite.«
»Das versteht sich ganz von selbst.«
»Also, Du denkst, daß es geht?«
»Sehr leicht sogar. Nur müssen wir schnell handeln. Hast Du gehört, daß sie von diesem Königsau sprachen?«
»Ja. Wie konnten sie davon wissen?«
»Ob uns der Junge etwa gar im Walde belauscht haben sollte?«
»Das ist möglich.«
»Nun, so ist es höchst wahrscheinlich, daß er sich sputen wird, Königsau und die Bein Hassan zu warnen.«
»Donnerwetter, das wäre ein Strich durch unsere Rechnung.«
»Und abermals ein gewaltiger. Wer steht uns dafür, daß er nicht den Alten liegen läßt, seine Siebensachen nimmt und noch diesen Augenblick aufbricht, während wir uns hier langathmig berathen?«
»Ja, Cousin, wir müssen handeln.«
»Nun, also vorwärts!«
»Halt. Vorher noch Eins!«
»Was?«
»Ich sage Dir im Voraus, daß ich ohne Erfüllung dieser einen Bedingung von der ganzen Sache nichts wissen will!«
»So rede doch!«
»Es handelt sich um Liama.«
»Wieder dieses Mädchen,« zürnte der Alte. »Was willst Du mit ihr? Jetzt stehen die Sachen ganz anders als noch vor zwei Stunden.«
»Meine Liebe ist ganz dieselbe geblieben.«
»Du kannst sie doch wahrhaftig nicht zur Baronin de Sainte-Marie machen.«
»Warum nicht?«
»Das wäre horribel. Das wäre der größte Blödsinn, den es giebt!«
»Ich thue es nicht anders.«
»Kerl, nimm Verstand an!«
»Und Du, nimm Herz an! Ich habe sie lieb, und ich will sie haben.«
»Meinetwegen, als Geliebte!«
»Nein, als Frau!«
»Das ist ja ganz unmöglich! Du kannst ja nicht als Prätendent der Baronie auftreten und dann, wenn man sie Dir zugesprochen hat, diese halb wilde Beduinin heirathen.«
»Das ist auch nicht nöthig. Ich heirathe sie bereits hier.«
»Sie kennt Dich als meinen Sohn Ben Ali. Der junge Sainte-Marie aber muß als Ben Hadschi Omanah auftreten.«
»Warum?«
»Dieser Name ist in den Aufzeichnungen des Marabut sicher genannt.«
»So nehme ich ihn an.«
»Sie wird es verrathen!«
»Ist sie einmal meine Frau, wird sie sich meinem Willen fügen müssen!«
Richemonte sah ein, daß jetzt nichts zu erreichen sei. Er hoffte den Plan seines Gefährten doch noch zu durchkreuzen. Jetzt galt es, schnell zu handeln, daher gab er scheinbar nach und meinte nach einigem Ueberlegen:
»Wem nicht zu rathen ist, dem ist auch nicht zu helfen. Du sollst meinetwegen Deinen Willen haben, aber ich bitte Dich im Voraus, etwaige unangenehme Folgen nicht etwa mir aufzubürden. Gehen wir also zu diesem Sohne des Marabut!«
Er wendete sich ab, um die Stelle zu verlassen; da aber faßte ihn der Andre beim Arme und sagte:
»Wer soll ihn denn – hm!«
»Was?«
»Wer soll ihm denn zum Verschwinden helfen, meine ich, Du oder ich?«
»Natürlich Du!«
»Warum ich? Du triffst viel sicherer.«
»Das mag sein; aber ich werde mich hüten, für einen Andern die gebratenen Kastanien aus dem Feuer zu holen und mir die Finger zu verbrennen.«
»Für einen Andern? Dieser Andere bin ich, Dein Adoptivsohn.«
»Wenn zehnmal!«
»Du genießest die Früchte ebenso wie ich!«
»Das gilt erst abzuwarten. Ich war vorher bereit, dem Kerl meine Kugel zu geben; wie die Sache aber jetzt steht, sehe ich hiervon ab.«
»Warum?«
»Deiner Liama wegen.«
»Ihretwegen? Das begreife ich nicht.«
»Es ist doch sehr leicht erklärlich. Sie weiß, daß Du nicht der Sohn des Marabuts bist. Sie kann Alles verrathen, und in diesem Falle will wenigstens ich nicht Derjenige sein, dem man den Mord aufwälzt.«
»Ist es das? Gut, so werde ich den Schuß abgeben. Für dieses Mädchen thue ich Alles. Sie aber wird uns nicht verrathen.«
Richemonte lachte in sich hinein. Er hätte die Ermordung des Opfers auf keinen Fall auf sich genommen. Es lag ihm sehr daran, an dem späteren Baron de Sainte-Marie ein willenloses Werkzeug zu besitzen, und dies war nur dann der Fall, wenn er ihn mit Drohungen einzuschüchtern vermochte. Einem Mörder ist am Leichtesten zu drohen.
»So komm. Hast Du gut geladen?« fragte er.
»Ja.«
Sie huschten leise zwischen den Bäumen hindurch, bis sie die Lichtung wieder erreichten. Dort duckte Richemonte sich auf den Boden nieder und kroch langsam und leise auf die Hütte zu. Der Andere folgte ihm. Auf halbem Wege blieben sie plötzlich halten. Es war ein lichter Strahl aus dem Innern der Hütte auf den Platz herausgefallen.
»Gut für uns,« flüsterte der Capitän. »Er ist drin. Wir können herankommen, ohne kriechen zu müssen.«
»Er hat Licht.«
»Desto besser. Das giebt für Dich ein festes, sicheres Ziel. Machen wir uns den Spaß, ihn zu überraschen. Welch' ein Gesicht er machen wird, wenn so plötzlich zwei unbekannte Personen inmitten der Nacht bei ihm erscheinen.«
»Er wird Waffen in der Hütte haben.«
»Feigling! Ein Marabut, und Waffen!«
»Von früher her vielleicht.«
»In diesem Falle erwarte ich, daß Du schneller bist als er. Komm!«
Sie schlichen sich leise bis an die Mauer. Dort lehnte noch der todte Marabut. Sie schritten um denselben hinum und standen nun vor dem Eingange. Sie konnten das Innere der Hütte überschauen.
*