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Richemonte wandte sich nun an den wachthabenden Posten mit der weiteren Frage:
»Ist da im Zimmer nicht gesprochen worden?«
»Nein,« rapportirte der Soldat.
»Treten wir ein!« erklärte der Capitän.
Er öffnete die Thür. Dies war jetzt möglich, da Margot vor ihrer Entfernung den Riegel mit Absicht wieder zurückgezogen hatte.
»Kein Mensch hier,« sagte er. »Aber dort ist noch eine Thür.«
Er gelangte in das Zimmer, welches für Königsau bestimmt gewesen war. Auch hier war nichts zu sehen. Von da aus wagte er sich bis an die Treppe, welche in den Stall führte, und zu welcher er hinabgestürzt war.
»Hier sind sie hinab,« sagte er. »Der Schurke von Florian ist ihnen dabei behilflich gewesen und hat auch den Deutschen irgendwo versteckt gehabt. Wir müssen sehen, ob die Baronin und ihr Sohn mit ihm im Bunde gewesen sind.«
Er eilte, von Reillac gefolgt, nach dem Zimmer der Baronin. Dort stand der Posten, welchen er vor der Thür gelassen hatte.
»Ist die Gefangene noch anwesend?« fragte er.
»Ja,« antwortete der Mann.
»Hast Du sie gehört?«
»Ich habe soeben mit ihr gesprochen.«
»Was?«
»Sie trat an die Thür und verlangte ihre Bedienung zur Toilette.«
»Ist das Mädchen bereits bei ihr?«
»Sie ist im Augenblicke eingetreten.«
»Wollen sehen.«
Er öffnete die Thür. Die Baronin saß, von dem Frisir-Mantel umhüllt, auf einem Stuhle. Beim Anblicke der beiden Männer erhob sie sich überrascht.
»Madame, haben Sie während der Nacht dieses Zimmer einmal verlassen gehabt?« fragte Richemonte, ohne sie vorher zu grüßen.
Sie warf ihm einen erstaunt-verächtlichen Blick entgegen und antwortete:
»Monsieur, seit wann ist es Sitte, ohne Anmeldung und Gruß in das Boudoir einer Dame einzudringen?«
»Seit jeher, falls die Dame nämlich Gefangene ist. Sie haben meine Frage gehört, und ich ersuche Sie, mir eine Antwort zu geben.«
Sie zuckte die Achseln und entgegnete:
»Es kann hier von einer Antwort keine Rede sein. Ich spreche nur mit Personen, welche die im Verkehre mit Damen so nothwendige Höflichkeit besitzen. Ihnen aber entgeht dieselbe vollständig.«
»Ach!« meinte er zornig. »Vergessen Sie nicht, daß Sie sich in meiner Gewalt befinden!«
»Jedenfalls in der des Kaisers, dessen Kerkermeister, oder Büttel Sie ja nur sind. Verlassen Sie mich!«
»Ich werde nicht eher gehen, als bis Sie meine Frage beantwortet haben.«
Sie wendete sich stolz von ihm ab und schwieg.
»Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß meine Mutter und Schwester während dieser Nacht entflohen sind – – –!«
Bei diesen Worten des Capitäns zuckte die Baronin zusammen. Sie konnte diesen Ausdruck der Verwunderung doch nicht beherrschen oder verbergen, doch schwieg sie noch immer.
»Und daß Sie der Beihilfe zu dieser Flucht dringend verdächtig sind,« fuhr er in barschem Tone fort.
Sie gewann es auch jetzt über sich, zu schweigen. Dies steigerte seinen Zorn in der Weise, daß er nahe an sie herantrat und ihr zurief:
»Haben Sie das Sprechen verlernt, Madame? Man wird rasch genug Mittel finden, Sie zu Worte zu bringen.«
Auch dieser rüden Drohung würdigte sie keine Antwort. Da mischte sich Reillac in die Angelegenheit, indem er Richemonte beim Arme ergriff und zurückzog.
»Dieses Zimmer hat nur den einen Ausgang,« sagte er. »Der Posten hat gesagt, daß Madame es nicht verlassen habe, und so meine ich, daß wir es glauben können.«
»Möglich!« antwortete der Capitän. »Aber ich bin gewöhnt, Antwort zu erhalten, wenn ich frage.«
»Lassen wir das jetzt. Wir versäumen damit nur ganz unnütz die kostbare Zeit. Jedenfalls steht der junge Baron mit im Bunde.«
»O, das ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Also schnell zu ihm. Und wehe ihm, wenn ich ihn schuldig finde.«
Sie verließen das Gemach und begaben sich nach den Parterreräumlichkeiten, welche der Baron bewohnte. Auch hier berichtete der Posten, daß der Gefangene das Zimmer nicht verlassen habe. Vor den Fenstern der Wohnung hatte ein zweiter Soldat Wache gehalten, und da auch dieser aussagte, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe, so hätte man eigentlich die Unschuld des Barons für erwiesen achten können, aber dennoch drangen die Beiden ohne Gruß und Anmeldung in dessen Zimmer ein.
Er lag auf dem Sopha und schien die Nacht schlaflos zugebracht zu haben. Als die Beiden erschienen, gab er seine liegende Stellung auf.
»Sie sind beschuldigt, Mitwisser eines Ereignisses zu sein, welches eine für Sie sehr strenge Strafe nach sich ziehen kann,« sagte der Capitän rauh. »Ich hoffe, daß Sie diese Strafe dadurch zu mildern suchen, daß Sie mir meine Fragen aufrichtig und reuevoll beantworten.«
Der Baron sah den Sprecher ganz erstaunt an.
»Reuevoll!« sagte er. »Ich bin mir bewußt, nichts gethan zu haben, was ich zu bereuen hätte.«
»Das wird sich finden! Haben Sie während der verflossenen Nacht dieses Zimmer verlassen?«
»Nein.«
»Es ist aber Jemand bei Ihnen gewesen?«
»Kein Mensch.«
»Oder Sie haben wenigstens mit irgend Jemand Zeichen gewechselt, oder in irgend einer anderen Weise sich mit ihm in Verbindung gesetzt?«
»Nein.«
»Wollen Sie wirklich leugnen?«
»Ich brauche nicht zu leugnen.«
»Sie wissen aber, was während dieser Nacht geschehen ist?«
»Ich weiß nur, daß es mir während der Nacht gelungen ist, ein Buch bis zu Ende zu lesen.«
»Versuchen Sie nicht, mich zu täuschen. Sie haben gelesen; Sie sind also stets wach gewesen?«
»Allerdings.«
»Nun, das genügt nicht nur, unsern Verdacht zu bestärken, sondern es stellt sogar Ihre Mitthäterschaft außer allen Zweifel.«
»Sie sprechen in Räthseln, Monsieur. Mitthäterschaft! Was ist denn geschehen, woran ich theilgenommen haben soll?«
»Gut, ich werde es Ihnen sagen, obgleich Sie es eher wußten, als wir es erfuhren. Madame und Mademoiselle Richemonte sind entflohen.«
Der Baron machte eine Bewegung des Erstaunens.
»Entflohen? Unmöglich!«
»Nein, wirklich.«
»Aber warum?«
»Das werden Sie wohl wissen.«
»Und wohin?«
»Auch diese Frage werden Sie beantworten können.«
»Bei meiner Ehre! Ich weiß kein einziges Wort davon.«
»Auch nicht, daß Ihr Kutscher mit ihnen fort ist?«
»Florian?«
»Ja.«
»Wie soll ich das wissen? Vor meiner Thür steht ein Posten und vor den Fenstern ein zweiter. Ich bin vollständig isolirt gewesen.«
»Ich werde Ihnen aber doch beweisen, daß Sie lügen.«
Da runzelte der Baron die Stirn.
»Monsieur,« sagte er, »Sie gebrauchten soeben einen Ausdruck, den zurückzunehmen ich Sie bitten muß.«
»Das kann mir nicht einfallen. Sie sind Mitwisser des Ereignisses.«
»Ich versicherte Ihnen bereits bei meiner Ehre, daß ich nichts weiß.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Donnerwetter, Sie glauben meinem Ehrenworte nicht? Wissen Sie, was das zu bedeuten hat?«
»Das hat nichts zu bedeuten, als daß ich als Untersuchender dem Inculpaten keinen Glauben zu schenken brauche, ja, daß es vielmehr die größte Unvorsichtigkeit und der größte Fehler sein würde, ihm zu vertrauen.«
»Sie meinen also, daß Sie mich als Lügner betrachten?«
»Ja, das meine ich,« antwortete der Capitän kaltblütig.
»Nun, Sie wissen, daß ich Cavalier und Edelmann bin. Sie werden mir jedenfalls Genugthuung geben.«
»Fällt mir nicht ein! Sie sind jetzt weder Cavalier, noch Edelmann, sondern Untersuchungsgefangener.«
Da trat der Baron nach der Ecke des Zimmers, in welcher ein Spazierstöckchen lehnte. Er griff darnach und sagte:
»Pah! Sie sind nicht der Mann, der mich seinen Inculpaten oder Untersuchungsgefangenen nennen könnte. Ich frage Sie einfach, ob Sie mir Genugthuung geben wollen, oder nicht?«
»Fällt mir nicht ein!« wiederholte der Capitän.
»Nun, so werde ich Sie zwingen.«
Bei diesen Worten machte der Baron Miene, mit dem Stocke auf seinen Gegner einzudringen. Dieser aber trat schnell zurück, so daß der Posten sichtbar wurde, und rief:
»Halt! Einen Schritt weiter, so giebt Ihnen dieser Mann eine Kugel!«
Der Baron blieb stehen. Er besann sich und warf den Stock von sich.
»Monsieur, Sie sind ein ehrloser Feigling!« sagte er. »Aber,« fügte er rasch hinzu, »dort sehe ich Einen, welcher mir Genugthuung verschaffen muß und auch verschaffen wird.«
Der Kaiser war nämlich bereits wach geworden und trat soeben aus dem Portale. Der Baron hatte ihn erblickt und öffnete, ehe es verhindert werden konnte, das Fenster.
»Sire! Majestät!« rief er mit lauter Stimme.
In seiner gegenwärtigen Aufregung dachte er gar nicht daran, daß es eigentlich ganz unerhört sei, sich in dieser Weise an den Kaiser zu wenden. Dieser wendete sich ihm zu und trat näher. Seine Stirn verfinsterte sich.
»Ah, Baron! Was wollen Sie?« fragte er kurz und streng.
»Gerechtigkeit, Sire.«
»Sie wird Ihnen werden.«
Er machte Miene, sich umzudrehen, doch der Baron hielt ihn mit den Worten fest:
»Man hält mich ohne Recht gefangen; man dringt auf die unverschämteste Weise bei mir ein; man beleidigt meine Ehre und verweigert mir doch die Genugthuung. Ich verlange, gehört zu werden.«
Der Kaiser richtete einen finstern, beinahe starren Blick auf ihn.
»Junger Mann, Sie sind sehr kühn!« sagte er. »Ich komme selbst.«
Er hatte natürlich im Hofe gestanden, jetzt kehrte er durch das Portal zurück, um zum Baron zu gelangen.
Dieser wurde jetzt von Richemonte und Reillac vom Fenster weggerissen, aber freilich zu spät.
»Unsinniger, was wagen Sie!« rief Reillac.
»Der Kaiser, ah, der Kaiser kommt,« sagte Richemonte.
Er war todesbleich geworden. Er hatte die Bewachung der Entflohenen übernommen und fühlte fürchterliche Angst bei dem Gedanken, wie Napoleon die Kunde von ihrer Entweichung aufnehmen werde.
»Ja, er kommt,« meinte der Baron. »Ich habe ihn nicht zu fürchten.«
»Hole Sie der Teufel! Aber machen Sie sich auf das Schlimmste gefaßt, wenn Ihnen nur der kleinste Gedanke einer Mitschuld zu beweisen ist.«
In diesem Augenblicke präsentirte der Posten das Gewehr. Der Kaiser nahte. Er trat langsam ein, warf einen raschen Blick auf die drei Anwesenden und fragte dann:
»Capitän Richemonte, was ist geschehen?«
»Sire, Etwas, was ich Eurer Majestät nur auf Dero Zimmer melden kann,« antwortete der Gefragte.
»Sprechen Sie hier!« klang es kurz und befehlerisch.
Der Capitän räusperte sich in größter Verlegenheit und meldete:
»Die Gefangenen sind entflohen, Sire.«
Es ging ein schnelles, unheilverkündendes Zucken über Napoleons Gesicht.
»Welche Gefangenen?« fragte er.
»Meine Mutter und Schwester.«
Das broncene Gesicht des Kaisers wurde um einen Schein dunkler. Er trat rasch zum Fenster und blickte hinaus, als ob er irgend etwas Auffälliges da draußen bemerkt habe. Doch geschah dies nur, um seine Gefühle zu verbergen und Zeit zu gewinnen, ruhig zu erscheinen. Als er sich wieder umdrehte, war in seinen eisernen Zügen nicht die mindeste Aufregung zu bemerken.
»Wann sind sie entflohen?« fragte er.
»Während des Morgengrauens,« antwortete der Capitän. »Das zu untersuchen, begab ich mich hierher, Majestät. Ohne Beihilfe von anderer Seite wäre den Damen die Flucht unmöglich gewesen.«
»Wann hat man ihre Entfernung bemerkt?«
»Herr Baron de Reillac ist ihnen zwischen hier und Sedan begegnet.«
»Ah! Er hat sie nicht festgehalten?«
»Er hat sie nicht erkannt, da sie als Soldaten verkleidet waren.«
»Sie waren allein?«
»Nein, der Kutscher Florian begleitete sie, und der Anführer der Truppe war jener deutsche Lieutenant Königsau.«
Der Kaiser preßte die Lippen zusammen. Es dauerte eine Weile, ehe er weiter forschte:
»Hatten Sie nicht Posten vor die Thür beordert?«
»Ja, Majestät.«
»So hat dieser Mann geschlafen.«
»Schwerlich. Die Gefangenen sind mit Hilfe des Kutschers nach dem Stalle und von da in das Freie gekommen.«
»So hatte das Zimmer derselben noch einen zweiten Ausgang?«
»Allerdings, Sire.«
»Es stand kein Posten davor?«
»Nein.«
»Kannten Sie diesen zweiten Ausgang?«
Die Fragen des Kaisers folgten sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit, so daß der Capitän Mühe hatte, seine Antworten mit derselben Schnelligkeit zu geben. Jetzt aber stockte er.
»Nun, Antwort!« befahl der Kaiser streng.
»Ja, ich kannte ihn,« antwortete Richemonte gepreßt.
»Warum ließen Sie ihn nicht besetzen?«
»Weil ich ihn für unpassirbar hielt. Es waren dieselben Stufen, von denen ich selbst heruntergefallen war.«
»Was thun Sie dann hier?«
»Ich kam, um den Baron zu verhören, nachdem ich vorher auch bereits bei seiner Mutter gewesen war.«
»Was sagte die Dame aus?«
»Daß sie von nichts wisse.«
»Und Sie, Baron?«
Mit dieser Frage wendete Bonaparte sich direct an Sainte-Marie.
»Auch ich weiß von nichts,« antwortete dieser. »Ich versicherte dies dem Capitän auf Ehrenwort, als Edelmann und Cavalier: er aber nannte mich einen Lügner, und als ich Genugthuung verlangte, verweigerte er mir dieselbe, weil ich Inculpat sei.«
Der Kaiser blickte dem Capitän mit einem undefinirbaren Ausdruck in das Gesicht und fragte ihn:
»Also die beiden Posten haben ihre Schuldigkeit gethan?«
»Ja, Majestät,« antwortete er.
»Das Zimmer der Baronin hat nur den einen Ausgang, welcher bewacht wurde?«
»Ja.«
»Und dieses auch?«
»Ja, wie Majestät sich selbst überzeugen können.«
»Nun, so sind Sie allein schuld an dem Entweichen der Gefangenen, indem Sie die Treppe nicht bewachen ließen. Ich sollte Sie streng bestrafen.«
Er ließ den vor Angst fast vergehenden Capitän ein Weilchen warten; dann fuhr er fort:
»Doch ist diese ganze Angelegenheit eine so untergeordnete und gleichgiltige, daß ich davon absehe. Diese Leute mögen sich immerhin entfernt haben; es liegt nichts an ihnen. Der Baron de Sainte-Marie und seine Mutter aber sind auf alle Fälle unschuldig; der Zimmerarrest ist aufgehoben; sie sind Beide frei.«
»Majestät, ich danke!« rief der Baron. »O, ich wußte, daß mein Kaiser uns die Gerechtigkeit nicht verweigern werde.«
Napoleon beachtete diese Worte nicht; er wendete sich an Richemonte.
»Diese Angelegenheit ist also erledigt. Nehmen Sie die Posten weg und verfügen Sie sich dann nach Ihrem Zimmer. Der Baron de Reillac wird Sie begleiten.«
Er wendete sich kurz um und ging. Die Beiden folgten ihm. Als sie nach kurzer Zeit Richemonte's Zimmer betraten, meinte dieser:
»Was sagen Sie nun, Baron?«
»Ein ganz verfluchter Fall.«
»O, ich brenne vor Wuth, daß der Kaiser mir vor diesem jungen Menschen den Verweis geben mußte. Nun werden die Weiber entkommen.«
»Meinen Sie? Ich glaube es nicht.«
»Nicht? In wiefern?«
»Ich bin überzeugt, daß die Gleichgiltigkeit des Kaisers nur affectirt gewesen ist. Er hat die Absicht gehabt, den Baron und dessen Mutter sicher zu machen. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn Sie in der nächsten Minute zu ihm gerufen würden.«
»Verdammt! Aber ich möchte es auch fast glauben.«
»Natürlich! Wir sollen uns in Ihr Zimmer verfügen. Zu welchem anderen Zwecke denn, als sofort bei der Hand zu sein, wenn er schickt.«
»Ich könnte mich vor Grimm verzehren. Es ist wirklich – – –«
Er wurde unterbrochen, denn ohne daß vorher angeklopft worden war, öffnete sich die Thür und – der Kaiser trat ein.
Die Beiden standen in strammer Haltung, aber auch banger Erwartung vor ihm. Er zog die Thür zu, versicherte sich, daß sie wirklich verschlossen sei und wendete sich zuerst an Reillac:
»Baron, ich höre, daß Sie diese Margot Richemonte lieben?«
Der Gefragte verneigte sich stumm.
»Sie ist Ihre Verlobte?«
»Noch nicht, Sire.«
Die Stimme des Kaisers klang scharf und schneidend, als er antwortete:
»Sie ist es! Ihr Kaiser sagt es, und hier haben Sie meine schriftliche Bestätigung. Nehmen Sie.«
Er hatte bisher einen zusammengefalteten Bogen in der Rechten gehalten. Jetzt übergab er denselben dem Baron und fuhr dann fort.
»Die Braut ist Ihnen entflohen. Was ist Ihre Pflicht?«
»Ihr nachzueilen,« antwortete Reillac rasch.
»Allerdings. Ich hoffe, daß Sie es schleunigst thun werden!«
»Gern, Majestät! aber meine anderen so wichtigen Verpflichtungen – – –«
»Welche meinen Sie?«
»Ich bin Armeelieferant, Majestät.«
»Pah! Haben Sie Stellvertreter?«
»Die Verwaltung meines Geschäftes ist allerdings so organisirt, daß ich mich ohne Schaden eine kurze Zeit entfernen könnte.«
»So eilen Sie! Ich hoffe, daß es Ihnen gelingen wird, die Flüchtigen baldigst einzuholen. Erzählen Sie schnell, wie und wo sie dieselben getroffen haben!«
Der Baron stattete seinen Bericht ab, welchem der Kaiser mit der gespanntesten Aufmerksamkeit folgte. Dann wendete sich der Monarch mit einer raschen Bewegung zu Richemonte:
»Capitän,« sagte er in jenem Tone, welcher bei ihm so gefürchtet war.
»Sire!« antwortete Richemonte, beinahe zitternd.
»Es ist Genugthuung von Ihnen gefordert worden?«
Richemonte machte eine kurze, bejahende Verneigung.
»Sie haben dieselbe verweigert – einem Edelmanne verweigert?«
Dieselbe Verneigung. Man hätte das Herz des Capitäns klopfen hören können, so war er von Angst erfüllt.
»Sie haben Leute entkommen lassen, welche ich selbst Ihnen anvertraute. Wissen Sie, was dies heißt?«
Dem Capitän tröpfelte der Schweiß von der Stirn.
»Ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß ich Ihnen das Letztere verzeihe. Die Gegenwart des Barons von Sainte-Marie zwang mich dazu. Aber ich kann Sie kaum mehr als Officier und Ehrenmann betrachten. Schließen Sie sich der Verfolgung der Flüchtlinge an und lassen Sie sich ohne dieselben nie wieder vor mir sehen. Sind Sie in der Ergreifung derselben glücklich, so können Sie vielleicht auf eine mildere Beurtheilung Ihres Verhaltens rechnen. Sind Sie überzeugt, daß der deutsche Husarenlieutenant bei den Damen gewesen ist?«
»Ja, Majestät.«
»Bringen Sie ihn mir lebendig oder erschießen Sie ihn, sobald Sie ihn treffen. Die Damen aber muß ich auf alle Fälle haben.«
»Wir werden augenblicklich aufbrechen.«
»Aber wohin?«
»Zunächst nach Sedan, wo wir wohl erfahren werden, in welcher Richtung die Entwichenen zu suchen sind. Majestät geruhen wohl, uns die Erlaubniß zu ertheilen, die zur Verfolgung nöthigen Mannschaften zu requiriren.«
»Welch ein Gedanke!« zürnte Napoleon. »Wollen Sie zwei Frauen mit einem Reiterregimente fangen? Wollen Sie die Augen der Welt auf dieses private Unternehmen ziehen? Drei bis höchstens vier Mann genügen vollständig. Diese nehmen Sie gleich von hier mit. Wenn Sie scharf reiten, werden Sie die Frauen in kürzester Zeit einholen.«
Nach diesen Worten drehte er sich scharf auf dem Absatze herum und schritt zur Thür hinaus.
»Sehen Sie, daß ich Recht hatte?« sagte Reillac. »Er ist sogar selbst gekommen, anstatt uns zu sich zu befehlen. Nun aber zunächst diesen Bogen und seinen Inhalt kennen lernen.«
»Nein, nein!« meinte Richemonte. »Das können Sie unterwegs vornehmen. Wir müssen augenblicklich aufbrechen, denn der Kaiser wird uns scharf beobachten.«
In demselben Augenblicke schritt Napoleon auf die Treppe zu, welche nach seinen Gemächern führte, als eine Thür geöffnet und ihm gerade an den Kopf gestoßen wurde.
»Donnerwetter, wer hat – – –« rief eine zornige Stimme aus dem geöffneten Zimmer.
Zu gleicher Zeit erschien ein bärtiger Mann, welcher eine fast paradiesische Erscheinung bildete, denn er war nur mit dem Hemde bekleidet. Es war jener Dragonermajor, welchem Florian die Uniform entwendet hatte, um sie Königsau zu bringen.
Napoleon fuhr sich mit beiden Händen an den Kopf und sagte:
» Mon dieu! Wer kann so unvorsichtig sein!«
Der Mann sah, wem er die Thüre in das Gesicht geschlagen hatte.
»Alle Teufel! Der Kaiser!« rief er, auf das Heftigste erschreckt.
»Ja, der Kaiser! Ich rathe Ihnen, in Zukunft – – ah!« unterbrach er sich. »Major Marbeille!«
»Pardon, Majestät,« stotterte der Officier. »Ich suchte meine Kleidung, welche man aus irgend welchem Grunde entfernt hat.«
Napoleon hatte sich bereits in die Scene gefunden.
»Man hat sie gestohlen,« meinte er, über die vor ihm stehende Figur nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückend.
»Gestohlen! Bei Gott, den Dieb lasse ich hängen!«
»Man wird erst sehen müssen, ob er sich fangen läßt!«
»Aber, was fange ich an?«
»Leihen Sie sich einstweilen eine andere Uniform, und schließen Sie jetzt die Thür, Major.«
Bei diesen Worten schritt er davon. Der Major aber kam erst jetzt zum vollen Bewußtsein der Situation, in welcher er sich hatte überraschen lassen.
»Donnerwetter!« sagte er. »Im Hemde! Und es war der Kaiser. Ich werde sogleich nach anderen Kleidern klingeln und dann nach dem Spitzbuben forschen. Erwische ich ihn, so lasse ich ihn hängen, erschießen und rädern für die Blamage, die er mir bereitet hat.«
Er drückte seine Thür grad zur rechten Zeit zu, um nicht auch noch von Richemonte und Reillac bemerkt zu werden, welche eben jetzt vorüber schritten. Nach einigen wenigen Minuten verließen Beide den Meierhof zu Pferde, gefolgt von drei bärtigen Cavalleristen, mit denen sie in gestrecktem Galopp auf Sedan zusprengten.
Dort erfuhren sie zunächst, daß die Gesuchten hier durchgekommen seien, und am jenseitigen Ausgange der Stadt gab man ihnen dann an, daß sie die Richtung nach Bouillon eingeschlagen hatten.
Sie verfolgten natürlich dieselbe Richtung.
*