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Fortsetzung 26

Als Florian eintrat, geschah es augenscheinlich mit jener Scheu, welche ein niedrig stehender Mann gewöhnlich vor hochgestellten Personen hegt. Er verstand es, seine Rolle zu spielen.

»Sie sind der Kutscher der Baronin?« fragte ihn der Kaiser.

»Zu dienen, Majestät,« antwortete er, sichtbar ängstlich.

»Dienen Sie ihr bereits schon lange Zeit?«

»Schon viele Jahre.«

»Sind Sie mit ihr zufrieden?«

»Hm,« brummte der Gefragte verlegen.

Florian drehte seine Mütze verlegen hin und her und antwortete endlich:

»Es bleibt Manches zu wünschen übrig.«

»Man hat einen besseren Dienst für Sie, wenn Sie sich desselben würdig zeigen.«

Da hellte sich das Gesicht des Kutschers freudig auf.

»O, ich habe schon längst fort gewollt,« sagte er.

»Gut, so seien Sie einmal aufrichtig, wenn Sie sich nicht unglücklich machen wollen.«

»Der Baronin und meines Dienstes wegen mache ich mich nicht unglücklich.«

»Sagen Sie, ob Sie einen Deutschen kennen, welcher Husarenofficier ist und heimlich hier auf dem Meierhofe verkehrt.«

»Nein, ich kenne keinen, Sire.«

»Sie reden da die Wahrheit?«

»Ja.«

»Vielleicht ist dieser Mensch unter einem anderen Namen hier gewesen?«

»Das würde mir aufgefallen sein. Es haben nur stets Bekannte hier verkehrt.«

»So kennen Sie wohl einen Bekannten, oder Verwandten der Baronin, welcher Seecapitän ist?«

»Ja, den kenne ich.«

»Er ist hier auf Besuch?«

»Er war hier. Es ist der Herr, welcher heute die Marodeurs so gut bediente.«

»War er schon längere Zeit hier?«

»Einige Tage.«

»War er viel mit Mademoiselle Margot zusammen?«

Florian blickte dumm verlegen vor sich nieder.

»Hm. Ja,« antwortete er mit breitem Lachen.

»Warum lachen Sie?«

»Na, sie waren ja Liebesleute.«

»War dies allgemein bekannt?«

»Man sah es ja. Sie schnäbelten wie die Tauben.«

»Wo ist er jetzt?«

»Fort! Futsch!«

»Man bezweifelt das. Er soll hier versteckt sein?«

»Versteckt? Das fällt ihm gar nicht ein. Ich weiß das viel besser, Sire.«

»So. In wiefern wissen Sie das besser?«

»Weil er es mir gesagt hat.«

»Ah, endlich eine Spur. Was hat er gesagt?«

»Daß er entflieht.«

»Aber er hat die Flucht doch nicht sofort ergriffen?«

»Sofort.«

»Das ist kaum glaublich.«

»O, er sagte es mir selbst. Ich war, als wir an der Waldschänke standen, etwas bei Seite getreten, und da kam er zu mir. Er sagte, daß er fliehen müsse, weil – weil –«

Der Kutscher steckte in ganz schauderhafter Verlegenheit.

»Fahren Sie fort,« sagte der Kaiser. »Ich befehle Ihnen, die volle Wahrheit zu sagen. Weshalb mußte er fliehen? Was gab er an?«

Florian antwortete sehr befangen und schamhaft:

»Er sagte, er müsse fort, weil – weil – – er, weil der Kaiser die Margot für sich haben wolle und sich deshalb mit ihm gezankt habe.«

»Pah!« sagte Napoleon verächtlich und mit unbeschreiblichem Stolze.

»Ja, so sagte er,« fuhr Florian fort. »Er meinte, wenn er sich hier noch einmal sehen lasse, so sei er verloren. Er wolle aber seine Liebste und die Baronin nicht in Verlegenheit bringen; darum ergreife er auf der Stelle die Flucht.«

»Wohin?«

»Ich solle der gnädigen Frau sagen, daß er zunächst nach Luxemburg und dann nach Cöln gehe. Er verließ mich in der Richtung nach Donzy zu.«

»Sie sagen die Wahrheit?« fragte der Kaiser streng.

»Ja. Warum sollte ich lügen?«

»Weiter sagte er nichts?«

»O ja.«

»Was?«

»Daß er wiederkommen werde.«

»Wann?«

»Dann, wenn – wenn – – ich kann das nicht sagen, Majestät.«

»Warum nicht?«

»Sie werden sich ärgern.«

»Ich befehle Ihnen dennoch, es zu sagen.«

»Nun, er sagte, er werde wiederkommen, wenn – wenn – – sobald der Kaiser die richtigen Keile von den Alliirten erhalten habe.«

Ueber das Angesicht Napoleons ging ein schnelles, eigenthümliches und undefinirbares Mienenspiel. Er bezwang sich aber und fragte weiter:

»Das ist Alles, was Sie von ihm wissen und was er sagte?«

»Noch nicht Alles.«

»Was noch?«

»Noch Zweierlei. Er sagte, ich solle den Damen und dem Baron tausend Grüße bringen, Mademoiselle Margot aber tausend Küsse von ihm geben.«

Drouet lächelte belustigt; der Kaiser aber fragte, ernst bleibend:

»Und das Zweite?«

»Ich soll gut aufpassen und ihm später Alles genau sagen.«

»Aufpassen? Worauf?«

»Ob der Kaiser viel bei Margot sei, und ob er sie oft küsse.«

»Mensch, Sie sind bei Gott höchst aufrichtig!« rief Napoleon.

»Ja, das bin ich!« sagte der Kutscher sehr stolz.

Er schien den ärgerlichen Ausruf des Kaisers für ein Lob zu nehmen.

»Sie sind also überzeugt, daß er wirklich fort ist?« examinirte Napoleon weiter.

»Ja. Ich habe ihn ja gehen sehen.«

»Er kann Sie auch getäuscht haben.«

»Mich?« fragte Florian ganz erstaunt. »Der wäre mir der Kerl dazu. An mich kommt da nicht gleich Einer heran.«

»Das sieht man Ihnen an,« meinte Napoleon ironisch. »Dennoch aber ist es möglich, daß er nicht nach Donzy gegangen ist, sondern sich heimlich hier verborgen hält. Giebt es hier nicht Orte, die man als Versteck benutzen kann?«

»O, viele.«

»Wo?«

»Der Taubenschlag zum Beispiel.«

»Unsinn!«

»Ferner die Milchkammer. Da stecke ich manchmal selber.«

»Gut, gut!« rief Napoleon, nach der Thür winkend. »Sie können gehen!«

Florian schickte sich an, das Zimmer zu verlassen, drehte sich aber an der Thür noch einmal um und fragte:

»Aber die neue Stelle, Majestät? Bitte, ja nicht vergessen!«

Damit verschwand er.

Der Kaiser wendete sich mit mitleidigem Achselzucken an Capitän Richemonte:

»Sie haben uns da einen sehr schlauen Diplomaten empfohlen. Er ist ebenso bornirt, wie aufrichtig, und ich bin überzeugt, daß er uns die Wahrheit gesagt hat.«

Hätte der Kaiser geahnt, daß durch den Ventilator in der Zimmerdecke derjenige herabblickte und Alles hörte, den man so gern fangen wollte, so hätte er wohl ganz anders gesprochen. Er fuhr fort:

»Dennoch ist es sehr leicht möglich, daß der Gesuchte sich hier aufhält. Das Geheimniß, welches ihn umhüllt, muß schleunigst aufgeklärt werden. Man muß erfahren, ob jener Seecapitän und der Husarenlieutenant dieselbe Person sind, oder nicht. Ich lege diesen Auftrag in Ihre Hand, Capitän. Gehen Sie.«

»Ich bin nicht in Uniform, General,« wendete sich Richemonte an Drouet. »Darf ich zu meiner Legitimation mich eines Piquets bedienen?«

»Nehmen Sie so viele Mann, als Sie brauchen.«

Der Capitän ging.

Es jubelte ihm das Herz in der Brust. Er sah sich mit einem Male als Meister der ganzen Situation. Mutter und Schwester waren in seine Hand gegeben. Wurde Margot die Maitresse des Kaisers, so war sein Glück gemacht.

Zu gleicher Zeit hatte Napoleon ihm eine Waffe gegen den Baron Reillac in die Hand gegeben. Dieser sollte sie nicht berühren dürfen; er mußte ihn, den Capitän, von jetzt an mit Schonung behandeln, da dieser jetzt sichtlich unter dem unmittelbaren Schutze Napoleons stand.

Richemonte stieg daher in einer höchst selbstbewußten Haltung zur Wache hinab, wo er sich einige Mann aussuchte, welche ihm zu folgen hatten.

Zunächst begab er sich, nachdem er Erkundigungen über den Aufenthalt der einzelnen Personen eingezogen hatte, in das Parterrezimmer zu dem Baron.

»Kennen Sie mich, Baron?« fragte er diesen.

»Nein,« antwortete dieser, ganz erstaunt darüber, einen Menschen so ungenirt bei sich eintreten zu sehen.

»Ich bin Capitän Richemonte, der Sohn und Bruder der beiden Damen, welche sich als Ihre Gäste gegenwärtig hier befinden.«

Er hatte gehofft, den Baron sehr überrascht zu sehen. Dieser aber war von seiner Anwesenheit bereits unterrichtet, und sagte einfach:

»So! Was wünschen Sie?«

»Der Kaiser sendet mich. Sie sind mein Gefangener.«

Auch hierauf war der Baron vorbereitet.

»Ihr Gefangener?« fragte er. »Darf ich nach dem Grunde fragen?«

»Sie sind des Landesverrathes verdächtig. Sie beherbergen einen Spion bei sich.«

Der Baron zuckte geringschätzend die Achsel und meinte:

»Suchen Sie ihn hier?«

»Er wird sich schon finden, wenn auch nicht hier in Ihrem Zimmer, aber doch sicher irgendwo. Es ist am Besten, Sie legen ein offenes Geständniß ab.«

»Habe ich auch Ihre Beleidigungen mit anzuhören?« fragte der Baron scharf.

»Gut. Ich verlasse Sie einstweilen, um auch die Baronin festzunehmen. Ich bemerke Ihnen jedoch, daß ich vor Ihrer Thür ein Piquet zurücklasse. Der Mann hat Auftrag, auf Sie zu schießen, sobald Sie den Versuch machen sollten, Ihr Zimmer zu verlassen.«

»Ich habe keine Veranlassung, zu fliehen. Gehen Sie.«

Richemonte fühlte, daß es ihm ganz und gar nicht gelungen sei, dem jungen Manne zu imponiren. Dies brachte ihn zu dem Vorsatze, sich auf alle Fälle Respect zu verschaffen. Er begab sich zur Baronin und trat bei derselben in einer Haltung ein, welche sofort zu erkennen gab, daß er in einer feindseligen Absicht komme. Sie war von seinem Kommen bereits unterrichtet, that aber so, als ob sie nichts davon wisse. Er hatte es vorgezogen, unangemeldet einzutreten. Sie blickte ihn daher befremdet an und sagte:

»Mein Herr, Sie scheinen irre gegangen zu sein. Sie suchen jedenfalls irgend einen meiner Domestiken.«

Er lächelte überlegen und antwortete:

»Sie selbst sind es, welche irrt, nicht aber ich bin es. Sie sind die Baronin de Sainte-Marie?«

»Ja.«

»Nun, zu Ihnen will ich. Sie sehen also, daß ich nicht irre gegangen bin.«

»So beklage ich es, daß Sie sich nicht zuvor an meinen Diener gewendet haben. Ich pflege nur solche Personen zu empfangen, welche die mir gebührende Höflichkeit und Rücksicht besitzen, sich bei mir anmelden zu lassen. Die gegenwärtige Audienz ist also zu Ende, noch bevor sie begonnen hat.«

Sie drehte sich um und stand im Begriff, in das Nebenzimmer zu gehen.

»Halt!« rief er ihr da zu. »Sie bleiben!«

Dieser Ton war so gebieterisch, daß sie erstaunt stehen blieb, ihm den stolzesten ihrer Blicke zuwarf und dann sagte:

»Was fällt Ihnen ein? Sie sprechen mit der Gebieterin dieses Hauses!«

»Sie waren das bis jetzt; von diesem Augenblicke an aber sind Sie es nicht mehr!«

»Ah!«

Diese eine Silbe durchlief die Stufenleiter aller der Baronin zur Verfügung stehenden Töne, vom tiefsten bis zum höchsten hinauf. Es drückte sich in dieser Tonfolge das verachtungsvolle Staunen aus.

»Ja,« fuhr er fort. »Thun Sie noch so stolz; Ihre Herrschaft hier ist doch zu Ende.«

»Wer sind Sie?« fragte sie kalt und streng.

»Jedenfalls ist ihnen mein Name nicht unbekannt. Ich bin der Capitän der kaiserlichen Garde; mein Name ist Richemonte.«

»Richemonte?« sagte sie kopfschüttelnd. »Ich kenne Sie nicht.«

»So beeile ich mich, Ihrem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen, Madame. Es befinden sich als Ihre Gäste zwei Damen bei Ihnen, welche auch Richemonte heißen?«

»Allerdings.«

»Nun, ich bin der Sohn der Einen und der Bruder der Anderen.«

Die Baronin simulirte die Miene des Nachdenkens und antwortete:

»Ich besinne mich allerdings, von Frau Richemonte gehört zu haben, daß sie einen Stiefsohn besitze; doch ist das Verhältniß zwischen ihr und ihm nicht ein solches, daß mir seine Gegenwart lieb sein könnte, zumal wenn er sich den Zutritt auf eine Art und Weise erzwingt, welche allen Regeln der gesellschaftlichen Ordnung entgegen ist.«

»Und doch werden Sie sich meine Gegenwart gefallen lassen müssen,« sagte er mit Nachdruck. »Sie können nicht das Mindeste dagegen thun.«

»Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß mir mein Hausrecht nicht zustehe?«

»Ja, gerade dies will ich sagen. Ich komme nämlich in amtlicher Eigenschaft zu Ihnen.«

»Ah! Haben Sie vielleicht den Grad eines Capitäns mit demjenigen eines Dorfbüttels vertauscht? Ihr Auftreten läßt dies allerdings vermuthen.«

Das war ihm denn doch zu viel. Er fletschte die Zähne; aber er bezwang sich in der Hoffnung eines endlichen Triumphes doch noch und antwortete:

»Ich stehe als der Bevollmächtigte des Kaisers vor Ihnen und ersuche Sie dringend, sich derjenigen Höflichkeit zu befleißigen, welche ich als solcher zu fordern habe. Das Gegentheil könnte sehr zu Ihrem Schaden ausfallen.«

»Als Bevollmächtigter des Kaisers? Wo ist Ihre Vollmacht?«

»Ich habe ganz und gar nicht nöthig, Ihnen ein schriftliches Document vorzuzeigen. Meine Vollmacht steht vor der Thür.«

Er öffnete die Thür und ließ die Soldaten sehen, welche draußen standen.

»Das genügt allerdings,« erklärte die Baronin. »Nur bin ich sehr begierig, zu erfahren, welchem Umstande ich es zu verdanken habe, daß Seine Majestät mich mit Ehrenposten auszeichnet.«

»Wenn Sie diese Leute für Ehrenposten halten, so befinden Sie sich in einem ganz bedeutenden Irrthum. Es sind vielmehr Sicherheitswächter, welche die Aufgabe haben, die Flucht meiner Gefangenen zu verhindern.«

»Soll das etwa heißen, daß ich Ihre Gefangene bin?«

»Ja.«

»Sie setzen mich da in das größte Erstaunen. Ich ersuche Sie natürlich, mir die Gründe dieses Verhaltens anzugeben.«

»Der Grund ist ein sehr ernster. Er heißt Landesverrath.«

»Sie scherzen! Welches Land sollte ich verrathen haben?«

»Frankreich!«

»Frankreich? Sie fabuliren!«

Sie begleitete diese Worte mit einem lustigen, sorglosen Lachen. Er aber zog die Brauen finster zusammen und antwortete:

»Lachen Sie nicht! Sie beherbergen heimlich einen Feind des Vaterlandes. Das ist natürlich Landesverrath und wird mit dem Tode bestraft.«

»Einen Feind des Vaterlandes? Wer sollte dies sein?« fragte sie erstaunt.

»Es ist ein gewisser Königsau, preußischer Husaren-Lieutenant.«

»Ich wiederhole, daß Sie fabuliren.«

»Pah! Dieses Fabuliren kann Ihnen sehr leicht den Kopf kosten! Wo haben Sie den Menschen versteckt?«

»Ihre Frage ist eine mehr als zudringliche!«

»Wenn Sie keine Antwort geben, werde ich suchen müssen.«

»Suchen Sie!«

»Wohlan, zeigen Sie mir Ihre Gemächer!«

»Sie dürfen nicht erwarten, daß ich die Führerin eines Capitän Richemonte mache. Sehen Sie selbst.«

»Nehmen Sie sich in Acht, daß Sie ihr Verhalten nicht zu beklagen haben! Ich bin den Ton nicht gewöhnt, welchen Sie jetzt gegen mich anschlagen. Ich werde suchen.«

»Aber nichts finden.«

»Wollen Sie uns wirklich glauben machen, daß der sogenannte Retter des Kaisers ein Seemann und Ihr Verwandter sei?«

»Was Sie glauben oder bezweifeln, ist mir vollständig gleichgiltig. Mein Cousin hat allerdings den Kaiser gerettet. Welcher Dank ihm dafür wird, das ist nicht meine, sondern des Kaisers Sache.«

Richemonte öffnete sich nun selbst die Zimmer, welche die Baronin bewohnte und durchsuchte dieselben sehr genau; aber er fand natürlich den Gesuchten nicht.

»Man konnte sich allerdings denken, daß eine ältere Dame nicht so glücklich ist, einen Husarenlieutenant bei sich verstecken zu dürfen,« sagte er mit giftigem Hohne. »Ich hoffe, ihn bei einer jüngeren zu finden.«

Die Baronin zuckte die Achsel, ohne ihm ein Wort zu entgegnen.

»Mein Besuch bei Ihnen ist beendet,« fuhr er fort.

»Das ist mir sehr lieb!« fiel sie ihm in das Wort.

»Wir sind trotzdem noch nicht mit einander fertig,« fuhr er im Tone der Ueberlegenheit fort. »Ich habe Ihnen zu sagen, daß Sie meine Gefangene sind.«

»Im Auftrage des Kaisers?«

»Allerdings.«

»Ich finde eine solche Vergeltung der Gastfreundschaft keineswegs kaiserlich!«

»Die Schuld liegt an Ihnen. Ich verbiete Ihnen, Ihr Zimmer zu verlassen. Ich lasse einen Posten zurück, welcher den strengen Befehl hat, auf Sie zu schießen, sobald es Ihnen beikommen sollte, meinem Gebote entgegen zu handeln.«

»Ich muß mich fügen, behalte mir aber das Recht der Beschwerde vor und hoffe, daß Sie mich jetzt verlassen.«

»Mit größtem Vergnügen, Madame. Eine Hochverrätherin ist ja durchaus keine passende Gesellschaft für einen anständigen Officier.«

Er ging und gab einem der Soldaten den Befehl, die Baronin zu bewachen. Mit den übrigen Leuten begab er sich nach den Zimmern, welche Frau Richemonte und Margot angewiesen worden waren.

Auch dort wurde er bereits erwartet.

Florian, der treue Kutscher, hatte, sobald er vom Kaiser entlassen worden war, sofort durch seinen Stall hindurch das Zimmer Königsau's aufgesucht. Nach Wegnahme der sehr leicht zu entfernenden Treppenleiter, welche auf das Dach zu dem Deutschen führte, schaffte er dieselbe in den Garten, wo ihr Zweck nicht errathen werden konnte, selbst wenn sie gefunden werden sollte. Sodann machte er sich an die unteren Stufen, welche aus dem Verschlage des Stalles nach oben führten. Er entfernte auch sie und schaffte allerlei Dünger und Streu dorthin, wo sie sich befunden hatten.

»So,« brummte er vergnügt; »wenn es dem Kerl einfällt, da oben nachzusuchen, so mag er sehen, wie es riecht, wenn man die Nase in Dinge steckt, die Einem nichts angehen.«

Dann verschloß er den Verschlag und stellte sich auf die Lauer.

Richemonte fand das Zimmer seiner Stiefmutter leer. Sie saß bei Margot, als er dort eintrat.

»Guten Abend, Mama,« grüßte er höhnisch. »Eine ganz außerordentliche Ueberraschung. Nicht wahr?«

Er hatte allerdings erwartet, sie ganz und gar betroffen zu sehen, und darum wunderte er sich, in den Gesichtern der beiden Damen nur den Ausdruck verächtlicher Abneigung lesen zu können.

»Was willst Du?« fragte Frau Richemonte.

»Zunächst allerdings nur Euch,« antwortete er. »Ich habe, seit ich Euch vermißte, so außerordentliche Sehnsucht nach Euch gehabt, daß meine Freude, Euch endlich wiederzufinden, eine um so größere ist. Wie geht es Euch?«

Margot lag noch im Bette. Sie drehte sich hinum, ohne ihm zu antworten. Sie nahm sich vor, kein Wort mit ihm zu sprechen.

»Treibe keine Comödie!« sagte ihre Mutter zu ihm. »Ich wiederhole meine Frage: Was willst Du?«

»Euch sehen und begrüßen natürlich, wiederhole auch ich.«

Bei diesen Worten nahm er auf einem Stuhle Platz, und zwar mit einer Miene, als ob er mit den Damen auf dem freundschaftlichsten Fuße stehe.

»Du siehst uns, was nun weiter?« fragte die Mutter.

»Ich möchte vor allen Dingen wissen, warum Ihr Paris verlassen habt?«

»Sehr einfach, weil es uns dort nicht mehr behagte.«

»Das ist mir neu! Ich dachte im Gegentheile, daß Ihr Euch in der Hauptstadt außerordentlich wohl befändet. Es gab dort so liebe und angenehme Unterhaltung.«

»Rechnest Du Mordanfälle und Menschenräuberei zu den Arten, sich angenehm zu unterhalten?«

»Gewiß!« lachte er. »Uebrigens weiß ich nicht, wovon Du sprichst und was Du meinst. Wie steht es mit der berühmten Verlobung mit jenem Lieutenant von Königsau?«

»Das ist Margots Sache.«

»Allerdings, denn sie ist ja mit ihm durchgebrannt!«

»Schweig, Unverschämter! Du selbst weißt am Besten, was uns fortgetrieben hat.«

»Die Liebe, Mama, die Liebe!« lachte er. »Und ebenso ist es die Liebe, welche mich heute zu Euch führt, nämlich die Kindes- und Geschwisterliebe.«

Das Gesicht seiner Mutter röthete sich vor Zorn.

»Entweihe die heiligsten Gefühle des Menschenherzens nicht dadurch, daß Du von ihnen sprichst!« rief sie. »Wann hätte Dein Herz je Liebe gefühlt?«

»Jetzt zum Beispiel, liebe Mama,« antwortete er. »Die Liebe zu Euch treibt mich, Euch aufzusuchen. Ich habe Euch vor einer großen Gefahr zu warnen und auf ein noch größeres Glück hinzuweisen.«

»Wenn Du es bist, der dieses sagt, so ist die Gefahr ein Glück für uns und das Glück eine Gefahr.«

»Du täuschest Dich vollständig, liebe Mama. Ich komme nicht in meinem Interesse, sondern als Unterhändler des Kaisers zu Euch.«

»Seine Majestät hat nicht nöthig, einen Unterhändler zu senden.«

»Ah! Der persönliche Besuch wäre Euch wohl also angenehmer?«

»Jeder Besuch ist uns angenehmer als der Deinige. Aber die Angelegenheit, in welcher Du zu kommen scheinst, ist bereits erledigt.«

»Wieso?«

»Deine Frage ist zudringlich, behalte sie für Dich! Wir haben uns von Dir getrennt. Wir interessiren uns ferner nicht mehr für Deine Angelegenheiten, und so erwarten wir ganz entschieden, daß Du Dir auch die unserigen vollständig gleichgiltig sein läßt.«

»Das ist sehr deutlich gesprochen, leider nur nicht den Verhältnissen angemessen, welche zu berücksichtigen Ihr auf alle Fälle gezwungen seid.«

»Von welchen Verhältnissen sprichst Du?«

»Erstens davon, daß der Wille eines Kaisers zu berücksichtigen ist.«

»Und zweitens?«

»Zweitens, daß ich seit einer halben Stunde Etappencommandant des Meierhofes Jeanette bin.«

»Ah! Wer hat Dich dazu gemacht?«

»Der Kaiser selbst,« antwortete der Gefragte in stolzem Tone.

»So denke ja nicht, daß dies eine Belohnung Deiner Verdienste ist. Der Kaiser braucht ein Werkzeug, und Du wirst es sein, jedoch vergeblich. Wir werden Deinen Plänen hier ganz denselben Widerstand entgegensetzen wie in Paris.«

»Gut! Ihr sprecht von meinen Plänen. Als ein Mann habe ich den Muth, Euch einzugestehen, daß ich Pläne habe, und zwar Pläne mit Margot. Sie ist meine Schwester, und ich darf von ihr fordern, daß sie ihr Möglichstes thut, mich avanciren zu machen. Der Kaiser widmet ihr eine mehr als gewöhnliche Theilnahme, und diese Theilnahme soll sowohl zu ihrem, als auch zu meinem Glücke ausgenutzt werden. Leistet sie diesem Plane Widerstand, so muß sie es sich gefallen lassen, wenn ich meine brüderliche Gewalt in Anwendung bringe. Und das würde ich ganz sicher thun!«

»Es ist Dir zuzutrauen, doch fürchten wir Dich nicht.«

»Nicht?« fragte er höhnisch. »O, meine Gewalt ist größer und bedeutender, als Ihr vielleicht meint.«

»Du überschätzest Dich! Der Kaiser selbst muß Margot schützen.«

»Allerdings. Er hat sie und Dich ja bereits meinem Schutze empfohlen.«

»Wir verzichten auf diesen Schutz.«

»Ich möchte wissen, wie Ihr das anfangen wollt! Hofft Ihr vielleicht auf die Hilfe Eures Königsau? Pah! Er ein Lieutenant, und Napoleon, der mächtige Kaiser der französischen Nation!«

»Noch ist sein Thron nicht wieder befestigt.«

»Hofft Ihr etwa darauf, daß er geschlagen wird? Ich gebe Euch mein Wort, daß dieser tölpelhafte Marschall »Vorwärts« nicht zum zweiten Male nach Paris kommt. Der Feldzug ist bereits im Beginn. Die Feinde Frankreichs werden von uns niedergemäht werden wie Gras. Uebrigens wird Königsau gar nicht gegen uns kämpfen. Er wird als Spion von uns aufgehängt werden, noch ehe der erste Schuß gefallen ist.«

»Versuche, ob Du aus dieser Drohung Wahrheit machen kannst!«

»Ich stehe soeben im Begriff, es zu thun. Wo habt Ihr ihn versteckt?«

»Wen?«

»Königsau, Margots Seladon.«

»Ah, Du vermuthest ihn hier auf dem Meierhofe? Lächerlich!«

»Ihr wollt mir doch nicht etwa glauben machen, daß Eure List der meinen überlegen ist?«

»Glaube, was Du willst!«

»Wohl! Ich glaube, daß jener Capitän aus Marseille niemand anderes ist als Königsau. Er ist hier versteckt und ich werde ihn finden.«

»Suche ihn!«

»Das werde ich allerdings thun. Ich mache Euch aber darauf aufmerksam, daß es besser für Euch ist, wenn Ihr ihn mir freiwillig überliefert.«

»Das würden wir nicht thun, selbst wenn er bei uns versteckt wäre.«

»So erkläre ich Euch, daß Ihr bis auf Weiteres meine Gefangenen seid und ohne meine ausdrückliche Erlaubniß Eure Zimmer nicht verlassen dürft.«

»Wir lachen darüber!«

»Lacht immerhin! Um Euch zu zeigen, daß ich keinen Scherz mache, werde ich einen Posten vor der Thür lassen. Er hat den Befehl, auf Euch zu schießen, sobald Ihr den Austritt erzwingen wollt.«

Da trat seine Mutter auf ihn zu und fragte flammenden Auges:

»Dies ist Dein Ernst?«

»Mein völliger,« antwortete er kalt.

»Du willst uns, Deine nächsten Verwandten, in Banden schlagen?«

»Ihr zwingt mich ja dazu!«

»So mag der Himmel Dich dafür strafen! Wir sagen uns von Dir los; wir erklären Dich für den herzlosesten Bösewicht auf der Erde und werden Gott bitten, Dich unschädlich zu machen.«

»Das klingt sehr dramatisch, liebe Mama. Das ist ein ganz hübscher Theatercoup. Nur schade, daß wir uns nicht auf der Bühne befinden. Euer Gott wird mir wohl nicht sehr gefährlich werden. Ich handle für den Kaiser, und dieser ist's, der die Macht in den Händen hat.«

»Gottloser Lästerer! Die Strafe wird Dich sicherlich ereilen!«

»Ich werde das ruhig abwarten. Zunächst aber werde ich mich hier bei Euch ein wenig umschauen.«

Er untersuchte die beiden Zimmer sehr genau, doch ohne eine Spur von Königsau zu finden. Da bemerkte er die Thür, welche nach dem Zimmer ging, in welches der Lieutenant von dem Kutscher gebracht worden war.

»Wohin führt diese Thür?« fragte er.

»Ich weiß es nicht,« antwortete die Mutter.

»Das willst Du mich glauben machen? Ihr wollt nicht wissen, was hinter diesem Eingange versteckt ist?«

»Er war von der anderen Seite verschlossen.«

»Ah, ein Eckzimmer, allem Anscheine nach, und von Innen verschlossen! Ich vermuthe, auf der richtigen Fährte zu sein. Man wird öffnen müssen.«

Er klopfte an, aber es ertönte keine Antwort.

»Wer ist da drüben?« fragte er laut.

Es antwortete jetzt ebenso Niemand wie vorhin.

»Nun, so wollen wir sehen, wie fest dieses Schloß sein wird.«

Er drückte auf die Klinke. Sie gab nach, und die Thür öffnete sich.

»Ah, also doch nicht verschlossen! Du hast mich belogen, Mutter! Das kommt mir verdächtig vor. Ich werde da drüben genau nachforschen.«

Er rief einen der Soldaten zu sich und nahm die Lampe.

Als sie in den Nebenraum traten, bemerkten sie zwar die wenigen Meubles, es aber befand sich Niemand da. Die Dachöffnung war so gut verschlossen, daß sie nicht entdeckt wurde.

»Leer!« sagte er. »Aber da ist noch eine Thür. Wohin führt sie?«

Er gab dem Soldaten die Laterne und öffnete.

»Das ist ein Stroh- oder Heuboden,« meinte Richemonte. »Wir befinden uns über dem Stalle. Hier giebt es ein Versteck.«

Er ließ sich leuchten und suchte. Er fand die schmale Treppe, welche abwärts nach Florians Stallverschlag führte.

»Hier geht es hinunter. Hier ist er hinab. Rasch, ihm nach!«

Während der Soldat mit der Lampe hinter ihm herschritt, stieg er so rasch wie möglich die Stufen hinab. Eine – zwei – drei – vier – – da waren sie plötzlich alle. Florian hatte ja die untersten Stufen weggenommen. Richemonte wollte fest auftreten, trat aber in die Luft und verlor das Gleichgewicht und den festen Halt.

»Tausend Donner!« rief er.

Es gelang ihm nicht, einen festen Gegenstand zu erfassen. Er schoß hinab und stürzte auf eine weiche, zähe Masse, welche einen sehr üblen Geruch ausströmte.

»Alle Wetter, wo bin ich da?« rief er. »Leuchte einmal herab!«

Der Soldat knieete nieder und hielt die Lampe so weit wie möglich herunter. Es ließ sich nicht viel erkennen, dennoch aber rief Richemonte:

»Es fehlt der niedere Theil der Treppe, und ich bin in die Dunge gestürzt. Binde die Lampe an den Säbelriemen und laß sie mir herab. Ich fühle keinen Ausgang hier.«

Der Soldat gehorchte, und als der Verunglückte nun die Lampe hatte, bemerkte er die Thür, welche aus dem Verschlage nach dem Stalle führte.

»Jetzt werde ich frei,« rief er nach oben. »Gehe zu Deinen Kameraden zurück, und warte, bis ich Dich abhole.«

Der gute Florian Rupprechtsberger hatte bisher in seinem Stalle versteckt gelegen. Ein großer Hund befand sich bei ihm. Als dieser zuerst das Geräusch und sodann die fremde Stimme hörte, stieß er ein leises, drohendes Knurren aus.

»Still!« sagte der Kutscher leise zu ihm. »Du verdirbst sonst Dir und mir den Spaß.«

Jetzt öffnete Richemonte die Thür, welche zu dem Verschlage führte, und trat in den Stall. Er bemerkte weder den Knecht noch den Hund, da diese Beiden versteckt in der Ecke lagen.

»Jetzt faß ihn, und wirf ihn recht hübsch ins Weiche!« flüsterte der Kutscher.

Da fuhr der Hund, ohne einen Laut von sich zu geben, auf den Capitän los und warf ihn nieder. Der Ueberfallene stieß einen lauten Schrei aus; wagte aber nicht, denselben zu wiederholen, da er die Zähne des Hundes an der Kehle fühlte. Er ahnte, daß das Thier bei der geringsten Bewegung oder beim ersten Laute zubeißen werde.

Als Florian sich überzeugt hatte, daß der Franzose sich in so guten Händen befinde, und daß die Laterne ausgelöscht sei, ohne Etwas anzubrennen, schlich er sich geräuschlos aus seiner Ecke hervor, öffnete die Thür, welche nach dem Garten führte und verließ durch dieselbe den Stall, ohne von Richemonte bemerkt worden zu sein. Von dem Garten aus konnte er leicht den Hof erreichen, ohne daß Jemand geahnt hätte, daß er sich vorher im Stalle befunden hatte.

Napoleon erwartete mit Ungeduld das Ergebniß der Nachforschung des Capitäns, doch konnte er sich seinen Pflichten nicht entziehen. Es befanden sich jetzt die beiden Marschälle und Drouet bei ihm. Aus dem Hauptquartier zu Sedan war ein Adjutant nach dem Meierhofe gekommen und hatte außerordentlich wichtige Depeschen gebracht. Nun wurde großer und geheimer Kriegsrath gehalten. Aber so geheim, wie diese Herren dachten, war die Unterredung denn doch nicht. Droben vor dem Schalloche lag Königsau auf dem Dache und hörte jedes Wort, welches hier unten gesprochen wurde. Er wurde auf diese Weise Zeuge des großen Feldzugsplans, welcher entworfen wurde. Napoleon zeigte sich in demselben als der alte, nur schwer zu besiegende Meister der Schlachten und als ein feiner Kenner der Verhältnisse und Personen, denen er gegenüberstand.

Die Verhältnisse zeigten sich so dringlich, daß der sofortige Abmarsch beschlossen wurde. Auch Napoleon selbst wollte bereits nach kurzer Nachtruhe aufbrechen und sich nach Maubeuge begeben, um seine Truppen dort zu concentriren. Ney ritt nach beendigtem Kriegsrathe sofort nach Sedan, um seine Maßregeln schleunigst und persönlich zu treffen.

Der Adjutant hatte auf diese Weise eine plötzliche Bewegung in die gegenwärtige Bewohnerschaft des Meierhofes gebracht. Auch Drouet war zum baldigen Aufbruche bereit. Boten kamen und gingen während der ganzen Nacht; eine Ordonnanz folgte der anderen und kein Mensch hätte am vorigen Tage gedacht, daß der kleine Meierhof Jeanette jetzt der Ort sein werde, an welchem diejenigen Pläne geboren wurden, von denen das ganze Europa abhängig war.

Napoleon dachte, sobald er seiner Pflicht als Feldherr genügt hatte, sogleich an Capitän Richemonte. Er wunderte sich, denselben nicht bereits wieder bei sich zu sehen, und darum sandte er nach ihm.

Der Bote kehrte bald mit der Meldung zurück, daß der Capitän nirgends zu sehen sei. Darum wurden ernste Nachforschungen nach ihm angestellt, welche zur Folge hatten, daß man ihn endlich im Stalle unter den Zähnen des Hundes fand.

»Schießt die Bestie nieder!« meinte einer der Soldaten, indem er sich anschickte, sein Gewehr zu holen.

»Um Gotteswillen, nein,« meinte ein Zweiter, welcher vorsichtiger war als sein Kamerad.

»Warum nicht?« fragte der Erstere. »Wie wollen wir den Hund wegbringen? Unserem Rufen gehorcht er nicht, und ihn anfassen und wegziehen? Brrrr! Ich mag das nicht versuchen.«

»Der Hund würde den Capitän sofort todtbeißen, sobald man eine Waffe auf ihn richtete. Man muß einen Mann suchen, dem er gehorcht.«

Da trat einer der Knechte hinzu und sagte:

»Er gehorcht keinem Anderen als nur dem Kutscher Florian.«

»Wo ist dieser?«

»Ich weiß es nicht.«

»Man muß ihn schleunigst holen.«

Erst nach längerer Zeit gefiel es dem schlauen Florian, sich finden zu lassen. Er wurde herbei gebracht, wo vor und in dem Stalle eine ganze Menge von Menschen stand, um sich das Schauspiel mit anzusehen.

»Was ist denn los?« fragte er gemächlich. »Man sagt mir, daß mein Hund einen Capitän am Kragen habe.«

»Ja,« antwortete man. »Rufe das Thier zurück.«

»Nur langsam, langsam. Erst muß man sich den Capitän doch einmal ansehen, um zu wissen, ob man sich nicht vielleicht irrt.«

»Kerl, Du hast gar nicht zu zaudern!« rief derjenige, welcher vorhin vom Todtschießen gesprochen hatte. »Oder willst Du einen Capitän der alten Garde unter den Zähnen Deines Hundes sterben lassen?«

»Ich glaube nicht an diesen Capitän. Ein Capitän der alten Garde schleicht sich nicht heimlich wie ein Dieb in die Stallungen anderer Leute.«

»Und doch ist es so! Man wird das Thier erschießen, zur Strafe dafür, daß es sich an einem Officier des großen Kaisers vergriffen hat.«

»Pah! Mein Hund hat seine Pflicht gethan. Wer sich an ihm vergreifen will, der hat es mit seinen Zähnen und mit mir zu thun. Merkt es Euch: er ist ein echter Pyrenäenhund, stark wie ein Bär, klug wie ein Fuchs und geschwind wie der Blitz. Ich rathe Euch, keine Dummheiten zu machen.«

Er nahm einem der Knechte die Laterne aus der Hand und schritt auf die Gruppe zu, welche eine so große Aufmerksamkeit auf sich zog.

Als der Hund seinen Herrn erkannte, wedelte er mit dem Schwanze, nahm aber seinen Rachen nicht von der Gurgel des Capitäns weg.

»Holla, Tiger, wen hast Du denn da gefangen?« fragte der Kutscher, indem er sich zu dem am Boden Liegenden niederbog. »Alle Teufel! Es ist wahr! Das ist ja Capitän Richemonte! Geh fort, Tiger. Dieser Mann ist kein Spitzbube, sondern ein ebenso tüchtiger Kerl wie Du!«

Auf dieses Commando ließ der Hund gehorsam von seinem Gefangenen ab und zog sich zurück. Richemonte erhob sich langsam und taumelnd. Er war mehr todt als lebendig, und tiefe Blässe bedeckte sein Gesicht.

»Schießt das Scheusal nieder!« waren seine ersten Worte.

»Ich rathe Ihnen Gutes!« antwortete der Kutscher. »Der Hund ist dressirt, bei der geringsten feindseligen Bewegung auf den Mann zu springen. Aber, zum Teufel, wie kommen Sie in diesen Stall?«

»Ich suchte nach dem Flüchtlinge.«

»Der soll hier sein? Ich habe ja dem Kaiser bereits gesagt, daß er jetzt schon weit fort ist! Und wie sehen Sie aus, Capitän!«

»Ich bin von oben herabgestürzt.«

»Wo, von oben?«

»Von der verdammten Treppe da drin in dem Verschlage.«

»Alle Teufel! Wie kommen Sie da hinauf? Es giebt ja nur eine halbe Treppe dort! Aber so ist es, wenn ehrlichen Leuten nicht geglaubt wird. Nun sehen Sie aus, wie – wie – – na, und wie! Und nun riechen Sie mir – wie – – na, und wie!«

»Und dabei sollen Sie sofort zum Kaiser kommen!« sagte der Bote, welchen Napoleon gesandt hatte.

»Zum Kaiser? Mein Gott, was thue ich da?«

»Nun, Sie gehen herein in das Wachtlocal, reinigen sich schnell und ziehen einstweilen die Uniform eines Soldaten an. Ich werde unterdessen dem Kaiser melden, welcher Unfall es Ihnen unmöglich macht, sofort zu erscheinen.«

Dies geschah. Die neugierige Menge verlief sich schnell, und als Florian sich mit seinem Hunde allein sah, strich er ihm liebkosend über das Fell und sagte:

»Das hast Du gut gemacht, Tiger! Der Kerl wird eine wirkliche Todesangst ausgestanden haben, und das kann ihm gar nichts schaden.«

Einige Zeit später stand Richemonte vor dem Kaiser. Dieser empfing ihn mit einem seiner ironischen Blicke, von denen Keiner gern getroffen wurde, und sagte unter einem leisen Lächeln:

»Sie sind Märtyrer unserer Sache geworden, wie ich höre, Capitän?«

»Allerdings, Sire, nur nicht in einer sehr religiösen Weise.«

»Ich bemerke freilich, daß Sie in einem keineswegs heiligen Geruche stehen. Welches Ergebniß haben Ihre Nachforschungen gehabt?«

»Bisher leider noch keins. Ich wurde durch den Unfall verhindert, meine Nachforschungen fortzusetzen.«

»Bei wem waren Sie?«

»Zunächst beim Baron.«

»Was sagte er?«

»Er leugnete. Ich habe mir erlaubt, ihm Zimmerarrest zu geben und einen Posten vor seine Thür zu stellen.«

»Gut. Weiter!«

»Sodann suchte ich seine Mutter auf. Auch sie leugnete.«

»Gaben Sie auch ihr Arrest?«

»Ja.«

»Hm! Man hätte das lieber umgehen sollen. Sie ist die Dame des Hauses, und ich bin ihr Gast. Wohin begaben Sie sich dann?«

»Zu Margot.«

Das Gesicht des Kaisers belebte sich.

»Wie fanden Sie die junge Dame?« fragte er mit sichtlichem Interesse.

»Sie hütete das Bett. Die Mutter war bei ihr.«

»Was sagte sie auf Ihre Erkundigungen?«

»Margot hat kein Wort gesprochen.«

Das Gesicht Napoleons verfinsterte sich wieder.

»Sie scheint einen sehr ausgeprägten Character und einen starken Willen zu haben,« sagte er. »Die schönste Zierde des Weibes aber ist Sanftmuth, Milde und ein weiches, biegsames Gemüth. Welche Auskunft gab Ihnen die Mutter?«

»Gar keine. Sie gestand weder Etwas, noch leugnete sie.«

»Ah! Auch stolz! Sollte die Schuld an dem Boten liegen?«

»An mir? O, nein, Sire!«

»Vielleicht doch! Sie stehen mit den Damen auf einem sehr feindseligen Fuße; da wird es schwierig sein, Concessionen zu erlangen.«

»Ich verpfände meine Ehre, Sire, daß die Damen mir doch noch gehorchen werden. Es gilt ja nur, den Einfluß jenes Deutschen zu brechen, und diese Aufgabe ist eine sehr leichte.«

»Glauben Sie auch jetzt noch an seine Anwesenheit?«

»Ich bin irre geworden.«

»In wiefern?«

»Befände er sich noch hier, so hätte ich bei den Damen ganz sicher wenigstens einige Unruhe bemerkt.«

»Und dies war nicht der Fall?«

»Nicht im Geringsten.«

»Kein jähes Erröthen, kein Erbleichen, keine heftige Zuckung mit der Hand, oder irgend einem andern Gliede, als Sie sagten, daß Sie nach ihm suchen würden?«

»Nein, keins von diesen Anzeichen, Sire.«

»Wohin begaben Sie sich dann?«

»In dem Zimmer Margots gab es eine Thür, welche in einen Nebenraum führte. Ich trat dort ein und gelangte auf einen Stallboden, welcher sich recht gut zu einem Verstecke zu eignen schien; aber es befand sich kein Mensch dort.«

*


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