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Fortsetzung 30

Die Verfolger kamen viel schneller vorwärts als Königsau, welcher die Damen hatte berücksichtigen müssen. In verhältnißmäßig kurzer Zeit erreichten sie Bouillon. Jenseits dieses Ortes erblickten sie zwei Personen auf einer Wiese. Dort hielten sie an.

»Seid Ihr von hier?« fragte Richemonte.

»Ja, Monsieur,« antwortete der Mann.

»Wer seid Ihr denn?«

»Ich bin der Besitzer des Gasthauses dort, und das ist meine Frau.«

»Wie lange arbeitet Ihr heute bereits hier?«

»Seit zwei Stunden.«

»Sind keine Reiter hier vorüber gekommen?«

»Ja, doch.«

»Wie viele?«

»Vier waren es.«

»Soldaten?«

»Drei Soldaten; einer von den Dragonern und zwei Gemeine.«

»Wer war der Vierte?«

»Das muß ein Landsmann gewesen sein.«

»Ist Euch an diesen Leuten nichts aufgefallen?«

Der Mann blickte seine Frau und sie ihn an.

»Soll man es verrathen?« flüsterte er.

»Hm! Wer weiß denn, was das Klügste ist,« antwortete sie ebenso leise, wie er gesprochen hatte.

Richemonte bemerkte ihr Flüstern und ihre Ungewißheit, und sagte:

»Ich bin ein Abgesandter des Kaisers. Ihr habt mir die Wahrheit zu sagen, wenn Ihr nicht in Strafe kommen wollt. Also, ist Euch nicht etwas Ungewöhnliches an diesen Reitern aufgefallen?«

»Ja, doch,« antwortete der Mann zögernd.

»Was?«

»Einer von den Soldaten war ein Mädchen.«

»Ah! Woher wißt Ihr das?«

»Weil ihr das Haar aufging, als der Major sie vom Pferde hob.«

»Er hob sie vom Pferde? Weshalb?«

»Es mochte ihr übel geworden sein, denn er trug sie zum Wasser und gab ihr zu trinken.«

»Blieben sie lange hier?«

»Nein. Sie ritten bereits nach kurzer Zeit wieder fort.«

»Wohin? Wohl jedenfalls nach Paliseul zu?«

»Nein, sondern links da in die Berge hinauf.«

»Donnerwetter! Was wollen sie dort!« sagte er zu Reillac. »Sie fangen es nicht ganz übel an, uns zu entkommen.«

»Ja,« meinte der Baron. »Da in den Bergen und Wäldern wird es uns verdammt schwer werden, ihnen auf der Spur zu bleiben. Wir sind leider keine wilden Indianer, welche jeder Fährte zu folgen vermögen. Aber nach müssen wir ihnen doch!«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

Und zu dem Wirthe gewendet, fragte er weiter:

»Ritten diese Leute sehr schnell?«

»Nein, sondern sehr langsam.«

»Haben Sie mit Euch gesprochen?«

»Kein Wort. Aber den Major kennen wir.«

»Wieso? Wie heißt er?«

»Das wissen wir nicht. Er hat vor kurzer Zeit eine Nacht bei uns geschlafen.«

»Als Einkehrgast?«

»Ja.«

»In Uniform?«

»O nein. Er gab sich für einen Musikus aus Paris aus.«

»Das ist eine Lüge. Ich will Euch sagen, daß er ein preußischer Spion ist, den wir fangen wollen. Wohin führt der Weg, den sie geritten sind?«

»Nur in den Wald zu einer alten Kohlenbrennerhütte.«

»Nicht weiter? Nach keiner Stadt und keinem Dorfe?«

»Nein.«

»Das ist schlimm. Wie lange ist es her, daß sie hier waren?«

»Vielleicht eine halbe Stunde.«

»Hurrah, so erwischen wir sie vielleicht noch, bevor der Weg aufhört und der Wald anfängt?«

»Ja, wenn Sie die Pferde anstrengen wollen, so ist es möglich, daß Sie sie noch bei der Hütte einholen.«

»Dann vorwärts!«

Er gab seinem Pferde die Sporen und lenkte in den schmalen Bergweg ein. Die Anderen folgten.

Es war schwer, hier reitend empor zu kommen, aber die beiden Verfolger hatten keineswegs die Absicht, ihre Thiere zu schonen. Diese wurden vielmehr zum möglichst schleunigen Tempo angetrieben, und so kam es, daß die Entfernung sehr rasch zurückgelegt wurde.

Richemonte ritt voran. Er spähte höchst aufmerksam nach vorn und hielt, eben als er um einen Busch biegen wollte, sein Pferd plötzlich an.

»Was giebt es?« fragte Reillac.

»Da, sehen Sie.«

Bei diesen Worten streckte Richemonte den Arm aus und deutete nach vorn. Reillac folgte mit seinen Augen der angegebenen Richtung.

»Hölle und Teufel!« sagte er. »Das muß die Köhlerhütte sein.«

»Natürlich! Und die Beiden, welche da im Moose sitzen?«

»Das ist dieser verfluchte Florian.«

»Und der Soldat neben ihm? Er dreht uns den Rücken zu.«

»Ah, Jetzt dreht er sich etwas herum. Richemonte, das ist Ihre Mutter.«

»Wahrhaftig! Wer hätte diesem Weibe jemals zugetraut, sich in die Montur eines gemeinen Soldaten zu verstecken! Aber wo mögen die beiden Andern sein?«

»Königsau und Margot? Jedenfalls im Innern der Hütte.«

»Das glaube ich nicht,« meinte der Capitän kopfschüttelnd.

»Warum nicht?«

»Weil ihre Pferde nicht zu sehen sind.«

»Ah, richtig! Sollten sich diese Leute getrennt haben, um die etwaigen Verfolger irre zu führen?«

»Unsinn! Diese Beiden werden ein Wenig vorausgeritten sein. Sie sind ja Liebesleute!«

»Hole Sie der Teufel! Was thun wir?«

»Wir fallen natürlich über sie her, ganz plötzlich, so daß dieser brave Florian sich gar nicht zu vertheidigen vermag.«

»Da ist es am Besten, wir reiten heimlich um die Hütte herum, steigen ab, schleichen uns näher und überfallen sie von hinten.«

»Richtig! Thun wir das! Vorwärts!«

Sie ritten einen Bogen und gelangten an den Theil des Waldes, welcher an der Rückseite der Hütte lag. Hier stiegen sie ab und schlichen sich leise herbei. Die Beiden, denen dieser Ueberfall galt, ahnten nicht, welche Gefahr ihnen so nahe war. Auch Tiger, der Hund, merkte nichts.

»Wird es nun bald wieder gehen, Madame?« fragte Florian.

»Ich hoffe es,« antwortete Frau Richemonte. »Ich habe mich ein wenig ausgeruht und denke, daß wir aufbrechen können. Aber werden wir die Beiden glücklich wiederfinden?«

»Natürlich.«

»Also an einer Schlucht erwarten sie uns?«

»Ja, ich kenne sie. Darf ich Ihnen in den Sattel helfen?«

»Ich bitte, lieber Florian.«

Sie erhob sich aus dem Moose. Florian wollte dasselbe thun, kam aber nicht dazu, denn ohne daß ein Laut die Nähe der Verfolger angezeigt hätte, wurde er von sechs kräftigen Armen gefaßt und niedergedrückt, nachdem zunächst der Hund durch einen Kolbenschlag unschädlich gemacht worden war, während vier andere Arme sich um Frau Richemonte schlangen.

»So! Endlich haben wir Euch!« sagte der Capitän tief aufathmend.

Sie wandte ihm ihr Gesicht zu.

»Albin! Mein Gott, es ist Albin!« rief sie, auf das Heftigste erschrocken.

»Ja,« höhnte er. »Es ist der liebe Albin, und mit ihm kommt der heißgeliebte Bräutigam, um sich seine Braut zu holen!«

»Verdammt! Laßt mich los!«

Bei diesen Worten machte Florian eine gewaltige Kraftanstrengung, um sich zu befreien, aber dies war ihm, Dreien gegenüber, unmöglich.

»Bursche, füge Dich!« meinte Reillac. »Sonst geht es Dir nicht gut! Du bist ein Lügner und Verräther!«

»Pah! Ich reite spazieren, mit wem ich will!« meinte der Kutscher.

»Ja; aber der gegenwärtige Spazierritt wird Dir schlecht bekommen. Wo ist dieser Monsieur Königsau?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und Margot?«

»Jedenfalls bei ihm.«

Florian glaubte, daß es dem Lieutenant doch möglich sein werde, mit der Geliebten den Verfolgern zu entkommen.

»Mensch, antworte besser, sonst bekommst Du Hiebe! Wo sind die Beiden zu treffen?«

»Ich weiß es nicht. Schlagt immer zu.«

»Dazu ist es noch später auch Zeit. Uebrigens irrst Du Dich, wenn Du meinst, daß wir sie nicht finden. Die Schlucht, von welcher Ihr vorhin redetet, wird nicht sehr weit entlegen sein!«

»Hier sind sie fortgeritten; man sieht ihre Spuren.«

Während Richemonte diese Worte sprach, deutete er auf die Erde.

»Wirklich!« antwortete Reillac. »Es wird hier nicht sehr schwer sein, ihnen zu folgen.«

»Sie haben auf die Mama und den lieben Florian warten wollen. Wir dürfen uns also Zeit nehmen und können zu Fuße gehen.«

»Das wird das Beste sein. Zu Pferde geht es schlecht. Aber vorher wollen wir dafür sorgen, daß diese zwei Vögel uns nicht wieder ausfliegen.«

Florian wurde sehr fest, Frau Richemonte aber leichter gefesselt. Die drei Soldaten erhielten den Befehl, sie zu bewachen, und dann folgten Richemonte und Reillac der Spur Königsaus.

Diese hatte sich dem lockeren Waldboden tief genug eingedrückt, um leicht genug erkannt zu werden. Auch waren die Schritte der Beiden unhörbar, so daß ihr Nahen nur schwer bemerkt werden konnte.

So gelangten sie bald zur Stelle, wo die Pferde angebunden waren.

Richemonte erblickte die Thiere zuerst. Er faßte den Gefährten am Arme und hielt ihn zurück.

»Halt!« sagte er. »Sehen Sie dort die Pferde?«

»Natürlich! Wo aber mögen die Reiter sein?«

»Jedenfalls in der Nähe.«

»Warten wir hier, bis sie kommen?«

»Nein. Ich habe nämlich so meinen Gedanken.«

»Welchen?«

»Sie haben an der Schlucht warten wollen. Daraus schließe ich, daß sie das Innere derselben haben aufsuchen wollen.«

»Dazu müßte ein Grund vorhanden sein.«

»Allerdings, und zwar muß dieser Grund ein Geheimniß enthalten, denn sie haben die beiden Anderen nicht mitgenommen.«

»Es wäre doch merkwürdig, wenn wir hier etwas Wichtiges erführen.«

»Das ist sehr möglich. Schleichen wir uns also einmal am oberen Rande der Schlucht hin; aber leise und vorsichtig.«

Sie thaten es und bemerkten gar bald Königsau, welcher mit Margot auf einem Steine saß und ihr etwas sehr Interessantes zu erzählen schien. Sie hörte sehr aufmerksam zu.

»Dort sitzen siel« flüsterte Reillac.

»Ja. Er erzählt. Was mag es sein? Wer es doch hören könnte!«

»Man könnte sie ja belauschen.«

»Das ist wahr. Gleich neben ihnen steht ja Gesträuch, welches dicht genug ist, uns zu verbergen.«

»Aber wenn sie uns bemerken?«

»Was ist da weiter? Wir fallen sofort über ihn her. Margot wird sich nicht sehr wehren können.«

»Tödten wir ihn?«

»Nur dann, wenn es nicht anders geht. Ist es aber möglich, so soll er leben bleiben, um seiner Strafe und unserer Rache willen.«

Obgleich der Eine von ihnen vorher gesagt hatte, daß sie keine wilden Indianer seien, denen es möglich ist, der leichten Fährte zu folgen, gelang es ihnen doch, ganz unbemerkt hinter das erwähnte Gebüsch zu kommen, wo sie sich niederduckten und so nahe waren, daß sie ein jedes Wort verstehen konnten.

»Das war also dieselbe Kriegskasse, von welcher der Wirth erzählt hatte?« fragte soeben Margot.

»Ja, jedenfalls.«

»Weißt Du, wie viel darinnen ist?«

»Nein; jedenfalls aber zählt es nach Millionen.«

»Wer aber mag noch davon wissen?«

»Einige; Niemand aber kennt den Ort, wo sie vergraben liegt. Nur ich allein weiß denselben.«

»Aber wie wirst Du das benutzen?«

»Ich werde zunächst abwarten, welche Ereignisse der bevorstehende Krieg mit sich bringt. Dann erst werde ich wissen, was zu thun ist.«

»O bitte, zeige mir den Ort, lieber Hugo! Ich möchte einmal wissen, wie es ist, wenn man auf einem verborgenen Schatze steht.«

»Das sollst Du sofort erfahren. Komm.«

Er nahm sie bei der Hand und zog sie nach der Stelle, wo er genau wußte, daß da die Kasse vergraben lag.

»Hier, Margot, stehst Du auf einem sehr, sehr großen Reichthum,« sagte er. »Die Geister der beiden Todten werden ihn bewachen, so daß er keinem Anderen in die Hände fällt.«

Er drehte sich bei diesen Worten ein wenig nach rechts herum, um nach der Stelle zu deuten, wo der Mörder neben seinem Opfer lag, und dabei fiel sein Auge auf die Sträucher, hinter denen die beiden Lauscher steckten.

»Donnerwetter! Jetzt hat er mich gesehen,« flüsterte Richemonte.

»Ich denke es auch,« sagte Reillac ganz leise.

»Nein, doch nicht. Er spricht mit Margot ganz unbefangen weiter. Der Kerl muß keine Augen haben.«

Der Sprecher irrte sich sehr. Königsau hatte nicht nur ihn gesehen, sondern auch bemerkt, daß noch ein Zweiter in der Nähe stecke. Er erschrak zwar, hatte aber die Geistesgegenwart, sich nichts merken zu lassen, und fuhr ruhig in seinem Gespräche fort:

»Uebrigens ist dies nicht der einzige Schatz, den ich kenne.«

»Wie? Du kennst noch mehrere?« fragte Margot erstaunt.

»Ja, liebes Kind. Ich bin an jenem Tage außerordentlich glücklich gewesen. Jene Spitzbuben hatten nämlich zu derselben Zeit einen großartigen Diamantendiebstahl ausgeführt. Die Steine sind hier in der Nähe vergraben.«

»Wo?«

»Nicht weit vom Ausgange der Schlucht.«

»Was für Wunderbares ich heut erfahre! Das hast Du Alles damals belauscht, lieber Hugo?«

»Ja.«

»Was wirst Du mit den Steinen beginnen?«

»Jetzt darf ich mich leider noch nicht sehen lassen; später aber werde ich sie den rechtmäßigen Eigenthümern wieder zustellen.«

»Ich danke Dir, Hugo, obgleich ich es von Dir nicht anders erwarten konnte. Für einen Anderen wäre die Versuchung, die Steine für sich zu behalten, außerordentlich groß gewesen.«

»Für mich nicht, ich kenne meine Pflicht. Und zu dieser gehört es, daß ich für die Sicherheit dieses Schatzes Sorge trage. Die Steine sind nämlich so unvorsichtig versenkt, daß sie durch den einfachsten Zufall leicht entdeckt werden können. Darum bin ich mit Dir hierher gegangen, um sie mit Deiner Hilfe besser zu verbergen.«

»Wohin?«

»Ich habe den Plan, sie mit zur Kriegskasse zu stecken. Diese liegt ja an einem Orte, der niemals in den Verdacht kommen wird, einen Schatz, und zwar einen so großen, zu verbergen. Stimmst Du bei?«

»Was Du thust, das ist mir recht.«

»So warte hier, liebe Margot, bis ich wiederkomme. Ich werde jetzt die Diamanten holen.«

»Wie lange währt es, bis Du wiederkommst?«

»Vielleicht zehn Minuten.«

»O, das ist sehr lange! Wie nun, wenn wir verfolgt werden?«

»Das geschieht vielleicht. Aber kein Mensch wird ahnen, daß wir hier in den Bergen stecken. Wir sind vollkommen sicher.«

»O, ich fürchte meinen Bruder.«

»Ich nicht. Ich glaube nicht, daß er mir gewachsen list.«

»Aber ich mag nicht zehn Minuten lang hier allein bleiben, wo diese beiden Todten begraben liegen. Bitte, nimm mich lieber mit.«

»Nun gut. In zehn Minuten sind wir wieder hier, und fünf Minuten dauert das Vergraben der Steine; so können wir also nach einer Viertelstunde wieder aufbrechen.«

Er nahm sie bei der Hand und führte sie nach dem Ausgange der Schlucht hin, wo die Pferde standen, welche aber von hier aus nicht mehr gesehen werden konnten.

Richemonte und Reillac blickten einander an.

»Rasch, ihnen nach!« flüsterte der Letztere, indem er Miene machte, sein Versteck zu verlassen.

»Halt! Keine Dummheit, Baron!« warnte der Capitän, indem er ihn zurückhielt. »Wir müssen hier bleiben.«

»Ah! Warum?«

»Erstens könnten wir uns verrathen, so daß er uns bemerkt, und dann wären die Diamanten für uns verloren, denn wir würden den Ort nicht erfahren, an welchem sie stecken.«

»Das ist allerdings wahr!«

»Und zweitens ist uns der Schmuck ja gewiß; er holt ihn doch herbei.«

»Hm! Wird er auch Wort halten?«

»Jedenfalls! Aber sagen Sie! Haben Sie Alles gehört?«

»Jedes Wort!«

Die Augen des Capitäns glühten vor Habsucht. Er, der arme Teufel, welcher des Geldes wegen so Vieles gewagt und gethan hatte, des Mammons wegen vor keiner Unthat zurückgeschreckt war, stand oder lag vielmehr hier vor der Quelle eines Reichthums, der groß genug war, ihn tausendmal aus allen Verlegenheiten zu reißen. Aber an dieser Quelle lag noch ein Zweiter. Sollte dieser auch mittrinken, mitgenießen können? Hatte dieser Zweite nicht die Wechsel in der Tasche, welche der Grund so vielen Aergers gewesen waren? Hatte dieser Zweite nicht Margot zu seiner Universalerbin eingesetzt? Und sie konnte ihn nur dann beerben, wenn er – – todt war.

Ein finsterer Gedanke zuckte durch Richemontes Gehirn, und dieser Gedanke wurde sofort zum festen Vorsatze.

»Was sagen Sie dazu?« fragte er.

»Außerordentlich! Ganz außerordentlich!«

»Ja, wer hätte dies gedacht! Aber hatte ich nicht Recht, als ich sagte, daß wir hier ein Geheimniß erfahren würden?«

»Ja, wunderbar. Wer kann hier eine vergrabene Kriegskasse vermuthen.«

»Und wie schön hat dieser Königsau uns den Ort verrathen.«

»Prächtig, Capitän, prächtig! Aber wie ist er selbst denn eigentlich zu diesem Geheimnisse gekommen?«

»Wer weiß es. Wären wir eher gekommen, so hätten wir es gehört. Doch ist das ja ganz gleichgiltig. Es fragt sich nur, was wir thun werden.«

»Nun, das ist doch sehr einfach.«

»Was meinen Sie?«

»Zunächst nehmen wir sie gefangen, verrathen aber nicht, daß wir sie belauscht haben. Wir bringen sie alle Vier zum Kaiser, und dann – – –«

»Nun, dann?«

»Dann holen wir uns die Kasse.«

»Wenn wir diesen Plan ausführen wollen, dürfen wir sie aber nicht hier gefangen nehmen.«

»Warum nicht?«

»Weil sie sonst wissen würden, daß wir sie belauscht haben. Und dann wäre die Kasse für uns verloren.«

»Das ist wahr. Es wird also am Besten sein, wir sehen uns erst das Vergraben der Diamanten mit an, und dann wird sich ja ganz von selbst ergeben, was zu thun ist.«

»Richtig. Aber da wollen wir etwas tiefer in das Gebüsch kriechen. Wir könnten leicht bemerkt werden.«

»Ja, kommen Sie.«

Reillac kroch voran, und Richemonte folgte ihm, placirte sich aber in der Weise ein Wenig rückwärts neben ihm, daß es ihm leicht war, seinen Plan in Ausführung zu bringen. Er griff nämlich, unbemerkt von dem Andern, in seine Tasche und zog einen Nickfänger hervor, welcher, sobald die Klinge aufgeklappt war, einen Dolch bildete.

»Und wenn wir die Kriegskasse haben, was thun wir mit ihr?« fragte er, um den Andern zu beschäftigen.

»Theilen, natürlich!« antwortete Reillac. »Wir haben heute Beide den glücklichsten Tag unsers Lebens.«

»Beide? O nein!«

»Nicht? In wiefern nicht? Sie werden doch nicht etwa so dumm sein, eine Theilung des Schatzes auszuschlagen?«

»Nennen Sie das wirklich dumm?«

»Natürlich.«

»Warum?«

»Nun, wer soll die Kasse denn sonst erhalten, als wir. Wollen Sie sie gar dem Staate überlassen?«

»Das fällt mir gar nicht ein. Aber auf eine Theilung brauche ich trotzdem nicht einzugehen. Ich brauche das Geld für mich allein.«

»Ah! Meinen Sie?« fragte der Baron, indem er eine Bewegung machte, sich nach ihm um- und zurück zu drehen. »Sie denken, ich soll den Schatz Ihnen allein überlassen, Capitän?«

»Ja.«

»Nein, so verrückt bin ich doch nicht, denn – – – oh ooh!!!«

Er stieß diesen Ruf nur halblaut aus; mehr war ihm nicht möglich, denn gerade in diesem Augenblicke war Richemontes Klinge ihm durch den Rücken genau bis in das Herz gedrungen. Ein krampfhaftes Zittern durchlief seine Glieder; dann streckten sich seine Extremitäten; er war – – todt.

»So, mein Herr Baron!« grinste der Capitän. »Nun theilen Sie, mit wem Sie wollen. Sie haben meinen Vater verführt und mich unglücklich gemacht. Sie haben den Grund gelegt zu Allem, was ich bin. Jetzt kommt die Strafe. Dem Kaiser werde ich sagen, daß Königsau Sie im Kampfe erstochen habe. Die Kriegskasse ist mein; die Diamanten werden mein und die Wechsel auch.«

Er öffnete den Rock des Todten und visitirte die Taschen desselben.

Er fand eine reich gespickte Börse und ein Portefeuille, welches voller Banknoten war. Auch die Wechsel und die kaiserliche Bestätigung der Verlobung befanden sich darin.

»Das genügt, um Margot zu seiner Universalerbin zu machen. Sie wird in meine Hand gegeben sein; folglich bin ich der eigentliche Erbe,« murmelte er. »Jetzt nun mag Königsau kommen und die Steine vergraben. Ich schieße ihn einfach nieder, sobald er im Begriffe steht, sein Pferd wieder zu besteigen.«

Während er auf das Erscheinen des Lieutenants wartete, steckte er seinen Raub zu sich. Er hatte das kaum gethan, so fuhr er zusammen, denn ein Schuß erscholl.

»Was war das?« fragte er. »Ein Schuß! Donnerwetter, noch einer – – und noch einer. Drei Schüsse! Sie kamen aus der Gegend, wo die Köhlerhütte liegt! Drei Schüsse und drei Wächter bei den Gefangenen! Was ist da vorgegangen? Ich muß es wissen.«

Er kroch eilig aus den Sträuchern hervor und sprang dem Ausgange der Schlucht zu. Dort blieb er einen Augenblick halten.

»Die Pferde fort!« sagte er. Und sich mit der Faust an den Kopf schlagend, fügte er hinzu: »Beim Teufel, dieser Königsau ist mir wirklich abermals überlegen gewesen. Die Kasse liegt da, aber das von den Steinen war Schwindel, augenblicklich erdacht, um mit guter Manier fortzukommen. Denn jetzt ist es gewiß, daß er mich bemerkt und gesehen hat. Aber noch sind wir nicht fertig, Monsieur Königsau. Noch bin ich da, um ein letztes Wort mit Ihnen zu sprechen.«

Seine beiden Pistolen ziehend und schußfertig haltend, eilte er auf die Köhlerhütte zu, sich jedoch vorsichtig in Deckung der Bäume haltend.

Seine Vermuthung war eine ganz richtige.

Als Königsau die Hand der Geliebten ergriffen und mit ihr die Pferde erreicht hatte, band er die Letzteren los und sagte leise:

»Schnell auf das Pferd, Margot! Schnell, schnell!«

»Warum?« fragte sie, ganz erstaunt über den plötzlich ganz veränderten Ausdruck seiner Gesichtszüge.

»Das sage ich Dir noch.«

Bei diesen Worten hatte er sie auch bereits in den Sattel gehoben. Im nächsten Augenblicke saß auch er auf, ergriff den Zügel ihres Pferdes und lenkte nach der Hütte zurück, aber auf einem Umwege.

»Zurück?« fragte sie. »Warum?«

»Um Mama zu retten,« antwortete er.

»Zu retten? Befindet sie sich denn in Gefahr?«

»Ja, in einer sehr großen. Sie ist gefangen.«

»Mein Gott! Das ist ja unmöglich! Wie könntest Du das wissen?«

»Ich weiß es. Weißt Du, wen ich gesehen habe, als wir auf der Stelle standen, wo die Kriegskasse liegt?«

»Wen?« fragte sie voller Angst.

»Deinen Bruder. Er lag in dem Gebüsch. Und hart neben ihm bemerkte ich noch zwei Beine. Sie haben unsere Spur gefunden; sie sind uns gefolgt und haben uns belauscht. Sie wissen nun auch das Geheimniß der Kriegskasse. Ganz sicherlich hätten sie mich erschossen und Dich gefangen genommen, wenn ich nicht augenblicklich die Fabel von den Diamanten erfunden hätte.«

»Das war nicht wahr?«

»Nein. Ich sagte es nur, um uns zu retten. Sie haben uns erlaubt, uns zu entfernen, weil sie dachten, auch in den Besitz der Steine zu kommen, welche ich auch eingraben wollte.«

»O Ihr Heiligen! Meine Mama! Hugo, mein Hugo, was ist zu thun? Was ist mit ihr geschehen?«

»Wenn die Verfolger sich bereits in der Schlucht befinden, so ist als ganz sicher anzunehmen, daß sie die beiden Zurückgelassenen schon vorher in ihre Gewalt bekommen haben.«

»So sind sie verloren.«

»Noch nicht. Es kommt darauf an, mit wie viel Verfolgern wir es zu thun haben. Ich lasse Dich hier zurück und gehe recognosciren.«

Sie waren an ein dichtes Tannicht gekommen, welches nicht weit von der Köhlerhütte lag. Hier hielt er die Pferde an.

»Nein! Um Gotteswillen, verlaß mich nicht,« bat sie.

»Sei ohne Sorge,« beruhigte er sie. »Hier bist Du sicher, und ich komme ganz gewiß zurück.«

»Ist es wahr?«

»Ja, mein Leben.«

»Du wirst Dich in keine Gefahr begeben, ohne mich vorher zu fragen?«

»Nein.«

»Nun, so gehe, Hugo! Aber denke an mich! Ich wäre dann ohne alle Rettung verloren, wenn auch Du ergriffen würdest.«

Er stieg vom Pferde und schlich sich nach der Hütte hin. Als sein Blick sie zu erreichen vermochte, sah er Frau Richemonte gefesselt an der Erde sitzen; neben ihr lag Florian, an Händen und Füßen gebunden, und daneben standen drei französische Soldaten als Wächter.

»Arme Teufels!« sagte er. »Aber ich darf sie nicht schonen.«

Er schlich sich glücklich bis an diejenige Wand der Hütte, welche der beschriebenen Gruppe entgegengesetzt lag, und zog seine beiden geladenen Pistolen, deren Hähne er spannte. Er that dies sehr vorsichtig; aber den kriegsgeübten Ohren der Franzosen entging doch dieses eigenthümliche Knacken nicht.

»Wer da?« fragte der Eine, indem er rasch um die Ecke trat.

Er erhielt in demselben Augenblicke Königsau's Kugel in den Kopf, und ehe die beiden Anderen zu den Waffen greifen konnten, hatte sie das gleiche Schicksal ereilt.

»Herr Lieutenant!« rief Florian erfreut.

»O, mein Sohn!« stimmte Frau Richemonte bei.

»Gelungen!« rief Hugo, den Gefangenen die Bande zerschneidend. »Aber, vor allen Dingen, mit wie vielen haben wir es zu thun?«

»Nur der Capitän und Reillac,« antwortete Florian.

»So schnell auf die Pferde, ehe sie kommen.«

Diesem Rufe wurde schleunigst Folge geleistet, und dann ging es der Stelle zu, an welcher sich Margot befand. Sie hatte natürlich die Schüsse vernommen und schwebte in höchster Angst. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie die Nahenden erblickte.

»Wer hat geschossen?« fragte sie, noch immer nicht beruhigt.

»Ich,« antwortete der Lieutenant.

»Auf wen?«

»Später, später! Jetzt haben wir keine Zeit zu Auseinandersetzungen. Kommt, kommt, mir nach!«

Er ritt voran und zwar wieder nach der Schlucht zurück. Wäre er nicht den vorigen Bogen geritten, so hätte er auf Richemonte treffen müssen, welcher ja eben jetzt zur Hütte eilte. Als er in die Schlucht einbog, fragte Florian erstaunt:

»Warum hier herein?«

»Nicht fragen, sondern folgen. Wir müssen dieses Gras ein Wenig zerstampfen; aber schnell.«

Er lenkte sein Pferd der Stelle zu, an welcher er Richemonte gesehen hatte, und bemerkte eine fürchterliche Blutlache.

»Was ist das?« fragte er. »Blut? Die Beiden können nicht mehr hier sein. Sie haben die Schüsse gehört und sind jedenfalls fortgeeilt, um ihren Untergebenen Hilfe zu bringen. Was ist es?«

Florian war nämlich vom Pferde gesprungen und an das Gesträuch getreten, wo man die Lache bemerkte.

»Herrgott, ein Todter!« sagte er.

Die beiden Damen wendeten sich schaudernd ab. Königsau aber sprang auch vom Pferde und trat hinzu. Sie zogen den Körper aus dem Busche heraus und drehten ihn um.

»Reillac!« rief Florian, ganz und gar erschreckt.

»Ja, Reillac!« bestätigte Königsau.

Er bog sich zu dem Todten nieder, um ihn zu untersuchen.

»Er ist noch warm, aber todt. Ein Stich durch den Rücken bis in das Herz. Uhr und Börse, Alles ist fort. Capitän Richemonte ist der Mörder.«

Frau Richemonte stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

»Gott, das ist nicht möglich!« rief sie.

»Er war es. Es war kein Anderer bei dem Barone. Ich kenne den Grund, weshalb er diesen erstochen hat. Aber jetzt haben wir keine Zeit. Es kann uns in jedem Augenblicke seine Kugel treffen. Fort von hier! Der Todte mag liegen bleiben!«

Er tummelte sein Pferd noch einige Male dort hin und her, um den Platz, den er als die Stelle des Schatzes bezeichnet hatte, möglichst unkenntlich zu machen, und dann ritten sie gleich an der Böschung der Schlucht empor, um keinen Umweg zu machen.

Als Richemonte bei der Hütte ankam, erblickte er die drei Todten.

»Hölle und Teufel! Er hat sie erschossen und die Gefangenen befreit!« rief er. »Wo aber sind sie hin? Er hat mich in der Schlucht gesehen. Er wird wieder hin sein, um auch mit mir abzurechnen; aber da soll er sich irren. Meine Kugel trifft ihn, ehe er mich erblickt.«

Er band die mitgebrachten Pferde los und ließ sie, außer dem seinigen, welches er bestieg, frei. Dann ritt er nach der Schlucht zurück. Erst nach längerem Recognosciren bemerkte er, daß sie verlassen war. Er ritt in sie hinein und betrachtete Alles.

»Ja, sie sind hier gewesen,« knirschte er grimmig. »Sie haben den Boden zerstampft; aber ich werde die Kasse dennoch finden. Und da – Donnerwetter! Da liegt der Baron! Sie haben ihn gefunden. Sie wissen, daß ich ihn erstochen habe. Das kann schlimm ausfallen. Schnell ihnen nach! Die beiden Kerls müssen sterben! Mutter und Schwester habe ich nicht zu fürchten!« –

Es war am vierzehnten Juni, nur ganz kurze Zeit nach dem Erzählten, als ein jugendlicher Reiter in höchster Eile von Lüttich nach Namur sprengte. Er hatte Civilkleider an, aber auf der von preußischem Militär reich belebten Chaussee gab es manchen Officier, der ihn vertraulich grüßte, wenn er an ihm vorüberflog.

In Namur angekommen, fragte er nach dem Quartier des Feldmarschall's Blücher. Dort angekommen, meldete er sich sofort zur Audienz und wurde sogleich vorgelassen.

Bei dem Marschalle befanden sich eben Gneisenau, der Generalmajor von Grolman, welcher Generalquartiermeister war, und der Adjutant Major von Drigalski. Trotz der Anwesenheit dieser hochgestellten Persönlichkeiten ging Blücher dem Eintretenden höchst erfreut entgegen.

»Königsau! Junge!« rief er. »Bringt Dich der Teufel schon wieder zurück? Hast Du mich etwa in Lüttich gesucht?«

»Ja, Excellenz. Ich wußte noch nicht, daß Sie Ihr Hauptquartier nach Namur verlegt haben.«

»Das war nothwendig, denn es geht los, mein Sohn. Keile setzt es, fürchterliche Keile! Aber wer sie zunächst bekommt, das weiß man nicht. Weißt Du es vielleicht?«

»Auch nicht. Aber wer sie bekommen soll, das wenigstens weiß ich.«

»Ah! Wer denn?«

»Euer Excellenz.«

»Wie? Wa – wa – was?« fragte der Alte. »Ich? Ich soll die Keile kriegen? Wer sagte das denn?«

»Der Kaiser selbst.«

»Er selbst? Dann ist er verrückt, total verrückt, was ich übrigens schon längst nicht mehr bezweifelt habe. Aber zu wem hat er es denn gesagt?«

»Zu Ney, Grouchy und Drouet.«

»Ha, das sind lauter hübsche Kerls, die ich wohl noch unter die Fäuste bekommen werde. Bist Du etwa verwandt mit Einem von ihnen, ha?«

»Danke für diese Ehre, Excellenz!«

»Na, ich dachte beinahe, weil Du so genau weißt, was sie mit dem Napoleon gesprochen haben.«

»Ich habe sie belauscht.«

»Wo denn?«

»Auf dem Meierhofe Jeanette.«

»Dort? Wohin Du Dein Mädel geschafft hast? Dort war der Bohneaaparte?«

»Ja, Excellenz.«

»Was wollte er denn dort?«

»Hm! ich glaube, er hatte die Absicht, mich um meine Braut zu bringen.«

»Du flunkerst wohl, he?«

»Nun, Thatsache ist, daß er der Margot eine förmliche Liebeserklärung gemacht hat.«

»Donnerwetter! Der sollte sich doch lieber um ein Paar warme Filzschuhe und um ein seliges Ende bekümmern! Erzähle!«

»Excellenz, es ist da sehr viel Privates dabei, dessen Bericht eine sehr kostbare Zeit wegnehmen würde. Darf ich nicht lieber vorher über die strategischen Absichten Napoleons berichten, welche sofortige Dispositionen unserer Seits nothwendig machen?«

»Natürlich! Rede also! Wird er angreifen?«

»Ja.«

»Wann?«

»Morgen oder spätestens übermorgen.«

»Gut! Je eher die Prügel, desto wärmer sind sie. Aber wen?«

»Sie, Excellenz.«

»Nicht Wellington?«

»Nein. Ich kenne auch den Grund, weshalb er zunächst Sie angreift.«

»Laß ihn hören, mein Sohn!«

»Er sagte, Euer Excellenz seien schnell und hitzig, Wellington aber überlege und wäge gern ab. Greife er den Letzteren an, so wäre Feldmarschall Blücher schnell mit der Hilfe bei der Hand – – –«

»Das ist wahr. Wir werden ihn schon kurranzen.«

»Greife er aber Ew. Excellenz an, so würde Wellington wohl so lange zaudern und sinnen, bis die Preußen geschlagen sind.«

»Höre, Junge, der Kerl ist doch noch nicht ganz so sehr verrückt, wie ich dachte. An dem Zeuge ist sehr viel Wahres. Nehmen wir uns also wohl in Acht.«

Königsau erzählte nun weiter Alles, was er auf Jeanette erlauscht und dann auch später während seines Rittes noch erfahren hatte. Es stellte sich heraus, daß in Folge dieser Berichte allerdings schleunige Dispositionen nöthig waren, welche den Marschall so in Anspruch nahmen, daß er erst am Abende eine kurze Zeit für Königsau übrig hatte.

Da saßen sie denn beisammen, ein Jeder eine brennende Thonpfeife in der Hand, und der Lieutenant erzählte die Erlebnisse der letzten Tage ausführlich. Blücher unterbrach ihn öfters durch einen kräftigen Fluch, eine drastische Bemerkung, oder eine Frage, welche bewies, mit welchem Interesse er diese Erzählung verfolgte. Als Königsau geendet hatte, meinte der Marschall:

»Du glaubst also, daß dieser Richemonte Euch auch noch weiter verfolgt hat?«

»Ich denke es.«

»So hältst Du Deine Margot also auch in Gedinne nicht für sicher?«

»Nein, obgleich der brave Florian sie bewacht.«

»Hm! Was Du mir da erzählst, ist der reine Roman. Aber es ist ein sehr wahrer Roman, welcher ernst genommen sein will. Wir wissen nicht, was die nächste Zeit bringt, und darum soll ein jeder das Seinige thun. Auch Du.«

»Geben Excellenz mir Gelegenheit dazu.«

»Sogleich, mein Sohn. Weißt Du, was jetzt das Nothwendigste für Dich ist?«

»Ich bitte, es erfahren zu dürfen.«

»Du mußt Dir Dein Mädel zu erhalten suchen.«

»Excellenz.«

»Schon gut! Ich weiß, was Du sagen willst. Aber indem Du so für Dein Glück sorgst, kannst Du zu gleicher Zeit auch dem Vaterlande einen großen Dienst erweisen. Ahnest Du, worauf ich ziele?«

»Vielleicht auf die Kriegskasse?«

»Ja. Du denkst, daß Richemonte bestrebt sein wird, sich ihrer so rasch als möglich zu bemächtigen?«

»Ja.«

»Nun, so ist es nothwendig, daß wir ihm zuvor kommen. Aber wie? Der Ort liegt in Feindes Land.«

»Es wird bald das unserige sein.«

»Ja; aber bis dahin kann der Teufel die Kasse geholt haben. Man müßte sie wenigstens bewachen, bis wir kommen.«

»Das ist entweder zu gefährlich oder zu umständlich oder zu langwierig, Excellenz.«

»Weißt Du einen besseren Plan?«

»Ich meine, daß es genügen würde, die Kasse herauszunehmen und ihr eine neue Stelle anzuweisen. Da kann sie liegen, bis die Preußen kommen, und dieser Richemonte findet sie nicht.«

»Donnerwetter, Junge, das ist wahr! Willst Du das übernehmen?«

»Von Herzen gern!«

»Warum aber hast Du es nicht bereits gethan?«

»Ich hatte die nöthigen Kräfte nicht. Auch gehören treue und verschwiegene Leute dazu.«

»Ja; die müßte ich Dir mitgeben. Wie viele brauchtest Du?«

»Mit zehn Mann glaube ich, es fertig zu bringen.«

»Gut, Du sollst sie haben. Suche sie Dir selbst aus. Wie Du es aber anfängst, das ist ganz und gar Deine eigene Sache. Als Extrabelohnung für Dich aber werde ich dafür sorgen, daß der schändliche Meuchelmord, welchen dieser Richemonte an seinem Cumpan begangen hat, nicht verschwiegen bleibt!«

Einige Tage später zog durch den Ort Gedinne ein zerlumpter Kerl, dessen Kleider kaum zureichten, seine Blöße zu bedecken, desto mehr Lappen aber hatte er um seinen Kopf gewickelt.

Am Wirthshause blieb er stehen, als besinne er sich, ob es möglich sei, auch ohne Geld einen Schluck zu erlangen. Da klopfte es von innen an das Fenster.

»Komm herein, Kerl, wenn Du Hunger hast!« rief eine laute Stimme.

Das ließ sich der Mann nicht zweimal sagen. Er trat in das Haus und dann in die Stube. Dort saßen verschiedene Gäste, alle aus dem Orte gebürtig, vielleicht außer Einem, eben Demjenigen, welcher den Vagabunden hereingerufen hatte.

Als dieser eintrat, waren Aller Augen auf ihn gerichtet. Man schüttelte mißbilligend die Köpfe, und der Wirth fragte:

»Mensch, wer bist Du?«

»Ein armer Savoyard,« antwortete er bescheiden.

»Was willst Du hier?«

»Ich weiß nicht, was ich soll. Dieser Monsieur hat mich gerufen.«

Da wendete sich der Wirth an den Bezeichneten und fragte:

»Monsieur, warum bringen Sie mir solche Leute in die Stube?«

Der Gefragte war ein noch junger Mann von anständigem Aeußern. Er blickte den Wirth von oben bis unten an und fragte:

»Kennen Sie mich?«

»Nein,« lautete die Antwort.

»Nun, so will ich Eure Frage verzeihen. Ich hoffe, daß Ihr ein guter Franzose seid?«

»Das bin ich, Monsieur!«

»Und diese anderen Herren auch?«

»Ja.«

»Habt Ihr von dem Armeelieferant Baron von Reillac gehört?«

»Den Millionär? Den kennen wir Alle, wenigstens seinen Namen.«

»Nun gut. Er ist plötzlich spurlos verschwunden, und ich bin von dem Kaiser beauftragt, nach ihm zu forschen, da man ein Verbrechen ahnt.«

»So seid Ihr wohl Procurator?«

»Ja. Aus Paris. Wenn ich also diesen Mann hereinkommen lasse, weil ich ihm die Noth, den Hunger und den Durst ansehe, so werde ich es wohl verantworten können!«

»Ihr habt Recht, Monsieur! Thut, was Euch beliebt.

Nur seht zu, daß dieser Mann auch mit Legitimation versehen ist!«

»Das soll sogleich geschehen.« Und sich zu dem Vagabunden wendend, fügte er hinzu: »Was bist Du eigentlich?«

»Ich war Besitzer eines Affen und eines Murmelthieres,« antwortete der Gefragte in seinem savoyardischen Dialecte. Ich war mit diesen meinen Ernährern bis hinein nach Holland. Da kam ich in die Hände der Preußen, und sie nahmen mir meine Thiere und auch mein Geld ab. Nun bettle ich mich nach Hause!«

»Laß Dir auf meine Rechnung zu essen und zu trinken geben, armer Teufel, und setze Dich mit her zu mir!«

Der Savoyarde folgte dieser Einladung wie Einer, dem ein großes Glück begegnet, und ließ sich das, was ihm vorgesetzt wurde, vortrefflich schmecken. Der Procurator ließ sich in ein gleichgiltiges Gespräch mit ihm ein, welches zuweilen bis zum Flüstertone herabsank.

»Sind Alle beisammen?« fragte er in einem Augenblicke, in welchem Niemand auf sie horchte.

»Alle bis auf einen,« antwortete der Savoyarde.

»Und die Werkzeuge?«

»Liegen im Walde, Herr Korporal.«

»Laß den Korporal! Ich wundere mich über die Virtuosität, mit welcher Du Deine Rolle spielst.«

»Sie ist nicht schwer. Wo treffe ich den Herrn Lieutenant?«

»In dem einsamen Hause am Anfange des Waldes.«

»Welchen Namen führt er?«

»Du fragst nach dem Florian. Das Andre findet sich. Die Befehle des Lieutenants bringst Du nach dem Rendezvous. Jetzt will ich gehen. Halte auch Du Dich nicht zu lange hier auf.«

*


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