Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fortsetzung 36

Früher hatte man den Marabut gesehen, wenn er aus seiner weiß getünchten Hütte trat, um mit erhobenen Händen die Gläubigen zu segnen. Jetzt aber geschah dies nicht mehr. An seiner Stelle erschien sein Sohn an der Thür und brachte den Betenden den Segen seines Vaters, welcher die Wohnung nicht mehr verließ.

Woher der Marabut stammte und wie er ursprünglich geheißen hatte, das wußte Niemand. Er nannte sich Hadschi Omanah und sein Sohn wurde in Folge dessen Ben Hadschi Omanah geheißen, das ist Sohn des Mekkapilgers Omanah.

Ungefähr fünf Tage nach den oben erzählten Ereignissen hielten zwei Männer inmitten eines dichten Gebüsches am Fuße des Berges. Sie hatten sich mit ihren Pferden hier herein gearbeitet und führten ein halblautes Gespräch mit einander.

Es war Niemand Anderes als Richemonte und sein Verwandter.

»Du glaubst, daß die Pferde hier sicher sind?« fragte der Letztere.

»Ja.«

»Aber wenn doch Jemand kommen sollte!«

»Hierher? Wer sucht Pferde in diesem Dickich? Uebrigens ist jetzt nicht die Zeit der zahlreichen Pilgerwanderungen. Stecke Deine Waffen zu Dir, und komm!«

»Wann werden wir oben anlangen?«

»Es führt kein eigentlicher Weg hinauf. Stunden vergehen sicherlich, ehe wir die Höhe erreichen.«

»So wird es ja dann Nacht.«

»Eben das ist ja meine Absicht!«

Der Andre blickte Richemonte fragend an.

»Was wollen wir des Nachts da oben? Wird er da zu sprechen sein?«

»Zu sprechen? Was fällt Dir ein! Will ich denn mit ihm sprechen?«

»Was sonst? Wie willst Du anders ihn aushorchen oder Auskunft über ihn erlangen?«

»Dummkopf! Deine Liebe zu der Maurin hat Dich wirklich um den Verstand gebracht. Dieser Marabut wohnt mit seinem Sohne oben. Sie werden nicht stumm sein, sondern mit einander sprechen. Sie werden sich über ihre Lage, über ihre Vergangenheit unterhalten. Wer dies belauschen kann, wird Vieles erfahren. Wann aber ist das Lauschen am Leichtesten?«

»Abends, wenn es dunkel ist.«

»Gewiß! So hast Du wenigstens noch einmal einen vernünftigen Gedanken. Binde das Pferd an, aber so, daß es Raum hat, die Blätter abzufressen, und dann wollen wir keine weitere Zeit verlieren.«

Nur den umwohnenden Beduinen bekannt, führte ein versteckt liegender, schmaler Pfad in zahlreichen steilen Windungen zur Höhe des Berges empor. Diesen Beiden aber war er unbekannt, und so sahen sie sich gezwungen, sich durch dichtes Gestrüpp und über zahlreiche Felsentrümmer langsam und mühselig empor zu arbeiten.

Als sie den Gang begannen, war bereits die erste Hälfte des Nachmittages verstrichen, und als sie endlich oben anlangten, hatte die Sonne soeben den westlichen Horizont erreicht.

Sie hielten unter den Bäumen, wo sie nicht bemerkt werden konnten, und sahen eine nicht tiefe, aber breite lichte Stelle vor sich, auf welcher sich die Hütte des Eremiten befand. Diese war durchaus aus rohen Steinen errichtet und mit Kalk angestrichen, so daß sie, von Früh bis Abend von der glühenden Sonne getroffen, auf Meilenweite hinaus in die Ebene leuchtete.

»Wird er zu Hause sein?« flüsterte der Cousin.

»Natürlich! Oder hast Du nicht in Seribet Ahmed gehört, daß er die Hütte nie mehr verläßt?« antwortete Richemonte.

»Ich meine den Sohn.«

»Das ist etwas Anderes. Wir müssen es abwarten.«

Sie brauchten nicht lange zu warten, so sahen sie einen Menschen; aber er trat nicht aus der Hütte des Marabut, sondern er kam aus den gegenüberliegenden Büschen und schritt auf die Letztere zu.

Seine Züge waren dunkel gebräunt. Er mochte gegen dreißig Jahre zählen, trug einen langen, kameelhärenen Burnus, welcher mit einem derben Strick um den Leib befestigt war, und einen grünen Turban, was nur ein Vorrecht derjenigen Moslemin ist, welche von dem Propheten abstammen. Von Waffen war bei ihm nichts zu sehen, aber an seinem Gürtel oder vielmehr an dem Stricke hingen mehrere kleine Säckchen, welche Verschiedenes zu enthalten schienen.

Beim Anblicke der untergehenden Sonne hielt er seinen Schritt inne. Er wendete sich dem Osten zu, in der Richtung nach Mekka, knieete nieder und verrichtete mit lauter Stimme sein Abendgebet.

Aus der offenstehenden Hütte antwortete eine zweite Stimme, deren Ton ein müder, dumpfer war.

Als der Beter geendet hatte, schritt er, nachdem er sich vom Boden erhoben hatte, auf die Hütte zu und trat in dieselbe ein.

Ihr Inneres war mehr als einfach, war geradezu armselig. Auf dem Boden lag eine breite Schicht von Moos, gerade genug um das Lager zweier Menschen zu bilden. In einem Mauerloche lag ein aufgeschlagenes Buch, der Koran in arabischer Sprache, und in einer Ecke erblickte man einige alte Töpfe und Tiegel, denen man es ansah, daß sie zur Zubereitung von Pflastern und Salben dienten.

Auf dem Moose lag eine menschliche Gestalt, welche in ein ähnliches härenes Gewand eingehüllt war. Man sah nur dieses Gewand, den grünen Turban und ein unendlich hageres, eingefallenes Gesicht, welches mehr einem Todtenkopfe als einem lebenden Wesen anzugehören schien.

»Sallam!« grüßte der Eintretende.

»Sallam!« antwortete der Alte auf dem Lager. »Gab Allah seinen Segen?«

»Ja, Vater. Der Kranke wird genesen.«

»Allah sei Dank. Er giebt Freude den Sündern und Bußfertigen.«

Der Alte sprach sehr langsam und fast leise. Man hörte deutlich, daß ihm das Reden schwer wurde. Und wie sich unter dem schlechten Gewande seine Brust fast fieberhaft schnell hob und senkte, hatte es ganz das Aussehen, als ob er ein Sterbender sei, dessen Geist im Begriffe stehe, mit den letzten, hastigen Athemzügen den befreienden Weg aus dem schwachen, engen Körper zu suchen.

Der Angekommene öffnete die kleinen Säckchen und Schachteln und entnahm ihnen mehrere Büchsen und Schachteln, welche er zu den Töpfen und Tiegeln legte. Der Alte beobachtete dies schweigend, während seine tief, sehr tief liegenden Augen mit dem Ausdrucke innigster Liebe jeder Bewegung des Sohnes folgten. Dann sagte er:

»Hast Du sonst heute nichts Gutes gethan, mein Sohn?«

»Leider nein, mein Vater,« lautete die Antwort. »Vielleicht ist es sogar etwas Böses, was ich gethan habe.«

»Allah behüte Dich davor. Das Böse ist wie das Raubthier, welches man jung aufzieht: Es frißt später seinen eigenen Herrn.«

»Ich hätte es nicht gethan, aber die Sprache der Franken war daran schuld.«

»Die Sprache der Franken? Erzähle!«

»Ich war bei einigen Kranken gewesen und ging hinüber nach dem Wadi Sofama. Unterwegs suchte ich im Walde heilsame Kräuter, als ich plötzlich Stimmen von Menschen hörte.«

»Im Walde von Sofama, wo jetzt der Panther haußt?«

»Ja. Die, welche miteinander sprachen, wußten von dem Panther nichts; sie waren fremd, denn sie redeten französisch.«

Der Blick des Alten belebte sich ein wenig.

»Französisch!« sagte er. »Wie waren sie gekleidet?«

»Wie Beduinen. Auch hatten sie Pferde bei sich. Es waren ihrer Zwei. Sie saßen an einem Baume. Ich stand ganz in der Nähe und konnte jedes Wort hören, welches sie sprachen.«

»Mein Sohn, hast Du sie belauscht?«

»Ja, mein Vater.«

»Du hast sehr unrecht gethan.«

»Vielleicht verzeihst Du mir, wenn Du erfährst, was ich hörte.«

»So sage es.«

»Sie redeten von unseren Freunden, den Beni Hassan,« antwortete der Sohn.

»In welcher Weise sprachen sie von ihnen?«

»In sehr feindseliger Weise. Sie fluchten ihnen. Es war ein alter Mann mit einem großen und dichten grauen Schnurrbart und ein jüngerer, der ungefähr so alt wie ich sein konnte. Ich hörte aus ihrem Gespräche, daß sie Gäste der Beni Hassan gewesen seien, aber von ihnen als Spione fortgejagt worden sind. Der Jüngere scheint die Tochter des Scheik begehrt zu haben, doch ist diese bereits mit Saadi versprochen gewesen.«

»Saadi, der Bruder Hassan des Zauberers? Ich kenne ihn. Er ist der tapferste und umsichtigste unter allen jungen Männern des Stammes.«

»Ferner sprachen sie von einem Deutschen, welcher mit Schätzen aus Timbuktu kommt. Sie wollen ihn mit Hilfe der Tuarek überfallen.«

»O Allah! Einen Deutschen? Haben sie seinen Namen genannt?«

»Ja. Er heißt Königsau.«

»Königsau?«

Dieses Wort kam fast wie ein Schrei aus der schneller athmenden Brust des Sterbenden.

»Hast Du diesen Namen richtig verstanden?« fragte er weiter.

»Ja, mein Vater. Ich habe mir denselben ganz genau gemerkt.«

»Hast Du nicht gehört, was er ist?«

»Oberlieutenant.«

»O Allah! Und er soll überfallen werden?«

»Ueberfallen und getödtet.«

»Wo?«

»Auf dem Gebiete der Beni Hassan, damit der Verdacht und die Schuld auf diese falle.«

»Welch ein teuflischer Plan! O, mein Sohn, wie gut ist es, daß Du gelauscht hast. Allah selbst ist es gewesen, der Deine Schritte gelenkt hat, um eine finstere, blutige That zu verhüten. Eile, eile zu den Nachbarn, um Dir das schnellste Pferd zu leihen. Reite zu Menalek, dem Scheik der Beni Hassan. Erzähle ihm Alles, was Du gehört hast, und sage ihm, daß ich ihm im Namen des gerechten und allbarmherzigen Gottes befehle, mit seinen Kriegern diesem Königsau entgegen zu reiten, um ihn zu beschützen. Eile, eile, mein Sohn!«

»Mein Vater, ich darf Dich doch nicht verlassen. Du bist krank.

»Allah wird mich schützen.«

»Du kannst Dich nicht einmal erheben.«

»Allah wird mich stützen.«

»Du könntest unterdessen sterben.«

»Allah wird mein Helfer sein. Eile, eile, mein Sohn!«

»Vielleicht hat es noch Zeit, mein Vater. Die beiden Männer sprachen davon, daß sie erst in neun Tagen zu den Tuarek kommen wollten.«

»Gott ist gnädig. Diese Frist genügt. Aber hast Du auch recht gehört?«

»Ja. Sie haben zwei Wochen Zeit und sind erst fünf Tage unterwegs.«

»Wohin wollten sie?«

»Das habe ich nicht gehört; sie sprachen davon nicht.«

»Wir brauchen es auch nicht zu wissen. Es genügt, daß der Ueberfall erst so spät stattfinden soll. O, wie mich diese Nachricht ergriffen hat.«

Er hatte das härme Gewand, welches ihn bedeckte, halb von sich geschoben, und nun wurden zwei Arme frei, welche nur noch aus den Knochen bestanden, um welche die Falten der Haut schlotterten. Der Turban war ihm entfallen, und es kam ein kahler, haarloser Schädel zum Vorschein, der ganz und gar einem anatomischen Präparate glich.

Der Sohn ließ sich knieend an dem Lager nieder.

»Du bist so schwach, mein Vater,« sagte er im Tone der größten Zärtlichkeit und Besorgniß. »Soll ich Dir Wasser zur Stärkung reichen?«

»Nein. Ich bedarf keiner irdischen Stärkung mehr. O, Allah, ich danke Dir, daß dieser Ueberfall noch Frist hat. Du erlaubst mir, in den Armen meines Sohnes zu sterben.«

»Mein Vater!«

In diesen zwei Worten sprach sich der ganze Schmerz eines Kindes aus, welches den Vater von dem nahen Tode sprechen hört.

»Sei still,« bat der Alte. »Ich gehe zu Gott, von dem ich gekommen bin. Ich verlasse das Land der Trübsal, des Irrthums und der Sünde, um in die Gefilde der Reinheit und der Seligkeit zu fliehen. Ist die Sonne bereits untergegangen?«

Der Sohn eilte zum Eingange, blickte hinaus und antwortete:

»Nein, mein Vater. Ihre letzten Strahlen sind noch zu sehen.«

»So trage mich hinaus. Ich will das scheidende Licht des Tages sehen und den Aufgang der Sterne. Mein Scheiden hier wird auch ein Aufgang sein, ein Aufgang jenseits der Grenzen dieser schönen und doch trügerischen Erde.«

Der Sohn beeilte sich, Moos vor die Hütte zu schaffen. Dann umschlang er den sterbenden Vater mit kräftigen Armen, trug ihn hinaus und setzte ihn so nieder, daß er mit dem Rücken an der Mauer der Hütte lehnte und die goldenen Strahlen schauen konnte, mit welchen die scheidende Königin des Tages den westlichen Horizont überfluthete.

Die Augen des Marabut waren auf diese blitzenden Feuergarben gerichtet.

»Mein Sohn,« sagte er, »Du hast vorhin das Abendgebet der gläubigen Moslemin gesprochen. Kennst Du noch die Lieder der Christen, welche ich Dir lehrte?«

»Ja.«

»Auch das Abendlied, welches von der sinkenden Sonne und den tausend aufgehenden Sternen spricht?«

»Ich kenne es.«

»Bete es, mein Sohn.«

Sie falteten Beide die Hände. Der Sohn knieete nieder und betete mit lauter Stimme diese Verse des Liedes. Es war gewiß wunderbar, hier in Mitten einer muhammedanischen Bevölkerung und vor dem Heiligthume eines Marabut ein christliches Kirchenlied erklingen zu hören. Als die Worte:

»Wer bin ich? Staub und Sünder;
Doch Vater aller Kinder,
Auch mich begnadigst Du.
Wenn still geweinte Zähren
Dir meine Reu' erklären,
So rufest Du mir Gnade zu!«

gesprochen worden waren, senkte der Alte langsam das Haupt und sagte ein tiefes seufzendes Amen.

Der Sohn blieb auf den Knieen liegen. Es herrschte eine tiefe, ernste Stille an diesem einsamen, abgeschiedenen Orte. Das Licht des Tages verschwand, und mit der jenen Gegenden eigenthümlichen Schnelligkeit kam die Dunkelheit von Osten her geflogen. In der Nähe des Aequators giebt es keine Dämmerung.

Die beiden Lauscher hielten noch unter den Bäumen. Sie hatten keine Ahnung davon, daß sie selbst heute von dem Sohne des Marabut belauscht worden seien.

»Das muß der alte Heilige sein,« flüsterte der Cousin, als der Sohn den Vater aus der Hütte getragen brachte und ihm seinen Platz vor derselben gab.

»Jedenfalls,« antwortete Richemonte. »Sieh, die alte Vogelscheuche! Es scheint, die muselmännische Heiligthuerei macht nicht fett. Horch, ich glaube gar, sie beten.«

Der Sohn knieete eben nieder und betete das Lied.

»Tausend Donner!« sagte Richemonte. »Sie beten französisch! Das ist ja ein Lied, wie es daheim in den Kirchen geträllert wird! Ist das nicht wunderbar?«

»Ungeheuer! Ich glaube, wenn wir sie belauschen könnten, würden wir ganz Außerordentliches zu hören bekommen. Sollten diese verkappten Muselmänner etwa gar geborene Franzosen sein?«

»Das möchte man fast wahrscheinlich nennen. Die Sonne geht unter. In fünf bis zehn Minuten ist es dunkel. Wenn wir uns vorsichtig an die andere Seite der Hütte schleichen, können wir Alles hören.«

»Aber wenn wir bemerkt werden?«

»Was schadet das? Fürchtest Du etwa dort das heilige Gerippe oder Den, der am Boden knieet, um fromme Lieder zu plappern?«

»Nein.«

»Also. Wir zwei nehmen hundert solche Kerls auf uns. Laß uns am Rande der Büsche hinschleichen, daß wir auf die andere Seite kommen. Ich soll möglichst viel über diesen frommen Marabut erfahren, und ich glaube, daß wir gerade zur richtigen Stunde gekommen sind, um Dinge zu hören, welche sonst Keiner weiß. Komm.«

Sie huschten hinweg von dem Orte, an welchem sie bisher gestanden hatten. Die so sehr schnell hereinbrechende Dunkelheit begünstigte ihr Vorhaben, so daß sie völlig unbemerkt an die Hinterwand der Hütte gelangten, vor welcher sich der sterbende Einsiedler mit seinem Sohne befand.

Die Dunkelheit nahm von Minute zu Minute tiefere Schatten an, so daß am Himmel bald die Sterne funkelnd hervortraten. Bis jetzt hatte das Schweigen gedauert, in welches Vater und Sohn nach dem Gebete versunken waren. Nun aber sagte der Erstere, indem er langsam den gesenkten Kopf emporhob:

»Wie strahlend nahm die Sonne Abschied von der Erde. Ich dachte, daß der Tag meines Lebens einst auch so herrlich enden werde; aber wie ist es geworden. Ich bin eingegangen wie die Pflanze, an welcher Würmer nagten.«

»Mein Vater, schone Dich,« bat der Sohn.

Der Marabut beachtete dies nicht; er fuhr langsam fort:

»Ja Würmer, Würmer des Vorwurfes und der Reue. Mein Sohn, es giebt eine Last, welche größer ist als jede andere, es ist die Schuld.«

»Du wirst diese Last niemals getragen haben, mein Vater.«

»Glaubst Du? O, wie sehr irrst Du Dich doch! Nur die Reue kann diese Last vermindern. Und wie habe ich sie bereut. Der Glaube der Christen sagt, wer seine Sünden bekennt, dem sollen sie vergeben werden. Ich will meine Schuld nicht hinüber in das Jenseits nehmen, sondern ich will sie bekennen; ich will sie Dir beichten, mein Sohn.«

»Mein Vater, Deine Worte zerreißen mir das Herz.«

»Und dennoch mußt Du diesen bitteren Trank genießen, mir zur Liebe und mir zur Buße. Komm her zu mir. Setze Dich neben mich nieder und höre, was ich Dir zu sagen habe, vielleicht bietet mir Dein Herz Verzeihung an.«

»O Allah! Was könnte ich Dir zu verzeihen haben?«

»Viel, sehr viel, denn auch gegen Dich habe ich gesündigt. Komm, Dein sterbender Vater redet zu Dir. Du sollst in seine Seele blicken und Geheimnisse erfahren, von deren Dasein Du bis jetzt gar keine Ahnung hattest.«

Die beiden Lauscher hörten jedes Wort.

»Was werden wir jetzt erfahren!« flüsterte der Cousin.

»Still!« antwortete Richemonte. »Es darf uns kein Wort des Gespräches entgehen. Horch, er beginnt!«

Der Kranke war während dieser kurzen Pause beschäftigt gewesen, ein Packetchen aus seinem härmen Gewande hervorzuziehen. Er hielt dasselbe seinem Sohne hin und sagte:

»Oeffne das!«

»Was ist darin, mein Vater?«

»Ein kostbares Eigenthum, welches Dir gehört.«

Der Sohn entfernte den Umschlag und brachte einige wohl verwahrt gewesene Papiere zum Vorschein. Es war gerade noch hell genug, die auf demselben befindlichen Schriftzüge zu lesen.

»O, Allah, das sind ja Worte in der Sprache der Franken,« sagte er.

»Ja,« antwortete sein Vater. »Du sollst jetzt erfahren, warum ich Dich gelehrt habe, die Sprache der Franzosen und Deutschen zu sprechen und zu lesen. Du sollst hören, aus welchem Grunde ich Dein Lehrmeister gewesen bin in Allem, was die Franken können und verstehen. Wir nennen sie Giaurs und Ungläubige; aber sie sind viel klüger und weiser als der Moslem, welcher sie verachtet. Lies diese Papiere, mein Sohn. Sie werden Dir ein großes Geheimniß enthüllen.«

Der Sohn gehorchte. Er faltete das erste Document auseinander. Es war mit einem Amtssiegel und einer behördlichen Unterschrift versehen. Als er fertig war, blickte er seinen Vater befremdet an und sagte:

»Das ist der Geburtsschein eines Knaben, welcher Arthur de Sainte-Marie heißt, lieber Vater?«

»Ja,« nickte der Alte.

»Sein Vater ist der Baron Alban de Sainte-Marie auf Schloß Jeanette?«

»Ja, mein Sohn.«

»Wo liegt dieses Schloß, mein Vater?«

»Im schönen Frankreich, in der Nähe der Stadt Sedan.«

»Dieser Baron Alban war von Adel. Die Mutter des Knaben aber hat, wie ich hier sehe, nur Bertha Marmont geheißen. Sie war also nicht von Adel?«

»Nein. Sie stammte aus einem einfachen Wirthshause.«

»Und doch habe ich gehört, daß bei den Franken nur solche Personen Mann und Weib werden, welche gleichen Standes sind.«

»Das ist im Allgemeinen der Fall; doch kommen auch Ausnahmen vor. Aber nimm das zweite Papier!«

Der Sohn that dies. Als er es gelesen hatte, meinte er:

»Es handelt von demselben Knaben. Es ist sein Taufzeugniß. Er ist einige Wochen nach seiner Geburt in Berlin getauft worden, Zeugen waren drei Personen der Familie Königsau. Ah, mein Vater, das ist ja der Name des Lieutenants, welcher überfallen werden soll!«

»Allerdings. Aber lies auch die übrigen Papiere!«

Der Sohn gehorchte und erklärte der Reihe nach:

»Hier ist das Geburtszeugniß des Barons Alban de Sainte-Marie. Hier ist der Schein über seine Trauung mit jener Bertha Marmont. Dann sehe ich hier einige seiner Pässe, und da am Ende finde ich einige Briefe, welche von einem Notar an ihn gerichtet sind.«

»Das Alles stimmt. Und Du, mein Sohn, hast nicht die mindeste Ahnung, wie nahe Dich alle diese Schriften angehen?«

»Mich? Was könnte ich mit ihnen zu schaffen haben? Ich bin niemals auf Schloß Jeanette oder in Berlin gewesen.«

»Und dennoch warst Du an beiden Orten.«

»Ich?« fragte der Sohn verwundert.

»Ja, Du warst daselbst; nur war damals Dein Alter zu gering, als daß Du Dich jetzt noch darauf besinnen könntest. Rechne einmal nach, wie alt dieser Knabe Arthur de Sainte-Marie jetzt sein müßte.«

Er nahm den Geburtsschein zur Hand, rechnete und sagte dann:

»Gerade so alt wie ich, nämlich neunundzwanzig fränkische Jahre.«

Der Alte schwieg eine Weile; dann sagte er langsam und wie sinnend:

»Ja, neunundzwanzig Jahre. Welch eine lange, lange Zeit! Und wie dunkel und drohend sind die Schatten, welche aus dem Abgrunde dieser Zeit auftauchen, um mich zu ängstigen. O, mein Gott, könnte mir vergeben werden. Könnte ich von hinnen scheiden mit dem Bewußtsein, daß Gott mir vergeben werde, um meiner Reue und um seines Sohnes Jesu Christi willen, der für uns am Kreuze gestorben ist!«

Es entstand eine peinliche Pause, welche der Sohn durch die Worte abzukürzen versuchte:

»Allah vergiebt allen Sündern um des Verdienstes des Propheten und der heiligen Kalifen willen.«

Der Alte schüttelte langsam den Kopf und antwortete:

»Ich verzichte auf das Verdienst des Propheten und der Kalifen. Sie waren Menschen; Christus aber war wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.«

Der Sohn erschrak.

»Wie, mein Vater?« fragte er. »Du bist unter den Gläubigen bekannt als ein Heiliger, und dennoch lästerst Du den Propheten?«

»Mein Sohn, Du sollst den Anfang des Geheimnisses hören: Ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.«

»Allah il Allah!« rief der Andere erschrocken.

»Ja. Und auch Du bist ein Christ.«

»Ich?« fragte der Sohn, indem er unwillkürlich zurückfuhr.

»Ja. Du bist als Christ getauft, wenn auch nicht dann confirmirt oder gefirmt. Niemals habe ich mit Dir eine Ceremonie vornehmen lassen, durch welche Du zu den Anhängern des Propheten übergetreten wärst. Ich habe Dich den Glauben der Christen und auch den Glauben der Muhamedaner kennen gelehrt. Du betest die Suren des Kuran; Du absolvirst die vorgeschriebenen Werke und Waschungen; aber Du betest auch die Gebote der Christen und ihre Lieder. Der Taufe nach bist Du ein Christ; dem Leben und der Gesinnung nach bist Du weder Moslem noch Christ, sondern ein frommer Mensch, welcher seinem Schöpfer dient, ohne zu fragen, ob er denselben Gott oder Allah nennen müsse.«

Der Sohn schwieg eine Weile, mehr überrascht als bestürzt. Dann fragte er:

»Aber, mein Vater, warum sagst Du mir dies erst heut?«

»Ich glaubte die Zeit noch nicht gekommen. Jetzt aber tritt der Tod an mich heran, und so sollst Du Alles erfahren, was ich Dir bisher verschwiegen habe.«

Der junge Mann bemerkte, daß das Reden seinen Vater außerordentlich anstrengte; darum bat er:

»Schone Dich, mein Vater. Gott wird mir nicht das Herzeleid anthun, Dich so schnell von mir zu rufen.«

»Wem der Engel des Todes naht, der hört seine Fittiche bereits von Weitem rauschen. Dann soll er nicht zögern, seine Rechnung mit dem Leben zu schließen. Willst Du nicht rathen, mein Sohn, warum jener Knabe jetzt gerade so alt sein würde, wie Du bist!«

»Wie vermöchte ich, dies zu errathen.«

»So will ich Dir es mittheilen: Du bist es selbst.«

»Ich?« rief der Sohn. »Wer – wer soll ich sein?«

»Du bist jener Knabe, der in Berlin getauft wurde und dabei den Namen Arthur de Sainte-Marie erhielt.«

»Allah akbar, Allah ist groß. Bei ihm ist nichts unmöglich, denn er ist allmächtig. Wie aber könnte ich jener Knabe sein?«

»Weil ich Dein Vater bin.«

»Ja, das bist Du. Du bist mir ein lieber und treuer Vater gewesen in jedem Augenblicke meines Lebens.«

»Ich habe an Dir sühnen wollen die Sünden meiner Jugend, denn wisse, ich bin jener Baron Alban de Sainte-Marie.«

Da schlug der Sohn die Hände zusammen und sagte:

»Welch ein Wort! Ist dies wahr, mein Vater?«

»Am Ende des Lebens treibt man keinen Scherz!«

»So bist Du also nicht ein Araber vom Stamme der Schammar?«

»Nein.«

»Sondern ein Franzose?«

»Ja.«

»Und jene Tochter eines Wirthes ist meine Mutter?«

»Ja.«

»O, mein Vater, schnell, schnell! Sage mir, ob sie noch lebt.«

Der Alte schüttelte langsam und traurig den Kopf und antwortete:

»Nein, sie lebt nicht mehr; sie ist todt.«

»O, warum hat Allah sie aus dem Leben gerufen! Wie glücklich würde ich sein, das Antlitz meiner Mutter sehen zu können!«

»Ja, Du würdest glücklich sein. Sie war ein sanftes und gutes Weib. Aber desto größer ist meine Schuld, denn ich bin es gewesen, der – – oh!«

Er stockte und fuhr sich mit den dürren Händen nach dem Kopfe.

»Sprich weiter, mein Vater!« bat der Sohn.

»Ich soll sprechen, und doch wie schwer fällt es mir. O, mein Sohn, o Arthur, denn so ist ja Dein eigentlicher, richtiger Name; hier, hier ist es; hier ist der Ort, von dem die Bibel spricht: »wo das Feuer brennt, welches nie verlischt, und wo der Wurm beißt, der niemals stirbt!««

Dabei deutete er mit den Händen nach seinem Kopfe und seinem Herzen.

»Du und Ihr Alle hieltet mich für einen frommen Mann, für einen Liebling Gottes und des Propheten,« fuhr er fort. »Und doch war ich etwas ganz Anderes. Ich war – – ein Dieb, und ich war – – – ich war ein Mörder.

Er hatte dieses letzte Bekenntniß wie mit Gewalt, mit aller Anstrengung herausgestoßen. Es wurde seinem Sohne fast angst dabei. Er ergriff die Hand des Vaters und sagte:

»Du irrst, Du irrst! Mein Vater kann kein Dieb und kein Mörder sein!«

»Und doch bin ich es!« erwiderte der Alte. »Und weißt Du, wessen Mörder ich bin, Arthur?«

»Nein: wie sollte ich das wissen!« sagte Arthur zaghaft.

»Ich habe Diejenige gemordet, welche Du so gern zu sehen wünschest, nämlich Deine – – o wie mir dies schwer fällt, auszusprechen! Ich bin der Mörder Deiner – Mutter.«

»Allah kerihm! Meine Mutter willst Du gemordet haben? Dein eigenes Weib?«

»Ja, Bertha, meine einstige Geliebte, mein eigenes Weib!« stöhnte der Kranke.

Arthur fuhr erschreckt empor.

»Sage, daß es aus Versehen geschehen ist, mein Vater!« rief er.

»O, wenn ich das sagen könnte!«

»Mein Gott! So hast Du es mit Absicht gethan?«

»Ja, mit Absicht; aber es geschah im Zorne.«

Da drang ein Ruf der Erleichterung aus dem Munde des Sohnes.

»Allah sei Dank!« rief er. »Im Zorne ist es geschehen. Der Prophet sagt, daß der Mensch nicht zu verantworten habe, was der Zorn gethan hat.«

»O, was der Prophet sagt, das beruhigt mich nicht. Der starke, mächtige Gott der Christen ist es, der mit mir in's Gericht gehen wird!«

Da ergriff Arthur die Hand des Vaters und sagte:

»Hast Du mich nicht gelehrt, daß dieser starke, mächtige Gott auch die Liebe, die Gnade und Barmherzigkeit ist? Hast Du mir nicht gesagt, daß im Himmel der Christen über einen Sünder, welcher Buße thut, mehr Freude sei als über neunundneunzig Gerechte?«

»Ja, mein Sohn, das habe ich Dir gesagt. Das war mein einziger Trost im Leben und ist nun auch mein einziger Trost im Sterben.«

»So fasse Muth, mein Vater! Vertraue mir an, was Dich bedrückt. Vielleicht, daß dann die Last von Deinem Herzen verschwindet!«

»Ja, ich will es thun. Ich habe Dir bereits vorhin gesagt, daß ich beichten will. Vielleicht kannst Du mir verzeihen, und dann will ich mit der Hoffnung von hinnen gehen, daß auch der ewige Richter meiner armen Seele gnädig ist.«

»So erzähle, mein Vater, erzähle!«

»Ich will erzählen; ich muß erzählen! Lege mir mein Haupt höher auf das Moos und komm nahe heran, daß Du Alles hörst. Es ist mir, als ob die Vampyre der Hölle mit dunkeln Flügeln mir um den Kopf strichen. Mir graut vor den nächsten Augenblicken. Aber mein Sohn soll mein Richter sein. O, Gott im Himmel, gieb in Gnaden, daß er mich nicht gnadenlos in die Ewigkeit gehen läßt!«

Arthur erfüllte die Bitte des Vaters. Er legte ihm das Moos höher und rückte so nahe wie möglich zu ihm heran.

Die Dämmerung war unterdessen schnell vergangen, und die Dunkelheit der Nacht lagerte sich auf die Ebene und um die Berge. Aber es war die Dunkelheit des Südens, geschmückt mit Millionen Sternenlichtern, mit denen der nördliche Glanz der Sterne nicht verglichen werden kann. Von den Zweigen der Bäume wehte eine erquickende Frische, mit welcher sich der eigenthümliche, imponirende Duft der Wüste, welcher aus der Tiefe emporstieg, mischte.

Es herrschte zwischen den Beiden eine längere Stille. Dem Alten wurde es schwer, mit seinen Bekenntnissen zu beginnen und dem Sohne war es so eigenthümlich bang. Er hatte in seinem Vater einen Heiligen verehrt und sollte nun erfahren, daß dieser nicht nur ein gewöhnlicher, sündhafter Mensch, sondern sogar ein schwerer Verbrecher sei.

Die beiden Lauscher hatten bisher jedes Wort vernommen. Als die jetzige Pause eintrat, stieß der Cousin Richemonte leise an und flüsterte:

»Hast Du es gehört?«

»Ja,« flüsterte der alte Spion.

»Er ist kein Marabut, kein Muhamedaner, sondern ein Christ!«

»Ein Dieb!«

»Sogar ein Mörder!«

»Ich wußte das längst.«

»Du?« fragte der Cousin verwundert.

»Ja.«

»So kennst Du diesen Marabut?«

»O, sehr gut!«

»Aber warum hast Du da diesen heillosen Ritt gemacht, um bei ihm zu eclairiren?«

»Ich hatte keine Ahnung davon, daß dieser fromme Hadschi Omanah ein alter Bekannter von mir sei!«

»Ein alter Bekannter? So kennst Du ihn bereits von Frankreich her?«

»Ja.«

»Und er Dich auch?«

»O, nur zu gut. Es ist möglich, daß er jetzt auch Einiges von mir erzählt.«

»Das wäre interessant.«

»Für mich nicht.«

»Ah, warum nicht?«

»Hm! Kann ich Deiner sicher sein?«

»Warum nicht? Zweifelst Du daran?«

»Vielleicht. Du bist nie ein starker, zuverlässiger Charakter gewesen. Aber ich gebe Dir zu bedenken, daß ich Dich in meiner Gewalt habe.«

»Oho!« meinte der junge Mann, und zwar etwas lauter als es unumgänglich nöthig war.

»Leise, leise,« gebot der Capitän. »Sie dürfen keine Ahnung haben, daß sich Andere hier in der Nähe befinden. Uebrigens wollte ich Dich nur warnen.«

»Wovor?«

»Du wirst wohl Einiges von mir hören, was Dir noch nicht bekannt sein dürfte – – –«

»Solche Dinge mag es noch genug geben!« unterbrach ihn der Andere.

»Schweig! Ich hoffe, daß Du alles so verschwiegen hältst als ob es im Grabe läge! Ich würde mich, falls das Gegentheil stattfände, ganz gewißlich sicher zu stellen wissen. Ich spaße mit solchen Dingen nicht!«

»Ah! Du willst mir drohen?«

»Nimm es, wie Du willst! Uebrigens werde ich Deine Verschwiegenheit auch gehörig zu belohnen wissen.«

»Wieso?«

»Das wirst Du später erfahren.«

»Wann?«

»Vielleicht heute noch. Ich habe einen Plan, einen famosen Plan. Dieser Abend erweckt längst gestorbene Gedanken von den Todten. Einst, als Du noch ein Knabe warst, hatte ich großes mit Dir vor. Es glückte nicht; es kam nicht zur Ausführung. Vielleicht ist jetzt das möglich, was damals unmöglich war.«

»Du machst mich neugierig.«

»Warte noch! Horch, er räuspert sich; er will beginnen. Sei still!«

Der Marabut hatte jetzt tief, tief Athem geholt und stieß jenen leisen Husten aus, dem man es anhört, daß nun gesprochen werden soll. Er begann:

»Ich habe Dir so viel von Napoleon, dem großen Kaiser, erzählt?«

»Ja,« antwortete Arthur. »Er wird sogar von den Arabern verehrt und von ihnen nicht anders als Sultan el Kebir, der große Sultan genannt.«

»Ja, er war groß; aber er war auch ein Sterblicher. Seine Gebeine verfaulen jetzt auf dem Felseneilande, an welches man den Riesen schmiedete, weil man sich vor ihm fürchtete.«

»Man sagt, er sei nicht gestorben, sondern er lebe noch.«

»Das ist eine müßige Sage. Sein Leib ist längst zur Erde gegangen. Aber ja, sein Geist lebt noch, und dieser ist es, welcher einst, wenn die Stunde gekommen ist, alle Die, welche ihn stürzten, zu Boden werfen wird. Ich habe ihn nicht geliebt, ich habe einst sogar gegen ihn gehandelt; aber es hat mir keine Frucht gebracht; ich bin doch ein armer Flüchtling geworden.«

»Du hast fliehen müssen, mein Vater?«

»Ja.«

»Man hat Dich aus dem Vaterlande getrieben?«

»Man? O, wenn ich dieses sagen könnte. Aber ich bin selbst schuld daran, daß ich mich verbergen mußte. Höre also, mein Sohn!«

Er schloß für einen Augenblick die matten Lider, als wolle er in die ferne Erinnerung blicken, die ja nur in seinem Innern lag, dann fuhr er weiter fort:

»Ich war jung, reich und voller Hoffnung für das reiche, schöne Leben. Ich war Edelmann. Man nannte mich Baron Alban de Sainte-Marie. Ich hatte eine gute, liebevolle Mutter; aber ich besaß ein schwankes Herz, und leichtes Temperament und einen Charakter, der keine Zeit und Gelegenheit gehabt hatte, in der Schule des Lebens zu erstarken. Doch war ich überzeugt, daß ich der beste Mensch, der schönste junge Mann und der untadelhafteste Cavalier der Erde sei.«

Er holte Athem und fügte dann leiser hinzu:

»Und jetzt! Ein Gerippe, mit einer Vergangenheit voller Ent- und Selbsttäuschung, voller Fehler und Sünden.«

»Sprich nicht so, mein Vater!« bat der Sohn. »Erzähle lieber so, als ob Du von einem vollständig Fremden redetest.«

»Ich will mir Mühe geben, dies fertig zu bringen. Sage mir, mein Sohn, ob Du bereits einmal geliebt hast.«

»Geliebt?« fragte Arthur verwundert.

»Ja. Ich habe nie bemerkt, daß Du eine der Töchter bekannter Stämme ausgezeichnet hättest, und ich habe Dich auch nie gefragt.«

»Mein Herz hat nur Dir gehört, mein Vater.«

»Du hast kein Mädchen gekannt, von welcher Du gewünscht hättest, daß sie Dein Weib werde?«

»Niemals.«

»So wirst Du mich schwerlich verstehen und begreifen. Die Liebe ist eine Macht, der nur wenige Menschen widerstehen können. Es geht über die Kräfte der meisten Sterblichen, mit kaltem Blute die Gefühle des Herzens zu beherrschen. Es giebt Schichten der Bevölkerung, in denen es Sitte und Gepflogenheit ist, mit diesen Gefühlen einen sündhaften Sport zu treiben. Es giebt da tausende von jungen Männern, welche sich bemühen, hübsche und unbescholtene Mädchen zu bethören. Sie lügen ihnen Liebe vor und verlassen sie, sobald sie erhört worden sind.«

»Ist das unter den Christen, mein Vater?«

»Ja.«

»Gott wird sie strafen!«

»Ja, so, wie er mich gestraft hat.«

»Auch Du gehörtest zu ihnen?«

»Auch ich. Ich habe viele Mädchen gekannt, deren Liebe ich mir errang. Die Letzte unter ihnen war Bertha Marmont, welche dann Deine Mutter wurde.«

»Aber sie war Dein Weib?«

»Ja. Es lag nicht in meiner Absicht, sie zu meinem Weibe zu machen. Ich spielte mit ihr, wie der Verführer mit seinem ahnungslosen, vertrauenden Opfer spielt. Aber sie war rein und gut; es gelang mir nicht, sie zu Denen zu zählen, welche ich nach kurzer Bekanntschaft wieder verlassen hatte. Dies stachelte mich. Ich glaubte, sie wirklich heiß zu lieben, und beschloß, sie um jeden Preis zu besitzen.«

»Als Weib?«

»Ja, auch als Weib.«

»Willigte sie ein?«

»Ich fragte sie nicht sogleich. Meine Mutter war gut, aber stolz. Sie bemerkte meinen Umgang mit dem armen, bürgerlichen Mädchen und verbot mir jeden Umgang mit ihr.«

»Du gehorchtest?«

»Mein Sohn, gegen eine solche Liebe vermag das Gebot der besten Mutter nicht. Ich beschloß, Bertha im Geheimen zu meinem Weibe zu machen.«

»Ah! Du thatest es auch?«

»Nicht sogleich, denn es trat ein Ereigniß dazwischen, welches mit einem einzigen Schlage alle meine Gefühle und Sinne gefangen nahm. Es kam nämlich eine entfernte Verwandte zu uns auf Besuch; sie brachte eine Tochter mit, ein Mädchen von so unvergleichlicher Schönheit, daß sofort die arme Bertha vergessen war.«

»Wie hieß diese Andere?«

»Margot Richemonte. Ich war unter ihrem Zauber gefangen, daß ich vom ersten Augenblicke an nur darnach trachtete, sie zu besitzen.«

»War sie gut, so gut wie Bertha?«

»Ja. Sie war stolz, edel und rein wie die Rose, welche noch keines Menschen Hand berührt hat. Aber schon nach kürzester Zeit erfuhr ich, daß meine Liebe hoffnungslos sei.«

»Warum? Sie liebte Dich nicht?«

»Sie war bereits verlobt.«

»Allah il Allah! Mit wem?«

»Mit einem deutschen Officier, welcher mit nach Frankreich gekommen war, um den Kaiser, um den Sultan el Kebir zu besiegen.«

»Einen Feind des Vaterlandes!«

»Ja, aber nicht einen Feind von uns, denn Mutter war von Geburt auch eine Deutsche, und ich hatte nicht gelernt, die Deutschen zu hassen.«

»Aber diesen hassest Du?«

»Nein. Ich wollte es, aber ich brachte es nicht fertig, denn er war ein Mann, den man achten und lieben mußte.«

»Wie hieß er?«

»Hugo von Königsau.«

»Königsau? Das ist ja abermals der Name jenes Lieutenantes, welcher überfallen werden soll!«

»Ja. Er kam zu uns, um seine Verlobte zu besuchen. An demselben Tage kam auch der Kaiser nach Schloß Jeanette in Quartier. Er sah Margot und liebte sie. Er wollte sie an sich fesseln, sie aber entfloh mit ihrem Verlobten.«

»So war sie wirklich stolz und rein, wie Du sagtest.«

»Sie hatte einen Bruder, welcher ganz das Gegentheil von ihr war. Er jagte ihr nach, um sie dem Kaiser zurückzubringen, aber es gelang ihm nicht; denn die Flüchtigen wurden zwar entdeckt, aber der Kaiser hatte die Schlacht von Waterloo verloren, mußte fliehen und wurde dann von den Engländern nach St. Helena geschafft.«

»Was geschah mit Margot und Königsau?«

»Königsau war schwer verwundet worden; aber der fürchterliche Hieb, den er über den Kopf erhalten hatte, heilte zu. Er zog nach Berlin und Margot wurde seine Frau.«

»Konnte er das, da er Officier war?«

»Ja. Er hatte den Abschied genommen.«

»So jung!«

»O, er mußte. Der Hieb hatte das Gehirn verletzt. Eine eigenthümliche Gedächtnißschwäche war die Folge. Er konnte sich nicht auf das besinnen, was vor seiner Verwundung geschehen war. Diese Schwäche hätte sich auch bei späteren, dienstlichen Verhältnissen äußern können, und so nahm er seinen Abschied. Er hatte übrigens dem Vaterlande wichtige Dienste geleistet und wurde dafür nebst seiner Pension so belohnt, daß er keine Sorgen zu haben brauchte.«

»Was aber thatest Du, bei der großen Liebe, welche Du zu Margot gehegt hattest?«

»Ich war jung, und ich war oberflächlich. Vorher hätte ich gedacht, sterben zu müssen, wenn ich gezwungen sein solle, von dem schönen Mädchen zu lassen. Nun es aber in Wirklichkeit so gekommen war, wurde mir es nicht sehr schwer, mich mit der Thatsache zu befreunden. Ich kehrte zu der früheren Geliebten zurück.«

»Zu Bertha Marmont?«

»Ja. Ich war störrisch geworden, und so schwor ich mir, von dieser nicht auch so zu lassen, wie ich gezwungen gewesen war, Margot zu entsagen. Mutter widersprach mir. Sie wiederholte ihren früheren Befehl; aber es war umsonst. Ich hatte mich in eine wahre Lust des Widerstandes hineingearbeitet und ließ mich nicht besiegen.«

»Da gab sie nach?«

»Nein. Sie sorgte dafür, daß Bertha plötzlich verschwand. Das ergrimmte mich so, daß ich Gehorsam und Dankbarkeit vergaß. Ich sagte mich von der Mutter los und ging in die weite Welt.«

»Allah il Allah! Allein? ohne die Geliebte?«

»Ohne sie. Aber ich hatte ihre Spur entdeckt und genau, wo sie zu finden sei.«

»Sie war arm. Und Du jetzt auch, mein Vater!«

Der Kranke schloß die Augen, als ob der Strahl der Sterne ihn blende. Erst nach einer Weile öffnete er sie wieder und antwortete:

»Nein, mein Sohn. Ich war reich, denn ich war – ein Dieb geworden.«

*


 << zurück weiter >>