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Vorhin, grad als Hedwig nach der Entfernung der Gräfin sich vom Stuhle erhoben hatte, um an das Piano zu treten, hatte sich Ida dem Fenster genähert, wie um irgend etwas in einem dort stehenden Stickkörbchen zu suchen. Da Gebhardt sich nun allein am Tische befunden hatte, war er ihr langsam gefolgt. Sie hörte das Nahen seines leisen Schrittes und wendete sich langsam zu ihm um.
»Herr Lieutenant,« sagte sie, »glauben Sie, daß es mir erst in diesem Augenblicke einfällt, daß ich beinahe einen Raub an Ihnen begangen hätte?«
Er wußte, was sie meinte. Als die Gräfin das Bild seiner Mutter betrachtet gehabt hatte, hatte sie dasselbe an Ida als Derjenigen, der es von ihm anvertraut worden war, zurückgegeben. Das schöne Mädchen hatte es spielend in der Hand behalten; spielend hatte sie es im Laufe der Unterhaltung an ihre eigene Uhrkette genestelt und später nicht wieder daran gedacht. Erst jetzt war es ihr wieder eingefallen.
»Ja, einen Raub, einen großen Raub haben Sie an mir begangen,« antwortete er, indem er neben sie in die Fensternische trat, in welcher sie stand.
Sie wurden Beide von den Gardinen so verdeckt, daß sie von der Schwester und Goldberg gar nicht gesehen werden konnten.
Bei dieser Antwort erröthete Ida.
»Ich habe es vergessen,« meinte sie verlegen, »hätte Tante nicht während des Soupé's Ihre Gegenwart gewünscht, so wären Sie gegangen und ich hätte das Kleinod zurückbehalten, – ganz ohne Absicht.«
»Ich wäre wiedergekommen und hätte es von Ihnen zurückerhalten,« antwortete er. »Aber, Fräulein, ich meinte einen anderen Raub.«
»Einen andern? Ich habe keine Ahnung – – –!«
Sie hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen. War es in Folge einer leisen Ahnung, trotzdem sie behauptete, nichts zu ahnen?
»Sie ahnen es nicht, Comtesse? Ahnungslosigkeit ist in vielen Fällen ein sehr beneideter Zustand, und so will ich Ihnen denselben nicht stören.«
»O nein, Monsieur,« entgegnete sie schnell, »habe ich ein Unrecht an Ihnen begangen, so bitte ich Sie um Verzeihung und um Mittheilung desselben.«
»Unrecht?« sagte er. »O nein, tausendmal nein! Bitte, Mademoiselle, geben Sie mir einmal Ihr Händchen.«
Sie reichte ihm vertrauensvoll ihre Rechte dar. Er ergriff dieselbe und sagte:
»So! Diese Hand muß ich Ihnen drücken voll inniger Dankbarkeit, daß Sie mir an einem Augenblicke zu Hilfe kamen, an welchem ich schon Alles verloren gab.«
Sie ließ ihm ihre Hand und antwortete:
»Sie haben einen vollständigen Sieg errungen, Herr von Königsau.«
»O nur durch Ihr rechtzeitiges Einschreiten!«
»Ich that nur, was mir mein Herz gebot. Tante hatte ein großes Unrecht gegen Sie begangen. Wie freut es mich, daß sie ihre Meinung so schnell geändert hat! Sie haßt leider die Deutschen und – die Officiere, oder vielmehr den Stand der Letzteren.«
»Warum, mein Fräulein?«
»Sie ist leidenschaftlich Französin.«
»Und da meinen Sie, müsse sie die Deutschen hassen?«
»Nicht meine Meinung ist es, sondern die ihrige, mein Herr.«
»Sie würden also Keinen hassen aus dem einzigen Grunde, daß er ein Deutscher ist?«
»Nein, nie! Sie haben mir vielmehr ganz aus der Seele gesprochen, als Sie jenes schöne Gebot des Erlösers erwähnten und die Stimme des Herzens, welche – – –«
Sie stockte. Dachte sie, zuviel gesagt oder überhaupt ein Gebiet berührt zu haben, welches zu betreten sie keine Berechtigung hatte? Er hielt ihr Händchen noch immer in der seinigen. Sie machte nicht die leiseste Anstrengung, es ihm zu entziehen. Es war Beiden, als ob es so sein müsse und nicht anders sein könne. Ein süßer Schauer durchrieselte ihren Körper, als sie jetzt von ihm einen leisen Fingerdruck fühlte und dann die Worte hörte:
»Die Stimme des Herzens, welche – – –? O bitte, fahren Sie fort.«
»Nein, nein, ich weiß es nicht,« flüsterte sie verlegen.
»Ich glaube es Ihnen,« antwortete er zart. »Auch ich wußte es nicht, bin aber so glücklich, es erfahren zu haben.«
Es war ihm, als ob er ein ganz, ganz wenig bemerkbares Zucken ihrer Hand empfinde. War das in Folge seiner Worte? Er konnte dies nicht erfahren, denn sie brachte ein anderes Thema, indem sie fragte:
»Sie erzählten von jener bösen Hiebwunde, welche Ihr Papa empfangen hat. Leidet er noch jetzt daran?«
»Sie verursacht ihm zuweilen Schmerzen.«
»Wie leid, wie sehr leid mir das thut. Ihr Vater muß ein außerordentlich angelegter Charakter sein.«
»Ich bin allerdings überzeugt, daß er schnell Carriere gemacht hätte, wenn jene Verwundung nicht dazwischen gekommen wäre.«
»Das ist lebhaft zu bedauern. Glauben Sie, daß ich Ihre Eltern persönlich kenne?«
»Wie? In Wirklichkeit persönlich?« fragte er, im höchsten Grade überrascht.
Ein leises Lächeln glitt über ihre schönen, sanften Züge.
»Ich bitte es nicht so ganz wirklich zu nehmen,« sagte sie. »Sie sind ein sehr guter Erzähler. Sie schildern so lebhaft und anschaulich, daß man die Personen, von denen Sie sprachen, gewissermaßen vor sich sieht und so lieb gewinnt. Das ist es, was ich sagen wollte, und so habe ich es gemeint.«
»Sie haben meine Eltern lieb?«
»Ja. Wer könnte das Bild Ihrer Mama sehen, ohne ihr die wärmste, vollste Sympathie zuzuwenden? Und Derjenige, dem sie sich für das Leben anvertraut hat, muß ihrer würdig sein.«
Wie wohl thaten diese Worte dem Lieutenant! Sie liebte seinen Vater und seine Mutter. War er nicht berechtigt, folgendermaßen weiter zu schließen: Sie liebt meinen Vater, weil er der Mutter würdig ist; nach den Gesetzen der Natur und Erfahrung werde ich der Eltern nicht unwerth sein, folglich kann auch mir ihre Liebe zu Eigen werden. Sie fuhr fort:
»Ihr Vater ist ein sehr muthiger, sogar verwegener Mann gewesen. Ich bin überzeugt, daß Sie sein Ebenbild sind.«
»Woher vermuthen Sie das?« fragte er.
»Es ist keine Vermuthung, sondern Ueberzeugung. Wer in die Sahara geht, der hat ein muthiges Herz. Und daß Sie ein solches besitzen, haben Sie ja auch heute wiederholt und zur Genüge bewiesen. Werden Sie mir glauben, daß ich für Sie gezittert habe?«
»Dieses Duelles wegen?«
»O nein, Herr Lieutenant, sondern der Tante wegen.«
»Ist sie so schlimm?« fragte er in einem scherzhaften Tone.
»Schlimm nicht, aber sehr eigen. Fast befürchtete ich, daß sie dem Diener Befehl geben werde, Sie fort zu führen. Sie hat das bereits öfters gethan. Wegen des Duelles aber befürchte ich nicht das Geringste.«
»Das ist ein Beweis, daß auch Sie ein muthiges Herz besitzen.«
»O nein; ich bin im Gegentheile ein ganz und gar zaghaftes Wesen.«
»Aber, Mademoiselle, ein Duell ist eine sehr ernsthafte Sache!«
»Ich weiß das, mein Herr.«
»Man kann verwundet werden.«
»Leider.«
»Man kann sogar fallen.«
»Wie sehr haben Sie Recht! Deshalb habe ich es auch nie begreifen und verstehen können, daß gewisse Gesellschaftsklassen gezwungen sein sollen, ihre Differenzen auf eine so rohe, meist auch ungerechte Weise beizulegen, während andere Kreise die Wohlthat einer geordneten Gesetzgebung genießen.«
»Es mag sein, daß die Angehörigen der ersteren Klassen vielfach von Gebrauch, Herkommen und Vorurtheil fortgerissen werden. Aber ich bitte Sie, mir zu sagen, wie anders ich Ihrem Cousin hätte antworten dürfen?«
»Sie mußten ihn allerdings fordern, um nicht als Feigling zu gelten. Das ist, wie ich gehört habe, in Officierskreisen die Gepflogenheit.«
»Es war sogar das Wenigste, was ich thun konnte.«
»Noch mehr also?«
»Ja. Wäre er mir an einem anderen Orte und nicht in Ihrer Gegenwart in dieser Weise entgegengetreten, so hätte ich ihn an Ort und Stelle und zwar augenblicklich persönlich gezüchtigt.«
» Mon dieu!« rief sie erschrocken. »Wie gut, daß das nicht stattgefunden hat.«
»Ich begreife die Rücksicht, mit welcher die Frau Gräfin diese unangenehme Angelegenheit mit Schweigen übergangen hat; aber aufrichtig muß ich Ihnen gestehen, daß ich diese Ruhe deshalb bewundere, weil es sich dabei doch um einen so nahen Verwandten handelt.«
»Daran ist nichts zu bewundern,« lächelte sie. »Ich hörte, daß Sie ein so guter Schütze und Fechter sind?«
»O, das war nur Redensart, die ich in Anwendung brachte, weil ihr Cousin behauptete, mich in Grund und Boden hauen oder schießen zu wollen.«
»Und doch weiß ich, daß Sie die Wahrheit gesagt haben. Aber alle Ihre Kunst und Geschicklichkeit wird hier vergeblich sein.«
»Ah, Sie meinen, daß mein Gegner mir überlegen sei?«
»Ganz und gar nicht. Ich meine vielmehr, daß das Duell gar nicht stattfinden wird.«
»Ich habe eine andere Ueberzeugung.«
»Ich spreche aus Erfahrung.«
»So hat der Graf schon einmal oder mehrere Male sich geschlagen?«
»O, nicht ein einziges Mal. Er schlägt sich ja überhaupt nie.«
»Aber, ich denke, daß Sie aus Erfahrung sprechen?«
»Allerdings. Er war schon öfters gefordert, hat aber nicht angenommen.«
»Ah, wissen Sie, daß dies ehrlos ist?«
Sie schwieg ein Weilchen und antwortete dann:
»Sie haben Recht. Er ist ein großer Feigling. Tante verachtet ihn, und wir – – –«
»Und Sie – –?« fragte er, als sie fortzufahren zögerte.
»Wir können ihn weder lieben noch anbeten.«
»Ich werde ihn zwingen, ehrenvoll zu handeln.«
»Wieso?«
»Indem ich ihn zwinge, sich mit mir zu schlagen.«
»Das wird Ihnen auf keinen Fall gelingen.«
»Dann werde ich Sie, Mademoiselle, wohl niemals Wiedersehen dürfen.«
»Niemals? Warum?« fragte sie rasch.
»Weil ich etwas thun werde, was mir Ihren Zorn zuziehen wird.«
»Dürfen Sie mir dies mittheilen?«
»Ja, ich will, ich muß es Ihnen sagen. Vielleicht besitzen Sie so viel Einfluß auf Ihren Cousin, das drohende Unheil von ihm abzuwenden.«
»Ah, Sie machen mich wirklich fürchten.«
Er mußte leise lächeln, als er ihr mit der Frage antwortete:
»So lieben Sie also das Gruseln nicht so wie Comtesse Hedwig?«
»O nein, nein; ich fürchte es. Aber welches Umheil droht dem Grafen?«
»Wenn er meine Forderung zurückweist, werde ich ihn öffentlich demüthigen.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Muß das denn geschehen?«
»Ja. Wenn ich mich ohne Dieses abweisen lasse, würde der Vorwurf der Feigheit auf mich fallen.«
Sie schüttelte mißbilligend das schöne Köpfchen.
»Ich mache Ihnen keine Vorwürfe,« sagte sie; »aber ich beklage Sie und alle Ihre Standesgenossen, welche von derartigen Anschauungen und Herkömmlichkeiten abhängig sind. Doch sehe ich ein, daß Sie den Vorwurf der Feigheit auf keinen Fall auf sich laden dürfen. Darf ich wissen, auf welche Weise Sie in diesem Falle die Demüthigung des Grafen vornehmen würden?«
»Das weiß ich selbst noch nicht; es wird dies durch die gegebenen Umstände bestimmt werden.«
»Wird es durch Schrift oder Wort geschehen?«
»Vielleicht.«
»Oder gar durch die That?«
»Auch das ist möglich, vielleicht noch eher möglich als das Andere.
Sie schwieg und blickte sinnend zum Fenster hinaus. Noch immer hielt er ihre Hand in der seinigen. Da drehte sie sich rasch herum, gab ihm auch die Linke und sagte, indem sie den Kopf näher zu ihm neigte:
»Werden Sie mir eine Bitte, eine recht eigenthümliche Bitte erfüllen und mir sie auch nicht anders deuten als sie gemeint wird?«
Es war ein höchst unangenehmes Gefühl, welches ihn überschlich.
»Ich glaube, diese Bitte errathen zu können,« sagte er. »Aber leider wird es mir unmöglich sein, sie zu erfüllen.«
»Nein, Sie errathen sie nicht, und bei nur einigem guten Willen wird es Ihnen gar nicht schwer werden, mir diese Liebe zu erweisen.«
Liebe – dieses Wort hatte sie ausgesprochen. Es wurde ihm so warm, so weit, so eigenthümlich und unbeschreiblich im Herzen.
»Sie wollen für Ihren Cousin um Schonung bitten?« fragte er zagend.
»Nein, o nein! Wie könnte ich dieses thun! Wie könnte ich einen Wunsch aussprechen, mit dessen Erfüllung Ihre Ehre beleidigt würde!«
»So sprechen Sie, Mademoiselle.«
»Ja, ich will wagen, zu sprechen. Bitte, handeln Sie in dieser Angelegenheit so, daß das Bild, welches Sie Ihrer Mama von sich zurückgelassen haben, nicht getrübt werde! Das ist meine Bitte. Und nun sagen Sie mir, ob Sie mir zürnen oder ob Sie mir verzeihen können.«
»Jetzt, nun verstehe ich Sie vollkommen,« antwortete er, und aus seinem halblauten Tone klang es wie Glück und Jubel heraus. »Ich Ihnen zürnen? O nein und tausendmal nein. Ich werde zwar so handeln, wie ich auf alle Fälle gehandelt hätte; aber ich habe von Ihnen ein Geschenk empfangen, so kostbar, so werthvoll, daß ich es gegen Schätze und Reichthümer nicht vertauschen würde.«
»Ein Geschenk?« fragte sie ahnungslos.
»Ja, ein großes, kostbares Geschenk, welches Sie mir freiwillig darbringen, ohne es zu wissen. Mademoiselle, Sie haben mit Ihrer Bitte aufrichtig zu mir gesprochen; darf ich ebenso aufrichtig gegen Sie sein?«
»Ja, Monsieur, sprechen Sie!«
Sie nickte ihm dabei so freundlich und aufmunternd zu, daß er Muth faßte.
»Sie haben das Bild meiner Mutter gesehen,« begann er. »Sie ist ein Engel an Schönheit gewesen, aber auch ein Engel an Reinheit und Herzensgüte.«
»Ich bin davon überzeugt, Herr von Königsau.«
»Mein Vater war ein tüchtiger Officier, offen, bescheiden, aber kenntnißvoll, schneidig und sogar verwegen. Als diese Beiden sich zum erstenmale sahen, fühlten sie sofort, daß sie sich für das Leben angehörten. Glauben Sie, daß die Liebe so stark, so mächtig und – so schnell sein kann?«
Sie senkte erröthend das Köpfchen und antwortete sehr leise:
»Fast glaube ich es.«
»Werden Sie auch glauben, daß mein Vater dann beim ersten Beisammensein der Mutter von seiner Liebe gesprochen hat?«
»Sie sagen es, und da muß es ja wahr sein.«
»Werden Sie das nicht für eine Verwegenheit von ihm erklären?«
»Ich habe keinen Maßstab für solche Vorkommnisse, Herr Lieutenant; aber ich denke, wer eine wirkliche und wahre Liebe, die keine Täuschung enthält, im Herzen trägt, der muß auch die Erlaubniß haben, von ihr sprechen zu dürfen.«
»Sie meinen doch die Erlaubniß, zur Geliebten sprechen zu dürfen?«
»Ja. Es ist besser, er erfährt gleich in der ersten Stunde, daß seine Liebe erhört werden kann oder eine ver»Da ist aber vorausgesetzt, daß die geliebte Person auch gleich in der ersten Stunde einen Eindruck empfangen hat, der es ihr möglich macht, über ein so großes Glück oder ein so schweres Wehe zu entscheiden.«
»Ist dies nicht stets der Fall, Monsieur?« fragte sie.
Diese Frage brachte einen solchen Sturm von Gefühlen in ihm hervor, daß er eine volle Minute schweigend verharrte, ehe er antwortete:
»Ich glaube, ja, es ist dies meistentheils der Fall. Und nun will ich Ihnen sagen, daß auch ich die Stimme des Herzens gehört habe, von welcher Sie vorhin sprechen wollten, aber nicht weiter sprachen. Es ist das gekommen so schnell und unerwartet; es hat mich das überfallen so hell und blendend wie ein mächtiger, gewaltiger Sonnenstrahl, der in die Tiefe dringt, und dann regen sich Millionen und aber Millionen unbekannte Triebe, um hinauszustreben und hinauszuwachsen in das Reich des Lichtes und der Wonne.«
Er hatte langsam und mit Innigkeit gesprochen. Noch immer hielt er ihre Hände gefaßt, die sie ihm noch nicht entzogen hatte. Sie schwieg; aber es war ihm, als ob er diese weichen, warmen Händchen leise, leise beben fühle.
»Und Sie fragen nicht,« fuhr er fort, »wer diese Sonne ist, deren Strahl so mächtig, so schöpferisch in mein Herz gedrungen ist?«
»Wie dürfte ich fragen?« sagte sie nach einer Pause des Zögerns.
»Sie dürfen! Ja, Sie sind es, welche es am Ersten und am Meisten darf. Soll ich Ihnen es sagen, Mademoiselle Ida?«
Sie wendete das Köpfchen langsam zur Seite.
»Bitte, bitte! Darf ich?« wiederholte er mit dringlicher Innigkeit.
»Sprechen Sie,« hauchte sie, so daß er es kaum hören konnte.
»Es giebt eine Sage, daß Gott immer zwei Seelen zur Erde sende, welche zu einander gehören. Sie nehmen Wohnung in menschlichen Körpern, welche näher oder entfernter von einander wohnen; aber wenn sich diese beiden Menschenkinder begegnen, so erkennen sich die Seelen und bleiben von nun an bei einander für das ganze Erdenleben.«
»Welch' eine schöne Sage!« flüsterte sie.
»Sie fiel mir ein, als ich heute bei Ihnen Zutritt nahm. Ich sah da zwei Augen auf mich gerichtet, zwei Augen von wunderbarer Tiefe und Milde, so rein und innig, wie ich noch keine je gesehen hatte. Aus diesen Augen blickte mir es entgegen wie ein treuer Gruß aus einer anderen Welt; ich fühlte, daß ich hier meine Seele gefunden habe, welche mir ihr Willkommen entgegenstrahlte. Habe ich mich geirrt, Mademoiselle?«
Sie war von einer tiefen Bewegung ergriffen. Ihr Busen wogte, und ihr Athem wurde hörbar. Sie hatte seine Worte bereitwillig angehört, sie entzog ihm ihre Hände nicht, aber sie wagte nicht eine Antwort zu geben.
»Soll ich vergebens fragen?« fuhr er fort. »O bitte, bitte, sagen Sie mir, ob ich mich geirrt habe oder nicht.«
Er neigte das Ohr zu ihr nieder, um ihre Antwort besser zu vernehmen. Er lauschte längere Zeit vergeblich; da aber klang es endlich, kaum hörbar:
»Kann denn ich das wissen?«
»Ja, Sie allein können es wissen, Sie und keine Andere, denn Sie sind es ja, aus deren Augen mir dieser Gruß entgegenfluthete. Sie sind es, zu der mich meine Seele zieht. Sie sind es, die mir vorkommt wie eine fleischgewordene Verheißung unendlichen Glückes und unendlicher Seeligkeit. Ihr Blick ist es gewesen, welcher mir in das Herz gedrungen ist wie ein übermächtiger Sonnenstrahl. Und nun ist jeder Puls meines Herzens, jeder Zug meines Athems und jede Faser meines Innern eine Frage an Sie, ob es so wahr ist, ob Sie mein Licht, mein Sonnenstrahl und meine Seele sind.«
»O Gott,« flüsterte sie; »kann ich denn antworten? Darf ich antworten? Was soll ich Ihnen sagen?«
»Nur das, was Sie selbst fühlen, nichts Anderes.«
»Und doch kann ich nicht sprechen,« hauchte sie in holder Verwirrung. »Das kommt so schnell, so ungeahnt. Das ist so unbesiegbar, so gewaltig und macht mir doch so bang und bringt mir Angst und Furcht.«
Ersah zwei große Tropfen in ihren Augen stehen. Die ächte, wahre Liebe ist unüberwindlich. Er zweifelte nicht an seinem Glücke; aber er begriff die gewaltige Aufregung, welche seine Worte in dieser reinen, bisher so ruhigen Mädchenseele hervorbringen mußten. Nicht Leid und Weh, sondern dieser Sturm des Herzens war es, welcher die Thränen emporgetrieben hatte, daß sie nun als Perlen an den Wimpern glänzten, beredte Zeugen einer Gemüthstiefe, welche noch andere Schätze bergen mußte als nur diese Perlen. Es wurde ihm so wunderbar zu Muthe. Es wäre ihm unmöglich gewesen, die Aufregung der Geliebten zu benutzen, um sich einen Beweis der Zärtlichkeit zu erlauben. Die Nähe einer reinen unbefleckten Seele wirkt heiligend. Er hielt nur immer noch ihre Hände in den seinigen und sagte bittend und in beruhigendem Tone:
»Sie können sprechen, Ida! Haben Sie nicht Angst und Furcht! Es ist mir, als stehe meine Mutter neben uns und höre ein jedes meiner Worte. Ich spreche aus der tiefsten Tiefe meines Herzens zu Ihnen, aber ich habe die Kraft, die Pforte dieses Herzens augenblicklich zu schließen, wenn Sie meine Worte nicht hören wollen. Ich würde unendlich traurig von Ihnen scheiden; aber ich würde das Bewußtsein mitnehmen, zwar aufrichtig gewesen zu sein, Sie aber nicht gekränkt zu haben. Nur diese lieben, lieben Händchen will ich halten; nur in Ihr Auge will ich blicken, und Ihre Stimme will ich hören. Können Sie mich lieben, so bin ich selig und unendlich beglückt; aber ich werde nichts, nichts weiter von Ihnen verlangen und erbitten als nur dies eine Wort, welches zwischen uns entscheidet. Ich werde meinem Beruf folgen und in die Fremde gehen; ich werde das Andenken an Sie und meine gute Mutter mitnehmen als das Doppelgestirn, zu dem ich voller Dank und Ehrfurcht emporblicke, und dann, wenn ich zurückkehre und Sie die Ueberzeugung gewonnen haben, daß ich Ihrer würdig bin, dann erst werde ich mir eine süße Gabe von Ihnen erbitten, eine Gabe, welche mir bisher nur von der Mutter wurde – einen Kuß, den ersten Kuß der Liebe.«
Da plötzlich entzog sie ihm die Hände. Schon glaubte er, sie beleidigt zu haben; aber er sah den eigenthümlich seligen Blick, mit welchem sie ihre Augen groß und voll auf sein Antlitz richtete.
»Dann, nach so langer Zeit erbeten Sie den Kuß?« fragte sie.
»Ja,« antwortete er.
»Und jetzt genügt Ihnen das Wort, daß ich die Ihrige bin?«
»Genügen? Ida, welch ein Wort! Die Ueberzeugung, daß Sie mir gehören wollen, wiegt ja alle Schätze der Erde auf.«
Das vorhin so ängstliche Mädchen war plötzlich ganz anders geworden. Die Liebe ist allmächtig. Ein süßer, unwiderstehlicher Drang trieb Ida, die Arme um den Hals des Geliebten zu legen. Sie schlang sie um seinen Nacken, legte das Köpfchen an seine Brust und flüsterte:
»Hier hast Du diese Schätze, und hier hast Du auch den Kuß, nicht nach Jahren, sondern bereits heute!«
Und ehe er es sich versah, fühlte er ihren warmen Mund an seinen Lippen. Er legte voller Wonne die beiden Arme um sie, erwiderte den Kuß und fragte:
»Ist es wahr, Du Liebe, Du Reine, Du liebst mich wirklich?«
»O, wie sehr, wie innig!« hauchte sie.
»Und kennst mich doch erst nur diese zwei Stunden.«
»Sagtest Du nicht selbst, daß die Liebe so mächtig, so unwiderstehlich – so schnell sei?«
»Ja, das sagte ich, denn ich hatte es an mir selbst erfahren. Und Dir ist es ebenso ergangen?«
»Ganz so wie Dir, Geliebter. Die Sage von den beiden Seelen ist wahr.«
»Sie ist wahr. Die Seelen haben sich gefunden, und nun sollen sie nicht mehr zwei sondern eine Seele sein.«
So standen sie, innig an einander geschmiegt, am Fenster beisammen, bis Kunz von Goldberg und Hedwig herbeitraten. Wie anders war Ida als Hedwig, und doch waren Beide Schwestern. Und doch fühlte auch Goldberg sich beglückt. Die letzten Worte der schönen »Unbezähmbaren« hatten ihm Hoffnung gemacht, daß sein Herzenswunsch sich doch noch erfüllen werde.
»Ah, Vorstudien!« sagte er munter.
»Wieso?« fragte Gebhardt, indem er sich zwang, auf seinem Gesichte nichts von dem Glücke, welches ihn beseligte, merken zu lassen.
»Du stehst mit Deiner Dame am Fenster und zählst die Sterne. Das soll in der Wüste noch viel leichter und interessanter sein. Ist nicht der Sirius dort dreimal so groß wie hier bei uns der Mond?«
»Das glaube ich kaum; aber in meinem ersten Briefe, den Du erhältst, werde ich Dir darüber eine ganz genaue Auskunft ertheilen.«
»Ich hoffe es. Jetzt hätten wir auch keine Zeit zu so himmlischen Betrachtungen, denn da kommt die gnädige Frau zurück.«
Die Gräfin trat wieder ein, und gleich darauf wurde gemeldet, daß angerichtet sei. Nun während der Tafel erst brachte die Dame des Hauses das Gespräch auf ihr Lieblingsthema, auf das Reisen und die Erforschung fremder Continente und Länder. Sie war auf diesem Gebiete außerordentlich belesen und hatte sich geographische Kenntnisse angeeignet, welche man nicht gewöhnt ist, bei einer Dame zu finden.
Gebhardt konnte ihr treulichst secundiren, was sie in ein wahres Entzücken versetzte. Und als er nun gar sich innig vertraut mit den Erlebnissen von Gérard, dem Löwenjäger, zeigte, da hatte er ihre vollständigste Zuneigung sich erobert.
»Sonst sind die Deutschen große geographische Ignoranten,« meinte sie. »Wie kommt es, daß Sie eine so rühmliche Ausnahme machen?«
Gebhardt hütete sich, zu verrathen, daß er ihrer Behauptung nicht beipflichte, sondern vollständig anderer Meinung sei. Er antwortete:
»Ich interessirte mich schon als Knabe für dieses Fach und habe mir wirkliche Mühe gegeben, mir einige Kenntnisse anzueignen.«
»Einige? Sie sind sogar sehr gut bewandert, und ich glaube, daß selbst ich nicht viel vor Ihnen voraus habe. Ihre Sprachkenntnisse besitze ich nicht. Sagen Sie, ob Sie auch Arabisch verstehen. Sie brauchen doch dasselbe bei ihrer Reise durch die Wüste.«
»Ich hatte mich bislang noch nicht mit dieser Sprache beschäftigt; aber sobald ich meine gegenwärtige Bestimmung erhielt, habe ich schleunigst ihr Studium begonnen. Wir werden übrigens gute Dolmetscher haben.«
»Besuchen Sie mich täglich. Ich werde Professor Grénaux einladen; er ist Lehrer der arabischen Sprache und wird Ihnen nützlich sein können.«
Das war außerordentlich viel. Kunz von Goldberg sprach sich ganz verwundert darüber aus, als sie auf dem Heimwege begriffen waren.
»Glückskind!« sagte er. »Wer hätte das gedacht!«
»Ich selbst auch nicht,« antwortete Gebhardt.
»Ich kann Dir aufrichtig sagen, daß ich Dich erst für etwas verrückt hielt.«
»Als ich der Gräfin meine Meinung sagte?«
»Ja. Das war mehr als verwegen.«
»Hat aber gewaltig imponirt!« lachte Königsau vor sich hin.
»Und dann dieser Graf Rallion. Ich glaube, daß er sich nicht wieder bei der Tante sehen läßt, sobald wir bei ihr sind.«
»Ich hoffe, daß Du mir morgen zu Diensten sein wirst.«
»Gewiß. Ich werde zur angegebenen Zeit bei ihm vorsprechen und Dir das Resultat mittheilen. Wie gefällt Dir die Gräfin?«
»Sehr gut.«
»Ah, weil Du Hans im Glücke bei ihr gewesen bist. Siehe zu, daß Du es auch ferner bleibst. Und was sagst Du zu den Nichten?«
»Hm. Junge Mädchen.«
»Was?« fragte Goldberg erstaunt. »Junge Mädchen? Weiter nichts?«
»Was weiter?«
»Hübsch.«
»So la la!«
»Geistreich.«
»Aber unbezähmbar.«
»Große Erbschaft zu erwarten.«
»Haben sie aber noch nicht.«
»Erlaube mir, Dich nicht zu begreifen.«
»Ist Dir sehr gern gestattet.«
»Erst branntest Du vor Begierde, die Familie kennen zu lernen, und nun ich Dich eingeführt habe, bist Du die personificirte Gleichgiltigkeit.«
»Hm, ich bin befriedigt!« antwortete Gebhardt zweideutig.
»So so! Wirst Du wieder hingehen?«
»Das versteht sich. Die Gräfin interessirt mich außerordentlich.«
»Aber die Nichten weniger. Mensch, Du hast wirklich Fischblut in den Adern. Sage mir übrigens, welcher von den beiden Mädchen Du den Vorzug geben würdest?«
»Ida. Du ziehst natürlich die Unbezähmbare vor.«
»Allerdings.«
»Ihr wart heute verteufelt musikalisch.«
»Bitte, nicht zu sticheln. Wir studirten einfach Partituren und Noten.«
»Gab es da vielleicht die Partitur einer gewissen Oper, die Zähmung der Widerspenstigen genannt?«
»Du, ist das nicht vielmehr ein Schau- oder Lustspiel?«
»Mir gleich, wenn Dir nur die Zähmung gut gelungen ist.«
»Vielleicht.«
»Ah, wirklich?«
»Ja. Weißt Du, lieber Freund, ich glaube, daß ich Hedwig bisher doch falsch behandelt habe. Sie ist munter, übersprudelnd, voller Schnacken und Schnurren; ich aber bin stets furchtbar elegisch gewesen.«
»Das ist ein Fehler.«
»Der aber von nun an besser gemacht werden soll.«
»Wünsche guten Erfolg.«
Die beiden Freunde trennten sich von einander, Jeder erfüllt von der Gewißheit, daß er von der Geliebten träumen werde. Aber der Traumgott ist ein neckischer, schadenfroher Kerl, es beliebte ihm heute, diesen Wunsch weder Goldberg noch Königsau zu erfüllen.
Am nächsten Abende begaben Beide sich wieder zur Gräfin, bei welcher sie versprochener Maßen den Professor fanden. Beide nahmen Königsau so in Beschlag, daß es ihm unmöglich war, mit Ida ein vertrauliches Wort zu sprechen. Erst als nach der Tafel Hedwig, welche eine gewandte Pianistin war, sich an das Instrument setzte, um eine längere Beethovensche Composition vorzutragen, nahm er neben der Geliebten Platz und flüsterte mit ihr, während Beide sich jedoch den Anschein gaben, als ob sie dem Vortrage mit der größten Aufmerksamkeit folgten.
Die erste Frage Ida's galt ihrem Cousin, dem Grafen.
»War Dein Freund bei ihm?« erkundigte sie sich.
»Ja.«
»Abgewiesen, nicht wahr?«
»Nein; aber er hat ihn gar nicht getroffen.«
»Ah, er hat sich Euch durch einen Spaziergang entzogen?«
»Nein, sondern sogar durch eine Reise.«
»Das ist ebenso vorsichtig wie feig. Wo ist er hin?«
»Nach Genf und dann weiter.«
»Was beabsichtigst Du nun, gegen ihn zu unternehmen?«
»Jetzt gar nichts. Es wurde gesagt, daß er erst nach Monaten wiederkehren werde; dann bin ich längst nicht mehr hier. Ich werde mit dieser Angelegenheit also warten müssen, bis auch ich von meiner Reise zurückkehre.«
»Und dann?«
»Dann sollst Du meine Rathgeberin sein, meine Seele.«
»Wirklich? Wirst Du auf mich hören?«
»Gewiß, denn ich bin überzeugt, daß Du nichts wünschen wirst, was die Rücksicht auf meine Ehre Dir abschlagen müßte. Wir besitzen seit gestern nur ein Leben und ein Wollen, also hast Du in dieser Angelegenheit ebenso zu entscheiden wie ich.«
Sie drückte ihm voll innigster Dankbarkeit die Hand.
So fand er sich täglich bei der Gräfin ein, oft des Tages zweimal, und obgleich er sich nicht directe Mühe gab, ihr Wohlwollen zu befestigen, schien dasselbe doch von Tag zu Tag zu wachsen. So lange er sich in Paris befand, schrieb er täglich an die Eltern und erhielt auch täglich eine Antwort. Diese Briefe überließ er der Gräfin zur Durchsicht, wodurch sie immer weitere Einsicht in die Verhältnisse seiner Familie erhielt und ein immer größeres Interesse an den Seinigen gewann.
So nahte der Tag seiner Abreise immer weiter heran. Endlich war der Aufbruch für übermorgen bestimmt. Er saß des Abends wieder bei der Gräfin, mit ihr über Jagd- und Reiseabenteuer sprechend, während Kunz mit den beiden jungen Damen das hörende Auditorium bildeten. Da unterbrach sich die Gräfin plötzlich im Redeflusse, indem sie fragte:
»Ah, was ich vorhin vergaß! Ist kein Brief von Ihren guten Eltern angekommen?«
»Ja, Madame; der letzte, den ich in Paris zu erwarten habe.«
»Ist er discreter Natur?«
»Nein gar nicht. Darf ich ihn Ihnen zur Verfügung stellen?«
»Ich bitte darum.«
Er gab ihr das Schreiben. Sie setzte die Brille auf, zog die Astrallampe näher und begann zu lesen. Unterdessen unterhielten die jungen Leute sich halblaut mit einander, wobei jedoch Gebhardt die Gräfin scharf aber verstohlen beobachtete.
Da plötzlich, bei einer Stelle, blickte sie über das Papier scharf zu ihm herüber. Sie fixirte ihn eine ganze Weile, ohne daß er that, als ob er es bemerkte. Ihr Gesicht hatte dabei nach langer Zeit wieder einmal den alten, harten Ausdruck angenommen. Dann sah sie wieder in den Brief zurück um ihn bis zum Ende zu lesen.
Als sie fertig war, gab sie ihm denselben zurück, ohne aber, wie früher gewöhnlich, eine ganze Reihe von Bemerkungen daran zu knüpfen. Aber nach der Tafel machte sie ihm die Mittheilung, daß heute einige geographische Werke angekommen seien. Wenn er Einsicht in dieselben nehmen wolle, möge er in ihr Zimmer folgen.
Diese Auszeichnung war ihm noch nicht zu Theil geworden. Er folgte ihr. Durch mehrere Räume, und auch die Bibliothek, welche er kennen gelernt hatte, hindurchschreitend, führte sie ihn in ihr Boudoir. Er kannte dasselbe aus der Beschreibung, welche ihm Kunz davon gegeben hatte. Dort bot sie ihm einen Sessel an, während sie selbst nicht Platz nahm, sondern im Raume hin und her schritt, wie es ihre Angewohnheit war, wenn sie von irgend einem Gedanken oder einer Angelegenheit mehr als gewöhnlich in Beschlag genommen wurde.
»Junger Mann, Sie erwarten, geographische Werke zu sehen,« begann sie; »aber ich gestehe Ihnen, daß ich keine bekommen habe.«
Er hatte das geahnt, machte aber doch ein einigermaßen verwundertes Gesicht, als ob er sich die Ursache ihres Verhaltens gar nicht denken könne.
»Es war dies nur ein Behelf, mit Ihnen unter vier Augen sprechen zu können. Es betrifft einen wichtigen Gegenstand. Werden Sie aufrichtig mit sich reden lassen?«
»Ich hoffe, gnädige Frau, daß Sie mich kennen – –«
»Schon gut! Sie selbst aber sind keineswegs aufrichtig mit mir gewesen.«
Er that, als ob er sie nicht recht verstehe; darum fuhr sie fort:
»Darf ich mir den Brief Ihrer Mama nochmals erbitten?«
»Gern! Hier ist er.«
Sie nahm ihn, faltete ihn auseinander und sagte:
»Ich werde Ihnen einige Zeilen, welche ich hier fand, vorlesen, obgleich Sie dieselben bereits ebenso gut und noch besser kennen als ich. Hören Sie.«
Sie las:
»Was nun die so hochwichtige Mittheilung betrifft, welche Du uns in Deinem letzten Schreiben machst, so ist mein Mutterherz voller Freude, daß Du gerade in Paris, meiner Vaterstadt, ein Wesen gefunden hast, welches Deiner so sehr werth zu sein scheint und Dich mit seiner Liebe beglücken will. Unserer Zustimmung bedarfst Du nicht. Wir kennen Dich und wissen, daß Deine Wahl eine gute sein wird. Nimm daher unsern Segen und sei mit dem lieben Kinde, nachdem es Dein Weib geworden ist, ebenso glücklich, wie Deine Eltern es durch einander wurden.«
Obgleich der Brief weiter ging, las die Gräfin nur bis hierher. Sie gab ihm das Papier zurück, ging einige Male nachdenklich hin und her und begann dann mit einem sehr ernsten Tone:
»Geben Sie zu, nicht aufrichtig mit mir gewesen zu sein?«
»Ah, Madame, Sie meinen, weil ich Ihnen nicht dieselbe Mittheilung gemacht habe, welche ich hier meinen Eltern machte?«
»Ja. Ich habe zwar kein directes Recht, eine solche Aufrichtigkeit zu verlangen; aber es hätte mich doch sehr gefreut, sie zu finden.«
»So habe ich Sie allerdings sehr um Verzeihung zu bitten!«
»Ich verzeihe Ihnen. Aber seien Sie jetzt aufrichtig! Ich glaubte, daß Sie Ihre Heimath verlassen haben, ohne Ihr Herz dort zurückzulassen?«
»So war es auch, wenigstens in dem Sinne, welchen Sie meinen.
»Jetzt aber lieben Sie?«
»Ja.«
»Eine Pariserin?«
»Ja.«
»Ich will nicht weiter in Sie dringen, als unbedingt nöthig ist. Ist es ein Mädchen aus anständiger Familie?«
»Ja.«
»Ihnen ebenbürtig?«
»Vollständig.«
»Sie erwidert Ihre Liebe?«
»Herzlich.«
»Es ist also keine Vernunftsheirath, welche Sie beabsichtigen?«
»Nein, sondern eine Herzensverbindung.«
»Ich beneide Sie!«
Sie blieb stehen und blickte zum Fenster hinaus, welches sie geöffnet hatte. Der Schein des Lichtes erhellte ihr Profil und Gebhardt meinte, dasselbe noch nie so weich gesehen zu haben. Welche Gedanken mochten jetzt durch ihre Seele gehen.
Da trat sie zurück, öffnete ein Pult und zog eine Mappe hervor. Aus derselben nahm sie ein Aquarellportrait und gab es ihm.
»Sehen Sie diesen Mann. Kennen Sie ihn?«
Gebhardt ahnte, wer es sei, doch antwortete er, wenn auch wahrheitsgemäß:
»Ich habe ihn nie gesehen.«
»Das weiß ich, und dennoch steht er Ihnen nahe, viel näher, als Sie es denken.«
Sie blieb vor ihm stehen, kreuzte die Arme über die Brust, wie es willenskräftige Frauen gern zu thun pflegen, und fuhr fort:
»Auch ich war einmal jung; auch ich liebte – diesen da. Mein Vater war Baron, der seinige jedoch ein einfacher Bürgersmann, dessen Vorfahren auf ihr »Von« verzichtet hatten. Man trennte uns. Es war ein Herzeleid. Ich wurde Gräfin Rallion, und er nahm sich auch ein Weib. Wir sahen uns nicht, aber wir vergaßen uns auch nicht. Er war Banquier und wurde der finanzielle Rath meines Mannes. Nun sahen wir uns öfterer. Die alte Liebe erwachte, aber wir mußten uns fremd bleiben. Eins nur habe ich gerettet außer der Erinnerung – dieses Portrait. Es ist mir mehr werth als manches Juwel, welches ich besitze. Er starb. Auch mein Mann starb, und ich wurde Wittwe. Ich war reich gewesen, aber nicht glücklich; ich blieb reich, aber auch unglücklich. Da begegnete mir ein Nachkomme dieses Mannes, und sofort erwachte das alte Gemüth und das alte Herz, welches ich todt und verknöchert wähnte. Rathen Sie, wer der Nachkomme ist!«
Gebhardt sah sich gezwungen, eine kleine Unwahrheit zu sagen.
»Ich habe keine Ahnung,« antwortete er.
»Nicht?«
»Nein.«
»Sie sind es, Sie selbst.«
»Ich?« fragte er im Tone des höchsten Erstaunens.
»Ja, Sie! Sie sehen hier das Portrait von Ihrem Großvater, dem Banquier Richemonte, dem Vater Ihrer Mutter.«
»Ah! Das wäre er? Das wäre er?« rief er aus.
Er hatte es vorher geahnt und das Bild doch nur oberflächlich betrachtet, da seine Hauptaufmerksamkeit auf die Gräfin gerichtet war. Jetzt aber trat er mit dem Bilde näher zum Lichte.
»Ja, besehen Sie sich ihn,« sagte sie. »Er war ein schöner Mann und ist elend zu Grunde gegangen, wie Sie ja wissen. Ich lernte Sie kennen; ich prüfte Sie und war mit Ihnen zufrieden. Wir hatten die gleichen Liebhabereien und Sympathien. Sie waren es werth, und so beschloß ich, Ihr Glück zu machen.«
»Mein Glück?« fragte er, ziemlich betreten.
»Ja. Oder meinen Sie, daß ich nichts hätte für Sie thun können?«
»Gnädige Frau, Sie haben bereits genug an mir gethan.«
»Ich hatte noch mehr vor, viel mehr und Besseres. Sie haben es mir aber unmöglich gemacht.«
»Wieso, Madame?«
»Durch – ja, durch Ihre so unerwartete Liebe.«
»Durch meine Liebe, gnädige Frau?«
»Ja. Ich will aufrichtig sein. Ich wollte Sie verheirathen.«
Das hatte er nicht erwartet; er war so überrascht, daß ihm wirklich der Mund für einige Augenblicke offen stand.
»Sie staunen?« fragte sie. »Es ist dennoch wahr. Sie wissen, daß ich eine Sympathie für weit gereiste Leute hege. Sie gehen nach der Wüste; Sie besitzen Muth und Kenntnisse; Sie werden ein berühmter Mann werden. Das ist es, was mich im Stillen entzückt. Wenn Sie als Capazität wiederkehrten, wollte ich Ihnen das Kostbarste geben, was ich besitze.«
»Was, Madame?« fragte er, noch immer wie auf Wolken schreitend.
»Eine Frau.«
»Alle Wetter! Wen denn?«
»Ich sagte bereits, das Kostbarste, was ich habe, nämlich meine Nichte.«
»Sie haben deren zwei.«
»Ich meine Ida, meine stille, gute Ida, welche ich zärtlich liebe, ohne daß ich es mir so merken ließ.«
Er hätte am Liebsten grad hinausgejubelt. Aber die Situation war eine so glückliche und interessante, daß er sich beherrschte.
»Ida?« fragte er. »Comtesse Ida, sagen Sie?«
»Ja.«
»Wären Sie dieser Dame dann auch sicher gewesen?«
»Ich bin überzeugt davon.«
»Wußte Mademoiselle Ida von Ihrem Plane?«
»Kein Wort. Ich hoffte, Ihre Herzen sollten sich gegenseitig finden.«
»Leider kann dies nicht mehr stattfinden,« sagte er im Tone des innigsten Bedauerns.
»Ja, Sie haben Ihr Herz verschenkt.«
»Ida das Ihrige auch.«
Sie machte eine Bewegung des Erschreckens.
»Wie? Was sagen Sie? Ida – Ida liebt?«
»Ja.«
»Wen?«
»Einen Officier, einen Deutschen.«
» Mon dieu! Sie meinen doch nicht etwa Herrn von Goldberg?«
»Madame, Sie wissen, daß Goldberg mein Freund ist. Ich werde niemals das Geheimniß eines Freundes verrathen.«
»Ah, er ist's, er ist's! Er ist ja noch da! Er ist ja noch anwesend. Kommen Sie, Herr von Königsau, kommen Sie! Ich werde – – –«
Sie wollte forteilen. Es hatte sich ihrer ein außerordentlicher Zorn bemächtigt. Gebhardt ergriff sie bei der Hand.
»Bitte, Madame! Warten Sie noch! Ich muß Ihnen sagen, daß – – –«
»Nichts will ich hören, nichts, gar nichts! Kommen Sie schnell!«
Sie riß sich los und eilte fort. Er folgte ihr, innerlich sich die nun folgende Scene bereits ausmalend.
Die beiden Schwestern saßen mit Goldberg am Tische, als die Gräfin die Thür aufriß und hereingestürmt kam. Bei ihrem Anblicke erhoben sich alle drei. Sie erkannten sofort, daß sie sich im Zustande zorniger Aufregung befand.
»Herr von Goldberg, ich habe mit Ihnen zu sprechen!« rief sie.
»Ich stehe zur Verfügung, gnädige Frau,« antwortete er.
»Das erwarte ich. Ich verlange von Ihnen, daß Sie mir die volle Wahrheit sagen!«
»Gewiß!«
Er hatte nicht die mindeste Ahnung, worüber er überhaupt die reine Wahrheit sagen solle. Sie stellte sich mit zornig funkelnden Augen vor ihn hin und fuhr fort:
»Sie sind ein Verführer!«
Er war wie aus den Wolken gefallen und fragte:
»Ein Verführer? Ich? Madame, ich bitte Sie!«
»Ja, ein Verführer sind Sie. Ich habe die Beweise in den Händen!«
»Welche Beweise?«
»Sie leugnen noch? Wollen Sie leugnen, daß Sie lieben?«
Er fuhr ganz erstaunt zurück.
»Ich lieben? Ich, gnädige Frau?«
»Ja, Sie! Sie lieben!«
»Wen denn, gnädige Frau?«
»Meine Nichte!«
Der also Interpellirte wußte in dem ersten Augenblicke nicht, wie er dieser Anklage zu begegnen habe; er blickte verwundert auf die Dame, die wie eine Richterin vor ihm stand.
*