Mirok Li
Iyagi
Mirok Li

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29. Herr und Knecht

In der Provinz Kangwon lebte einst ein Gelehrter, dessen Name weit über seine Heimat bekannt war. So kamen oft Menschen von fern und nah, um ihn zu besuchen und mit ihm über die Welt und Menschheit zu sprechen.

Der Knecht des Hauses, der jahraus, jahrein dem Leben des Herrn zugesehen hatte, beneidete ihn wegen des hohen Rufes und des Lobes, das ihm die Gäste spendeten. Wie vornehm war das doch anzusehen, wenn er so würdevoll einem Gast entgegenging, ihn mit höflichen Grußworten empfing und durch die Höfe und Gärten führte! Wie göttlich war es anzusehen, wenn er mit dem Gast an der Weintafel saß und wenn sie von den schönen Bildern redeten, die an den Wänden hingen, von den schwungvollen Schriften, die die Säulen zierten, von der schönen Landschaft und auch von der weiten Welt, in so 170 tiefsinnigen Worten und höflicher Form! Wie herrlich müßte es einem zumute sein, wenn man selbst einmal so reden und so leben dürfte!

Stattdessen mußte er, der Knecht des Hauses, tagaus, tagein arbeiten, gleich, ob es bitterkalt war oder brennend heiß. Er mußte sein Stübchen verlassen, bevor die Sonne den Dachgiebel berührt. Er mußte die Höfe fegen, das Pferd füttern, den Sattel blank putzen und den Garten und den Teich reinigen. So mußte er immerzu arbeiten und still dahinleben, ohne einmal auch in schönen Worten sprechen zu können. Es war doch ein miserables Leben, wenn er es mit dem des Herrn verglich.

Als er nun einmal an seinem Geburtstag von seinem Herrn gefragt wurde, was er sich als Geburtstagsfreude wünsche, sagte er tapfer, nur einen einzigen Tag als Herr leben, einen Gast empfangen, mit ihm an einer Weintafel sitzen und höfliche Gespräche führen. 171

Der Herr war durch diese Kühnheit überrascht, versicherte ihm aber, daß sein Wunsch in Erfüllung gehen sollte.

Man wählte einen Tag, an dem ein Gast von einer fernen Provinz kommen sollte. Man wusch den Knecht sauber, reinigte ihm die Hände von Erdkruste und Staub, steckte die breiten Füße in enge Socken und zierliche Fellschuhe. Seine Haare wurden sauber gekämmt, mit dem feinsten Haarnetz zugebunden und mit dem Gelehrtenhut verdeckt. So saß er nun vornehm wie sein Herr mit gekreuzten Beinen auf dem Ehrensitz des Herrenzimmers und wartete auf den Gast, der kommen sollte. Die engen Socken und die kleinen Schuhe schmerzten seine Füße, während es um den Kopf herum unerträglich heiß wurde. Die Kniegelenke taten ihm weh, und das lange Sitzen quälte ihn. Doch erduldete er alles, weil er sich vornehm vorkam und weil er auf den Gast wartete, mit dem er an einer gemeinsamen Tafel sitzen wollte. 172

Der Angemeldete kam. Als er innerhalb des Tores erschien, erhob sich der Knecht, ging, dem Beispiel des Herrn folgend, gemessenen Schrittes durch den Hof und empfing den Gast mit den Worten: »Groß ist mir die Ehre, daß ihr an meiner Hütte nicht vorbeigeritten seid!«

»Es ist mir eine große Ehre, daß ihr mir erlaubt, über die Schwelle dieses ruhmvollen Hauses schreiten zu dürfen!« entgegnete der Gast.

Nun die Hauptsache! Sie saßen bei einer Weintafel mit den feinstschmeckenden Beilagen. Der Gast lobte den guten Wein und die leckeren Speisen. Auch ihm, dem Knechte, schmeckte alles so himmlisch gut, daß er beinahe dasselbe gesagt hätte wie der Gast. Er beherrschte sich aber und sagte nur: »Selbstgebraut von der Hand einer Frau im Gebirge! Ich fürchte, daß das Getränk dem hohen Gast nicht mundet.«

Der Gast lobte und bewunderte die 173 Bilder, den Wandschirm, die schwungvolle Schrift.

»Nicht der Rede wert, es ist nur mein alter Pinsel, der so unruhig auf dem Papier herumgeschweift ist. Spart eure schönen Worte und leert nur den Becher!«

»Von weitem her sah man schon«, sagte der Gast, »daß dieses eines Gelehrten Haus sein mußte. Gerade dort, wo sich der felsige Berg in sanfte Hügel auflöst und der klare Bach die schattige Schlucht verläßt, da lugt der Giebel aus dem Laub und gemahnt jeden, abzusteigen!«

Das war aber gewiß auch wahr! Die Landschaft um das Haus war schön. Wenn der Knecht von seinem Marktgang gegen die sinkende Sonne heimkehrte, hatte sich sein Herz oft an dem Anblick des Anwesens gefreut. Etwas Schöneres gebe es wohl auf der ganzen Welt nicht, hatte er oft gedacht. Jetzt aber beherrschte er sich und sagte 174 nur: »Erwähnt nicht, was nicht der Rede wert ist!« – Sie schritten durch den Garten, der dem Fremden ebenfalls gefiel. Er lobte die reinen Lilien, die innigen Päonien, den spiegelnden Teich mit den Lotosblättern.

Der Knecht wurde stumm; es war schwer, etwas dagegen zu sagen. Das Lob rutschte wie geölt in die innerste Tiefe seines Herzens, weil er ja selbst den Garten, den Teich und die Höfe pflegte. Der Himmel sollte ihm beistehen, sich zu beherrschen wie ein Gelehrter. Er zitterte und schluckte vor Erregung und ging schweigend neben dem Gast her. Es wurde aber immer schlimmer. Der Gast lobte die schmucken Höfe, die so sauber gepflegt wie Zimmerböden den Frieden des Frühsommerabends einschlössen. »Ein altes Wort mahnt uns«, sagte der Gast, »daß man nicht nur die fetten Ackerböden, sondern auch ab und zu die fleißigen Bauern loben sollte. So muß ich auch euren Knecht loben, der eurer Würde 175 gemäß ein kluger und treuer Mensch sein muß, weil er die Höfe so schön pflegt.«

»Ich bin ja der Knecht«, platzte der Knecht los, »der nicht nur die Höfe, sondern auch den Garten, die Obstbäume, den Teich, das Pferd und den Sattel, und die Tore und die Mauern, alles und alles so wunderbar gepflegt hat.«

Dann verschwand er aber vor Schamgefühl schnell aus dem Hof und versteckte sich in seiner Stube. 176

 


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