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Nach dem zehnjährigen Studium in der Fremde kehrte ein junger Arzt in seine Heimat zurück. Gleich nach seiner Ankunft nahm er sich vor, alle erfahrenen und älteren Ärzte seiner Heimat kennenzulernen, um vor Beginn seiner Heilpraxis möglichst viel Erfahrungen und Lehren zu sammeln. So ging er zuerst zu dem Arzt, der in der ganzen Gegend als der Weiseste galt.
Als er sich aber diesem Hause näherte, fand er vor dem Tore desselben eine Menge Geister herumstehen. Es mochten ihrer hundert gewesen sein. Erstaunt fragte der Arzt die Herumstehenden, was sie seien, und was sie hier vor dem Hause des berühmtesten Arztes erwarteten. »Wir sind die Geister der Menschen«, sagten sie, »die der berühmte Arzt mit seinen Kräutern umgebracht hat. Wir warten nur ab, bis dieser Geist selber stirbt, um 68 uns an seinem Geist rächen zu können.«
Erschüttert und enttäuscht zugleich, besuchte er nun den berühmten Arzt nicht mehr, sondern ging zu einem andern. Vor dem Hause dieses Arztes waren aber auch so viele Geister zu sehen, die auf seine Frage dieselbe Antwort gaben. Er ging weiter und fand überall das gleiche; vor dem Haus eines jeden Arztes standen Geister, oft hunderte, oft auch nur zehn.
Erst gegen Abend entdeckte er einen Arzt, vor dessen Haus nur ein einziger Geist stand. Hier ging er hinein, um den Arzt kennenzulernen, der doch der beste der ganzen Gegend war. Seine Kunst hatte bisher nur einem einzigen Menschen nicht helfen können.
Der Arzt war sehr erfreut über die Anerkennung seiner Heilkunst und seiner ärztlichen Würde. »Ich würde Euch selbstverständlich behilflich sein«, sagte er zu dem Jüngeren, »aber ich habe selber keine große Erfahrung, da 69 ich meine Praxis erst heute Mittag begonnen habe.« 70