Mirok Li
Iyagi
Mirok Li

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9. Der hungrige Fasan

Es war im tiefen Winter; Schnee hatte alle Felder und Wälder bedeckt. Da ging eines Abends ein Fasan, der seinen großen Hunger nicht mehr aushalten konnte, zu einer Maus, weil er wußte, daß sie immer etwas Gutes zu essen aufbewahrte. Vorsichtig flog er zur Stadt, flog durch die nächtliche Gasse bis zu dem Haus, unter dem die Maus ihre Wohnung hatte. »Ich bin der Onkel Fasan«, rief er durch die Türspalte, »ich bin nur gekommen, um nachzusehen, wie es euch geht. Es ist so einsam in dem hohen Schnee!«

»Ach der gute Onkel ist es wirklich!« rief die Maus erfreut und führte ihn in ihr kleines Zimmerchen, das schön sauber war und dessen Boden frisch mit gutem Ölpapier bespannt war. Der Onkel mußte vorsichtig gehen, weil der Boden sehr glatt war für seine unbeholfenen Füße. Die Maus zog sich 54 nun schnell die Schürze an und sagte dem Onkel: »Ich koche euch ein gutes Nudelgericht. Paßt inzwischen nur auf die Kinder auf!« Es waren wirklich fünf neugeborene Kinder da, die in einer Zimmerecke unter einer großen weichen Decke schliefen. »Ja, ja, ich will schon gut auf sie aufpassen!« sagte der Fasan gleichgültig, ohne sie auch nur anzusehen.

Während die Maus in der Küche den Mehlteig knetete, geriet der Fasan in Verzückung vor Freude über das versprochene Nudelgericht und fing an zu tanzen. Er hatte vergessen, daß der Boden glatt bespannt war. Er rutschte mehrere Male und fiel zum Schluß auf die weiche Decke, unter der die Mausekinder schliefen. Durch das jammervolle Geschrei und das Quietschen der Kinder erschreckt, stürzte die junge Mausemutter ins Zimmer herein und fand ihre lieben Kinder schon alle tot. Vor Wut gab sie dem verlegen dastehenden Fasan zwei Ohrfeigen mit 55 ihren mehligen Händen, links eine und rechts eine, und verjagte ihn aus der Wohnung.

Beschämt kam der Fasan wieder nach Hause und seine Frau versuchte die beiden weißen Flecken unter seinen Ohren wegzuwischen, aber ohne Erfolg. Der Schandfleck blieb für immer sitzen, vererbte sich sogar auf seine Nachkommen, weshalb alle Fasanriche zwei weiße Flecken am Gesicht haben. 57

 


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