Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXII.

Deutsche Taktik.


Es kam zu einer Menge von scharfen Scharmützeln zwischen unsern und den feindlichen Kavallerievedetten. Auf einem derselben geriet ein Hauptmann von Pabst in englische Gefangenschaft und wurde gleich darauf bei einem Fluchtversuch erschossen; in seiner Tasche fand man einen Brief an einen Freund, den Hauptmann Neuhaus vom Lothringischen Pionierbataillon in Darmstadt, der über die Art und Weise, wie sein Armeekorps sich in Antwerpen nach Maldon eingeschifft hatte, helles Licht verbreitete.

Das ausführliche, lange Schreiben war anscheinend in großer Eile und mit vielen Unterbrechungen in den Pausen, die der Dienst im Stabe des Prinzen Heinrich von Württemberg dem Schreibenden freigelassen hatte, zu Papier gebracht worden. Man sandte es nach London; sein Wortlaut war der folgende:

 

»Maldon, England,
Mittwoch, 7. September.

Lieber Neuhaus!

Stelle Dir vor: ich stehe jetzt wirklich auf dieser Insel, mit deren Unnahbarkeit die Engländer sich solange gebrüstet haben, und zwar ohne daß der Feind uns bisher das geringste in den Weg gelegt, ja, sich uns nur gezeigt hätte!

Ich denke, daß es Dir lieb sein wird, wenn ich Dir meine Aufzeichnungen über alles, was ich auf dieser denkwürdigen Expedition zu sehen und zu hören bekomme, ungekürzt zusende, nicht wahr?

Natürlich war ich mehr als froh, daß ich zum Stabe Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Heinrich von Württemberg kommandiert wurde; ich blieb keinen Augenblick länger als nötig in der Garnison und fuhr nach Trier ab.

Du weißt, daß wir unter dem Vorwande, den Aufruhr in Brüssel niederzuschlagen, in Belgien eingerückt waren. Da waren nun die Bahnen so vollständig für die Truppentransporte in Anspruch genommen, daß ich jeden Augenblick liegen blieb und erst nach endlosen Verzögerungen den Prinzen und sein Armeekorps in Antwerpen einholte – gerade noch zu rechter Zeit, um mich melden zu können; denn am Nachmittag war ich angekommen, und schon am selben Abend gingen wir in See!

Man hätte Antwerpen für eine deutsche Stadt halten können, so voll war es von unseren Truppen. Der Park, die Pepiniere, der Zoologische Garten, der Park des Industriepalastes, die Boulevards und alle freien Plätze waren zu Biwaks benutzt. Prinz Heinrich hatte in einem sehr hübschen Hause der Kathedrale gegenüber Quartier genommen; nahebei waren die Pferde der Schwadron Jäger zu Pferde angepflockt, die dem 12. Korps attachiert waren.

Ich machte mit dem Prinzen nachmittags einen Rundritt durch die Biwaks und an den Kais entlang, auf denen die Trainfahrzeuge und die Geschütze eingeschifft wurden. Zu je zweien und dreien lagen die größeren Dampfer an den Kais vertaut, und hinter jedem, in zwei Reihen von je sechs, ein Dutzend Flachboote oder Schuten, die aneinandergebunden und durch Laufplanken mit der äußeren Reihe verbunden waren. Draußen in der Mitte des Stromes lagen noch mehr Schuten, sowie die Rhein-, Elbe- und Weserdampfer, die die Leichter in Schlepptau nehmen sollten. Wie das alles in der kurzen Zeit hatte beschafft werden können, geht über meinen Verstand!

Natürlich war auch gut aufgepaßt worden, daß über diese bis ins einzelne ausgearbeiteten Maßregeln und Vorkehrungen auch nicht ein Wörtlein nach England gelangte; von unseren eigenen Mannschaften hatte bis zum letzten Augenblick niemand eine Ahnung, daß und wohin eine überseeische Expedition im Werke wäre!

Die belgischen Truppen waren alle entwaffnet und jenseits des Flusses zwischen den älteren, als Tête de Flandre bekannten Befestigungen und den äußeren Linien in einem Lager zusammengehalten. Die Zivilbevölkerung trug ein ziemlich unzufriedenes Aussehen zur Schau, was uns aber nicht weiter genierte.

Um acht Uhr abends hatten wir an Bord der »Dresden« zu sein, die heute, nebst vielen anderen englischen Fahrzeugen, mit Beschlag belegt worden war; sie lag längsseits des Pontons dicht am Steen-Museum. Sobald sie losgeworfen hatte, donnerte auf der Zitadelle ein Kanonenschuß, und von der Tête de Flandre stiegen drei Raketen in die Dunkelheit auf – das Abfahrtssignal für die ganze Flottille. Ein Dampfer nach dem anderen glitt aus dem Schatten der Kais in den Strom hinein und vor seiner langen Schleppe von Schuten und Barken her die Schelde hinab.

In sehr langsamer Fahrt hielt sich die Dresden am jenseitigen Ufer und ließ die Spitze der langen Reihe von Transportfahrzeugen an sich vorbeifahren, – ein begeisternder Anblick diese Tausende von beherzten deutschen Männern, die sich auf all den Dampfern und Barken drängten, um mitzuwirken an der Demütigung des drohenden englischen Übermutes! ... Mir kam der prophetische Ausspruch unseres Kaisers in den Sinn: ›Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser!‹

Kurz vor Mitternacht war die ganze Flottille auf der Höhe von Vlissingen angelangt; hier formierte sie sich in vier parallelen Kolonnen und nahm den Kurs nach Norden. Es war eine ruhige, nicht sehr dunkle Nacht, und auf eine bedeutende Entfernung vom Schiff war die Oberfläche des Wassers sichtbar, eine leuchtende, graue Fläche. Die Dampfer führten die gewöhnlichen Lichter, die Schuten und Leichter weiße Lichter an Bug und Heck. Die Luken waren alle dichtgemacht, damit die Steuernden durch keine anderen Lichter irregeführt werden konnten.

Ich hatte keine Lust, mich schlafen zu legen, sondern betrachtete, über die Heckreeling gelehnt, die verschwommenen, schattenhaften Umrisse des mich rings umgebenden Schwarmes von Fahrzeugen, die Reihen roter, weißer und grüner Lichter, die langsam neben ihrem flackernden Widerschein über die sanft atmenden Wasser hinglitten; ich fühlte mich seltsam erregt, der Zauber dieser weltgeschichtlichen Nacht hielt mich in seinem Bann und ließ keine Müdigkeit in mir aufkommen. Auch von den Kameraden blieben die meisten an Deck, in ihre Mäntel gehüllt und fast nur flüsternd sich unterhaltend; Prinz Heinrich schritt mit dem Kommandanten des Schiffes die Kommandobrücke auf und nieder. Auch er, denke ich, wird gleich uns sich dem Eindruck der Größe des Wagnisses, auf das unser Vaterland sich eingelassen hat, nicht haben entziehen können ...

Gewiß, jeder von uns wußte sehr wohl, wie sorgfältig alles geplant, wie geschickt alles ins Werk gesetzt war; wir konnten nicht anders als zugeben, daß die Chancen beinahe sämtlich für uns waren. Dennoch konnten wir nicht umhin, mit Spannung auch an die anderen Möglichkeiten zu denken, – wie denn Von der Bent, dessen Du Dich sicherlich von der Zeit her, wo er bei den dritten Grenadieren zu Pferde in Bromberg stand, noch entsinnst, und der jetzt ebenfalls zum Stabe des Prinzen gehört – in dieser Nacht sagte: ›Was würde aus uns, wenn trotz unserer Vorsicht die Engländer Wind von unseren Plänen bekommen hätten, und ein halb Dutzend Zerstörer jetzt aus der Dunkelheit zwischen unsere Flottille hereinsauste? Sollte dann nicht speziell unsere Zukunft unter, statt auf dem Wasser liegen?‹ .... Ich lachte über dies Unglücksgekrächze; allein ich bekenne, daß ich einigermaßen gespannt unseren ziemlich begrenzten Horizont beobachtete.

Ungefähr um zwei Uhr morgens ging der Mond auf. Da der Himmel voller Wolken war, konnte nur hin und wieder etwas von seinem Licht durchdringen; es versetzte mir aber einen tüchtigen Stoß, als mir plötzlich seine Strahlen eine lange graue Linie von Kriegsschiffen, die alle Lichter gelöscht hatten, und an ihren Flanken die dunkleren Formen der sie begleitenden Zerstörer enthüllten, wie sie langsam im rechten Winkel unseren Kurs kreuzten ... Glücklicherweise stellte sich heraus, daß es unsere eigene Eskorte war, die den Befehl hatte, auf diesem Punkte uns und die übrigen Teile des 12. Korps zu erwarten, die von Rotterdam und anderen niederländischen Häfen ausgelaufen waren und gleichfalls hier mit uns zusammentreffen sollten. Und in der Tat, fast gleichzeitig mit dem Eintreffen der Panzerschiffe verkündete eine von Norden her sich nähernde Schar glitzernder Lichtpunkte die Ankunft der Rotterdamer, und um drei Uhr dampfte die ganze vereinigte Flotte in vielen parallelen Linien mit westlichem Kurse weiter. Auf jeder Seite fuhren uns vier Schlachtschiffe in Linie voraus; die Zerstörer waren in fortwährendem Kommen und Gehen, nach allen Richtungen hin, wie Schäferhunde, die wachsam ihre Herde umkreisen, und ich nehme an, daß in größerem Abstande noch andere Kriegsschiffe vor uns herfuhren.

Die Überfahrt verlief ohne den geringsten Zwischenfall. Wir sahen nichts von den allgefürchteten englischen Kriegsschiffen, noch überhaupt von irgendwelchen Schiffen, ausgenommen ein paar Fischerboote und den Harwich-Antwerpener Dampfer, der im Glanze seiner Lichter durch die Queue unserer Flottille lief, glücklicherweise ohne mit einem unserer Flachboote oder Leichter zu kollidieren. Was seine Bemannung und die Passagiere sich gedacht haben mögen, als sie mitten auf See so einer Schlachtreihe begegneten, läßt sich nur ahnen, ist aber auch völlig gleichgültig, denn zu der Zeit, wo sie in Antwerpen angekommen waren, lagen unsere Karten schon offen auf dem Tisch ...

Gegen Morgen überkam mich dann doch die Müdigkeit, so daß ich schließlich auf einer Bank des Achterdecks einschlief. Es kam mir vor, als hätte ich eben erst die Augen geschlossen, als Von der Bent mich mit den Worten: ›Land in Sicht!‹ aufweckte. Der Morgen dämmerte, ein fahles Licht kroch am Osthimmel empor und führte eine kalte Luft mit sich, die mich erschauern machte; im Westen war nur wenig Helligkeit, und nur mit Mühe konnte ich gerade vor uns am Horizonte eine lange schwarze Linie unterscheiden – das war England! ...

Unsere Flottenhälfte änderte jetzt ihren Kurs um ein paar Striche weiter südlich; der Rest steuerte mehr nach Norden. Um fünf Uhr passierten wir das Swin-Feuerschiff und befanden uns in der Mündung des Crouch-River, gewiß zum größten Erstaunen der paar Fischerleute, die offenen Mundes aus ihren Booten die vor ihnen auftauchenden grauen Kriegsschiffe und den ganzen ihnen folgenden gewaltigen Schwarm von Fahrzeugen anstarrten. Gegen sechs Uhr waren wir vor dem zierlichen Städtchen Burnham-on-Crouch angelangt, ersichtlich einem Mittelpunkt des Segelsports, denn der Fluß war von Kuttern, Jollen und Booten aller Größen wie bedeckt; eine Menge großer Flachboote mit lohfarbenen Segeln lag an dem das Ufer fast lückenlos umsäumenden Kai.

Die Geschwaderboote mit Matrosen und Abteilungen des 2. Seebataillons waren uns offenbar vorausgeeilt, da auf der Küstenwachtstation bereits die deutsche Fahne gehißt war. Unsere Dampfpinassen waren zum Teil damit beschäftigt, die über die ganze Strommündung verstreuten Boote und kleinen Fahrzeuge aufzubringen, zum andern Teil, Schuten an die Kais zu schleppen und dort zu vertauen, damit sie uns das Landen ermöglichten: es wurde immer eine vor der anderen festgemacht, bis die äußerste jenseits der Niedrigwassermarke lag, wo wenigstens unsere Leichterfahrzeuge zu jeder Zeit anlegen und ihre Ladung an Mannschaften und Gütern ausschiffen konnten.

Die ersten Leute, die ich landen sah, gehörten noch zum 2. Seebataillon; ihnen folgte Prinz Heinrich mit seinem Stabe. Wir stiegen an einem kleinen eisernen Pier aus, dessen Bohlenbelag so verrottet war, daß er an vielen Stellen ganz verschwunden war und an den übrigen kein Vertrauen einflößte; deshalb tasteten wir uns zimperlich am Rande entlang, ohne das Geländer loszulassen. Es waren aber bereits unsere Schiffszimmerleute dabei, den Pier zu reparieren.

Etwas weiter flußaufwärts ging nun zunächst eine kombinierte Abteilung Infanterie und Artillerie an Land, die sich in dem Dörfchen Canewdon, angeblich dem Lagerplatz von weiland König Canut, verschanzen sollten; da es auf einer Anhöhe liegt und in meilenweitem Umkreise keine andere aus dem Flachland emporragt, so springt seine Bedeutung für uns in die Augen.

Während wir darauf warteten, daß unsere Pferde an Land gebracht würden, unternahm ich einen Gang durch den Ort Burnham. Er besteht aus einer einzigen, in ihrem mittleren Teile ziemlich breiten Straße; das Rathaus hat einen sonderbaren, auf Bogen stehenden roten Turm. Am Westende des Städtchens liegt der Exerzierschuppen der Freiwilligen, den unsere Seesoldaten besetzt hatten; ich sah, wie sie unter großem Gaudium einen buntfarbigen Rekrutierungsaufruf an dem Postamte gegenüber studierten, welcher begann: »Rekruten für Seiner Majestät Heer gesucht!« Einer, der englisch verstand, machte den Übersetzer und stellte all die Freuden und Emolumente, die des schwer zu findenden Engländers warteten, der patriotisch genug war, um sich anwerben zu lassen, ins rechte Licht. – Als ob ein solches System jemals ein taugliches Kriegswerkzeug liefern könnte! War es nicht der berühmte, in der Bartholomäusnacht ermordete Admiral Coligny, der gesagt hat: Lieber tausendmal sterben, als eine Armee von Freiwilligen anführen? ...

Da inzwischen unsere Pferde ausgeschifft waren, und wir uns überzeugt hatten, daß alle Ausgänge des Ortes besetzt, der Mayor festgenommen, und die Proklamationen, die jeden Zivilisten mit dem Tode bedrohten, der direkt oder indirekt unsere Operationen hindern würde, angeschlagen waren, brachen wir nordwärts nach dem Höhenzuge auf, auf dem wir mit der 32. Division, die jetzt bei Bradwell auf dem Blackwater landen mußte, in Fühlung zu kommen hofften. Als Eskorte hatten wir einen Trupp Jäger zu Pferde. Zur selben Zeit trabte eine andere Truppe westwärts davon, begleitet von einer Abteilung Radfahrer, um jenseits des Bahnhofes die Linie zu unterbrechen, die landeinwärts führenden Straßen zu bewachen und zu verhüten, daß die Einwohner von Burnham Lärm schlügen. Gerade als wir ihren Ort verließen, fingen sie an, aus ihren Häusern zu kommen. Sie starrten uns an, sagten aber nichts und schienen vollständig verblüfft zu sein. – So etwas wie eine wirkliche Invasion durch eine wirkliche Armee von Ausländern hatte in ihrer beschränkten Vorstellungswelt wohl niemals einen Platz gefunden! ... Hier und da gab es einige niedliche Mädels mit frischen, apfelroten Backen, die unsere stampfenden Pferde und bunten Uniformen nicht gerade schief anzusehen schienen.

Es war jetzt gegen halb neun Uhr, und die Morgennebel, die drunten am Flusse und auf dem niedrigen Gelände an beiden Ufern die Oberhand gehabt hatten, wurden dünner und trieben davon unter den wässerigen Strahlen einer schwachen Sonne, die die Wolkenbank über uns kaum zu durchdringen vermochten. Das wird wohl der englische Sommertag sein, von dem man soviel Rühmens macht! Heiß ist er jedenfalls nicht.

Die Pferde waren frisch und freuten sich, den engen Quartieren an Bord entronnen zu sein; wir trabten und galoppierten durch die vielgewundenen schmutzigen engen Heckenwege und kamen schnell nach der Bodenerhebung, die den höchsten Punkt der durch das Blackwater und den Crouch-River gebildeten Halbinsel trägt. Seine Höhe über dem Meeresspiegel mag zwar nur etwa 40  m betragen, aber dafür ist das Gelände ringsum so flach, daß es sich wie ein Panorama vor uns ausbreitete. Wir konnten Burnham nicht mehr unterscheiden, da es von den sanften Terrainfalten und den vielen Bäumen auf den Knicken verdeckt wurde; aber das Blackwater und seine Arme waren gut zu überblicken, und im Nordwesten erhoben sich die fernen Türme und Spitzen von Maldon, unserem nächsten Ziel.

Unsere Signalleute machten sich sofort ans Werk und hatten in ein paar Minuten bereits die Verbindung mit der nördlichen Division hergestellt, die nordöstlich von uns auf einem Kirchturm eine Signalstation errichtet hatte; sie meldete ihre erfolgreiche Landung zu Bradwell, und daß das 3. Seebataillon auf Flachbooten flußaufwärts geschleppt werde, geleitet vom Ägir.

Ich denke, lieber Neuhaus, ich erzähle Ihnen jetzt ein wenig von unserm Operationsplan, soweit er mir bekannt ist; damit Sie aber besser imstande sind, meinen Ereignissen zu folgen, sollten Sie sich aus Berlin ein Exemplar der englischen Generalstabskarte kommen lassen.

Wie schon gesagt, ist Maldon unser erstes Operationsziel. Es liegt am Ende des schiffbaren Teiles des Blackwater auf einer sich zur Verteidigung eignenden Anhöhe und wird im Norden und Nordwesten von einem Netzwerke von Flußarmen und Kanälen umgeben; von dort aus könnten wir den Angriff, den wir sicherlich von der Besatzung Colchesters zu erwarten haben, in aller Ruhe abweisen. Demgemäß haben wir Maldon so schnell wie möglich zu besetzen und für die Verteidigung einzurichten, und uns demnächst entlang einer Linie, die sich südwärts von Maldon nach dem Crouch-Flusse erstreckt, zu verschanzen. Durch zuverlässige Geheimagenten ist die ganze Stellung bereits rekognosziert und die Hauptpunkte für die Verschanzungen ausgewählt worden, wenn Prinz Heinrich auch selbstverständlich freie Hand zu jeder von den Umständen gebotenen Abänderung des ursprünglichen Planes hat.

Die Gesamtlänge unserer Front wird nahezu sieben englische Meilen betragen, reichlich lang für die zu unserer Verfügung stehende Truppenzahl; aber da die Engländer der Ansicht sein sollen, daß zu einem Angriff auf befestigte Linien eine sechsfache Übermacht gehöre, und sie überdies anderswo vollauf zu tun bekommen werden, so bin ich der Meinung, daß wir mehr als stark genug sein werden für jeden Angriff, den sie gegen uns unternehmen können. Die rechte Hälfte unserer Stellungen liegt – wenn ich von der Stadt Maldon selber absehe – ganz in der Ebene und bietet für die Verteidigung keine besonderen Vorteile; die linke dagegen auf höherem Grund, der gute Artilleriepositionen bietet, und darauf müssen wir gegen alle Eventualitäten bedacht sein. Hier befindet sich der eigentliche Schlüssel der ganzen Stellung, und wenn wir nur ihn behaupten, dann könnten wir uns immerhin aus Maldon und unseren Verteidigungswerken auf der Ebene südlich von der Stadt herauswerfen lassen: jene Höhen würden uns als Pivot dienen, und wir würden uns ohne Schaden in eine zweite Stellung auf der niedrigen Hügelreihe zurückziehen, die in nordöstlicher Richtung sich quer durch die Halbinsel bis nach St. Lawrence erstreckt, und die unsere Landungsplätze ebensogut decken wird.

Außerdem sollen drei Bataillone in Eilmärschen vorgehen, um Vorpostenstellungen zu beziehen und uns so gegen jede frühzeitige Störung durch den Feind von Chatham oder von London aus zu sichern; sie haben nur ihren eisernen Bestand und die Munition bei sich, die in ihren Taschen und in den Kompagniemunitionswagen Platz hat, für deren Transport sie Pferde in Southend requirieren sollen. Diese Vortruppen werden verstärkt, sowie wir mit der Landung weiter vorgeschritten sein werden.

Unsere Flanken sind gut geschützt durch die zwei breiten Flußmündungen, in denen Ebbe und Flut herrscht und die nur an einem oder zwei Punkten ohne größere Schwierigkeit zu überschreiten sind; natürlich werden wir diese wenigen Stellen für die Verteidigung besonders einrichten. Zudem gibt es, abgesehen von Canewdon, das wir bereits besetzt haben, in weitem Abstande von diesen Gewässern keinen Höhenzug, der dem Feinde gute Stellungen darböte, und von dem aus er das Terrain zwischen ihnen unter Feuer nehmen könnte.

Soweit der Anteil des Landheeres an unserem Programm. Was den unserer Marine betrifft, so habe ich Ihnen berichtet, daß wir die acht kleinen Panzer der Ägirklasse als Eskorte hatten, die Zerstörer usw. nicht gerechnet. Ägir und Odin operieren auf den Flüssen an unseren Flanken, soweit sie sie hinauffahren können; von den übrigen sechs sind drei vor der Einfahrt jedes Flusses damit beschäftigt, Minen und andere Hindernisse zu versenken, um uns gegen die englische Flotte zu schützen und doch unsere Magazinschiffe durchzulassen, die wir von verschiedenen deutschen und holländischen Häfen mit den Vorräten und dem Kriegsbedarf aller Art für das nördliche Armeekorps heute abend oder morgen früh erwarten, zu welcher Zeit das letztere weit genug nach Süden vorgedrungen sein wird, um mit uns in Fühlung zu kommen. Außer auf diesen Flüssen würde die englische Marine uns nirgends auf den Leib rücken können.

Von der Küste aus seewärts erstrecken sich zwischen den Mündungen der beiden Flüsse drei englische Meilen weit die sog. Dengie-Flats, landeinwärts aber, gleichfalls drei Meilen weit, ein sumpfiges, schwer gangbares Terrain. Die großen Schiffe der Engländer würden also nicht näher als bis auf sieben Meilen an unser Hauptquartier und das Depot, das wir in Southminster zu errichten beabsichtigen, heranfahren können, und selbst wenn sie so töricht wären, an einen Versuch, uns mit ihrem schweren Geschütz durch Steilfeuer zu belästigen, viel Munition zu verschwenden, so würden sie doch nie dahin kommen, uns wirklich was zuleide zu tun.

Wie ich vernommen habe, sind auch vor der Themsemündung Minenleger bei der Arbeit, und Panzer älteren Datums sollen das Minenfeld so lange mit ihren Geschützen verteidigen, bis sie durch Übermacht zum Rückzuge gezwungen werden, unter Umständen auch einen Handstreich auf Shoeburyneß unternehmen, um es zu zerstören und alles Geschütz, das sie dort vorfinden, fortzuschaffen. Doch das gehört eigentlich nicht zu unserem besonderen Operationsabschnitt.

Um nun zu meinen eignen Erlebnissen zurückzukehren: Kurz nach neun Uhr waren Prinz Heinrich und sein Stab auf Steeple Hill eingetroffen, und unsere Signalleute mit der anderen in Bradwell gelandeten Division in Verbindung getreten. Nicht lange darauf kam die Spitze eines der Jägerbataillone lustig dahermarschiert; die Leute führten ihre Kriegshunde an der Leine mit sich und waren auf dem Wege, das 3. Seebataillon zu verstärken, das um diese Zeit Maldon besetzt und von aller Verbindung mit dem Binnenlande abgeschnitten haben mußte.

Der Prinz sah auf seine Uhr. ›Wenn sie vor Mittag dort sind, so ist das alles, was wir von ihnen erwarten dürften,‹ sagte er; und indem er sich rasch nach mir umwandte, fügte er hinzu: ›Bitte sich zu überzeugen, wie es mit dem Abmarsch der gelandeten Truppenteile von Burnham steht!‹

Ich im Galopp davon, bis ich vor Southminster auf die Landstraße kam. Hier holte ich das 1. Bataillon des 101. Grenadierregimentes ein. Wie sein Kommandeur mir mitteilte, waren auch die beiden anderen Bataillone schon gelandet und aus Burnham abmarschiert, mußten also nächstens erscheinen; das Leibgrenadierregiment Nr. 100 mußte inzwischen seine Ausschiffung auch beendet haben, desgleichen die zwei Kavallerieregimenter mitsamt ihren Pferden, während die Feldartillerie noch auf ihre Bespannung zu warten hatte.

Der Prinz ließ nun nach Burnham signalisieren, daß die Kavallerie und Feldartillerie schwadron- und batterieweise abmarschieren solle, sobald die Pferde an Land seien.

Einstweilen ließ sich weiter nichts tun; wir mußten uns auf die Seesoldaten verlassen, daß sie Maldon glücklich besetzt und dadurch ein Durchsickern der Nachricht von unserer Landung nach Colchester verhindert hätten.

In diesem Augenblick meldete unsere Signalstation, daß sie mit einer neuen, auf Kits-Hill, etwa 6 englische Meilen nach Südwesten, von den Jägern zu Pferde errichteten Station in Verbindung getreten seien und von dort die Meldung erhalten hätten: ›Eisenbahn bei Wickham Ferris unterbrochen. Den Maldoner Zug von acht Wagen genommen und auf das Geleise nach Burnham geschoben.‹ Prinz Heinrich signalisierte zurück: ›Zug nach Burnham absenden!‹ und desgleichen an das Kommando der 23. Division in Burnham: ›Erwartet sofort Zug von acht Wagen. Wagoniert soviel Infanterie ein, als hineingeht, und schickt sie mit möglichster Schnelligkeit nach Maldon ab!‹

Ich hatte mir unterdessen durch meinen Feldstecher das Terrain angesehen. Die Stadt Maldon war jetzt deutlicher zu erkennen, aber nichts deutete in ihr auf die Gegenwart unserer Truppen hin, außer daß ein wenig flußabwärts der hohe Mast des Ägir mit seinen drei Marsen hinter einer Reihe von Weiden aufragte.

Als ich meinen Feldstecher senkte, winkte der Prinz mich heran: ›Nehmen Sie sechs Mann, reiten Sie nach Maldon, und machen Sie mir Meldung, wie es dort steht. Ich werde in Latchingdon sein,‹ fügte er hinzu, indem er den Ort auf der Karte zeigte, ›oder möglicherweise auf dem Wege zwischen da und Maldon.‹

Mit meinen sechs Jägern eilte ich davon und näherte mich rasch meinem Bestimmungsorte. Das hochgelegene Nest mit seinen drei Kirchtürmen und seinen spitzgiebligen Häusern erinnerte mich an alte Städtebilder aus dem 16. Jahrhundert. Nichts deutete die Nähe des Krieges an, bis wir von einem Posten angerufen wurden, der am Anfang einer weitläufig bebauten Straße hinter einem Hause hervortrat. Er trug unsere Seebataillonsuniform, – die Stadt war also in den Händen der Unsrigen! Wir trabten weiter und wollten gerade in die Hauptstraße einbiegen, als piff-paff von rechts her eine unordentliche Salve abgegeben ward, die unsere Seesoldaten Schuß auf Schuß erwiderten, und eine Schar von Männern in Khaki quer vor dem Eingang der Seitenstraße, die wir herkamen, vorüberrannten. ›Endlich die Engländer!‹ dachte ich. Zum Umkehren war es zu spät; die Vorbeistürmenden hatten uns wohl auch schon erblickt, wenngleich sie in der Front hinlänglich zu tun zu haben schienen. So gab ich mit dem Ruf ›Vorwärts!‹ meinem Pferde die Sporen und sprengte mit meinen sechs Leuten mitten in sie hinein, obwohl ich von ihrer Zahl nicht die geringste Ahnung hatte. Die Hufschläge dröhnten, die Gewehre knatterten – ich schlug einen Kerl nieder, der mir sein Bajonett in die Kartentasche bohrte, und dann hörte ich ein lautes deutsches Hurra und sah einen Trupp Seesoldaten die Straße heraufstürmen. In einem Augenblick war alles vorüber. Es waren nicht mehr als dreißig Khakis gewesen, alles in allem; ein halbes Dutzend von ihnen lag tot oder verwundet auf dem Boden, einige verschwanden durch die Seitengassen, andere wurden von den Seesoldaten gefangen genommen. Später stellte sich heraus, daß etwa vor einer Stunde, bei der Landung des ersten Bootes voll Deutschen, ein Freiwilligenoffizier einige von seinen Leuten zusammengetrommelt, in Uniform gebracht und mit ihnen diesen törichten Angriff, der für ihn so ungünstig ablaufen sollte, unternommen hatte. Der arme Bursch lag auf dem Bürgersteig und spuckte Blut. Kurz darauf kam der Kommandeur des Seebataillons herbei und gab sofort Befehl, daß der Mayor von Maldon vor ihn geführt werde.«

Hier brach der Brief ab; der deutsche Offizier hatte ohne Zweifel die Absicht gehabt, noch weitere Einzelheiten niederzuschreiben: aber er blieb unvollendet, – sein Schreiber lag bereits in seinem Grabe.


 << zurück weiter >>