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VII.

Unsere Flotte überrumpelt.


Die ersten Nachrichten über die große Seeschlacht waren, wie gewöhnlich in einem Kriege, konfus und entstellt. Sie zeigten nicht klar, warum sich der Sieg auf die eine Seite gewendet, oder was auf der anderen die Niederlage nach sich gezogen hatte. Nur schrittweise kam man der Wahrheit näher.

An dem verhängnisvollen Abend des 3. September lag die Nordseeflotte auf der Höhe von Rosyth, im Firth of Forth, friedlich vor Anker. Sie zählte 16 Schlachtschiffe, darunter vier von der berühmten Dreadnought-Klasse, und alles starke Fahrzeuge.

Ihr beigegeben war ein Geschwader von Panzerkreuzern, acht an der Zahl, aber keine Torpedobootzerstörer, da die Torpedoflottille an den Torpedomanövern in der Irischen See teilnahm.

Es hatte in der Flotte eine gewisse Erregung hervorgerufen, daß am Tage vorher die Order gekommen war, unter Dampf zu bleiben und sich jeden Augenblick zur Abfahrt bereit zu halten – Offiziere und Mannschaften hatten in den Zeitungen gelesen, daß zwischen England und Deutschland eine gewisse Mißhelligkeit bestehe, und sich mit ironischer Heiterkeit die öfters vom Premierminister wiederholte Behauptung ins Gedächtnis zurückgerufen, daß, seit er ans Ruder gekommen, ein Krieg zwischen gesitteten Nationen unmöglich geworden sei!

Am Morgen des 3. war diese Order aber widerrufen worden, und Admiral Lord Ebbfleet hatte Anweisung erhalten, auf seinem Ankerplatz die Ankunft von Verstärkungen aus den Reservedivisionen der großen Kriegshäfen abzuwarten. Der Admiral hatte kürzlich gemeldet, daß er nicht hinreichend mit Kohlen und Munition versehen sei, und um Nachlieferung von beiden ersucht; daraufhin ward ihm jetzt mitgeteilt, daß ihm Kohlen nach Rosyth gesandt werden würden, nicht aber Munition, da das in der augenblicklichen kritischen Zeitlage untunlich und unnötig wäre.

Ein chiffriertes Telegramm aus Whitehall führte aus, daß man sich vor Überstürzung und Kriegslärm hüten müsse, denn der Anschein von beidem würde Deutschland nur reizen und die Lage noch verschlimmern. Demgemäß solle der Admiral sich auf das strengste jeder Handlung enthalten, die als Kriegsrüstung aufzufassen sein würde. Auch dürften die Voranschläge nicht ohne triftigen Grund überschritten werden, und für unvorhergesehene Ausgaben sei neben den notgedrungenen Ersparungen der Admiralität kein Raum. Selbst die Abordnung der Reserveschiffe dürfe durchaus nicht so aufgefaßt werden, als stünde ein Krieg bevor, sondern lediglich als Zeugnis für die Bereitschaft der Flotte.

Diese bemerkenswerte Depesche und die Reihe von Telegrammen, die zu gleicher Zeit ankamen, wurden nach dem Kriege der parlamentarischen Untersuchungskommission vorgelegt und riefen vollständige Verblüffung hervor: Sie enthielten nicht den geringsten Hinweis auf die Gefahr, von der die Nordseeflotte bedroht war! Nicht auf die Sicherheit Englands, nur auf die Gefühle des Feindes wurde Rücksicht genommen! Es war ganz derselbe absolute Mangel an Voraussicht, der die Politik der Regierung während der Faschodakrisis charakterisiert hatte, als Mr. Goschen unter dem beifälligen Gemurmel des Hauses der Gemeinen ableugnete, daß die Werften stärker beschäftigt oder daß besondere Kriegsrüstungen nötig gewesen wären! Auch in der gegenwärtigen Krisis war die Sicherheit Englands wiederum dem Zufall anheimgestellt, die britischen Flotten sorgfältig aus den Gewässern der Nordsee abgerufen oder durch Abkommandierungen so sehr geschwächt worden, daß ihre Niederlage zur Wahrscheinlichkeit wurde! ...

Admiral Lord Ebbfleet indes war klüger als die Admiralität. Es gab ringsum zuviel Topfgucker, und die Schiffe waren zu stark unter Beobachtung, als daß sie ihre volle Schlachttoilette hätten machen können. Aber den ganzen Nachmittag arbeiteten die Mannschaften an der Beseitigung des Holzwerkes, das freilich unglücklicherweise weder an Land geschafft noch ins Wasser geworfen werden durfte, da das den schlimmsten Verdacht erregt haben würde. Der Admiral persönlich hätte vorgezogen, die Anker zu lichten und in See zu stechen, wurde aber durch seine Instruktionen davon abgehalten. Ein großer Admiral würde in einem solchen Augenblick der Entscheidung nicht gehorcht, sondern auf eigene Verantwortung gehandelt haben, aber Lord Ebbfleet, obwohl tapfer und befähigt, war kein Nelson. Trotzdem machte er, so gut es anging, klar zum Gefecht, und willig arbeiteten die Leute daran bis spät in die Nacht.

Alle großen Schiffe setzten ihre Torpedonetze aus; die Geschütze wurden geladen, die Geschützmannschaften waren auf ihren Posten; die Torpedobeiboote wurden ins Wasser gelassen und patrouillierten die benachbarten Gewässer ab; alle Schiffe hatten Dampf auf und konnten jeden Augenblick in See gehen, – eine Kohlenverschwendung, die dem Admiral Lord Ebbfleet wiederholt die ernstlichsten Rügen der Admiralität zugezogen hatte.

Die Befestigungen am Firth of Forth waren leider so gut wie ohne Bemannung und Armierung. Ein großer Teil der Geschütze war im Jahre 1906 aus Sparsamkeitsgründen verkauft worden. Getreu der Politik, sich auf das Glück sowie auf die freundliche Gesinnung der Deutschen zu verlassen, und ständig besorgt, um Gotteswillen Deutschland nicht herauszufordern, hatte man nichts für die Mobilisierung ihrer Besatzungen getan. Ja, auf Grund des letzten Verteidigungsschemas, das von den Londoner Sachverständigen aufgestellt worden, war ausgemacht worden, daß es zur Sicherung der Flottenbasen keiner Befestigungen bedürfte. Die Festungsartilleristen waren fort – dem Verlangen nach Ersparungen aufgeopfert! Es ward als vollständig hinreichend betrachtet, in Zeiten der Not die Werke mit schnell aufgebotenen Freiwilligen zu bemannen. Daß der Feind gleich dem Dieb in der Nacht kommen könnte, war anscheinend weder der Regierung, noch dem Hause der Gemeinen, noch den Armeereformern aufgestoßen.

So hatte der Admiral sich gänzlich auf seine eignen Schiffe und Kanonen zu verlassen. Nicht einmal die Scheinwerfer an den Küstenverteidigungswerken hatten ihre Mannschaften; alles war nach der gewöhnlichen englischen Mode dem Zufall und der letzten Minute überlassen geblieben. Und um die Wahrheit zu sagen, die friedlichen Versicherungen der ministeriellen Presse hatten jederlei Angst und Besorgtheit eingeschläfert, außer vielleicht in der Flotte, die der ersten Gefahr preisgegeben war. Die Nation wünschte zu schlummern und war höchlichst zufrieden mit den Leitartikeln, die ihr einredeten, daß alle Beunruhigung lächerlich sei ...

Gleich schwerwiegend war es, daß der Flotte keine Torpedobootszerstörer beigegeben waren. Die drei Nordseeflottillen von vierundzwanzig Booten manövrierten in der Irischen See, wohin sie nach Beendigung der großen Flottenmanöver abkommandiert worden waren. Keine Zerstörerflottille, nicht einmal ein einziges von jenen abgenützten, niedergebrochenen Torpedobooten, welche die Admiralität hartnäckig zur Scheinverteidigung der britischen Küsten beibehielt, war im Forth stationiert. Zum Patrouillieren hatte der Admiral nichts als seine Panzerkreuzer und die von seinen Kriegsschiffen mitgeführten Beiboote, die den Zerstörern gegenüber von keinem praktischen Nutzen waren. Der Küstenschutz durch Minen war 1905 aufgegeben worden, mit der Aussicht, daß an seine Stelle Torpedo- und Unterseeboote treten sollten. Unglücklicherweise hatte die Admiralität den Minenvorrat zu jedem Preise schon losgeschlagen, ohne zuvor für Torpedo- oder Unterseeboote vorgesorgt zu haben, und jetzt, fünf Jahre nach diesem Akte äußerster Weisheit und Sparsamkeit, gab es nördlich von Harwich noch immer keine ständige schwimmende Küstenwehr! ...

Bei Anbruch der Nacht wurden sechs von den Torpedobeibooten der Schlachtschiffe außen vor der Forth-Brücke, östlich vom Ankerplatze, auf Vorposten stationiert; weiter draußen in der Fahrrinne, hart unter der Inchkeith-Insel, lag der schnelle Kreuzer Leicestershire mit allen Lichtern aus. Dwars von dem Kreuzer ab und dichter an Land, wo das Anschleichen feindlicher Torpedoboote am meisten zu fürchten war, lagen nordwärts drei kleine Torpedobeiboote, und südwärts ebensoviele, so daß in allem zwölf Torpedoboote und ein Kreuzer auf Vorposten waren, um jeder Überraschung, gleich der der russischen Flotte vor Port Arthur am Abend des 8. Februar 1904, vorzubeugen. – Das war die Lage zu Anfang dieser in den Annalen der britischen Marine ewig denkwürdigen Nacht.

Stunde um Stunde verstrich, während die auf den Torpedobooten kommandierenden Leutnants unablässig den Horizont mit Nachtgläsern durchsuchten, und auf der Kommandobrücke der Leicestershire eine kleine Gruppe von Offizieren und Signalgasten ihre Fernrohre und Gläser auf die See hinaus richteten. Der große Kreuzer zeigte in der Dunkelheit keinen Lichtschimmer; sanft ließen seine Maschinen ihn über die abzusuchende Fläche gleiten, und durch die Schwärze der Nacht glich er beinahe einem riesigen Zerstörer. Schon bei diesem Auf- und Abfahren waren seine Geschütze seewärts gerichtet, und die Geschützmannschaften auf ihren Posten.

Gegen zwei Uhr begann der Flutstrom kräftig in den Forth hineinzusetzen, und zur selben Zeit wurde das Wetter neblig. Kapitän Cornwall bemerkte voll Unruhe, wie der Horizont sich bezog, und das Gesichtsfeld einschrumpfte, und rief seinen Wachgenossen auf der Brücke zu, daß es eine ideale Nacht wäre für Zerstörer, – wenn welche kämen! ...

Kaum hatte er die Worte gesprochen, als er nach hinten an den Apparat für drahtlose Telegraphie gerufen wurde. Aus der finsteren Nacht kamen Hertzsche Wellen an, aber die geheimnisvolle Botschaft stand weder im englischen, noch auch im internationalen Verzeichnis, sie hatte keinen Sinn und war in keiner erkennbaren Sprache, sondern offenbar in Chiffern abgefaßt. Zwei oder drei Minuten lang knatterte der Empfänger, dann hörte der luftige Impuls auf. Unmittelbar darauf begann mit einem Geräusch gleich dem Knattern von Pistolenschüssen der Sender der Leicestershire die Kunde von diesem seltsamen Signal zurück an das Flaggschiff auf dem Ankerplatze zu senden, – die spezielle Abstimmung der englischen Marineapparate machte es Unberufenen unmöglich, ihre Nachrichten abzufangen.

Währenddessen war ein Dampfer gesichtet worden, der sich Inchkeith näherte. Nach seiner Bauart war es ein Frachtdampfer; er führte die gebräuchlichen Lichter und schien auf Queensferry zu steuern. Man forderte ihn durch ein Blitzlichtsignal auf, Namen und Nationalität anzugeben und nicht näherzukommen, da Manöver im Gange wären. Auf diese Signale gab er nicht die leiseste Antwort – übrigens nichts Ungewöhnliches bei englischen und ausländischen Handelsdampfern. In der ungewissen Beleuchtung war sein Deplacement auf ungefähr 2500 Tons zu schätzen.

Indem Kapitän Cornwall einem der Torpedoboote, die landwärts postiert waren, den Befehl gab, den Dampfer anzuhalten, zu examinieren und, wenn's kein englischer war, nach Leith zu dirigieren, nahm er auf seine Schultern die beträchtliche Verantwortung, in Friedenszeit ein ausländisches Schiff zu behelligen; aber der Dampfer kümmerte sich auch um das Torpedoboot nicht. Er war ungefähr 3000 Yards von der Leicestershire ab gewesen, als das Boot den Auftrag bekommen hatte, und nun bis auf 1500 Yards herangekommen. Beunruhigt durch dies Vorgehen ließ Kapitän Cornwall aus einem der Dreipfünder einen Schuß quer vor seinen Bug, und als auch das ihn nicht zum Stoppen brachte, zwei Schüsse gegen seinen Rumpf abgeben.

Auf den ersten Schuß quer vor den Bug drehte der Dampfer bei, jetzt wenig mehr als tausend Yards von dem englischen Kreuzer ab, so daß er diesem seine Breitseite zuwandte. Ein dumpfes Klatschen wie beim Abschießen von Torpedos ertönte, kurz ehe die Dreipfündergranaten seinen Rumpf trafen. Sofort gab Kapitän Cornwall Befehl, aus allen Geschützen, die den Dampfer bestrichen, auf ihn zu feuern. Durch das Wasser aber kamen mit Blitzesschnelle zwei Streifen von Schaumblasen herangeschossen – der eine ging gerade vor der Leicestershire vorbei, der andere flog auf ihr Heck zu; eine heftige Explosion erfolgte, der ganze Rumpf des Kreuzers ward erschüttert und merklich emporgehoben – eine Wasser- und Rauchsäule sprühte am Heck auf, und die Maschinen hörten auf zu gehen: das fremde Schiff hatte auf die Leicestershire einen Torpedo lanciert ...


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