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Über eine weitere Landung, in Essex, berichtete der Mayor von Maldon, der glücklich aus seiner Stadt entkommen war, wie folgt:
Am Sonntagmorgen hatte ich mich mit einem Freunde zu einer Golfpartie vor Kirchzeit verabredet. Ich traf ihn an der Golfhütte, wir spielten eine Runde und waren am drittletzten Loch der zweiten Runde, als es uns vorkam, daß von der Stadt her Schüsse knallten. Wir konnten uns das nicht erklären, aber da die Runde doch beinahe zu Ende war, wollten wir sie erst fertig spielen, ehe wir uns aufmachten, um nachzufragen. Ich war schon dicht am letzten Loch, da verdarb mir ein Ausruf meines Freundes den Schlag. Etwas ärgerlich sah ich mich um – meine Augen folgten denen meines Freundes, der mit dem Ausdruck des größeren Staunens auf etwas hindeutete.
»Wer zum Henker sind die Kerls da?« fragte er. Ich für mein Teil war zu verblüfft, um was zu erwidern. Von der Stadt her kamen über die Wiesen drei Männer in Uniform galoppiert – offenbar Soldaten! Und was für welche! ... Ich war oft in Deutschland gewesen und erkannte die Pickelhauben und die übrige Ausstaffierung der schnell heranstürmenden Reiter auf den ersten Blick.
»Ich wußte nicht, daß die Milizkavallerie heute übt,« sagte mein Freund.
»Was Milizkavallerie! Deutsche sind es, oder ich will ein Holländer sein!« antwortete ich. »Was zum Kuckuck können die hier wollen?«
Unterdessen waren sie schon neben uns und hielten so jäh an, daß Rasen- und Erdstückchen aufspritzten, und unsere schönste Rasenfläche ganz ruiniert wurde.
Alle drei richteten sie ihre scheußlich großen Repetierpistolen auf uns, und ihr Führer, ein affektiert aussehender Esel in Generalstabsuniform, forderte uns sehr pompös, aber in recht gutem Englisch auf, uns zu »ergeben«.
»Sehen wir denn so sehr gefährlich aus, Herr Leutnant?« fragte ich auf deutsch.
Er glättete einige seiner Runzeln, als er mich in seiner Muttersprache sprechen hörte, fragte, wer von uns der Mayor wäre, und ließ sich zu der Erklärung herab, daß ich mich nach Maldon zu dem Kommandeur der Truppen Seiner Majestät des Kaisers, die diesen Platz besetzt hätten, zu begeben hätte.
Ich starrte ihn verständnislos an.
Als ich vor ein paar Stunden von Hause fort ging, hätte ich ebensogut darauf gefaßt sein können, bei meiner Rückkehr dort die Chinesen zu finden, wie die Deutschen. Ich sah mir den Mann, der mich jetzt sozusagen gefangen genommen hatte, darauf an, ob es jemand sein könnte, der sich als deutscher Offizier verkleidet hätte, um mich zum besten zu haben? Nein, daß das nichts Nachgemachtes war, sah ich sofort. Alles, von den ausländisch geschnittenen Reitstiefeln bis zu dem Schnurrbart, der in schwacher Nachahmung der charakteristischen Zierde des Kaisers aufwärts gedreht war, bezeugte seine Identität! Und hätte noch was gefehlt, so hätte sein herrisches Wesen es ergänzt ...
Ich deutete ihm an, daß er doch vielleicht seine Pistole irgendwo anders hinrichten könnte, denn wenn er Lust hätte, sich als Kunstschützen zu zeigen, so würde es sportsmäßiger sein, auf die Flagge auf Longhole bei Beeleigh Lock zu zielen.
Er schien zwar Spaß zu verstehen, wenigstens steckte er das Schießeisen ein; aber er verlangte mir mein Ehrenwort ab, daß ich keinen Fluchtversuch machen würde. Ich gab es ihm ohne weiteres, da ich ohnehin keine Möglichkeit des Entwischens sah und überhaupt keinen dringenderen Wunsch hatte, als nach der Stadt zurückzugelangen und zu sehen, was los wäre.
»Aber meinen Freund hier gebrauchen Sie doch nicht?« fragte ich. »Er wohnt gerade auf der entgegengesetzten Seite.«
»Brauchen tu' ich ihn nicht, aber mitkommen muß er doch,« erklärte der Deutsche. »Oder wollen Sie mir zumuten, daß ich ihn laufen lasse, damit er sich spornstreichs nach Colchester aufmacht und dort Lärm schlägt?«
Das leuchtete uns ein. Wir brachen ohne weiteres auf und mußten tüchtig ausschreiten, indem wir uns an den Steigbügelriemen der Reiter anhielten.
Dicht vor der Stadt stand auf der Brücke über den Fluß ein Pikett blauröckiger deutscher Infanterie – – Es war ein förmlicher Gespensterspuk, es war über Fassen und Begreifen! ...
»Wie in aller Welt sind Sie hergekommen?« konnte ich nicht umhin zu fragen. »Mit einem Vergnügungszug aus London oder per Luftballon?«
»Zu Wasser,« antwortete kurz der deutsche Offizier und deutete flußabwärts, wo ich zu noch größerer Überraschung mehrere Dampfschiffe und -pinassen unter deutscher Flagge liegen sah.
Ich wurde geradenwegs nach dem Rathause geführt. Er schien bereits den Weg dahin zu wissen, dieser Deutsche!
Dort stand ein grauhaariger höherer Offizier auf der Treppe und wartete. Als er uns kommen sah, drehte er sich um und ging hinein. Wir folgten ihm, und ich ward ihm vorgestellt. Er machte einen rohen, brutalen Eindruck.
»Nun, Herr Mayor,« begann er und strich sich boshaft den weißen Schnurrbart. »Wissen Sie, daß ich große Lust hätte, Sie auf die Straße hinausführen und erschießen zu lassen?«
Es fiel mir nicht ein, mich einschüchtern zu lassen.
»Wirklich, Herr Oberst?« fragte ich zurück. »Und darf ich mich erkundigen, womit ich mir das Mißfallen des hochwohlgeborenen Herrn zugezogen habe?«
»Keine Dreistigkeiten, Herr! Wie konnten Sie Ihren elenden Freiwilligen gestatten, sich zusammenzurotten und auf meine Leute zu schießen?«
»Meine Freiwilligen? Ich fürchte, nicht zu verstehen, was Sie meinen,« sagte ich. »Ich gehöre nicht zu den Offizieren der Freiwilligen. Und wenn auch, ich weiß von nichts, was sich hier in den letzten zwei Stunden ereignet hat, da ich unten auf dem Golfplatze war ... Der Herr hier wird für mich eintreten«, fügte ich hinzu, indem ich mich an den Hauptmann wandte, der mich gefangen hergeführt hatte. Er bestätigte meine Aussage.
»Einerlei, Sie sind der Mayor,« beharrte mein Inquisitor. »Wie konnten Sie die Freiwilligen ausrücken lassen?«
»Wenn Sie die Güte gehabt hätten, uns Ihren Besuch rechtzeitig anzukündigen, so würden wir bessere Anstalten getroffen haben,« antwortete ich. »Sie mögen es sich aber gesagt sein lassen, wenn Sie es noch nicht wissen sollten, daß in diesem Lande ein Mayor wenig oder nichts zu sagen hat. Er ist hauptsächlich dazu da, um seinen Namen an der Spitze von Subskriptionslisten einzuschreiben, jährlich ein paar offizielle Diners mitzumachen und bei öffentlichen Gelegenheiten Reden zu halten.«
Der cholerische Oberst schien nicht gewillt zu sein, das zu schlucken, aber da ein anderer Offizier, der an einem Tische saß und schrieb, und der vielleicht mal in England gewesen war, meine Aussage bestätigte, so zwang jener sich zu einem milderen Tonfall und begnügte sich schließlich damit, mir mein Ehrenwort abzuverlangen, daß ich Maldon nicht verließe, ehe er die Sache dem General zur Entscheidung vorgelegt hätte. Ich gab es und bat dann, mir sagen zu wollen, was sich denn um alles in der Welt ereignet habe. Da erfuhr ich denn, daß etwa eine halbe Stunde, ehe ich von Hause fortgegangen war, drunten am Marine-Lake deutsche Truppen gelandet waren!
In die Stadt waren sie erst eingerückt, nachdem sie außen um sie herummarschiert waren und alle Eingänge besetzt hatten, so daß niemand herauskonnte, um die Alarmnachricht weiterzutragen; den schmalen Heckenweg nach dem Golfplatze hatten sie zufällig außer acht gelassen, und so hatte ich hinausgelangen können, ohne einen deutschen Soldaten zu sehen. Sie hatten ihren Kordon schon fertig, als man in der Stadt aufzumerken begann, und der junge Shand, von den Essexfreiwilligen, Hals über Kopf zwanzig oder dreißig von seinen Leuten zusammentrommelte und töricht genug war, mit dieser Handvoll das deutsche Pikett drunten an der St. Marien-Kirche anzugreifen; die Deutschen zogen sich zurück, wurden aber auf der Stelle durch eine ganze eben gelandete Kompagnie verstärkt, außerdem ritt auch noch ein Trupp Kavallerie, der aus einer Seitenstraße einbog, auf unsere Leute ein. Sie wurden zerstreut, ein paar von ihnen fielen, mehrere wurden verwundet, darunter der arme Shand, der einen Schuß durch die rechte Lunge erhielt. Von den Deutschen aber hatten sie vier zur Strecke gebracht, daher die Wut des Obersten.
Schade um dies nutzlos vergossene Blut. Shand mochte wohl das Kanonenboot drunten auf dem Flusse gesehen und sich gedacht haben, daß es nur ein ganz kleines Detachement an Land gesetzt haben könne. Einige der Freiwilligen wurden übrigens später in Uniform ergriffen und gefangen fortgeführt, und die Deutschen schlugen ein Plakat an, worin die Freiwilligen bei strenger Strafe aufgefordert wurden, sofort ihre Waffen und Uniformen auszuliefern. Die meisten von ihnen gehorchten. Wie sollten sie auch nicht? Sahen sie doch, daß die Deutschen zwischen Maldon und der Küste bereits ein vollständiges Heer hatten und so schnell sie konnten Truppen in die Stadt warfen!
So kam noch am Vormittag ein sächsisches Jägerbataillon von Mundon heran, und gleich darauf beförderte auch die Eisenbahn eine größere Abteilung Infanterie von Wickford her. Das dauerte den ganzen Tag hindurch, und in der Stadt war einfach alles auf den Kopf gestellt: zuerst noch ein Jägerbataillon, dann himmelblaue Husaren, dann Artillerie, dann drei Bataillone eines Regimentes, das, glaub' ich, die 101ten Grenadiere hieß. Die Infanterie wurde in der Stadt einquartiert, aber die Reiterei und die Artillerie gingen bei Heybridge über den Fluß und marschierten gegen Witham ab. Später kam noch ein Infanterieregiment per Bahn an und zog ihnen nach.
Maldon liegt auf einer langsam nach Osten und Süden abfallenden Anhöhe, die nach Westen und Norden ziemlich steil abfällt. Auf dieser Seite fingen die Deutschen gleich nach ein Uhr an, Verschanzungen aufzuwerfen, und bald waren rings um die Stadt Offiziere und Ordonnanzen eifrig damit beschäftigt, zu vermessen und allerlei Zeichen aufzupflanzen. Andere Truppen machten sich drüben in Heybridge zu tun, ich kann aber nicht angeben, womit, da man niemandem gestattete, die Brücke zu überschreiten.
Bei näherer Bekanntschaft stellte sich heraus, daß der deutsche Offizier, der mich auf dem Golfplatz überfallen hatte, eigentlich ein ganz angenehmer Junge war. Es war ein Hauptmann von Pabst, vom Gardefüsilierregiment, der im Generalstabe Dienst tat. Da ich es für das richtigste hielt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, lud ich ihn zum Frühstück ein; er lehnte aber ab, da er fort müsse, und machte mich dafür mit drei seiner Freunde vom 101. Grenadierregiment bekannt, die bei mir einquartiert werden sollten. Ich war es zufrieden und nahm die drei Herren zum Frühstück mit mir nach Hause.
Ich fand Weib und Kind in großer Unruhe, sowohl wegen der bedenklichen Ereignisse des Morgens, als auch wegen meines Ausbleibens über die gewohnte Zeit des Golfspielens hinaus. Sie hatten sich alles mögliche ausgedacht, was mich befallen haben könnte, schienen aber glücklicherweise von meinem Abenteuer mit dem cholerischen Oberst nichts gehört zu haben. Unsere drei Gäste fühlten sich bald ganz wie zu Hause; da sie jedoch zweifellos Gentlemen waren, suchten sie sich so angenehm zu machen, als unter diesen Umständen möglich war. Überhaupt empfanden wir ihre Anwesenheit als wirksamen Schutz gegen Belästigungen, denn Stall und Hintergebäude waren vollgestopft von Soldaten, die uns Plage genug hätten bereiten können, wären die Offiziere nicht dagewesen, um sie in Ordnung zu halten.
Da es Sonntag war, waren alle Läden geschlossen; dennoch gelang es mir, mich mit beträchtlichen Vorräten zu versehen, und ich tat wohl daran, denn ich kam gerade nur den Deutschen zuvor, die in der Stadt alles requirierten und jedermann auf Ration setzten. Sie zahlten mit Bons auf die britische Regierung, einer Münze, für die die Geschäftsleute kein großes Verständnis zeigten; indessen hier hieß es: »Nimm oder ich fress' dich,« – das oder nichts! Und die Deutschen versüßten ihnen die Pille durch die Versicherung, daß die englische Armee ja in ein paar Wochen zerschmettert sein und die Einlösung dieser Bons dann zu den Friedensbedingungen gehören würde.
Im allgemeinen führten die Truppen sich gut auf, und an der Art und Weise, wie sie mit den Einwohnern umgingen, war nicht viel auszusetzen. Doch kamen sie nicht all zuviel mit ihnen in Berührung, da sie den ganzen Tag schwer an den Verschanzungen arbeiten mußten und nicht die Erlaubnis erhielten, nach acht Uhr abends außer Quartier zu sein. Überhaupt durfte keiner sich nach dieser Stunde auf der Straße zeigen. Andererseits aber wurden ein paar arme junge Burschen, die ihre Zugehörigkeit zu den Freiwilligen verhehlt hatten und nach Einbruch der Dunkelheit mit ihren Gewehren sich aus der Stadt zu schleichen versuchten, ertappt, am nächsten Morgen gegen den Turm der Allerheiligenkirche gestellt und ohne Gnade und Barmherzigkeit erschossen. Zwei oder drei andere Leute wurden von den Posten ebenfalls erschossen, als sie die Linien zu durchbrechen versuchten.
Diese Barbarei versetzte die ganze Stadt in Empörung und Grauen; wir Engländer können uns eben nach einer so langen Friedenszeit im eignen Lande nicht vorstellen, was das Wort Krieg wirklich bedeutet.
Die deutschen Schanzarbeiten rückten reißend schnell vorwärts. Wall und Graben umgab bereits vor Anbruch der ersten Nacht die Stadt gegen Norden und Westen, und als ich am folgenden Morgen erwachte, sah ich in meinem Garten drei riesige, nach Norden gerichtete Geschützgruben gähnen; die eine lag mitten im Rasenplatz – oder vielmehr, wo einmal Rasen gewesen war –, denn allen Rasen, der nicht beim Graben zugrunde gerichtet worden war, hatte man in Soden ausgehoben und damit die Innenseiten der Brustwehren bekleidet. Und während ich frühstückte, erhob sich auf der Straße ein mächtiges Rasseln und Rumpeln, und gleich darauf wurden drei große Feldhaubitzen hereingezogen und in den Gruben aufgestellt.
Nachher ging ich aus und bemerkte, daß entlang der ganzen Nordseite des Beeleigh Road und von da bis an die alten Kasernen Geschütze und Haubitzen aufgestellt, und daß der hohe Turm der Petrikirche als Ausguck und Signalstation eingerichtet worden war.«