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VIII.

Der nächtliche Torpedoangriff.
Zwei englische Schlachtschiffe außer Gefecht gesetzt.


Der Fremdling hatte die Geschosse des Kreuzers erhalten und fing an zu rollen: Die englischen Artilleristen hatten ihre Rache genommen! Die Scheinwerfer blitzten auf, vier siebeneinhalbzöllige Geschütze schleuderten schneller, als sich erzählen läßt, Granate auf Granate gegen die Wasserlinie des Dampfers, der langsam zu sinken begann. Rauch- und Dampfwolken stiegen von ihm auf, offenbar war die Maschine unbrauchbar gemacht worden; die englischen Beiboote drängten herzu, um aufzufischen, was von der Mannschaft noch am Leben war. In zehn Minuten war alles vorbei, und der Dampfer, dem ein Dutzend siebeneinhalbzölliger, mit Lyddit geladener Granaten die Flanke aufgerissen hatten, verschwunden.

Aber auch die Leicestershire war übel daran, der deutsche Torpedo hatte sie stark havariert, ihr Heck lag tief weg, die Backbordschraube wollte sich nicht mehr drehen, zwei Abteilungen auf der Backbordseite waren voll Wasser, und der Backbordmaschinenraum hatte ein Leck. Sehr langsam gab Kapitän Cornwall seinem Schiffe mit der Steuerbordmaschine die Richtung auf Leith und ließ es auf der Untiefe nahe am neuen Hafen auf den Strand laufen.

Doch damit war der Eröffnungsakt noch nicht zu Ende! Während die englischen Torpedoboote die Bemannung des Dampfers auflasen, waren drei deutsche Torpedodivisionen, jede sechs Boote stark, an der nördlichen Küste entlang in den Forth eingedrungen; gleich Schatten glitten sie durch die Finsternis, und es scheint nicht, daß die englischen Schiffe vor Inchkeith, deren Aufmerksamkeit auf die Leicestershire gerichtet war, sie entdeckten. Die Leicestershire jedoch und die englischen Beiboote, die sie bei sich hatte, sahen eine vierte Division, die eilig an der südlichen Küste entlang fuhr; sofort gab sie Feuer auf die verschwimmenden Formen, konnte aber, ihrer Bewegungsfähigkeit beraubt, ihre Artillerie nicht ausnützen; einer der Zerstörer mochte zum Sinken gebracht sein, die übrigen flogen in die Bucht hinein, auf die englische Flotte zu.

Durch drahtlose Telegraphie von der Anwesenheit feindlicher Zerstörer in Kenntnis gesetzt, waren die englischen Seeleute auf dem Quivive. Die Anker zu lichten, war aber in dieser elften Stunde keine Zeit mehr; es blieb nichts andres übrig, als dem Angriff vor Anker zu begegnen. Die Flotte lag auf der Höhe von Rosyth, die Schlachtschiffe in zwei Kiellinien, das Flaggschiff Vanguard an der Spitze der Steuerbord-, die Captain an der der Backbordlinie; die sieben Panzerkreuzer ankerten vor St. Margarets Hope. So bot die Flotte dem Torpedogeschwader, das unter der Forth-Brücke durchlief, eine schmale Front und konnte von ihren Geschützen verhältnismäßig nur wenige ins Gefecht bringen.

Ungefähr um halb drei Uhr früh entdeckte der Ausguck auf der Vanguard weißen Schaum, wie von dem Buge eines Zerstörers, hart unter Battery Point; ein paar Sekunden darauf sah man das gleiche südlich von Inchgarvie, und als die Signalhörner erklangen, und die zwölfzölligen Geschütze der drei vorderen Türme des englischen Flaggschiffes das Feuer eröffneten, und die Scheinwerfer hart unter der Forth-Brücke ihren blendenden Glanz auf die dunkeln Wasser warfen, traten die Formen rasch anfahrender Zerstörer oder Torpedoboote unverkennbar hervor.

Sofort erzitterte die Luft von dem Getöse der schweren Geschütze, die Schnellfeuerkanonen eröffneten ein furchtbares Feuer, aber dennoch liefen in rasender Fahrt und in richtigem Abstande voneinander achtzehn deutsche Zerstörer und große Torpedoboote gerade auf die Schlachtschiffe los. Ringsum sie her kochte die See; die Nacht wurde zu Feuer und Flamme von den aufblitzenden Schüssen und den Explosionen der Granaten – Da legte sich ein Zerstörer auf die Seite und verschwand – Da flog ein anderer in tausend Stücke, von einem der riesigen Geschosse getroffen! Durch all das Lärmen und Tosen vernahm man das schnelle Hämmern der Pom-poms, die von den Kommandobrücken herab einen ununterbrochenen Strom von Geschossen über das herannahende Geschwader ergossen.

Vier Zerstörer gingen unter, zehn drangen in die englischen Linien ein und fuhren zwischen den rechts und links ankernden großen Schiffen durch, nicht mehr als 200 Yards von ihnen ab, und jedes Geschütz, so niedrig als möglich gerichtet, spie Flamme und Stahl auf den Feind; die anderen kehrten um. Jetzt erklang der dumpfe Schlag von dem Abschießen der Torpedos; aber in diesem Hagel von Geschossen und geblendet von dem Glanz der Scheinwerfer, hatten die Deutschen nicht genau zielen können. Deutlich und klar, ein unvergeßlicher Anblick, tauchten aus der Finsternis die Gestalten der Offiziere und Mannschaften auf, so oft die Scheinwerfer die Boote erfaßten, und in dieser grellen Beleuchtung mähten die Pom-poms sie nieder und rissen die Dcckaufbauten der Zerstörer in Stücke: Schornsteine wurden weggeschossen, ein Kommandoturm, von einer zwölfzölligen Granate in der Mitte getroffen, fortgeblasen, und das Boot sank unter schrecklichen Explosionen.

Das fünfte Schiff der englischen Steuerbordlinie von der Vanguard aus war das mächtige Schlachtschiff Indefatigable, nach den vier Dreadnoughts eine der allerstärksten Einheiten der Flotte. Vier Torpedos feuerten die deutschen Zerstörer darauf ab, drei flogen vorbei, darunter zwei nur auf Haaresbreite, aber der vierte durchschlug das Stahlnetz und traf am Backbordmaschinenraum, ungefähr in der Höhe des Plattformdecks; es war einer der 17.7-zölligen, mit einer Vorrichtung zum Zerschneiden der Netze ausgerüsteten Schwartzkopftorpedos, die eine Ladung von 265 Pfund Schießbaumwolle führen, die schwerste, die in irgendeiner Marine gebraucht wird, beinahe um hundert Pfund schwerer als die der größten englischen Torpedos.

Die Sprengwirkung war furchtbar; obwohl speziell auf Widerstandsfähigkeit gegen Torpedoangriffe konstruiert, hatte die Indefatigable doch keine auf so riesige Massen von Sprengstoff berechnete Schotten: die Panzerung der Seitenabteilungen, des Wallganges und des Kohlenbunkers unmittelbar dahinter wurde durchschlagen, das Gefüge des Schiffes erlitt von der Erschütterung in der Umgebung der Sprengstelle schweren Schaden, und durch die zersplitterten Schotten strömte das Wasser in den Backbordmaschinenraum ein.

Die Lenzpumpen vermochten das Wasser nicht zu bewältigen; reißend schnell legte sich das Schiff nach Backbord auf die Seite, und obwohl auf das Kommando: Kollisionsmatten heraus! sofort Matten über das klaffende Loch gezogen wurden, hörte das Wasser nicht auf zu steigen. Auf den Befehl des Admirals die Anker kappend, fuhr die Indefatigable mit ihrer Steuerbordschraube ein paar hundert Yards weit nach der seichten, sandigen Untiefe von Society Bank und lief auf. – Wären in diesem Augenblick in Rosyth die Hafenarbeiten fertig gewesen, so hätten sie für die nationale Wehrmacht einen unschätzbaren Wert besessen, da das beschädigte Schiff noch Zeit genug gehabt hätte, bis in das Dock zu gelangen, das dort im Bau war. Aber um Ersparnisse zu machen, hatte man seit 1905 die Arbeiten nur matt gefördert ...

Und damit nicht genug des Unheils: plötzlich – man hatte schon angenommen, die feindlichen Torpedoboote, falls nicht eins in der Dunkelheit glücklich entkommen, wären sämtlich in Grund gebohrt worden – ertönten rasch nacheinander zwei neue furchtbare Explosionen, und das neue schöne Schlachtschiff Triumph hatte das Schicksal der Indefatigable geteilt! Mittschiffs getroffen, mit halb aufgerissenem Rumpf und vollständig in eine dichte weiße Dampfwolke gehüllt, schleppte es sich mühsam gleichfalls nach der Untiefe von Society-Bank.

Beklommen und voll Schmerz überblickte Lord Ebbfleet die Szene: die Indefatigable und die Triumph, zwei seiner stärksten Schlachtschiffe, waren kampfunfähig geworden und für Wochen außerstande, an den Operationen teilzunehmen! Die Leicestershire befand sich in derselben Lage! Von sechzehn Schlachtschiffen war seine Streitmacht also auf vierzehn heruntergegangen, sein Panzerkreuzergeschwader von acht auf sieben!

Jetzt noch länger auf dem Ankergrunde zu bleiben, ohne Zerstörer und Torpedoboote für den Sicherungsdienst, würde bedeuten, sich weiteren Angriffen durch die Torpedo- oder gar die noch heimtückischeren Unterwasserboote auszusetzen und außerdem die ahnungslos heranfahrenden englischen Reserveschiffe dem sicheren Verderben preiszugeben. So blieb nur ein Weg übrig: die Anker zu lichten und in See zu stechen, um nach Süden durchzubrechen und sich mit den Reserveschiffen zu vereinigen ...

Der Geschützdonner hatte Leith und Edinburgh aus dem Schlaf aufgeschreckt, die Einwohner waren auf die Straßen geströmt, um zu erfahren, was die Ursache dieses plötzlichen furchtbaren Getöses wäre. In Queensferry hatten die Fenster gezittert, als ob das Städtchen von einem heftigen Erdbeben geschüttelt worden wäre. Die drei schweren Geschützsalven, das fortwährende beunruhigende Aufblitzen der Scheinwerfer und der vor Leith gestrandete große Schiffskörper der Leicestershire zeigten an, daß in der Flotte sich ein Unfall ereignet haben mußte. Im ersten Augenblick hatte man sich gedacht, der Admiral halte zu dieser freilich ungewöhnlichen Jahreszeit ein Manöver ab, und dabei sei der Kreuzer zuschaden gekommen; bald aber dämmerte in der am Strande sich ansammelnden Menge die Wahrheit auf. Besorgt starrte alles nach dem Ankergrunde hinüber. Was konnte das andres bedeuten als Krieg? Zum erstenmal seit mehr als zweihundert Jahren, seitdem die Holländer den Medway hinaufgefahren waren, hatte jetzt also ein Feind gewagt, die Heiligkeit englischen Ankergrundes anzutasten! ...

Die Küstenwächter, die infolge einer der zahlreichen, aus Sparsamkeitsgründen eingeführten Reformen unter die Aufsicht der Zivilbehörden gestellt worden waren, hatten größtenteils die Kunst raschen Signalisierens und Lesens von Schiffssignalen verlernt; sonst hätten sie der Menschenmenge die Geschichte dieser Nacht leicht auslegen können.

Der Admiral hatte sofort versucht, sich mit der Admiralität zu London in Verbindung zu setzen; er hatte das Vorgefallene der Station für drahtlose Telegraphie in Rosyth übermittelt und auf dem eigenen Draht der Werft nach Whitehall weitergeben lassen. Eine Antwort aber war nicht zu erlangen gewesen, auch nicht durch die Drähte des Telegraphenamts, – es konnte also niemand, nicht mal ein Schreiber, auf der Admiralität zugegen sein! ...

Während dieser vergeblichen Versuche hatte Lord Ebbfleet von seinen Torpedobeibooten die Meldung erhalten, daß eine allerdings unsichere Fahrstraße Zwischen den Minen durch freigemacht worden war; so erteilte er um vier Uhr morgens dem Panzerkreuzergeschwader den Befehl, in See zu gehen und zu rekognoszieren; um sechs Uhr sollte dann das Schlachtschiffgeschwader folgen.

Die zweistündige Pause war nötig, um aus den beiden havarierten Schiffen, die ja zurückbleiben mußten, die Munition überzunehmen und klar zum Gefecht zu machen.

Der Admiral war sich wohl bewußt, daß auf seiner Flotte jetzt die Sicherheit Englands vor einem feindlichen Einbruch beruhte. Die anderen Hauptgeschwader waren weit fort, die Reserveschiffe für sich allein aber viel zu schwach, sich mit der deutschen Marine zu messen – Rettung lag nur in der schleunigsten Vereinigung! Da war es geradezu verhängnisvoll, daß er keine Mittel besaß, um von der Admiralität zu erfahren, wohin die Reserveschiffe sich vom Nore aus gewandt hätten und wo sie sich augenblicklich befänden! ...

Die Panzerkreuzer hatten Befehl bekommen, falls sie auf deutsche Kreuzer träfen, deren Stärke ungefähr gleich der ihren oder geringer wäre, sie zu vertreiben und so weit vorzufahren, daß sie von der deutschen Flotte, der sie zweifellos draußen begegnen würden, Stärke und Position feststellen könnten; falls aber die deutschen Kreuzer eine zu große Übermacht zeigten, sollten die englischen sich auf ihre Schlachtflotte zurückziehen.

Die Panzerkreuzer dampften ab, einer nach dem anderen; zuerst die Invincible mit der Flagge des Konteradmirals, dann Minotaur, Shannon, Achilles, Cochrane und Hampshire, zuletzt die Argyll. Bei der Abfahrt warfen sie ihr Holzwerk über Bord und formierten sich in Kiellinie als ihrer Gefechtsformation.

Leider waren die Schießleistungen des Geschwaders sehr ungleich: drei der Schiffe hatten ihre Mannschaft aufs beste im Richten und Scharfschießen geübt; zwei andere waren darin ziemlich zurück; von den beiden übrigen konnte man Treffer nicht mit irgendwelcher Sicherheit erwarten! Seit Jahren war es kein Geheimnis gewesen, daß diese Ungleichheit der Schießleistungen für die Flotte eine Quelle der Schwäche bildete. – Das einzige jedoch, was imstande gewesen wäre, Abhilfe zu bringen, wäre verschwenderischer Munitionsverbrauch gewesen; Munition aber kostet Geld, und das Geld hatte man ja nötig gehabt für die Pensionen all der Leute außer Dienst! Mit Munition also hatte geknausert werden müssen.

Die deutsche Flotte war dem entgegengesetzten Kurse gefolgt, denn während der letzten zwei Monate vor dem Kriege hatte sie, wie nachher durch die Geschichte des deutschen Admiralstabes an den Tag kam, fortwährend Schießübungen abgehalten, und wenn ihre besten Schiffe nicht ganz so gut schossen, wie die besten Einheiten der englischen Flotte, so war doch ihr artilleristisches Durchschnittsniveau ein weit höheres.

Unter Erhöhung der Umdrehungszahl, bis seine Fahrt 18 Knoten betrug, eilte das Kreuzergeschwader der See zu. Rotglühend ging im Osten die Sonne auf, als es Inchcolm passierte; aber auf der sanft atmenden See lag grauer Nebel und verhüllte den Horizont.

Gleich nachdem die Turmuhren von Leith halb geschlagen hatten, dampfte es an Inchkeith und der Kingborn-Batterie vorbei; der Kurs war im allgemeinen östlich. Da sah auf der Invincible der Mann im Ausguck etwa zehn oder elf Meilen voraus und nach Nordosten die dunkeln Umrisse von Schiffen auftauchen, – sofort machte die englische Linie eine leichte Wendung und steuerte auf diese Schiffe zu.

Alle Fernrohre auf der vorderen Kommandobrücke der Invincible richteten sich auf die Fremdlinge, und als die Entfernung kleiner wurde, stellte es sich heraus, daß es grau angestrichene Kriegsschiffe waren, die mit etwa 17 Knoten Fahrt in Kiellinie herankamen und so gut Linie hielten, daß man, da sie fast genau den entgegengesetzten Kurs steuerten, ihre Zahl nicht bestimmen konnte. Reißend schnell verminderte sich die Entfernung zwischen den beiden Geschwadern, und bald ergab sich, daß nach seinen auffallenden Gefechtsmasten das Schiff an der Spitze der Linie entweder der deutsche Panzerkreuzer Waldersee, der erste, der in Deutschland nach dem großen Typ gebaut worden war, oder ein anderes Schiff dieser Klasse sein mußte. Auf sechs Meilen Abstand wurden auch mehrere Zerstörerdivisionen sichtbar, die gleichfalls in Kiellinie hinter dem deutschen Kreuzergeschwader herfuhren.

Der Ausbruch des Kampfes stand unmittelbar bevor; es war keine Zeit mehr, detaillierte Befehle auszugeben oder frische Dispositionen zu treffen. Der englische Admiral signalisierte, daß er, um die fremde Flotte zu rekognoszieren, nach Steuerbord wenden und sein Feuer erst in geringerem Abstande eröffnen würde. Er wendete um fünf Striche, so daß sein Kurs nun ostsüdöstlich wurde.

Die Deutschen behielten noch ein Weilchen ihren Kurs bei und steuerten auf das Schlußschiff der englischen Linie los. Dann wendete das deutsche Flaggschiff nach Backbord und steuerte einen Kurs, der es quer gegen die britische Linie brachte. In gleicher Zeit beschleunigten die beiden Torpedodivisionen auf der Backbordseite des deutschen Geschwaders ihre Fahrt, schnitten die Schleife ab und näherten sich der Spitze der deutschen Linie.

Während des Wendens eröffnete das deutsche Geschwader das Feuer; der Waldersee begann das Duett mit den zwei elfzölligen Geschützen seines vorderen Turmes. Ein Blitz, ein augenblicklich verschwindendes Rauchwölkchen, und pfeifend flog die schwere Granate über den vorderen Turm der Invincible weg. Noch ein Blitz, und eine Granate traf den dritten Schornstein der Invincible, schlug ein großes Loch hinein, explodierte aber nicht. Jetzt aber ließ die Invincible ihre Dampfsirene hören und gab gleichfalls einen Schuß ab, für die englischen Schiffe das verabredete Signal zur Eröffnung des Feuers, und alsobald, es war eben nach fünf Uhr morgens, war das heftigste Feuergefecht im Gange, auf nicht mehr als 5000 Yards Abstand.

Erst als beide Linien gewendet hatten, waren die Engländer imstande gewesen, Stärke und Zahl ihres Feindes zu bestimmen: zehn Panzerkreuzer in Linie – voran die schnellen und neuen Waldersee, Caprivi und Moltke, von je 16 000 Tons und mit vier elfzölligen und zehn 9.1-zölligen Geschützen –, hinter ihnen Manteuffel, York, Roon, Friedrich Karl, Prinz Adalbert, Prinz Heinrich und Bismarck. Die vier letzteren hatten die Wendung der sechs ersteren nicht mitgemacht, sondern ihren ursprünglichen Kurs beibehalten und steuerten direkt auf die Queue der englischen Linie los. Die Stellung war also diese: Das eine deutsche Geschwader manövrierte, um von vorn, das andere, um von hinten an der englischen Linie vorbeizukommen; jedes der beiden Geschwader war von zwei Torpedodivisionen begleitet.

Der Rückzug kam für den englischen Admiral bereits nicht mehr in Frage, selbst wenn er ihn gewollt hätte. Und wie er dastand in dem Kommandoturm der Invincible und zu seinen Füßen seinen großen Kreuzer unter den Detonationen seiner schweren Geschütze erzittern fühlte, als er den Regen von Splittern über das Deck rasen sah und den Offizier an seiner Seite durch die Telephone die Befehle hinabschreien hörte – ringsum der betäubende Lärm von Stahl, der auf Stahl schmettert, von den gewaltigen Explosionen der Granaten, von dem tiefen Gebrüll der schweren Geschütze und dem ohrzerreißenden Krachen und Rasseln der Zwölfpfünder und Pom-poms –, da gewann er die Überzeugung, daß das deutsche Geschwader bewunderungswürdig manövrierte und eine tollkühne Bewegung wagte, zu deren Abwehr all sein Nerv und all seine Voraussicht gehörte!

Entgegen aller Wahrscheinlichkeit erlitten in diesem Feuer die Schiffe der beiden Gegner keinen Schaden, der sie kampfunfähig gemacht hätte. Auf beiden Seiten hielt der Panzer die Granaten von den edelsten Teilen ab, wenn auch in den ungepanzerten Flanken schon große rauchende Breschen sichtbar wurden. Unablässig spien die Türme des Waldersee Blitz und Rauch, und auch die übrigen deutschen Schiffe konzentrierten ihr Feuer auf die Invincible; die englischen Kreuzer an der Queue der englischen Linie waren insofern ungünstig dran, als sie ihr Feuer nur auf die äußerste Schußdistanz abgeben konnten. Die Deutschen zielten hauptsächlich auf den Kommandoturm der Invincible, in welchem, wie sie wußten, das Gehirn sich befand, das die britische Streitkraft lenkte.

Mitten im Rauch und Qualm der Brisanzgranaten, im Splitterhagel, der den Ausblick verdunkelte, und in dem unausgesetzten Krachen, das die Nerven erschütterte, war es schwer, sich die volle Kaltblütigkeit zu bewahren. Nur wer nicht bedenkt, daß im Seekriege die Beschlüsse in zwei Sekunden und unter einer Anspannung gefaßt werden müssen, der kein General im Landkriege jemals unterworfen ist, wird es über sich gewinnen können, die Handlungsweise des englischen Admirals zu tadeln und zu verurteilen.

Das deutsche Geschwader war im Begriff, mittels eines schwierigen Manövers vor der englischen Spitze vorbeizufahren. Als der englische Admiral, der wegen der Enge des Fahrwassers nicht nach Steuerbord wenden konnte, die Absicht des Feindes erkannt hatte, signalisierte er seiner Flotte den Befehl, durch eine gleichzeitige Wendung nach Backbord ihre Fahrtrichtung und Schlachtordnung umzukehren; das Führerschiff wurde nun zum Schlußschiff, und umgekehrt.

Das deutsche Hauptgeschwader antwortete mit demselben Manöver, das zweite aber steuerte auf die Schiffe zu, die bisher an der Queue der englischen Linie gewesen waren; zu gleicher Zeit kamen zwei von den vier deutschen Zerstörerdivisionen näher heran, die eine, um die Spitze, die andere, um die Queue der Engländer anzugreifen, und auch die deutschen Kreuzer sandten ihre weittragenden Torpedos ab.


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