Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV.

Zwanzig Schlachtschiffe gegen sechs.


Am Morgen des 5. September, um 7 Uhr 30, befand Admiral Parker mit seinen sechs übrigen Schiffen sich so dicht am Feuerschiff von Dudgeon, daß er Flaggensignale mit ihm wechseln konnte.

Er konnte nicht wissen, und es war auch nicht zu sehen, daß in der vorhergehenden Nacht die Deutschen das Feuerschiff besetzt und dessen Bemannung gefangen genommen hatten. Deshalb ließ er ahnungslos einen ausführlichen Bericht über seine Lage signalisieren, zur Weitergabe nach London an die Admiralität: seine Leute seien aufs äußerste erschöpft, seine Munition fast ganz verschossen, seine Geschütze größtenteils so abgenutzt, daß ihre Treffsicherheit verloren gegangen sei ...

Als er dann seinerseits das Feuerschiff um Nachrichten ersuchte, erfuhr er, daß die englische Reserveflotte sich schon auf der Höhe des Nore konzentriere, daß von der Ostküste aus keine deutschen Fahrzeuge gesichtet, daß aber englische Kriegsschiffe zu seiner Verstärkung nach der Küste von Norfolk abgegangen seien.

Diese Mitteilungen wurden nicht in der Chiffre der Admiralität erteilt; sie kamen auch, wie hinzugefügt wurde, nur aus privater Quelle ...

Mit etwas mehr Zuversicht und ohne die geringste Ahnung von der furchtbaren Wahrheit hielt Admiral Parker auf das Feuerschiff von Hasborough auf der Höhe von Cromer zu, stets unter dem Geleite der deutschen Torpedofahrzeuge und Kreuzer, und den Rauch der deutschen Schlachtflotte weit hinten an Backbord. Auch im Westen, an der Norfolker Küste jenseits von Cromer, war eine Rauchwolke zu sehen, wie von einer großen Anzahl von Dampfern, und das war ein Anblick, der in der englischen Flotte Überraschung und Beunruhigung hervorrief. Mit den Fernrohren ließen sich ungefähr auf der Höhe von Sheringham mehrere Schiffe von anscheinend beträchtlicher Größe unterscheiden; aber die hinter ihnen auftauchende Küste machte es schwierig, etwas Näheres über sie festzustellen.

Die deutsche Torpedoflottille befand sich jetzt ziemlich nahe der Küste, zwischen der englischen Flotte und jener Ansammlung von Schiffen; sie war während der letzten Stunde Fahrt augenscheinlich stärker geworden, denn statt der früheren 12 zählte sie jetzt 24 Torpedoboote, darunter wenigstens sechs von dem neuen großen Typ, der bei einem Deplacement von 800 Tons die zwanzigzölligen Schwartzkopff-Torpedos führte.

Auch dieses plötzliche Austauchen von Neuankömmlingen war ein unheimliches Moment, das die Besorgnis des Admirals verdoppelte.

Und jetzt kamen auf offener See zwei kleine Kreuzer in Sicht, die fraglos zu der deutschen Leipzig-Klasse gehörten. Als sie bei den deutschen Panzerkreuzern angelangt waren, formierten sie sich hinter diesen, außer Schußweite der englischen Schlachtschiffe, die jetzt ganz dicht am Feuerschiff waren.

Da Admiral Parker sich mit der Mannschaft des letzteren in Verbindung setzen wollte, fuhr die Captain gerade darauf zu, und ein Leutnant befragte durch sein Megaphon den Mann, der auf Wache war, nach Beschaffenheit und Nationalität der großen Flotte im Westen.

Da das Flaggschiff so dicht am Feuerschiff lag, daß es es turmhoch überragte, konnte man von ihm aus jede Bewegung an Deck des Feuerschiffes wahrnehmen; es hatte den Anschein, als ob der Mann durch die Frage in Verlegenheit versetzt worden wäre. Alle Ferngläser der englischen Flotte richteten sich auf ihn. Einige Sekunden der Spannung, da drehte der Mensch sich um und ging ohne zu antworten hinab. Daß hier etwas nicht in Ordnung war, sah jedermann.

Aber Sir Lewis Parker durfte seine Zeit nicht auf eine Untersuchung verschwenden. Er hatte bereits mehrere Minuten mit dem Feuerschiff verloren, und die Rauchwolke der deutschen Flotte hinter ihm war merklich näher gekommen. So gab er den Befehl: Volldampf voraus, und nahm in der Absicht, mit der Telegraphenstation zu Winterton Signale zu wechseln, seinen südlichen Kurs wieder auf.

Vom Feuerschiffe von Hasborough verläuft südlich ein Meeresarm, der gegen Westen von der Norfolker Küste begrenzt wird, gegen Osten aber von Untiefen, die nur von kleinen Fahrzeugen und auch nur zu gewissen Hochwasserperioden passiert werden können; dieser Meeresarm wird the Would genannt, ist 14 Meilen lang und läuft im allgemeinen der Küste parallel. Er hat tiefes Wasser und seine Breite beträgt etwa 7 Meilen; für eine manövrierende Flotte ist seine Oberfläche aber zu beschränkt, sie würde in ihren Bewegungen durch die nahe Küste und die Untiefen eingeengt sein. Gegen das Südende zu liegen zwei Feuerschiffe, das vom Would und das von Newart.

Kaum hatte Admiral Parker wieder südwärts steuern lassen, um sich der Küste von Norfolk zu nähern und in den Would einzulaufen, als auch im Süden schwache Rauchwolken sichtbar wurden.

Spannung und Aufregung herrschten auf der Kommandobrücke der Captain. Offiziere und Mannschaften hofften, daß es der Rauch der englischen Reserveflotte sein möchte, die ihnen nach Norden zu Hilfe kommen sollte. Wenn ja, so würden sie immer noch, trotz des jämmerlichen Zustandes ihrer sechs zerschossenen Schlachtschiffe und der Ermüdung ihrer Besatzungen, imstande sein, den Deutschen die Zähne zu zeigen, ja, vielleicht sogar die schreckliche Niederlage von North Berwick wieder wett zu machen! ...

Die fernen Rauchsäulen im Süden kamen reißend schnell näher. Bald tauchten die Masten und Schornsteine großer Schiffe über der Wasserfläche auf, und noch eine oder zwei Minuten, und es war klar, daß es Kriegsschiffe waren! Nach und nach hoben sich gegen den Horizont drei Linien großer und zwei Linien kleinerer Fahrzeuge ab, und alle Welt mühte sich ab, sie zu identifizieren.

Da die Semaphoren für weite Distanz fortgeschossen waren, setzte man die Apparate für drahtlose Telegraphie in Tätigkeit; aber sie mochten wohl nicht gut funktionieren, erzielten jedenfalls keine Antwort. Man hißte nun nach einem System, das für Fernsignale unter solchen Umständen ausgedacht worden ist, Kegel und Bälle aus Leinwand und machte einen neuen Versuch, die Zusammensetzung der heranfahrenden Flotte in Erfahrung zu bringen, von der niemand zweifelte, daß es eine englische sei.

Gerade stieg das erste Signal nach der Signalraa des Fockmastes des Bellerophon auf – kein anderes Schlachtschiff hat noch eine Signalraa –, als der Flaggenleutnant der Captain eiligst dem Admiral meldete, daß das Führerschiff der Backbordkolonne von großen Fahrzeugen, die jetzt auf die englischen zudampften, zur Brandenburg-Klasse gehöre! ...

Trotz des immer noch bedeutenden Abstandes hatte er es an seinen eigentümlichen Marsen erkannt. Und gleich darauf vermochte er auf das nachdrücklichste zu versichern, daß das Führerschiff der Steuerbordkolonne keinem Fahrzeuge der englischen Reserveflotte gleiche. Was für ein Schiff es sei, wußte er nicht, – es sah deutsch aus! ...

Nun dämmerte dem Admiral die volle Wahrheit auf, – er war wie in der Schlinge gefangen. Vor ihm eine frische feindliche Flotte, hinter ihm die Flotte, die das große Unheil vor North Berwick angerichtet hatte! ...

Er überstürzte nichts, und ehe er den letzten verzweifelten Schritt tun und seine Schiffe selbst zerstören wollte, wartete er ab, bis seine Lage absolut hoffnungslos geworden wäre. Es gab ja aber immerhin noch die Möglichkeit des Durchbrechens, falls die feindliche Übermacht nicht zu groß war ... Einstweilen benutzte er die paar Minuten bis zum Ausbruch dieses neuen Kampfes dazu, um seinen Kapitänen die Instruktionen für folgende drei Fälle zu geben:

1. Solange das Flaggschiff nichts anderes signalisierte, sollten die übrigen Schiffe ihm einfach folgen, auch nicht etwa wenden, um hilflos gewordenen Schiffen beizustehen; letztere wären vielmehr ohne weiteres von ihren Besatzungen zum Sinken zu bringen.

2. Sobald am unteren Mars des Fockmastes der Captain ein Kegel gehißt würde, sollten alle sechs Schiffe nach entgegengesetzten Richtungen auseinandersteuern, um sich, nachdem sie der Verfolgung der Deutschen entronnen wären, an drei bestimmten Sammelpunkten wieder zu vereinigen.

3. Sobald ein Leinwandball gehißt würde, hätte jedes Schiff sich seinen Gegner zu wählen und mit dem Rammsporn oder durch einen Torpedo zum Sinken zu bringen.

Die deutschen Schiffe waren jetzt nur noch sechs Meilen entfernt und deutlich zu sehen. Wie gewöhnlich waren ihre Linien ausgezeichnet formiert, die Abstände tadellos; sie kamen mit ungefähr 12 Knoten Fahrt heran. Es waren zwei Linien von Schlachtschiffen und an Steuerbord eine Linie von Kreuzern, während zwei Kolonnen von Torpedofahrzeugen nach dem Lande zu und auf derselben Höhe wie die Flotte, eine dritte aber mehrere Meilen weit in See zu sehen waren.

Die englischen Schiffe waren im allgemeinen gefechtsbereit, aber der physische Zusammenbruch ihrer Leute war so vollständig, daß selbst in diesem Augenblick höchster und furchtbarster Erregung viele von ihnen in Schlaf fielen. So blieb in der jetzt bevorstehenden Schlacht den englischen Seeleuten keine Hoffnung, als wie Männer und Helden zu sterben. Nach den Erfahrungen der letzten dreißig Stunden stand es fest, daß die deutsche Flotte ihr Werk ohne Erbarmen zu Ende führen und mit ihren unversehrten und überlegenen Kräften die Aufgabe, einen fast kampfunfähigen Gegner vollends zu vernichten, ebenso kaltblütig und taktisch tadellos erfüllen würde, wie die Lösung eines Problemes im Kriegsspiel. Dennoch zuckte niemand, Offiziere oder Mannschaften, nur mit den Wimpern, angesichts dessen, was unabwendbar war.

Um 11 Uhr 15 waren die Flotten in bequeme Schußweite gekommen. Die beiden deutschen Schlachtschiffkolonnen operierten unabhängig voneinander, wie in der Schlacht bei North Berwick. Die Backbordkolonne machte eine kleine Wendung nach Backbord, bis ihre Breitseiten auf die englische Flotte gerichtet waren; während dieses Manövers ließ sich feststellen, daß sie aus vier Schiffen der Brandenburg- und sechs der Siegfried-Klasse bestand, also aus lauter alten Schlachtschiffen von verhältnismäßig geringem Gefechtswert, – einer so havarierten Flotte wie der englischen aber noch gefährlich genug.

Die deutsche Steuerbordkolonne behielt ihren Kurs bei, der sie an die Backbordseite der Engländer bringen mußte; sie bestand aus vier sehr großen Schlachtschiffen, genauen Abbildern der Dreadnought, und aus zwei Schiffen der Kaiser-Klasse.

Von den vier großen Panzerkreuzern, die diese neue deutsche Flotte geleiteten, waren nur zwei zu identifizieren; auch sie steuerten auf die englische Flotte zu. Gleichzeitig erhöhten die Panzerkreuzer, die die Engländer schon von North Berwick her verfolgt hatten und jetzt dwars ab an Backbord waren, ihre Geschwindigkeit und hielten nach Süden, um die Untiefen der Hasborough Sande zu umgehen und die englische Linie von vorne anzugreifen.


 << zurück weiter >>