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Es war günstig für die Deutschen, daß das Wetter sich hielt und die See ruhig blieb; um so leichter wurde es ihnen, ihren havarierten Schiffen beizuspringen.
Admiral Reißig hatte beschlossen, bei der Verfolgung der englischen Flotte sich nicht zu exponieren, sondern mit dem Feinde nur in Fühlung zu bleiben. Er wußte, daß die gesamte deutsche Reserveflotte sich vor Yarmouth konzentrieren sollte; ja, er hatte sich schon durch Funkspruch mit ihr in Verbindung gesetzt und durfte darauf rechnen, an der Küste von Norfolk die Schlachtschiffe Barbarossa und Kaiser Karl, die vier Schiffe der Brandenburg-, die sechs der Siegfried-Klasse und außerdem noch vier erstklassige Schlachtschiffe anzutreffen, deren Erscheinen auf der Bildfläche für die Engländer eine der schrecklichsten Überraschungen des Krieges sein sollte. Diese vier Schiffe, die auf deutschen Werften für Rußland erbaut worden waren, hatten gerade am Vorabende des Kriegs ihre letzte Ausrüstung erhalten, – da legte ruhig die deutsche Marine die Hand auf sie, entsprechend dem Vorkaufsrecht jedes Landes auf Schiffe, die während eines Krieges oder gerade vor Ausbruch eines Krieges für fremde Rechnung im Bau sind.
Diese vier Schlachtschiffe, die Hohenstaufen, die Schlesien, die Schleswig und der Kronprinz Friedrich, führten je zehn zwölfzöllige Geschütze und waren fast in allem der Dreadnought nachgebildet. Beigegeben waren ihnen außer dreißig Zerstörern zwei neue große Panzerkreuzer, Bülow und Gneisenau, die ebenfalls auf deutschen Werften für Rußland fertiggestellt worden waren und je zehn zehnzöllige Geschütze führten.
All diese Schiffe waren intakt und hatten einen großen Munitionsvorrat an Bord; ihnen und ihrem Kommandeur, Admiral Stahlberger, gedachte Admiral Reißig die Vernichtung des Restes der englischen Flotte zu überlassen, während er selber mit seinen zehn Schlachtschiffen, drei Panzerkreuzern und dreißig Torpedofahrzeugen kooperierte.
Er hatte ferner durch Funkenspruch erfahren, daß die Mündungen der Themse und des Medway durch Minen und versenkte Schiffe gesperrt, und der englische Kanal durch eine große Anzahl vor Dover ausgesetzter treibender Minen für den Augenblick unpassierbar gemacht worden war. Die englischen Zerstörer aber manövrierten in der Irischen See, es gab also nichts, was ihn in seinen Plänen hätte stören können.
Selbstverständlich würden die englischen Torpedoboote sich ohne Verzug auf die Rückfahrt nach der Nordsee machen; aber wenn auch, er konnte ihnen eine gleiche oder überlegene Zahl entgegenstellen, und ein starkes Detachement deutscher Zerstörer vom größten und neuesten Typ bewachte den Ärmelkanal gegen ihr Herannahen. Er beherrschte also die Nordsee! –
Auf der unglücklichen englischen Flotte erfüllte tiefste Mutlosigkeit die Herzen der Offiziere und Mannschaften. Es konnte nicht anders sein, die Ehre der englischen Marine und der Nation war für immer verloren!
Was sie noch stärker erschütterte als selbst die blutigen Szenen, die sie hatten durchmachen müssen, als die verzehrende Spannung des Kampfes, als das Schauspiel, wie ein englisches Schiff nach dem anderen durch ein mörderisches Feuer, das sie mit aller artilleristischen Geschicklichkeit nicht hatten zum Schweigen bringen können, zerstört worden war, als das Andenken an die Hunderte von teuren Kameraden, über denen die See sich für immer geschlossen hatte, oder als der furchtbare Anblick des Schiffslazaretts, – das war der Gedanke, daß England nun wehrlos den deutschen Eroberern preisgegeben sein sollte! ...
Der traurige Nachmittag wurde zum Abend. – Immer noch waren die deutschen Torpedoboote der englischen Flotte auf den Fersen ...
Sechsunddreißig Stunden waren die englischen Offiziere und Mannschaften fast ununterbrochen tätig gewesen, erst, um ihre Schiffe gefechtsklar zu machen, dann, um die Torpedoangriffe abzuweisen, vor allem aber, um die große Schlacht zu schlagen! Und auch seither hatten sie sich keine Ruhe gönnen dürfen. Da waren die Barbetten und Kasematten von den grauenhaften Fetzen menschlicher Körper zu säubern, die Menge von Trümmern und Metallsplittern zu beseitigen, Schornsteine und Schiffsborde zu flicken, soweit das anging, und im Inneren der zerschossenen Rümpfe wieder etwas wie Ordnung herzustellen. Was Wunder, daß alle so ermüdet, so völlig erschöpft waren, daß sie einfach zusammenbrachen!
Auch hier wieder waren die Deutschen im Vorteil. Ihre Leute hatten vor der Schlacht keine übermäßige Arbeit, wohl aber ihre volle Nachtruhe gehabt, und ohne die furchtbare Aufregung eines nächtlichen Torpedoangriffs durchgemacht zu haben, waren sie in vollständiger Sicherheit nach dem Schauplatz der Aktion gedampft. Auf deutscher Seite war also nicht nur die quantitative Überlegenheit, die stärkere Flotte, sondern auch die qualitative, die größere Frische der Leute, gewesen.
Die Nacht brach an, und Admiral Parker ließ alle Anstrengungen machen, um durch Erhöhung der Fahrtgeschwindigkeit seine Verfolger von sich abzuschütteln. Die Heizer bekamen eine Extraration Grog, und wer von den ermüdeten Leuten nur entbehrt werden konnte, wurde an die Feuerungen hinabgeschickt; des guten Beispiels wegen griffen sogar Offiziere mit zu an den Feuern.
Damit nichts den Kurs der Flotte verriet, wurden alle Lichter gelöscht.
Die Geschwindigkeit stieg in der Tat auf 15 Knoten, aber da signalisierte die Valiant mittels eines improvisierten Apparates abgeblendeter Blitzlichter, daß sie eine höhere Geschwindigkeit nicht leisten könne.
Infolgedessen änderte Admiral Parker plötzlich den Kurs und ließ zwanzig Meilen ostwärts in die offene See steuern, in der Hoffnung, dadurch von den Deutschen abzukommen; allein schon ein paar Minuten nach dieser Kursänderung signalisierte die Valiant wiederum, daß sie auf die Dauer auch nicht die 15 Knoten Fahrt laufen könne.
Schuld daran waren die Beschädigungen, die das Schiff erlitten hatte, und die äußerste Erschöpfung seiner Besatzung; trotz aller Stärkungsmittel versagten die Leute; denn menschliche Energie und Widerstandskraft haben ihre Grenze, und diese Grenze war erreicht.
So ließ Admiral Parker nach einstündiger Fahrt in östlicher Richtung die Geschwindigkeit auf 14 Knoten herabsetzen und wieder nach Süden steuern. Vielleicht war es ihm ja bereits gelungen, die Feinde irre zu führen, denn kein einziges deutsches Schiff war mehr sichtbar, auch die Zerstörer nicht. Die Nacht war diesig und finster, der Himmel bedeckt, und ein feiner Sprühregen fing an zu fallen ...
Es verstrichen zwei Stunden. Da gab plötzlich das Führerschiff, der Thunderer, einen Schuß ab, und einen Augenblick später sah man in stürmischer Fahrt zwei Zerstörerdivisionen herankommen, je eine rechts und links von der englischen Linie und weniger als 500 Yards von ihr ab. Zugleich schien voraus ein anderes Fahrzeug aufzutauchen – ein deutscher Minenleger, der, was freilich die Engländer damals nicht wußten, vor ihnen an die 200 treibende Minen gelegt hatte und sich jetzt zurückzog.
Es illustriert den Umfang der in der Schlacht erlittenen Beschädigungen, daß auf den englischen Schiffen nur noch ein einziger Scheinwerfer funktionierte; die paar überhaupt noch brauchbaren Geschütze vermochten in der Dunkelheit nichts auszurichten, und die Torpedoboote langten ungefährdet vor der englischen Linie an und fuhren durch sie hindurch.
Der dumpfe Schlag, mit dem die Torpedos aus den Lancierrohren austreten, erschallte an allen Enden, aber wie durch ein Wunder kamen die sieben voranfahrenden englischen Schiffe unversehrt davon. Weniger glücklich war das achte, die bedauernswerte Valiant; ein Torpedo traf sie von vorne und sprengte ihren Bug auseinander; um flott zu bleiben, war sie genötigt, die Maschinen rückwärts gehen zu lassen, und blieb sofort hinter den übrigen zurück.
Gleich darauf fuhr der Thunderer in die durch Minen unsicher gemachte Strecke ein; die Minen waren paarweise durch Seile miteinander verbunden. Der Thunderer hatte das Glück, mit keiner zusammenzustoßen; aber die Devastation hatte dies Glück nicht. Sie war zu weit nach Backbord geraten und berührte eines der verhängnisvollen Seile: zwei schreckliche Explosionen – die Minen waren mit je 400 Pfund Schießbaumwolle geladen – leuchteten durch die schwarze Nacht auf, und die ganze Schiffshälfte vorwärts vom vorderen Turm war zertrümmert; die Devastation lief voll und fing langsam an zu sinken. Der Kapitän aber rief in diesem Augenblick des Schreckens dem nächstfolgenden englischen Schiff durch sein Megaphon zu, daß man die Devastation ihrem Schicksal überlassen und nicht die übrigen Schiffe durch Verweilen zwischen den Minen gefährden solle ...
Es blieb auch nichts anderes übrig. Das Schiff sank zwar, aber so langsam, daß die Besatzung Zeit hatte, sich Flöße zu bauen, – denn von den Booten blieb keines mehr flott; zudem kamen jetzt zwei deutsche Zerstörer, die leicht beschädigt waren, mit der äußersten Vorsicht heran, forderten das dem Untergang geweihte Schiff auf, die weiße Flagge zu hissen, nahmen soviel Leute auf, als sie fassen konnten, und riefen mittels drahtloser Telegraphie einen kleinen deutschen Kreuzer herbei, damit er die übrigen rettete. Deshalb war der Verlust an Menschenleben nur unbedeutend.
Das Schiff aber war nicht zu retten. Ehe es die weiße Flagge hißte, hatte die Besatzung das Bodenventil geöffnet und dadurch ganz sicher verhütet, daß es in die Hände des Feindes fiele.
Die nordwärts treibende Valiant wurde von drei deutschen Zerstörern im Auge behalten. Da von Entkommen keine Rede sein konnte, beschleunigte und vervollständigte der Kapitän den Untergang seines Schiffes gleichfalls durch Öffnen des Bodenventils und hißte erst dann die weiße Flagge, als der Rumpf langsam unter ihm wegsank.
Den größten Teil der Besatzung nahmen wieder die deutschen Zerstörer auf; aber gegen 120 Offiziere und Mannschaften ertranken, da sie zu erschöpft waren, um zu ihrer Rettung nur die Hand zu regen. Die Überlebenden waren, wie der deutsche offizielle Bericht sagt, in jämmerlichem Zustande, in einer Art von Sinnlosigkeit oder Schlafsucht: stundenlang glaubten viele der Geretteten, noch immer im Wasser zu sein.
Den Überlieferungen der englischen Marine bis in den Tod getreu, harrten der Kapitän und die beiden ersten Offiziere der Valiant auf ihrem Schiff aus und gingen mit ihm unter, von der zerschossenen Kommandobrücke ein letztes Lebewohl winkend.