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Oberst Charles Macdonald, ein in Sheringham wohnender Offizier a. D. der Black-Watch, hatte sich ohne Rücksicht auf die damit verbundene Gefahr entschlossen, alles, was auf die Landung des Feindes zu Wenbourne Hoop Bezug hatte, sorgfältig aufzuzeichnen und sich dann mit seinem Bericht durch die deutschen Linien und weiter nach London durchzuschlagen. Er war in früheren Zeiten Militärattaché in Berlin gewesen und hatte sich als solcher eine so vollständige Kenntnis des deutschen Heeres, seiner Einteilung und Uniformierung erworben, daß er imstande war, den Namen jedes Regimentes, oft auch den seines Kommandeurs anzugeben.
Aus seinen Beobachtungen erhellte, daß das gesamte 4. deutsche Armeekorps des Generals von Kleppen, bestehend aus der 7. und 8. Division unter den Generalen Dickmann und von Mirbach, an die 38 000 Mann, in Weybourne, Sheringham und Cromer gelandet war.
Sofort nach der Landung hatten die Deutschen eine sehr starke, gleichsam schon von der Natur mit allen für den Einbruch eines Invasionsheeres erforderlichen Eigenschaften ausgerüstete Stellung besetzt, die sich in einer Ausdehnung von ungefähr fünf Meilen von Holt im Westen bis nach Gibbet Lane, ein wenig südlich von Cromer, erstreckte. Solange der Feind diese Stellung behauptete, konnte auch die Landung in völliger Ruhe und Ungestörtheit vor sich gehen. Auf den beiden Flanken war starke Artillerie postiert, und in der Front war die ganze Stellung durch vorteilhaft aufgestellte Vortruppen mit vorgeschobenen Piketts und Postenlinien gedeckt und gesichert.
Kürassiere, Husaren und eine Abteilung Motorinfanteristen gingen unabhängig etwa 15 Meilen weit nach Süden vor, suchten die ganze Gegend ab, schüchterten die Landbevölkerung ein, fouragierten überall und schlugen in jedem Dorfe die Proklamation von Kronhelms an.
Oberst Macdonalds Umfragen ergaben, daß am Abend vor der Landung eine Anzahl verdächtiger Leute – wie sich jetzt herausstellte, Agenten des Feindes – in Weybourne eingetroffen waren und in verschiedenen Gasthöfen Quartier genommen hatten. Schon um drei Uhr aber hatten sie sich sämtlich leise auf die Straße hinausgeschlichen und gerade in dem Augenblick, wo die feindlichen Schiffe in Sicht gekommen waren, die Küstenwache überwältigt und mit gezogenen Revolvern sich zu Herren der Telegraphenstationen von Sheringham und Cromer gemacht, um sie hinterdrein den Deutschen zu überliefern.
In Cromer wie in Sheringham besetzte der Feind schleunigst die Bahnhöfe, belegte die Kohlenvorräte sowie das rollende Material mit Beschlag und konfiszierte alle vorhandenen Lebensmittel sowie Automobile und sonstigen Vehikel. Die Gasthöfe und Hotels wimmelten von deutschen Offizieren, die nach dem Abmarsch der deutschen Vortruppen zurückblieben, um die weiteren Landungsarbeiten zu leiten. Am Kai zu Cromer wurden eine Menge Maschinengewehre gelandet, während das schwerere Geschütz am Gap an Land gebracht wurde.
Nachdem Oberst Macdonald unauffällig alles Wissenswerte über Zahl und Stärke der gelandeten Truppengattungen in Erfahrung gebracht hatte, bestieg er seinen Jagdwagen und suchte auf Kreuz- und Querfahrten die feindlichen Vorpostenstellungen zu erkunden; alle gemachten Beobachtungen trug er in eine Radfahrerkarte der betreffenden Gegend ein.
Am Montag abend sah er sich nach einem langen Tage voll anstrengender Beobachtungen in Holt plötzlich dem General Fröhlich, dem Kommandeur der feindlichen Kavalleriebrigade, von Angesicht zu Angesicht gegenüber und ward auch von ihm erkannt; denn Fröhlich war Kaiserlicher Adjutant gewesen zu der Zeit, wo Macdonald der englischen Botschaft attachiert gewesen war, und beide hatten in engen Freundschaftsbeziehungen zueinander gestanden.
Sie blieben stehen, begrüßten sich und kamen ins Gespräch. Fröhlich drückte sein Bedauern darüber aus, daß sie einander jetzt als Feinde begegnen sollten; Macdonald aber, obwohl unangenehm berührt durch das Wiedererkennen, nahm die Sache philosophisch als Kriegszufall hin und wußte seinem einstigen Freunde unvermerkt mehrere wertvolle Einzelheiten über die deutschen Stellungen zu entlocken. Als er dann aber seine Erkundigungen reichlich weit trieb, mußte er doch wohl den Verdacht des deutschen Kavalleriekommandeurs erregt haben; jedenfalls hatte er den Eindruck, als ob von nun an seine Bewegungen scharf bewacht würden. Seine Rekognoszierungsfahrten stießen fortan überall auf Hindernisse, und bald hielt er es für geraten, seine Karte unter einem Steinhaufen am Wegrand zu verbergen, damit er bei einer Leibesvisitation nicht durch sie belastet würde.
Erst in der Nacht kehrte er vorsichtig nach der Stelle zurück, nahm seinen Schatz wieder an sich, ließ Wagen und Pferd auf einem Seitenwege stehen und suchte zu Fuß durch die Vorpostenlinie zu kommen. Von einem Doppelposten entdeckt und angerufen, hatte er die Kaltblütigkeit, sein ganzes Deutsch, das er früher sehr fließend gesprochen hatte, zusammenzuraffen, und obwohl die Leute zuerst nicht geneigt schienen, seinen Angaben Glauben beizumessen, ließen sie sich schließlich doch durch sein sicheres Auftreten imponieren und verzichteten darauf, ihn festzuhalten.
Wenn sie ihn durchsucht und in dem Futter seiner Golfmütze die Karte gefunden hätten, so wäre es um sein Leben geschehen gewesen; er wäre gleich einer ganzen Anzahl von Unglücklichen, die beim Überschreiten der deutschen Linien abgefaßt worden waren, als Spion erschossen worden.
Hatte er geglaubt, damit jeder Gefahr entronnen zu sein, so täuschte er sich. Das Ziel, für dessen Erreichung der einstige Offizier willig sein Leben aufs Spiel setzte – seine Karte dem Nachrichtenbureau des Generalstabes zu übermitteln –, war noch lange nicht erreicht. Jeden Weg, jede Brücke fand er von den deutschen Piketts und Posten besetzt, die Eisenbahnen an mehreren Punkten zerstört.
Die ganze Nacht hindurch wanderte er fort, in der Hoffnung, einen schwachen Punkt des Kordons zu finden; aber vergebens. Überall hielten die Deutschen scharfen Ausguck, so daß niemand unbemerkt hindurchkonnte, und nahmen alle fest, die nur im geringsten verdächtig erschienen.
Endlich aber fand er, kurz vor Tagesanbruch, dennoch die gewünschte Gelegenheit: an einer Straßenkreuzung sah er einen Ulanen, dessen Kameraden vielleicht bis zum nächsten Dorfe vorgeritten sein mochten, fest schlafend am Wegrand liegen, während sein Pferd ruhig neben ihm graste.
Langsam schlich Macdonald sich herzu. Wenn der Mann jetzt erwachte, würde er ihn abermals anhalten ... Sollte er dem Daliegenden die Schußwaffe fortnehmen und ihn erschießen? ...
Nein, das würde heißen wie ein Feigling handeln, – ein nicht zu rechtfertigender Mord ...
Aber das Pferd wollte er nehmen und um sein Leben reiten!
Auf den Zehenspitzen näherte er sich, kam glücklich an dem Schläfer vorbei, und so alt er war, in einem Augenblick war er im Sattel. Aber auch keinen Augenblick zu früh! Das Klirren des Gebisses weckte den Ulanen auf – jäh sprang er auf die Füße, um gerade noch den Fremden aufsitzen zu sehen, und ehe noch der Oberst sich im Sattel hatte zurechtsetzen können, hatte der Ulan sich gefaßt, den Revolver erhoben und Feuer gegeben.
Die Kugel traf den Obersten an der linken Schulter und zerschmetterte sie; aber der brave Mann zuckte nur zusammen, stieß eine leise Verwünschung aus, biß die Zähne aufeinander und galoppierte in mächtigen Sätzen davon. Das Blut strömte ihm aus der Wunde, – dennoch gelang es ihm, sich in Sicherheit zu bringen, bevor die ganze Vorpostenkette alarmiert war.
Zwölf Stunden später wurde seine wertvolle, mit solcher Lebensgefahr gesammelte Kunde dem Nachrichtenbureau in Whitehall zugestellt, um dann ohne Verzug nach Norwich und Colchester weitergegeben zu werden; die Militärbehörden konnten sich nach diesen mit fachmännischem Blick zusammengetragenen Daten nicht verhehlen, daß das 4. deutsche Armeekorps sich in ebenso starker Stellung befand wie das zu Lowestoft gelandete, und daß die Lage des Landes furchtbar ernst war ...