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Am Mittwoch, 7. September, brach der Tag in glänzender Klarheit an, wolkenlos und voll warmen Sonnenscheins, ein richtiger englischer Frühherbsttag; dennoch lag über dem Lande ein schwerer Druck, das düstere Schweigen des Entsetzens. Das Geschick der größten Nation, die die Welt je gekannt hat, schwankte jetzt auf der Wagschale ...
Für die Mobilmachung des englischen Heeres war so gut wie gar nichts vorbereitet gewesen; es galt jetzt, sich durch das unbeschreibliche Wirrsal durchzufinden und in möglichster Schnelligkeit die leeren Cadres mit wehrfähigen Männern auszufüllen.
Jedermann hatte die Mobilmachungsorder gelesen, und die meisten, die zum Kriegsdienst verpflichtet waren, hatten sich frisch und fröhlich aufgemacht, um sich bei ihren Truppenteilen zu melden. Aber in unzähligen Fällen gehörten dazu lange und mühsame Wanderungen und Reisen, denn die Sammelpunkte lagen über das ganze Land zerstreut.
So machte sich der handfeste Schotte, der in Whitechapel arbeitete, unverdrossen auf den langen Weg nach Edinburgh, während der breitspurige Lancashirer aus Oldham nach Plymouth mußte, um in sein Regiment eintreten zu können, und der leichtfüßige Irländer, der bis heute in London etwa Omnibuskondukteur gewesen, sich in Curragh zu stellen hatte – das nur ein paar Beispiele von der hoffnungslosen Konfusion, die das ganze Land beherrschte! Wie sollte es diesen Reservisten möglich sein, selbst bei dem besten Willen der Einberufungsorder zu gehorchen, wo doch der Feind bereits den Post- und Eisenbahndienst an so vielen Punkten gründlich gestört hatte?
In den Regimentsdepots herrschte fieberhafte Tätigkeit, und der Anblick englischer Uniformen erregte überall die patriotische Begeisterung des Volkes, welches nie selber in den Waffen unterwiesen worden war, aber jetzt einen Begriff bekam von der eignen Unfähigkeit, Haus und Heim, Weib und Kind zu verteidigen ...
In aller Eile wurden sowohl für die Kavallerie als für die Artillerie Pferde requiriert; aber in der Ära der Kraftfuhrwerke gab es die große Masse von Zugtieren nicht mehr, die uns während des südafrikanischen Krieges so sehr zugute gekommen war.
Mundvorrat, Wäsche und Unterkleider waren in den Magazinen vorhanden; an Uniformen aber war großer Mangel. Während in der deutschen Armee die Ausrüstung jedes Soldaten bis auf den sprichwörtlichen letzten Gamaschenknopf fertig daliegt, und jedermann weiß, wo er sie sich zu holen hat, begannen bei uns die Bestellungsdepots ihre Aufträge dem Königlichen Armeebekleidungsdepartement und dem Armeekorpsbekleidungsdepartement erst dann in Akkord zu geben, als es bereits zu spät war.
Nun hätte man ja die Reservisten auch in den Kleidern, in denen sie sich meldeten, einstellen können, gleichwie die Buren es getan haben; aber das war durch von Kronhelms Proklamation vereitelt worden.
Säbel und Bajonette wurden geschärft – vollständig nutzlos, denn die Offiziere belasten sich heutzutage im Felde nicht mehr mit dem Säbel; auch war es sehr unwahrscheinlich, daß die Engländer und Deutschen einander jemals so nahe kommen würden, daß sie zum Bajonett greifen müßten.
Laut den neuesten Nachrichten waren, gedeckt durch das 4. und 9. deutsche Armeekorps, noch weitere Landungen ausgeführt worden. Das 10. Armeekorps unter General von Willburg hatte sich ohne Schwertstreich der Stadt Yarmouth mit ihren meilenlangen Kais und Docks bemächtigt, an denen nun die Leichterflottille von den ostfriesischen Inseln sich drängte.
Diese Landung hatte gleichzeitig mit der in Lowestoft stattgefunden; die große Anzahl von Kränen an den Fischdocks war dem Feinde von unschätzbarem Werte für die Ausschiffung der Geschütze, Pferde und Ausrüstungsgegenstände gewesen. Auf dies ganze Treiben hatte die Nelsonstatue des Marktplatzes mit stummem Staunen herabgeblickt ...
Vom Feinde im Norden wie im Süden hart bedroht, befand sich nunmehr die englische Division in Colchester, die alle regulären Truppen nördlich von der Themse im östlichen Kommandobereich umfaßt, ohne Zweifel in sehr bedenklicher Lage; von der 11. Infanteriebrigade hatte kein Regiment, weder das Norfolker, noch das Leicestershirer, noch das Leibregiment der Schottischen Grenzer, seine Sollstärke, die 12. Infanteriebrigade aber besaß nichts als die Skelettregimenter zu Hounslow und Warley. Von der 4. Kavalleriebrigade lag ein Teil in Norwich, die 21. Lancers in Hounslow, und nur die 16. Lancers in Colchester selbst; die übrigen Kavallerieregimenter garnisonierten in so entlegenen Städten wie Canterbury, Shorncliffe und Brighton. Von der Artillerie lagen drei Batterien in Colchester, die übrigen teils in Ipswich, teils in Shorncliffe, teils in Woolwich. Es stand also sicher zu erwarten, daß die Division Colchester, falls sie nicht starken Zuzug erhielt, von den gewaltigen Truppenmassen der Deutschen, die jetzt die ganze Ostküste beherrschten und nach dem Besitz von London strebten, einfach fortgeblasen werden würde. Trotzdem aber tat sie alles, was in ihren Kräften stand.
Alle verfügbare Kavallerie war über Ipswich hinaus nach Norden vorgeschoben worden, aber nur, um am Mittwoch morgen noch gerade den hastigen Rückzug der in Norwich stationierten kleinen Kavallerieabteilung decken zu können. Die letztere hatte unter glänzender Führung ihr möglichstes getan, um zu rekognoszieren und den Schleier der feindlichen Kavallerie zu lüften, – doch überall umsonst; stets war die unabhängig vor der Front operierende deutsche Kavallerie ihr an Zahl überlegen gewesen, und leider hatte sie eine ganze Anzahl tapferer Kameraden tot und verwundet auf den Straßen und Feldern zurücklassen müssen.
Gleichfalls am Mittwoch morgen hatte denn auch der Einmarsch deutscher Kavallerie in das vollständig wehrlose Norwich stattgefunden; nachdem eine Kompagnie englischer Infanterie, die ein paar Schuß auf einreitende Ulanen abgegeben hatte, erbarmungslos auf der Straße zusammengeschossen, und eine halbfertige Barrikade in der Prince of Wales Street schnell weggeräumt worden war, bezog der Feind die Britannia-Kaserne und hißte auf dem Schlosse die deutsche Fahne.
Unglücklicherweise konnte ein Einwohner sich nicht enthalten, aus einem Fenster auf einen vorübergehenden deutschen Soldaten zu feuern; infolgedessen wurde der ganze Häuserblock in Brand gesteckt, und der Mayor auf dem Schlosse gefangen gesetzt, als Geisel für das Wohlverhalten der Bürger.
Die Norfolker Milizreiterei aber wurde entwaffnet und aufgelöst.
Überall ward von Kronhelms berüchtigte Proklamation angeschlagen, und in mürrischem Schweigen, wohl wissend, daß sie jetzt unter den deutschen Kriegsgesetzen, den strengsten der ganzen Welt, stünden, sahen die Einwohner zu, wie die fremden Eindringlinge in der Stadt schalteten und walteten.
Im ganzen Lande aber wuchs seit dem mißlungenen Rekognoszierungsversuch der Kavallerie von Colchester und der Besetzung der Stadt Norwich durch den Feind die Furcht, daß die Invasionsarmee sich nun auf ein gegebenes Zeichen über die Metropole stürzen, und keine Hand sich wider sie erheben würde.