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Es war nicht Schwäche in Gustav, daß er sich den Anordnungen Schallers fügte, obwohl ihn diese auffallend genug unterordneten: einmal liebte er Schaller wirklich, und räumte ihm mit Hingebung das Uebergewicht ein, was Erfahrung und Tüchtigkeit immer gewinnen; ferner hatten ihn die eigenen Schicksale halb und halb selbst zu der Einsicht gebracht, daß nur in einem regelmäßigen Geschäfte, sei's welcher Art es wolle, Heil für ihn zu suchen wäre, für ihn, der täglich unverkennbarer nicht zu den dreist schöpferischen, originale Wege findenden Menschen gehörte. Endlich bewog ihn selbst ein gewisses Behagen im jetzigen Zustande, die nächste Folge seines Lebens nicht außerhalb des jetzigen Kreises zu suchen. Es war ihm so heimisch und lieb in Meister Heinze's Hause, und Toni, die reizende war in der Nähe. Hatte sich ihm das wunderliche Mädchen auch mehr als bedenklich gezeigt, hegte er auch eigentlich in einem tiefen Herzenswinkel schneidenden Groll gegen ein gewisses Etwas ihres Wesens: ein starker, vielleicht größtentheils sinnlicher Reiz zog ihn noch immer an sie, und dieser Reiz mochte just durch das Barocke, Unklare ihres Wesens noch gehoben und gedrängt werden.
Kurz, er wurde Kanzellist, und begann das kleine Leben, und fand sich darein auf Beste. Die Truppe war endlich zum Spielen gekommen, er kümmerte sich aber nicht mehr darum, und fühlte sich ganz heiter und still, wenn ihn Aennchen nach vollbrachtem Tagewerk mit dem bescheidenen Abendessen empfing. Der schönste Frühling war indessen thätig geworden, Meister Heinze hatte ein kleines Gärtchen am Hause, Aennchen pflegte und zog eine Laube darin; und wenn er dort herumging, und sich die Blumen von ihr zeigen und nennen ließ, wenn der Abend weich und lauschig niedersank, da ward ihm ganz heimathlich, kindlich wohl zu Muthe, er konnte sich des verrichteten Tagewerkes freuen, und auf eine beschränkte, aber sichere Zukunft rechnen. Aennchen hatte eine schöne Stimme und sang lustig die wehmüthigsten Volkslieder, welche der Norden besitzt und welche hier durch einzelne Klänge aus dem nahen Polen noch elegischer schattirt waren. Ward es finster und gingen sie in die kleine Stube, dann schälte und schnitt das immer wirthlicher werdende Mädchen Gemüse für das nächste Mittagessen, und erzählte ihm, was sie Alles in Herrn Schaller's zurückgelassenen Büchern Bemerkenswerthes oder Verwunderliches aufgefunden habe, und fragte und staunte und schnitt und schälte weiter.
Meister Heinze kam zwar noch lange nicht darüber hinweg, daß Herr Schaller seinem Freunde Gustav nicht wenigstens ein kleines Kapital von der großen Besitzung ausgemacht habe, und wenn's nur die Försterei gewesen wäre, die dem jetzigen Förster, seinem alten Freunde, ein reichliches Einkommen sicherte.
Und wie schön war erst der Sonntag! Der ganze glückliche Eindruck eines sonnigen Festtages, an welchem alle Welt ein reines Hemd anziehe, an welchem ein Stück Fleisch gebraten werde, auch bei den ärmsten Leuten, wo der Rauch aus allen Feueressen dringe, wo die Glocken läuteten, diese ganze wohlthuende festliche Stille seiner Knabeneindrücke, senkte sich wie ein kleiner Himmel auf ihn. Auch er hatte jetzt einen wirklichen Sonntag, die Kanzellei war geschlossen, er dachte wieder an das kleine böhmische Städtchen, an die gute Tante, welche ihn von den kleinen Rosinen naschen ließ, die zur gelben Suppe herausgegeben wurden. Aennchen erschien Sonntags im drallen seidenen Kleidchen, was aus dem Hochzeitsrocke der verstorbenen Mutter geschnitten war; Meister Heinze ging müßig in Hemdsärmeln herum und rauchte aus der langen Pfeife, oder er las gar im Buche – Gustav traten manchmal die Thränen in's Auge, wenn er dabei still im Winkel saß.
Und Sonntag Abends legte Aennchen Examen ab, was Sie Alles die Woche über gelernt habe. Und Gustav lehrte Geographie und Geschichte und was er wußte. Ist's für den starken, gebildeten Mann nöthig, ja auf die Länge unerläßlich, bei seiner Umgebung Gemeinschaft mit höheren Interessen vorzufinden: bei dem schwächeren, im Grunde einfachen Gustav war es vollkommen ausreichend, unbefangene Natürlichkeit neben sich zu sehen. Die wunderbare Naivität eines Naturkindes, wie Aennchen, war ihm vielleicht ein viel größerer Genuß. Sie wußte nichts von der Welt, er hatte ihr zu erklären, was die Leute Klugheit nennten, was Erfahrung, warum die Menschen nicht alle einander liebten, weßhalb der Eine so viel Geld habe und der Andere gar keins.
Ganz ohne Störung war dieses Leben freilich noch nicht: Toni war nahe, zuweilen kam sie nach der Stadt und ließ ihn rufen, oder beschied ihn in den Wald hinaus zu einem Rendezvous. Da ging sie mit ihm im dunkelsten Forste umher, oft bis in den späten Abend hinein, und war guter und schlechter Laune, übermüthig und verdrießlich, tändelnd, herausfordernd, lockend, aber nie gewährend.
So stand sie eines Abends im Forste einige Schritte von ihm an einen Baum gelehnt, knapp und drall gekleidet, wie es ihrem behenden Wesen angemessen war, der Mond schien durch die Zweige, Gustav lehnte schmollend an einem andern Stamme, sie hatte ihn wieder zurückgewiesen, sie spottete mit lustigen Worten seiner, aus der Ferne schrieen die Hirsche. –
Gustav beschloß eben bei sich, sie nie wieder zu sehn, ein Beschluß, den jeder Verliebte der spröden Schönen gegenüber alle Tage faßt; es gibt keinen Stolz bei der Verliebtheit, wer da glaubt, diese Empfindung könne einen wirklich Verliebten kuriren, der ist nie verliebt gewesen.
Aber heute ist's gewiß das letztemal, sagte Gustav zu sich, da schlüpfte Toni blitzschnell an seine Seite, legte ihm die Hand auf den Mund, und horchte in den Wald hinein.
Was ist? – Pst! Still! – Ich habe meines Onkels Stimme durch das Schreien der Hirsche hindurch gehört, ich kenne diesen Ton, der mich verfolgt, ducken wir uns schnell in das Dickigt, wenn wir nicht lüstern sind nach einer Kugel.
Kaum war's gethan, da knallte ein Schuß, und die Kugel klappte in den Stamm, an welchem Gustav gestanden – drauf ward es wieder todtenstill, auch die Hirsche schwiegen. Toni sah sich einige Zeit darauf nach allen Seiten um, und mit einem flüchtig gesprochenen »Adieu« war sie plötzlich verschwunden.
Als Gustav spät am Abende nach Hause kam, hörte er Aennchens Stimme noch aus dem Garten, sie sang mit halbem Tone:
War's heute schön im Sonnenschein!
Wird morgen noch viel schöner sein. –
Blau weht die Luft,
Warm zieht der Duft –
Daß mir das Herz und die Pulse schlagen,
Kommt von den schönen Frühlingstagen.
Ja, ja!
Es springt mir so durch Fuß und Hand,
Es ist mir so wie glücksbekannt,
Herauf die Brust
Schwillt es wie Lust –
Kommt Alles von den Frühlingstagen,
Ich weiß es nur nicht recht zu sagen.
Ja, ja!
Ja, ja! klang es noch lange durch das Haus und durch die Herzen.