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18.

Es scheint uns oft, als ob unser Gedächtniß tief verborgene Zellen habe, von denen uns selbst nichts bekannt sei, bis sie sich einmal plötzlich zu unsrer eignen Ueberraschung öffneten und uns mit Material versahen. Als Gustav die Deklamationsversuche mit Victor begann, fiel ihm das Hinterstübchen Wlaska's ein und das Deklamiren derselben mit Gesten und Ausdruck und Bemerkungen, die er eigentlich damals gar nicht gesehen hatte, denn wir sehen nur das, was wir in uns nachschaffen. Jetzt erst trat diese Nachschöpfung bei ihm ein, und was er nach der Prager Katastrophe in Wien auf den Theatern gesehen, was er gelesen hatte, was ihm in Paris entgegengetreten war, das steuerte jetzt Alles bei, um ihn zu seinem eigenen Erstaunen ein wenig einzurütteln in eine Beschäftigung, die er sich wildfremd geglaubt hatte.

Victor war ganz zufrieden und hatte nur am Dialekt zu tadeln. So lange die Sache auf dem Zimmer, blos dem Freunde gegenüber blieb, machte Gustav das Alles gedankenlos mit; als nun aber der Zettelträger ein geschriebenes Blatt brachte, worauf die Probe angekündigt und sein Name als der eines Gastes mitgenannt war, da gerieth er in die größte Unruhe und erklärte Victor, das ginge nicht, Ernst könne daraus nicht werden – dieser aber lachte laut auf, nahm ihn unter den Arm und zog ihn fort.

Was willst Du thun? Willst Du nach Böhmen an Deine Verwandte schreiben und etwas Geld verlangen? – »Nimmermehr! Lieber zu Grunde gehn.«

Und warum nicht? Deinen kleinen Erbantheil solltest Du doch reklamiren! Warum ihn den schlechten Verwandten schenken! Du kannst allenfalls damit einen kleinen Handel mit Band anfangen – ernsthaft, dem Volke darf nichts geschenkt werden.

Für Victor hatte bereits das Gold außerordentlichen Werth, so sehr er's läugnete, und die Gegensätze von Delikatesse und Gemeinheit waren in ihm bereits verwischt; er hatte bei schlimmerem Falle sich ohne weiteres entschlossen, um Unterstützung zu bitten. Gustav verwarf jede ähnliche Möglichkeit.

Es war ein vorwinterlicher sonnenheller Vormittag, als sie in das Schauspielhaus traten, durch einzelne Lücken fiel weiß und nüchtern das Tageslicht auf die Bühne und erleuchtete das Gerüst der Illusion. Nur auf dem Souffleurkasten brannten ein paar Talglichter, und die Vermischung solchen verschiedenen Scheins gab eine eigenthümlich bleiche von breiten dunkeln Stellen unterbrochene Beleuchtung. Das Lattengerüst der Kulissen, mit einer groben Leinwand überzogen, die mit großen weiß, grün und schwarzen Klecksen einen Wald darstellen sollten, die Stricke, die schwarzgerauchten Lampen, die Inseltreste an den blechernen Leuchtern, die herumstehenden Versetzstücke, Alles das fiel einer Novize wie Gustav doppelt auf, da er ohne Vorliebe und phantastische Beihülfe in diesen Tempel trat. Für den ersten Augenblick konnte er nur wenig unterscheiden, als er hinaustrat auf die Scene, die halb dunkel, halb bleichgelb mit Lichtstreifen durchschnitten war; er machte also die Verbeugungen in's Ungewisse hinein, da Victor ihn der Versammlung vorstellte, nur aus diesem oder jenem Winkel vernahm er durch ein korrespondirendes Geräusch, daß seine Verbeugung nicht ganz in den leeren Raum hinein gemacht war.

Der Regisseur, Herr Müller, trat herzu und nahm ihn mit einem ganz artigen Gespräche in Beschlag. Das war ein ganz hübscher Mann, welcher über die Mängel und Lächerlichkeiten einer kleinen Bühne recht sein zu ironisiren wußte und bei dessen näherer Bekanntschaft man eigentlich fragte: Wie kommt der Mann unter die Komödianten? Er ist kein Phantast, hat Verstand und ordentliche Manieren, ist nicht ohne Kenntnisse, versteht Handel und Wandel und Rechnenkunst, lebt ganz ordentlich und gesetzt, soll keine Schulden haben, pflegt eine ganz reinliche Häuslichkeit – und dabei war er doch auch ein sehr gern gesehener Schauspieler, der namentlich in Conversationsstücken sehr verständig wirkte und gewissermaßen immer als deutlichster Erklärer der Vorstellungen angesehen wurde, der dem Publikum immer zurecht half, wenn es durch wilde oder schwierige Scenen in's Unsichere gerathen war. Der natürlichste Gedanke war, daß der Mann seine Schauspielkunst wie ein ganz brauchbares Geschäft betrieb, dem er wohl gewachsen war. Mancherlei Anderes liegt aber bei solchen Charakteren noch tief im Winkel: einzelne Leute, die sehr achtsam gewesen waren, wollten zuverlässig wissen, Müller könne doch mit all seinem soliden Anstriche ohne das Theater nicht bestehen, er habe ein paarmal schon recht hübsche kaufmännische und ökonomische Verhältnisse gehabt und sie ganz ohne Noth aufgegeben, um wieder Regisseur zu werden, bei all seiner friedlich und befriedigt aussehenden Ehe, in welcher jährlich ein Kindlein producirt werde, treibe er ganz in der Stille Unterschleif mit den jungen Mädchen aus dem Chore, und so harmlos er auch immer aussähe, so kämen doch eigentlich alle Intriguen von ihm, obwohl er äußerlich immer als lächelnder, beschwichtigender Friedensstifter erscheine. Man glaubte ferner, er mache sich gar nichts aus dem Spielen, eine mäßig günstige Position mit hinreichendem Auskommen sei ihm vollkommen genügend und doch sei er eigentlich der rollengeizigste Mensch und lasse sich keine entgehn, die nur im Geringsten was tauge – wozu spielte er sonst alle Tage, da viele seiner Rollen bequem von Andern gegeben werden könnten; kurz man habe es hier mit einem stillen Wasser zu thun, wo hinter unscheinbarer Oberfläche wer weiß was läge.

Diese unerklärten Räthsel, Geheimnisse und Reize mahnen uns wirklich oft im höheren Staatsleben und besonders im Theaterleben, wo wir nicht begreifen, wie Lebensart und Person zu einander passen. Auf Gustav machte aber gerade Herr Müller mit der besonnenen, seine eignen Interessen ein wenig persifflirenden Manier den besten Eindruck, wie das immer bei Dingen und Personen zu gehen pflegt, die uns in vorgefaßten Meinungen bestärken. Denn im Grunde kam sich Gustav doch immer noch wie ein vornehmer Herr vor, der solche Kreise eben auch einmal blos besuche, ohne sich dazu hinabzulassen, und Herrn MMüller's Ironie that ihm deßhalb so wohl, weil sie ihn, den bloßen Besucher, ganz recht zu würdigen schien.

Allmählig gewöhnten sich seine Augen an die Beleuchtung und er übersah das Terrain: dort lehnte im grell karirten Mantel eine Dame an der Kulisse und klopfte ihre Rolle von einer Hand in die andere, vornehm und überlegen lächelnd auf einen kleinen, etwas verwachsenen Mann herabsehend, der sehr lebhaft vor ihr herum gestikulirte; er hatte einen ausdrucksvollen Kopf, der mit großer Nase und sehr beweglichen Augen vielleicht zu viel ausdrückte.

Die Dame war die erste Sängerin, der Kleine der Musikdirektor; es war aber eine Opernprobe gewesen, und die Primadonna verweilte vielleicht noch, um den neuen Liebhaber zu sehen, der gastiren wollte; Gustav ward ihr vorgestellt und sie begrüßte ihn mit dem etwas magern, aber von üppigen Augen belebten Gesichte zurückhaltend liebreich, vornehm vertraulich; der kleine Musikdirektor komplimentirte und entrirte ganz wie der feinste Weltmann, für den man sich wundert, daß die schwarz seidnen Eskarpios fehlen.

In einer Seitenlaube saß noch eine Dame, die sehr hübsch zu sein schien und um welche herum viel Leben getrieben wurde – das ist die reizende Toni, sagte Victor, komm!

Aber Herr Müller unterbrach sie und meinte: wenn's beliebt, fangen wir an – Fräulein von Toni, setzte er hinzu, sich nach der Laube wendend, darf ich bitten, dem Heer der Verehrer Stillschweigen aufzulegen –

Toni sprang herbei und drohte dem lächelnden Regisseur mit dem Finger. Es war eine feine Figur, ein feines belebtes Gesicht mit glänzenden Augen voll schalkhafter Bewegung. Herr Müller stellte ihr den neuen Ankömmling vor, schnitt aber das Einleitungsgespräch damit ab, daß er die Probe anfing.

Nach gewöhnlicher übler Manier probirten die Herren mit Hut und Stock, die Damen in Mänteln und Tüchern, ohne Rücksicht auf Bewegung und Gestikulation, die Worte nur hersagend – diese Manier, wodurch alle bequeme Vorübung, den Körper an eine freie Tournüre zu gewöhnen, verloren geht, kam Gustav sehr zu statten, auf diese Weise brauchte er nicht aus der bequemen Besuchsweise herauszutreten, und die Illusion ward ihm noch immer nicht benommen, daß es mit der Schauspielerei kein Ernst sei.

Als er mit Victor zu Tische ging, erzählte dieser fortwährend von der kleinen Toni, sie machte den Leuten viel zu schaffen. Es ist ein adliges Fräulein, sagte er, welche die reichsten und glänzendsten Verhältnisse aufgegeben haben soll, um Komödie zu spielen. Ihren rechten Namen wissen wir alle nicht, von der ganzen Stadt läßt sie sich den Hof machen, und Jeder will sich ihrer Gunst erfreun, man weiß aber durchaus nicht, wie viel auf die Redensarten zu geben ist. Meine Liaison mit ihr, welche die erste war, als sie ankam, hat mich ganz kopfscheu gemacht. Sie nahm mich, wenn das Theater zu Ende war, mit nach Hause, wir tranken zusammen Thee, aber ich bin eigentlich nicht vom Stuhle weggekommen, auf den sie mich neben ihrem Sofa postirt hatte. Dem schleichenden Bösewicht, diesem Müller, trau' ich nicht über den Weg, ich habe scharfe Augen dafür, und wenn er noch so unbefangen thut. Das Mädchen ist sehr liebenswürdig, und ich gebe sie noch nicht auf, obwohl sie mir jetzt des Abends immer entschlüpft.

Gustav war von dem Allen wenig interessirt, er existirte ziemlich gedankenlos; aber ein wahrer Todesschreck kam über ihn, als er des Abends aus dem Parterre in den Korridor trat. Da hing der Theaterzettel für den nächsten Tag, und gedruckt, wirklich gedruckt las er seinen ehrlichen, vornehmen Namen – Ottomar – Herr Horn als Gast. Es war also wirklicher, entsetzlicher Ernst; vorbei war's mit jeder Täuschung, er war wirklicher Komödiant – o arme Tante! Und wenn sie das in Prag erfahren! Wie anders, wie stattlicher, wenn sie erfahren hätten: er hat sich eine Kugel durch den Kopf gejagt.

Ruhelos eilte er durch die Straßen, spät in der Nacht kam er heim.

Aus schwerem Schlafe weckte ihn am andern Morgen ein starkes Klopfen, es war der Zettelträger, welcher die Nachricht brachte, daß »die Räuber auf Maria Culm« wegen Kränklichkeit der ersten Liebhaberin nicht gegeben werden könnten.

O wie tief athmete Gustav auf, als ob nun Alles gewonnen sei – und er hatte den ersten vergnügten Tag. Nicht die Sachen selbst bilden unsern Zustand, sondern das Verhältniß derselben; ein kleiner Moment, der in eine Situation hineintrifft, kann ein viel größeres Glück sein, als ein großer Coux von Vortheil, der uns gesättigt findet. Das Blatt eines Baumes, was in den Kerker fliegt, ist ein Glück für den Gefangenen, das Pergamentblatt, was dem Reichen eine neue Erbschaft bringt, macht kaum einen Eindruck; der Freie streicht gedankenlos durch einen grünen Wald, der hoffnungslos Liebende gewinnt eine ganze Welt durch einen halben, halbgünstigen Blick, der sichre Bräutigam übersieht ein Antlitz voll Kuß und Liebe.

Er ging des Abends in's Theater, und zwar auf die Bühne, hinter die Kulissen – jetzt war es lichte, und die geputzten Spieler trieben sich da in den mannigfachsten Gruppen umher. Die groben Kleider, die schreienden Farben, was sich Alles von unten so gut ausnahm, überraschte ihn doch sehr in der Nähe, die dicke Schminke, das grelle Nackte sah ihn so befremdlich an, daß er gar nicht wieder dran glauben mochte, auch einmal in diese Mummerei zu gehören. Und nun diese Gespräche, Tändeleien, Zänkereien der Leute, die eben draußen vor den Zuschauern so ganz andre Gesichter und Empfindungen gezeigt hatten, die bis an die Kulisse ein tragisches Antlitz wiesen, und dort augenblicklich in irgend eine triviale Beziehung traten, die umgekehrt mit dem Stichworte aus einer heterogenen Situation hinter der Kulisse mitten in's Stück hinaussprangen – so störend es sein mochte, etwas Imponirendes lag doch darin. Die Leute wissen ja mit großer Gewalt die Verhältnisse wegzuwerfen und zu beherrschen, dachte er.

Besonders um Toni war wieder viel Zulauf; sie war auch wirklich feiner gekleidet, geschminkt, frisirt, auch die Komödianten haben ihre Aristokratie. Gustav fragte, als sie einmal allein war, ob sie Ton und Umgebung nicht in dem Ideale störe, das sie vielleicht zur Schauspielkunst gebracht habe.

Sie erwiderte lachend: Ein solch Ideal hat mich gar nicht dazu gebracht: ich habe das Leben der stillen geselligen Welt arm und dürftig gefunden, deßhalb hab' ich's verlassen; bunter ist's doch hier gewiß, mannigfaltiger, und das hab' ich zunächst sein und sehn wollen. Dort in den Besuchzimmern darf sich Alles nur bis auf eine gewisse Gränze äußern, man sieht die Menschen alle gleich, hört sie mit wenig Abwechselung dieselbe Sprache reden, beim Gefallen fragt sich's nur: Heirathen oder Nichtheiraten, beim Mißfallen geht man sich blos aus dem Wege, oder sagt sich Anzüglichkeiten. Hier tritt der ganze Mensch in Hast und Liebe heraus. –

Das mag der Kuriosität halber ein Weilchen gehn, sagte Gustav, aber auf die Länge –

Was frag ich nach der Länge! Darüber verlieren wir eben die Nähe; ich habe keine Vorsätze, ich habe blos Launen; mit den sogenannten Prinzipien wird das Glück gestört –

Das Glück; ja was ist das Glück?

Toni lachte: das kann Ihnen kein Mensch sagen. Jeder hat eben sein eignes, oder gar keins.

Da kam ihr Stichwort.

Dies leichtsinnige Mädchen hat gar nicht Unrecht, sagt sich Gustav – Jeder hat eben sein eignes Glück, oder gar keins; man muß sich das zurecht legen, was man just haben kann, und dazu ist allerdings etwas leichter Sinn nöthig. – Ich werd' mir leichten Sinn angewöhnen, dann komm' ich wohl noch ein Stück weiter in der Welt. –


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