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2.

Das große Vermögen der Tante beruhte zumeist in großen Fabriken, die einige Meilen von Prag entfernt lagen. Sie war eine sehr einfach gewöhnte Frau, die keine besonderen Gesellschaftsfreuden wünschte und kannte, das Gedeihen der Fabriken machte auch die Anwesenheit der Herrschaft nöthig, und so entschloß sie sich mit leichter Mühe, ihren Wohnsitz in der Stadt mit dem in einem Landstädtchen zu vertauschen. Gustav, der bereits ohne Einschränkung die Geschäfte leitete, und über alles verfügte, ohne dessen Gegenwart die Tante nicht bestehen konnte, war genöthigt, ebenfalls mit dahin zu ziehen, obwohl dies seinem lebenslustigen Sinne, der in der großen Stadt mehr Anregung und Befriedigung fand, wenig zusagen mochte. Aber er liebte die Tante sehr, und wenn diese kindliche Zuneigung auch vielfach von jenem jugendlichen Leichtsinne gestört ward, wie er bei jungen Männern oft zu finden ist, weil sie sich im Grunde nur eines deutlichen Bezuges zu gleicher Jugend und lebendiger Welt bewußt sind, wenn er also auch nicht eben gern in die Stille des kleinen Städtchens folgte, so war doch so viel Pietät in ihm, daß sein Mitgehn keiner ernstlichen Frage unterworfen ward.

Die Tante richtete sich nun in ihrer sorgenfreien Zurückgezogenheit auf die Weise ein, wie wir sie gewöhnlich bei Leuten aus den Mittelständen finden – sie haben bei großem Vermögen doch kein Bedürfniß feinerer Luxusstoffe, und umgeben sich nur mit Einzelnheiten derselben, um dadurch auf eine freundliche Weise an die ihnen gewährte Wohlhabenheit erinnert zu werden. So sehen wir denn auch das große Wohnzimmer der Tante, welches Mittelpunkt dieses kleinstädtischen Lebens wurde. Das Tageslicht ward gedämpft durch schwer seidne gelbe Gardinen, auf einem marmornen Spiegeltisch stand eine große massive Uhr von moderner Fassung, die Wände waren mit reichen, dunkelfarbigen Tapeten bekleidet, in allem Uebrigen aber war das altbürgerliche Meublement unverändert geblieben. Ein großer eichener Tisch mit grüner Tuchdecke stand mitten im Zimmer, die Stühle waren mit Leder gepolstert, und hatten noch die hohen Lehnen, an welchen früher die Erziehung junger Mädchen geprüft wurde, die mit geradem Rücken immer in gesetzmäßiger Entfernung von der lockenden Lehne sitzen mußten, ein Sofa war nicht zu sehen, seine Stelle vertrat ein breiter Großvaterstuhl mit Ohren, der Ofen war umfangsreich wie ein breiter Thurm und bestand aus braunen Thonkacheln, der Fußboden, stets sehr sauber, hatte weiße Dielen von festem, hartem Holze, das Ganze sah ein wenig leer aus, denn es fand sich von sonstigen Mobilien nur noch ein kleiner Tisch vor, und ein großer, himmelhoher Schreibsekretair. Dieser Schreibsekretair war aus rothem Kirschbaumholze gefertigt, und noch von jenem alten Schnitte, wo das eigentliche Schreibepult mit der unten daran gefügten Kommode hervorstand neben dem zurücktretenden schmalen, hohen Aufsatze, welcher durch zwei lange Flügelthüren geschlossen ward. In diesem Sekretair fanden sich alle Rechnungen, Dokumente und wichtige Familienpapiere. Die Tante führte den Schlüssel stets in der hirschledernen Tasche, die sie am Gürtel trug und welche sie Nachts unter das Kopfkissen legte. Sie vergaß diese Vorsicht niemals, obwohl sie nach täglicher Versicherung einen so leisen Schlaf hatte, daß sie von einem lauten Holzwurme geweckt ward, ihres Hustens gar nicht zu gedenken.

Also eingerichtet sitzt sie des Abends bei zwei Talglichtern, die in blanken messingnen Leuchtern stehen, auf dem Großvaterstuhle am großen Tische, und strickt wollene Strümpfe für sich und Gustav, der seit Jahren umsonst gegen wollene Strümpfe eifert, und wiederholt sich manchmal, was Pater Lorenz heute gesagt hat. Das zweite Licht, was sie für unnütz hält, hat der Neffe auch mit Mühe durchgesetzt – sie ist immer schneeweiß gekleidet, das heißt sie trägt über dem weißen Unterkleide von Kambrai ein Jäckchen von feinem Pique und eine weiße Mütze, unter welcher zierliche graue Löckchen hervorquellen, die ihr Gustav aus Prag besorgt. Die große Hornbrille liegt vor ihr, und sie greift nur darnach, wenn ihr eine Schlinge gefallen ist, oder wenn sie nach einem Posten in den Rechnungen sehen will, die ihr Gustav des Abends vorlegt. Es ist dies immer ein Posten in der Ausgabe, der ihr zu hoch dünkt.

Man glaube deshalb nicht etwa, die Tante sei geizig, Gott bewahre, sie ist nur genau und ordentlich – in Bezug auf Gustav verschwinden alle diese Rücksichten, dem steht der Schlüssel zum Schreibsekretair jeden Augenblick zu Diensten, und der darf herausnehmen was er will, und kann Geld ausgeben, so viel er mag. Gegen ihn hat sie nur eine Ermahnung: er soll seine Gesundheit schonen, nicht erhitzt trinken, und wenn er Abends nach beseitigten Rechnungen in's Kasino des kleinen Städtchens geht, so bittet sie ihn nur, sich niemals als erste Person der Umgegend etwas zu vergeben, und das Tabakrauchen sich nicht einreden zu lassen. Das schade der Brust, sei unreinlich, und fremd in der Familie: der Onkel hatte auch nicht geraucht.

Soll nun auch ein Bild von Gustav aus jener Zeit gegeben werden, so ist eine sehr schwierige Aufgabe zu lösen. Es geht doch am Ende mit solchen jungen Leuten, wenn sie nicht sehr eintönig und pedantisch angelegt sind, zumeist wie mit den Knospen unbekannter Bäume und Blüthen im Frühjahre. Heut ist die Knospe grün, morgen blau im Schweiße des Wachsthums, übermorgen braun vom Drange einer fruchtbaren Nacht, wir können nichts bestimmen, und müssen mit in den Schooß gelegten Händen auf das Wunder der Bildung harren – blau schattirt, denken wir ganz im Stillen, wird doch wohl die Blüthe werden, und in duftiger Frühe finden wir sie lachend roth aufgegangen.

Gustav hatte Anlagen zu Allerlei, ohne doch von irgend einem entschiedenen Drange inkommodirt zu werden. Das Grundbewußtsein seines Wesens bestand in der trockenen Ueberzeugung, daß er mit tüchtigem Vermögen ausgerüstet ein ganz hübsches Leben führen werde. Was sich nun etwa an Liebhabereien einstellen möge, das stehe ruhig zu erwarten. Nichts Phantastisches, nichts Enthusiastisches, nicht einmal etwas Charakteristisches war zu entdecken, will man nicht etwa dieses fraglose Hinleben also nennen.

Er ging auf die Jagd, ging in's Kasino, ritt spaziren, besorgte die Geschäfte des Fabrikwesens, dressirte sich Hunde, und wenn er von der kleinen, schönen Wlaska erzählen hörte, so lächelte er, und sagte, sie sei ein hübsches Mädchen.

Wlaska war nämlich das Wunder des kleinen Städtchens. Sie hatte alle Bücher gelesen, machte Verse, und sollte auf dem nahen Schlosse des Grafen mehrmals sehr schön Komödie gespielt haben. Dazu schlug sie eine Partie nach der andern aus, obwohl ihr Vater nur ein mäßig salarirter Beamter war. Gustav nahm noch wenig Interesse an den Weibern, und hatte sich wenig um das Mädchen gekümmert. Wlaska desto mehr um ihn.


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