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8.

Das Fräulein war auch in den nächsten Tagen immer ausgegangen, wenn er anfragte, er war in der betrübtesten Lage, in jener Lage der bornirtesten Verliebtheit, wo die ganze Welt nicht die kleinste Unterhaltung bietet ohne die Dame unsers Herzens. Wir begreifen die Welt nicht, wie sie Interessen haben kann von dieser oder jener Weise, wir vertauschen ruhelos einen Ort mit dem anderen, wir stehen kaum den nothwendigsten Fragen Rede, und sagen uns verdrießlich: wozu kommen die Leute zusammen, was haben sie mit einander zu thun, wenn sie sich nicht lieben, warum sind sie alle langweilig?

Der Zustand einer schönen Liebe ist sehr verschieden von einem solchen, wo wir in gestörter Leidenschaft uns bewegen; Liebesverhältnisse haben überhaupt tausend Schattirungen nach außen. Wenn die Geliebte verreist, oder wir durch unübersteigliche Hindernisse für den Augenblick von ihr geschieden sind, dann sind wir ruhiger, die Menschen, wenigstens die guten, existiren für uns, wir mögen sogar sanft und leutselig sein – unruhiger geberden wir uns schon, wenn zudringliche Gesellschaft, wenn Störnisse, die zu überwinden waren, die Trennung herbeiführen, völlig unbrauchbar für alle Welt, wenn wir Mißverständnisse zwischen uns und der Geliebten ahnen oder wissen, wenn die Geliebte selbst uns fern hält. So wie jedwedes Ding sein eigener ärgster Feind sein kann, so auch die Liebe: sie selbst kann sich am Unliebenswerthsten machen; Anderes gegen Anderes kann nie so gewaltig sein.

Gustav wußte nicht, wo er mit Zeit und Besorgniß hin sollte; nun kamen wie immer die guten Freunde hinzu, und peinigten ihn mit Theilnahme und mit Gerüchten. Ob es denn wahr sei, daß sich ein schönes braunes Mädchen in ihn verliebt habe und drüber verrückt geworden sei, und sich ein Leides angethan? –

Woher dies Gerücht, was offenbar mit Wlaska im Zusammenhange stand? Ja, woher plötzlich die Regenwolke am Himmel? Gerüchte sind wie Wolken, plötzlich gebildet aus Dünsten, die Niemand bemerkt hat.

Gustav's Herz fand sich denn auch gedrängt, nach Wlaska sich umzusehn, er fühlte wohl, daß er so etwas von Beruf dazu empfinden müsse – aber wie? wo? und wenn Angélique erfährt, daß Du sonstwo noch mit ihr zusammengekommen, und das rücksichtslose Mädchen macht Dir am Ende im Wirthshause, auf der Straße noch eine Scene – das wäre Dein Tod. –

Wer mag es zählen, wie oft kleine Konvenienzsorgen die heiligsten Pflichten uns versäumen lassen! Wer mag den ersten Stein aufheben! Im Allgemeinen ist die Konvenienz ein wirkliches, hohes Civilisationsgesetz, und nur die Rohheit widerstrebt ihm – in einzelnen Fällen, wo die ewigen, über alles Verhältniß erhabenen Forderungen des Menschen in Rede kommen, wer ist genügend vorbereitet, gesund poetisch und tüchtig gebildet, und muthig und stark genug, um den Augenblick zu erkennen und zu ergreifen!? Ach, nur dieser und jener. Ist es doch selbst Goethe begegnet, daß er dasjenige unglückliche Weib, Mad. Guachet, die angebliche Prinzessin Bourbon Conti, die ihm den hohen, schönen Schmerz einer Tragödie, der natürlichen Tochter, im Busen erregt hatte, daß er dies Weib von seiner Schwelle wies, weil sie unpassend, ungelegen, unerkannt ihm nahe kam. Giebt's etwas Tragischeres, als wenn auf diese Weise im blinden Schlafe die Mutter ihren eigenen Schooß schlägt? Und täglich sind wir dieser Situation feinen gesellschaftlichen Unglücks ausgesetzt.

Gustav hatte nicht den Muth, sich nach Wlaska umzusehn.

Der Tag war da, wo er zur Tante hinausfahren mußte, er hatte Angélique nicht gesehen, sie hatte ihn nicht angenommen; das Herz drängte ihn, sich auszuschütten, er schrieb einen langen Brief, worin er ihr Alles erzählte, was er wußte. Die Geschichte mit Wlaska ward freilich sehr verworren, denn er wußte selbst kaum, was es für eine Geschichte sei – den Brief schickte er hin, und fuhr über Land.

Im Städtchen fand er Alles in Aufregung über das plötzliche Verschwinden Wlaska's – ihr Vater war zur Tante gekommen, ob sie davon wüßte, ob sie bei Gustav sei, und wie sich denken läßt, war diese Anfrage unzart genug erfolgt. Die Tante war äußerst alterirt, und Gustav ward mit ungewöhnlich lebhafter Ansprache empfangen.

Er hatte indessen keine Ruhe, und reiste früher als sonst nach der Stadt zurück: mit Herzklopfen trat er in sein Zimmer, er hoffte, wenigstens ein Paar Zeilen Antwort von Angélique vorzufinden, auf das Dringendste hatte er sie darum gebeten.

Aber es war nichts angekommen – geraden Weges ging er in das Haus ihrer Eltern, er kann nicht bestehn in diesem unsichern Zustande; das Kammermädchen war auf dem Saale – »ist das Fräulein zu Hause?«

Aufzuwarten –

»Melden Sie mich« –

Das Mädchen kam verlegen zurück, und sagte – »sie ist nicht zu Hause.«

Ich hab sie ja am Fenster gesehn –

»Das kann wohl sein, sie ist aber nicht zu Hause.« –

Gustav ging rasch an dem Mädchen vorüber ins Zimmer hinein – Angélique stand inmitten desselben – mein Gott, sagte sie, die Arme aufhebend, was sind Sie zudringlich, – und ging rasch in's Nebengemach.

Das war zu viel; er wollte auch gesehen haben, daß ein leichtes Lächeln dabei um ihren scharfen, schönen Mund gespielt habe – obenein verhöhnt zu sein! das überwältigte ihn, die Thränen stürzten ihm aus den Augen, seit früher Kindheit vielleicht zum ersten Male. Er setzte sich einen Augenblick auf's Sofa, und starrte vor sich hin – dann ging er heim auf sein Zimmer, verschloß es und warf sich aufs Bett, das Gesicht in die Kissen drückend, nichts, nichts wollte er sehen.

Es war gegen Abend, und er schlief wirklich ein.

Tief in der Nacht ward er wieder munter, Mondschein lag auf Straßen und Dächern mit all jener stillen, kühlen Einsamkeit, welche uns die Welt verödet, ausgestorben, ohne Blut und Herze erscheinen läßt. Gustav glaubte, sehr unglücklich zu sein – er stieg hinab auf die Straße, ging nach der Moldaubrücke, und sah in die Fluth hinab.

Alte, historische Städte, wie Prag eine ist, haben eine eigenthümliche geheimnißvolle Macht in solcher Stunde und Beleuchtung, die Fenster des Hradczin, des alten Königsschlosses und all der Pallaste auf der Kleinseite flimmerten in den Mondesstrahlen, dem auch sonst unaufmerksamen Menschen drängt sich ein Bezug zur Welt, zur Geschichte, zum alten, großen Weltschmerze derselben auf – eine neue, geradlinige Stadt macht einen andern Eindruck: man kommt sich öder, verwüsteter, von jedem Anhalt verlassen vor. Gustav lehnte sich an die Nepomuckstatue und weinte sanft und leise, und dachte bei sich: Du bist doch viel unglücklicher als alle die großen Herren, die da oben am Berge gelebt und gelitten haben, wie der Pater Professor erzählt, ach, viel unglücklicher! was nützt Dir nun Alles, was Du hast und besitzest auf der Welt – Deinen Engel hast Du doch verloren.

Die Moldau plätscherte unter der Brücke, ein Nachtwind flog mit breiten, schweren Schwingen drüber hin – Gustav schauerte und ging wieder heim.


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