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15.

Laurette sang des Morgens mit sanfter Stimme:

Femmes voulez vous éprouver,
Si vous ètes encore sensibles,
Un beau matin venez rêver
A l'ombre d'un bois paisible;
Si le silence et la fraicheur,
Si l'onde, qui fuit et murmure,
Agite encore votre œur,
A, rendez grace à la nature.

Dann klopfte sie an die dünne Wand, welche ihr Zimmerchen schied, wünschte ihm einen guten Morgen, und wenn sie Antwort erhielt, verspottete sie den langschlafenden Deutschen. Ihr habt keinen Sentiments, ihr blonden Leute, pflegte sie zu sagen, der Franzose schlummert nur, um zu träumen, ihr Bären aber schlaft, um zu schlafen, und Appetit zu bekommen, es ist ein wahres Unglück, einen Liebhaber aus Deutschland zu haben. Ihre Chocolade wartet schon lange, Monsieur!

Gustav kam dann, um bei ihr zu frühstücken – sie saß auf dem Fenstertritt und nähte Putz und sah allerliebst aus. Die Deutschen nennen es »wie aus dem Ei geschält.« Zu schwatzen hatte sie immer so viel, daß Gustav nicht zum Nachdenken über seine Lage kam, und das war ihm eben recht. Sie trug ein kleines Häubchen mit offnen, fliegenden Bändern, hatte schwarze Augen, eine feine längliche Nase, die schönsten Zähne, einen kleinen wunderschönen Fuß, der seine eigne Geschichte auf dem Tritt zu spielen wußte, in allerhand kleinen zierlichen Bewegungen – nicht selten pflegte sie zu sagen: mein Fuß ist heut sehr republikanisch gesinnt, ist voller Emeuten und will keine Fesseln dulden, Monsieur Gustave, helfen Sie ihm! Dann mußte er ihr das Stiefelchen aufknöpfen, und wenn er Lust hatte, den weißen, prallen Strumpf küssen. Ihre Taille war ganz Taille – die Taille das bin ich, pflegte sie zu sagen, ohne Taille gäb's für mich keine Existenz. Nur Barbaren, wie Ihr, können behaupten, wir seien zu dünn und zu mager, dicke Weiber haben kein Herz, oder ein unzugängliches, versteckt, verbaut, verwachsen mit Fleisch und Masse, ach das Herz, weil es so offen liegt, erfährt so viel Freude und so viel Schmerz, oh, mon cher ami, so viel Schmerz! Aber dieser Schmerz ist das Beste auf der Welt. Mein schöner Maurice, ich weiß es, tobt jetzt lüderlich in Paris umher, weil ich ihm adieu gesagt habe; aber konnt' ich anders? hat es mich nicht auch geschmerzt wie ein Dolchstich? enfin, es ging nicht anders, er wurde eigensinnig, ungezogen, er vernachlässigte alle Galanterie, auf dem boulevard des Italiens hab' ich an einem Abende dreimal mein Taschentuch fallen lassen und hab' es zweimal selbst aufheben müssen, das dritte Mal that's ein schöner blasser Mann, mit einer breiten Schmarre auf der Stirn – 's mag ein tapfrer Mann sein, oh die Schmarre war groß, und in den Augen lag so viel Muth, ein sehr interessanter Mann, und ich denke ihn wohl ein mal wieder zu sehn; Monsieur, Sie könnten mich heut Abend auf den boulevard des Italiens führen – ja, denken Sie, Maurice hat's nicht ein einzig Mal aufgehoben, da war es aus. Und eifersüchtig wollt' er auch sein, ah, hübsch eifersüchtig, das ist was Reizendes, aber unartig muß er nicht werden; man muß sich lieben, ah, man muß es nicht treiben, wie die Hortense da drüben und die Juliette, meine lustige Freundin, und wie die meisten meiner Bekannten, nein, mein Herr, das ist eine Tändelei; von zarter Rührung, von höherem Gefühle wissen sie nichts, sie haben nie im Boulogner Walde geschwärmt, sind nie mit einem empfindsamen Romane auf kurze Zeit unglücklich gewesen – Monsieur Gustave, Sie glauben's wohl nicht, ich habe viel in meinem Leben schon empfunden. Schon von Jugend auf, aus Familienrücksichten; hören Sie – aber wer wird so viel zum Frühstück essen, so viel! hören Sie! Meine Mutter ist sehr schön gewesen, sehr schön, alle Leute auf dem Cours in Marseille nannten sie die schöne Louison; ein Gardist, mein Herr, von der alten Garde des Kaisers, er ist mit in allen Welttheilen gewesen, gegen die Menschenfresser in Afrika und gegen die Fischfresser an der Oder, hat einen prachtvollen Schnurrbart gehabt, und ist so galant gewesen, wie sonnenverbrannt und tapfer, also der Gardist, ich glaube, er hat Charles geheißen, hat meiner Mutter die Cour gemacht und sie haben sich heirathen wollen, da ist eine große Schlacht passirt und die Russen haben ihn todtgeschossen, die abscheulichen – ist's denn wahr, daß sie alle nach Leder riechen? Also, wie ich denn auf die Welt gekommen bin, hab' ich schon keinen Vater gehabt; meine Mutter hat noch viel Glück gemacht und ist noch lange schön geblieben, aber als unsere Leute nach Algier schifften, da hat sie sich von einem jungen Ingenieur verleiten lassen, mitzugehen, und ist nicht wiedergekommen. Ich war damals im fünfzehnten Jahre und studirte bei Madame Marly die Kunst des Putzes; Madame Marly hatte einen blondgelockten sechzehnjährigen Sohn, der war sehr liebenswürdig, ging mit mir spazieren, las mir Gedichte und Theaterstücke vor und lehrte mich höhere Empfindungen; aber wir Frauenzimmer machen darin schnellere Fortschritte, ich hatte den hübschen Robert bald überholt, und der schwarze Armand, der in unserer Nähe wohnte, schien mir unterrichteter und vorzüglicher. O, Monsieur, mein Armand war wirklich ein gefährlicher Mann, wir gingen zusammen hierher nach Paris, und wer weiß, was aus mir geworden wäre, hätten sie ihn nicht am 6. Juni beim Kloster St. Mery erschossen, denn er war ein ganzer Republikaner, und sehr streng und schlimm, auch gegen mich – oh, mon pauvre Armand! – wenn ich mir irgend einen hübschen Burschen genauer ansah, sehr streng und schlimm; ich fürchtete mich auch manchmal ein wenig vor ihm, aber ich hätte vielleicht nie von ihm lassen können, nun, er ist todt, der Arme, lassen wir ihn; dann kam Maurice, um mich zu trösten, und Sie heißen Gustave, Monsieur, nicht wahr?

Und die Leute hast Du alle geliebt, Laurette?

Vraiment, und warum? Die kleinen Spielereien dazwischen hab' ich vergessen. –

Und das nennst Du Liebe?

Mon dieu, wie sonst?

Wir nennen das Passionen.

Eh bien, ist das was anders?

Man sagt's; in Deutschland sollen sie einander mitunter so zugethan sein, daß alle übrige Welt für sie aufhört, daß sie alle übrige Welt in einander erblicken.

Ja, aber wie lange?

Immer. –

Oh! wollen Sie eine solche Passion für mich haben, Monsieur Gustave?

Nein; ich glaube nicht an die Uneigennützigkeit der Neigung. –

Was ist das Uneigennützigkeit der Neigung? A propos, das ist recht schön, die ganze Welt für eine Person aufzugeben, aber ist es nicht kindisch, da es so viel in der Welt giebt, ist es nicht wenigstens in Paris kindisch?

Gustav ertrug diese Tändelei mit Laurette doch nur eine kurze Zeit; er sagte sich vor: es ist eine Tändelei der Verzweiflung, und Du willst zur Kurzweil ein wenig damit experimentiren. Als er denn eines Abends nach Hause kam, und Laurettes gewöhnliches Feierabendliedchen hörte:

»Eh, que fais tu ici ma Jeannette,
Que fai tu ici à la porte?
J'attends ici ma maitresse,
Qui va entrer au cabaret.«

trat er mit den Worten zu ihr ein: Es muß Abschied genommen werden, Laurette. –

Eh, warum mon cher?

Ich habe im Spielhause meine letzte Baarschaft verloren, und habe keinen neuen Zufluß zu erwarten.

Oh, das ist schlimm; aber ich habe in der letzten Woche wenig gebraucht, reicht ein Weilchen für uns beide. –

Ja, was hilft ein Weilchen.

Ah, ein Weilchen ist Alles, jede nächste Zukunft ist ein Weilchen, nous verrons.

Diese Gutherzigkeit hatte etwas Rührendes für ihn: seine wirkliche Liebe hatte er nur des Geldes willen verloren, eine leichtsinnige Grisette theilte ihre letzten Franks mit ihm! Wie schmeichelte das einem Herzen, das sich aufgegeben hatte, und er glaubte wirklich ein paar beglückte Tage zu genießen, als Laurette lachend und scherzend für ihn sorgte.

Es waren aber nur einige Tage: wiederum kam er gegen Abend nach Hause, wiederum hörte er in ihrem Zimmer singen, aber es war ein ganz kräftiger Tenor, der die Worte recitirte:

J'attends ici ma maitresse,
Qui va entrer au cabaret. –

Es wurde gelacht und geschäkert bei Laurette – sie rief wohl einmal: Monsieur Gustave, sind Sie zu Hause? Ich habe Besuch – wie geht es Ihnen? sie hatte am andern Morgen auch noch Frühstück bereitet, aber sie war zerstreut – kurz, die Herrlichkeit war zu Ende, und Gustav lachte bitter. Was er im Scherz gesagt, sah er jetzt im Ernste herannahn: seine Kasse ging zur Neige. Bis diesen Augenblick hatte er nicht daran gedacht – fort nach Deutschland, fort aus dieser Wildniß rief er, packte, legte Lauretten eine Entschädigung für ihre Auslagen in's Nähtischchen und fuhr in einem Striche wieder bis Berlin zurück. –

– Dieser Ausflug nach Paris hatte ihm, wie man sich auszudrücken pflegt, den Gnadenstoß gegeben.


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