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9.

Der nächste Tag war ein Sonntag, für einen traurigen Christen in einer christlichen Stadt der traurigste Tag, die Melancholie selber; die Straßen sind rein gefegt und öde, wie Grabstätten; Geschäft und menschlicher Verkehr schweigen, die Leute sind in den Kirchen, die Glocken klingen von nah und fern, so wie sie klingen, wenn ein Verstorbener hinausgetragen wird, der Sonnenschein quillt still und weiß über einzelne Häusergiebel, fällt hie und da wie ein Keuschheitsschleier in die Gasse, ein Bettelkind schleicht nach Kräften geputzt, also tragischer aussehend als in seiner Amtstracht, vorüber.

Gustav's Wohnzimmer war zu eb'ner Erde, er saß am Fenster, das mit kraus gewundenen, weit ausgebauschten Gittern versehen war. Tief versenkt in die Melancholie des Moments starrte er auf die fabelhaften Figuren der Fensterstäbe, die ihre Fratzen vor seinen Sinnen spielten, als ob er im Fieber läge – die Glocken, die Glocken! sagte er leise, sie klingen zum Begräbnisse meines Herzens.–

Da kam ein Wagen die Straße herauf gerasselt, schnell, stürmisch, es klang wie Frivolität, wie Hohn zur übrigen Umgebung – ein offener Landau war's, Angélique saß darin, strahlend, blendend wie eine Göttin, die braunen Locken flatterten im spielenden Sonnenwinde unter dem leichten Strohhute hervor. Gustav schrak zusammen, als ob ein Schuß sein Herz getroffen hätte – junge Liebe und Verliebtheit erschrickt stets im ersten Momente, wo der geliebte Anblick unvermuthet sich darstellt. Der Wagen hielt eben am Hause, Gustav fuhr halb zitternd am Sessel auf; aber Angélique winkte nach dem ersten Stock hinauf, er hörte oben hin- und herlaufen, Thüren werfen, es kam die Treppe herunter, die Töchter seines Prinzipals stiegen zu ihr in den Wagen.

Sie hatte nur einmal flüchtig in das Parterrezimmer gesehn, nur mit einem halben Blick, und wie lachte und scherzte sie mit diesen gleichgültigen Freundinnen, ehe die Sitze arrangirt waren! Er wußte es nicht, daß Frauenzimmer geselliges Reden und Lachen bei der Hand haben, auch wenn sie eben bis in die Seele hinein bewegt sind, es ist ihnen dies so geläufig und ohne Zusammenhang mit dem innersten Menschen wie das Stricken, wenn sie Tragödien vorlesen hören, und weinen und bewegt sind.

Der Wagen verschwand – nun war die Stadt erst öde, ein bloßer Steinhaufe – die Traurigkeit ward zur Ungeduld, zum weinenden Trotze, er lief selbst in den Stall und sattelte sein Pferd und schwang sich darauf. Zu gutem Glück begegnete ihm der Kutscher im Hausflur, und erinnerte ihn daran, daß er den Hut vergessen habe.

Rasch war er durch die Straße geflogen, draußen auf der Höhe sah er in geringer Entfernung den Wagen Angélique's – wer hatte die Zügel geführt, wer hatte den Weg eingeschlagen nach dem Landhause, was Angélique's Vater gehörte, wann war dieser ganze Ideengang in ihm thätig gewesen, daß sie dorthin führe, daß er dorthin reiten müsse? Er schalt sich selbst; nicht um die Welt mochte er jetzt von ihr gesehen sein, er schalt sein Pferd; jener Stolz oder Trotz Verliebter war in ihm erwacht, der nicht mehr den ersten Schritt thun, der kein Gefühl, auch nicht das kleinste eines unbedeutenden Antheils verrathen will, der aber um alle Straßenecken, durch weite Länder dem geliebten Gegenstande nachschleicht, und immer höchstens einen Schritt weit vor ihm verborgen sein möchte, jener Trotz, der im innersten Herzen nichts wünscht, als mit Thränen und Seligkeit die eigne Demüthigung bekennen, das äußere Wesen abbitten zu dürfen.

Gustav jagte wie toll in ein kleines Gehölz, was seitwärts lag – es wäre entsetzlich, wenn sie dich sähen? dachte er, und als er unter den Bäumen angekommen war, sich umgeschaut und gesehen hatte, daß der Wagen in weiter Ferne neutral fortrollte, da stieg ein kindischer Grimm in ihm auf – ein andrer Gustav als der reitende hatte nämlich gedacht: sie sollen mich sehn, sollen umkehren, über Gräben und Verhaue mir nachfahren, mich zu sich in den Wagen bitten. –

Höchst unglücklich stieg er vom Pferde und warf sich in's Gras, und gab sich, wie er glaubte, der Verzweiflung hin.

Verliebtsein gleicht in sehr vielen Bewegungen dem Theile unserer Kindheit, wo wir die ersten Momente verletzten Ehrgefühls, bestimmt abgesonderter Theilnahme empfinden, jener Zeit, wo excentrische Opfer vor unserer Phantasie auftauchen, wo wir uns todt im Sarge sehn möchten, damit die gleichgültigen Unsrigen, damit ein süßes Wesen, das uns ignorirt, erkennen und aussprechen möchten, was sie an uns verloren. Wäre das erst geschehn, weinte Alles erst gehörig, dann wollten wir aufwachen, liebevoll verzeihn und wieder leben.

So ging's in Gustav her. Trat ein ruhigerer Moment ein, dann stellte sich die Noth wieder vor Augen, daß er durchaus nicht wußte, was er mit dem Tage, just mit diesem Tage machen sollte, wo Angélique nicht in Prag, und übrigens Sonntag sei, wo Angélique hier außen in Gottes grüner Welt den uninteressanten Leuten zum Vergnügen lebe.

Das ist ein Hauptstachel dieses Zustandes: wir würdigen den Werth der Zeit, des Augenblicks, der Gelegenheit nie in solchem Maße, als wenn wir im Aerger aufpassen, wie glücklich wir bei so und so bewandten Umständen um diese und diese Zeit sein könnten. In den Stunden, wo der Sitte, dem Gebrauche nach ein Zusammensein mit der Geliebten nicht möglich ist, leiden wir weniger.

Und jetzt lag ein so langer, ergiebiger Sonntag vor ihm – ich will hinreiten, rief er plötzlich aus, und sprang in die Höhe; sie können mich nicht fortjagen – da entdeckte er, daß sein Pferd fortgelaufen sei, der Paroxismus hatte die einfache Handlung des Anbindens übersehen. Das Schicksal wollte also nicht, und er konnte von Neuem im Grase verzweifeln.

Die Natur, herausgefordert durch die größtentheils durchwachte Nacht, erbarmte sich seiner; er schlief ein.

Die Mücken und Käfer schwirrten über ihn, ein Vogel pfiff auf dem nächsten Baume sein lustiges Lied, der Sonnenschein glitzerte durch die grünen Zweige – wer den blühenden Schäfer sah, hätte in Ewigkeit nicht an Unglück und Weh gedacht.


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