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Es war die erste; man ermesse also ihre Gewalt. Wir sagen gewöhnlich, der Mensch liebe nur einmal, weil wir nur diesen ersten unbeschreiblichen Eindruck zu rechnen verstehen, er kann eben so stark wiederkehren, aber er dünkt uns nicht mehr so stark, weil er nicht mehr neu ist; das Erste und Einzige ist uns stets eine unmittelbare Gotteshand.
Erste Liebe wirkt auch entschieden, wenn sie in Menschen aufgeht, die sich im Glücke glauben. Gustav kannte nun einmal sonst keine Beziehungen zur Welt, als daß sie wohl und schön geordnet sei für sein Wohlbefinden, er fühlte es nicht so weit, daß es zum klaren Begriffe in ihm ausgebildet wäre, aber die Ueberzeugung war doch sein innres Wesen: Du bist glücklich, und was Du erstrebst und gewinnst, kann Dein Glück nur erhöhen.
Es war dies darum kein deutlicher Begriff in ihm, weil solch Glück eine Sache ist wie die Unschuld; man weiß nichts davon, lebt und webt und genießt aber in diesem Dunstkreise.
Mit allem Aufwande des Jugenddranges bewarb er sich um Angélique – es ist nicht von vornherein zu entscheiden, wie teilnehmend und tief die Gesinnung des Mädchens für ihn war, Gustav war ein blühend schöner Jüngling, die Leidenschaft erhöhte das Feuer seiner Wangen und Augen, ein zweifelloser Bezug steigert jede Persönlichkeit; ein junges Mädchen wird am Ende doch bei allem Verstande, welcher ihr übrigens zu Gebote stehen mag, von der äußeren Erscheinung, von der Sinnenmacht gefesselt – sie ließ ihn lächelnd gewähren in seinen unverkennbaren Aeußerungen, aber sie gab sich auf keine Weise hin. Sie tändelte, tadelte, bildete, wie es eben kam. Gustav war in Allem jung, er sollte ein Mann werden, sagte sie, mit allen Fertigkeiten, Kenntnissen und gerechten Ansprüchen eines solchen. Das wirkte gewaltig und spornend auf ihn, er trieb Sprachen, Musik und dergleichen, und wenn er sich nun mit diesem oder jenem Resultate am Ziele glaubte, so lachte sie ihn aus, und sprach bald darauf ernsthaft: Aber, lieber Freund, das sind Alles Spielereien, ein Mann muß die Geschäfte der Welt kennen, Wissenschaft, Politik muß er beherrschen, um sein spezielles Geschäft von allen Seiten zu sichern und zu fördern. Nun begann eine Reihe neuer Anstrengungen für unseren Liebhaber – freilich blieben sie stets auf einer gewissen Oberfläche; denn die Berufung mit denselben ging auf ein leichtsinniges Mädchen, die doch am Ende selbst nichts Rechtes wußte, und im Grunde befriedigt war, ihre Anregungen wirksam, und somit ihrer Eitelkeit gewährt zu sehen.
Auf diese Weise verstrich ein halbes Jahr, es war Herbst geworden, die Blätter fielen langsam von den Bäumen. An einem sonnigen Nachmittage saß er bei ihr, und bat sie um Liebe. Angélique malte eine Landschaft, und war den Tag weniger spottlustig als in der Regel, sie sah manchmal ganz ernsthaft und innig von ihrer Arbeit auf, und blickte Gustav in die Augen, der auf dem Stuhle neben ihr saß. Ja, sie reichte ihm, was in dem bisherigen Verhältnisse eine Seltenheit geblieben war, die Hand, und er durfte sie mit Küssen bedecken.
»Sie sind ein lieber Narr,« sagte Angélique in der österreichischen Ausdrucksweise, »aber zu stürmisch, zu ungemessen.« –
Angélique! rief dieser, und sprang vom Sessel auf. –
In dem Augenblicke ward die Thür geöffnet, der Bediente trat ein, und meldete, daß eine junge Dame Herrn von Dorn zu sprechen wünsche.
Eine junge Dame? rief Angélique und Gustav gleichzeitig. Der Bediente erlaubte sich ein dreistes Lächeln, und sagte: sie sieht etwas wunderlich aus, etwa wie eine aus dem Theater, aber thut sehr pressirt. –
Es wird ihnen nicht wünschenswerth sein, unterbrach Angélique den Diener, Herr Dorn, die Dame in meiner Gegenwart zu sprechen – Johann, führe sie in den Saal –
Der Diener ging.
Ich begreife nicht, sagte Gustav –
»Seien Sie galant, mein Herr, und lassen Sie die Dame nicht warten, wenn's Ihnen auch bei dieser Situation unbequem ist – schweigen Sie, schweigen Sie, ich bin ohne Versicherung überzeugt, daß Sie nicht den Ort des Rendezvous gewählt haben« –
Angélique ging aus dem Zimmer, Gustav zur andern Thür nach dem Saale; er wußte in Gottes weiter Welt nicht, wer die Dame sein könne.
Es war Wlaska. Sie eilte ihm stürmisch entgegen, und es ereignete sich, was man eine Scene nennt. Gustav begriff lange nicht, um was es sich denn eigentlich handle, ihre Briefe hatte er gar nicht mehr gelesen und seit langer Zeit waren sie auch völlig ausgeblieben. Jetzt, durch seine Neigung für Angélique, war nun wohl seine frühere allzu große Harmlosigkeit einem Mädchen gegenüber verschwunden, und er begriff mehr als er früher begriffen hatte, die Anschauungsweise des Mädchens aber, welche sich kund gab und welche ein durch Intriguen und Verhältnisse bedrohtes Liebesbündniß vor Augen hatte, entriß ihm doch einen Ruf des Unwillens und harter Weise, den Wlaska vielleicht nie gehört hätte, wäre sie nicht eben zu so ungelegener Zeit und an so ungelegenem Orte erschienen. Kaum war er Gustav entschlüpft, so begab sich die auffallendste Verwandlung mit dem armen Mädchen, sie ward todtenbleich, trat einen Schritt zurück, schwieg eine Weile, und war dann plötzlich, während Gustav ärgerlich an's Fenster getreten war, aus dem Saale verschwunden. Er hörte die Thüre schallen, sah beim Umwenden Niemand mehr, und stand zerstreut, unschlüssig, verlegen in dem leeren Raume. Dies fühlte er doch, daß er ein Unheil angerichtet hatte, obwohl er sich nicht zu sagen wußte, wie und auf welche Weise es geschehn, wie und auf welche Weise es zu vermeiden gewesen wäre.
Uebel gestimmt ging er zurück nach Angéliques Zimmer – der Bediente trat ihm mit den Worten entgegen, das Fräulein sei ausgegangen.